Wo ist die Zeit? / Es gibt sie doch noch!

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Gießen / Mittelhessen / Eben am 15. November 2022

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Bob Dylan hat ein neues Buch geschrieben. Darüber sollte ich nachdenken.

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„Bob Dylan hat ein neues Buch geschrieben. Für jemanden, den der „Meister“, wie ihn manche in der Anhängerschar etwas übertrieben bezeichnen, ein Leben lang mit seinen Songs und Texten begleitet hat, ist dies ein klarer Auftrag: auf zur Buchhändlerin des Vertrauens. Diese sagt dann: „Ich wusste gar nicht, dass Bob Dylan auch Bücher schreibt? Was ist das für ein Buch?“

Tja. Was ist das für ein Buch? „Die Philosophie des modernen Songs“ erschien am 2. November, C.H. Beck – Verlag, kostet € 35.- und hat 350 prall gefüllte Seiten. Worte. Bilder. Anregungen. Irritationen. Klarstellungen. Überraschungen. Erst mal halt ein Buch.

Ist es ein wissenschaftliches Buch? Die Philosophie im Titel mag es suggerieren. Nein, mit Wissenschaft hat Dylan nichts am Hut, ganz im Gegenteil. Meist ist er selbst Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen. Seit je her wird er kategorisiert, eingeordnet, gerne überhöht. In den Feuilletons der Welt herrscht da ein wilder Wettstreit in Sachen Bedeutungshuberei. Es gab sogar schon Bob-Dylan-Kongresse, etwa 2006 in Frankfurt. Eindringen will man in Dylans opulente Lied – und Bilderwelt und sie verstehen seine, ja, Kunst. Er schreibt dazu: „Songs, wie jedes andere Kunstwerk, streben auch sie nicht danach verstanden zu werden. Kunst kann man schätzen oder interpretieren, aber nur ganz selten gibt es dabei etwas zu verstehen.“  So geht er auch vor in seinem, sagen wir mal, Liederbuch. 66, hinter dieser Zahl könnte man ein sprechendes Geheimnis vermuten, 66 Songs hat er ausgesucht. Die werden meist in zwei Teilen „beschrieben“. Zuerst nimmt er den Leser an der Hand, macht ihn zu einem Du und assoziiert sich mit ihm durch den Song. „In diesem Song bist du der verlorene Sohn. Gestern bist du in Detroit ins Bett gegangen. Heute Morgen hast du verschlafen. Hast dir über deine Mutter Gedanken gemacht, deinen alten Papa vor dir gesehen. Jetzt willst du wieder nach Hause.“ Der ursprüngliche Songtext mutiert zur Fiktion. Mit überraschender Saugkraft. Dann folgt ein zweiter Teil. Eine historische, soziologische oder biographische Vertiefung. Wahlweise. „Als der Song entstand war Detroit ein angesagter Ort. Neue Jobs, neue Hoffnungen, neue Gelegenheiten. Und deshalb wirken Träume wie der von Bobby Bare heute noch genauso wahr wie an dem Tag, an dem er ihn zum ersten Mal besang.“ Schreibt er, um dem Leser wenige Sätze später gleich wieder den Löffel des Bescheidwissens aus der Hand zu hauen. „Wieso denkt man, ein Sänger würde plötzlich eine Wahrheit offenbaren, wenn er in einem Song eine Geschichte erzählt?“

Vielleicht ist es aber auch gar kein Buch, sondern eine Jukebox? Genauso wie man Dylans Lieder lesen kann und auch sollte, kann man dieses Buch hören. Man sitzt in einer Kneipe mit alten Weggefährten, raucht, trinkt, wer Kleingeld hat, geht rüber zur Jukebox. Noch ein Lied. Man redet nicht viel. Man hört zu und reist zurück. Wie das halt so ist mit Songs. 90 Prozent von dem was man hört, ist meist nicht der Song selbst, sondern eine Erinnerung. Das was man mit dem Lied verbindet. Gelungene Liebe. Gescheitere Liebe. Gelungene Feten. Einsame Abende. Johnny Cash, Judy Garland, The Who, The Clash, Little Richard, Nina Simone, Frank Sinatra, natürlich Elvis und viele, viele Unbekannte stehen um Euren Tisch herum und erzählen die eine Geschichte. Und Bob Dylan spinnt sie am Nebentisch weiter. „Was zählt, sind die Gefühle, die ein Song bei seinen Hörern in Hinblick auf das eigene Leben hervorruft.“ Damit meint er nicht die Gefühle, welche ein lokaler Radiosender seinen Hörern zurückgeben möchte. Die hier versammelten Songs reden vom Tod, Niederlagen, all den lebensnotwendigen Irrtümern, den Tränen, der Wut, aber auch von der Hoffnung und den guten Nächten. Auch vom Krieg aber. Dann wird er doch philosophisch, wenn er sich Edwin Starrs „War“ anschaut. „Warum ist etwas unmoralisch, wenn man verliert, aber nicht, wenn man gewinnt?“ Ist es am Ende ein politisches Buch?

Über Bob Dylan zu schreiben birgt stets die Gefahr auf Bob Dylan reinzufallen. Oder wie Sam Shepard einst über das Chamäleon schrieb: „Wenn ein Rätsel gelöst wird, kommt der Fall zu den Akten. In diesem Fall, Dylans Fall, gibt’s keine Lösung des Rätsels, also beschäftigt der Fall weiter.“ Und das ist, wie bei vielen Songs des „Meisters“, auch Qualität und Merkmal dieses Buches. Es gibt sie nicht, die eine Antwort. „Kunst ist keine Übereinkunft! Geld ist Übereinkunft! Ich mag Caravaggio, du magst Basquiat. Beide mögen wir Frida Kahlo, aber Warhol lässt uns kalt. Kunst gedeiht durch solche lebendigen Auseinandersetzungen.“ Schreibt er im Zusammenhang mit „Money Honey!“ von Elvis Presley, den der junge Robert Zimmermann anbetete.

Vielleicht ist „Die Philosophie des modernen Songs“ einfach nur ein Reiseführer, der Türen öffnet. Augen und Ohren dazu. Ähnlich der Radiosendung „Theme Time Radio Hour“, die Dylan vor 10 Jahren moderierte und seine Hörer durch einen riesigen Fundus musikalischer Erinnerungen führte, anregte Vergessenes oder nie Gekanntes zu suchen. Oder ein Fragenkatalog, dem die Antwort weniger bedeutet als die Frage? Dylan war immer ein Reisender. Er schickt seine Lieder in der Welt herum. Spielt immer noch jedes Jahr bald hundert Konzerte. „Das Gute am Unterwegssein ist, dass man sich nicht verzettelt. Nicht mal mit schlechten Nachrichten. Du bereitest anderen Menschen Vergnügen und behältst deinen Kummer für dich.“

Was war noch die Frage? Ja, es ist ein gutes Buch. Eine Art Nachschlagewerk. Mit vielen wunderbaren Bilder. Ein Liederbilderbuch. Man kann es guten Mutes kaufen.“

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Wird, hoffentlich nicht zu kastriert, bald in der Zeitung lesbar sein. Solange ein Lied vom Reisen.

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Update 18.11.

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Fragen, Klagen, viel und nichts sagen

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Rädlewirtschaft Marte / Nonnenhorn / Bodensee / 8. Oktober 2022

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Was willst Du? Nichts. Ich sitz hier rum und hoffe der Regen zieht an uns vorbei. Und die Nacht ist einfach nur eine Nacht. Ohne was? Was fragst Du? Wegen der Nacht? Hättest Du sie gerne nicht so finster? Gut, ich zahle hier seit Monaten für den Vollmond und Du schnarchst einfach nur die Tapeten von den Wänden. Und sage jetzt bitte nicht das würde keine Sau verstehen. Wenn ich schlafe, kann der Vollmond Purzelbäume schlagen. Wenn ich schlafe, schlafe ich. Du schläfst immer. Tagsüber. Nachts. Und den Rest dazu. Hast Du jemals die Gebärmutter verlassen, Du Schwachkopf? Du willst mich missverstehen. Oder? Habe ich denn eine andere Wahl? Das solltest Du vielleicht selbst entscheiden. Meine Worte an Dich habe ich nicht irgendwo gekauft. Es sind einfach nur meine Worte. Ich habe sie nicht erfunden. Wer dann? Dein rechter großer Zeh? Es ist mein müdes Hirn. Mein linker Fuß, mit dem ich morgens aufstehe. Mein dummer Schwanz. Ein einziges Mal würde ich gerne ein Foto von Dir machen, während Du schweigst. Würdest Du mich dann vielleicht verstehen? Nie. Aber vielleicht begreifen.

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Bob Dylan hat ein Buch geschrieben, ein schönes Buch. Anlass für eine weitere Assoziation. Morgen noch mehr davon. Erst mal ein Song dazu.

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Kurven, Lenkräder und plötzlich dann

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Nonnenhorn am Bodensee / 8. Oktober 2022

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Manchmal haut dich was aus der Kurve. Dann liegst du im Straßengraben, in der Hoffnung da wächst noch Gras und es tut nicht so weh. Du puhlst dir ein paar Kieselsteine aus den lädierten Knien, was sonst deine Mutter gemacht hatte. Aber die wohnt jetzt weit weg, da unten im Süden und du bist zu faul und zu stolz da runter zu fahren. Und dann auch noch mit Kieseln im Knie, wenn die Züge übervoll sind und die Schaffner keine Schaffnerinnen mehr sind. Natürlich haben sich deine Schnürsenkel beim Sturz gelöst. Du beugst dich runter und musst eine neue Schleife binden. Und suchst einen Schuldigen. Da lag doch dieser Stein mitten auf der Straße. Die Stare, die sich zum Flug in den Süden sammelten, nahmen dir die Sicht. Du hattest den Kopf im Nacken. Sie hatte dich gestern dort gekrault. Die Richterin, die dich letztes Jahr verurteilte, war in ihrem früheren Leben eine Wurstverkäuferin. Du hast sie geliebt. Gedichte für sie verfasst. Sogar nüchtern. Dein Hirn fährt Karussell. Jeden Morgen. Wie fielst du aus der Kurve? Es ging doch eigentlich geradeaus. Vielleicht warst du lediglich betrunken, hast vergessen das Lenkrad festzuhalten. Vielleicht hast du heute mit gestern verwechselt. Aber das ist egal. Vor allem ihr. Wenn es schmerzt, gibt es keine Zeit. Willst du das alles noch einmal durchleben? Du wirst wahrscheinlich keine andere Wahl haben. Dein Lenkrad hat ein anderer in seinen Händen. Denkst du. Möglicherweise hast du sogar recht. Aber du kannst abbiegen. Nach rechts. Nach links. Sogar geradeaus. Und dann klingelt dein Telefon. Du kannst rangeh’n. Sterben müssen wir alle.

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Bob Dylans neues Buch ist nun gelesen. Dickes Paket. Anlass für neue Assoziationen hier. Morgen mehr davon. Aber erst mal ein alter Song.

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Vom Mittelverstande oder was der Sonntagskuchen, die Sekundenkleber und das Selbstmitleid erzählen mögen

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Immer wieder gelegentlich mal sonntags / auch in Mittelhessen / 2022

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„Es krassiert ein entsetzlicher Müßiggang. Müßiggang ist aller Laster Anfang. Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben! […] Oh, wer einmal jemand anders sein könnte! Nur ´ne Minute lang.“ Spricht Prinz Leonce in Büchners Komödie über die Langeweile.

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Fuhren eben mit dem Bus ins Umland zu den Schwiegereltern. Fährt nur alle zwei Stunden, aber er fährt und vor anderthalb Jahren fuhr er noch gar nicht am Sonntag. Zwar teilt man sich die Fahrt mit einigen maskenfreien Widerstandskämpfern, oft und gerne pubertär genervten Gesichtsausdruck in die Welt reckend. Wurst? Oder nicht? Vielleicht sind es auch einfach nur Nachwirkungen der letzten zwei Winter, die die Dialoge erschweren. Alle setzen Zeichen. Das Revier markieren. Besser noch: setzen „Statements“.

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Die Straßen sind voll, als lägen hinter dem nächsten Hügel nicht nur ein paar kneipen – und geschäftsbereinigte Vororte, sondern Berlin, Hamburg oder der Europapark „Frust“. Und alle paar Kilometer steht am Straßenrand einer der in den letzten Jahren in hohem Tempo hochgezogenen „Backwaren – Drive – ins“. Vor den Schaltern lange, sehr lange und dick bereifte Schlangen und auf den reichlichst vorhandenen, ordentlich versiegelten Stellflächen hauptsächlich Automobile, in deren Kofferraum ein 2CV oder ein Käfer passen würde. Und da stehen sie, die von der Komplettverarmung bedrohten Mitglieder des germanischen Mittelverstandes, geduldig stehen sie, als hätten sie alle in der einstigen DDR vor einem HO das Große Warteabitur gemacht. In den Warteschlangen teilt man sich die Langeweile. Was nun ist ihr Begehr? Kuchen. Gebäck. Eine sogenannte Kaffeespezialität. Zum Gehen, Stehen oder Sitzen. Iss ja auch Sonntag. Da macht man das so. Fährt man halt mal zwanzig Kilometer hin und zurück. Für seinen Kuchen. Und gegen die Sekundenkleber.

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Hat jetzt Robert H., die Spaßbremse, an den Ufern des Roten (sic!) Meeres, wo man gerne taucht, falls nicht der Hai am Beine nagt, angeregt das Kuchenbacken zu verbieten? Nichts davon gehört. „Hexe Baerbock haut es raus. Habeck macht den Ofen aus.“ Stand zumindest nicht so in der BILD.

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Ach! Der Mittelverstand wäre doch so gerne bei denen ganz da oben dabei, statt plötzlich (?) nach unten schauen zu müssen. Da aber lauern die Ängste, die kalten Füße, die Haie mit den Zähnen aller Art und die steigenden Meeresspiegel. Da unten. Im Süden. Wo es doch immer warm bleiben soll. Und man so schön wegtauchen kann. Es sei denn der Hai und so weiter.

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Prinz Leonce sitzt am Rande einer für diese Jahreszeit zu berstend grünen Wiese. Er denkt nach. Tut zumindest so. Ob denn einmal der Eine je ein Anderer vielleicht könnte sein? Und schreibt nieder: „So dürfen wir also danken nun, dass dieser Tage nicht, wie in den alten Tagen, ein Frost regiert das Land. Die großen Tränen des Selbstmitleids, diese, kaum auf die Trottoirs der Republik gefallen, sie gefrören stante pede und man rutschte aus, läge bäuchlings auf dem schwindenden Bauche! Was ein trauriger Tanz!“

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Vom selbstverfassten Kuchen den wir, Rotkäppchen gleich, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gen Schwiegerfamilie transportierten, ist sogar noch etwas über. Für Montag. Vielleicht sogar Dienstag.

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Wo ist die Zeit? / Kölle Alaaf Alaaf

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Lindenberg (Allgäu) / 10. Oktober 2022

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„Leev Jecke! Mr bitte üch nit inne Hauseinjänge zu urinieren. Un auch nit dort Kacka zu maache. Un wer auch immer meinen täte, er müsse durch den U – Bahntunnel stolpere, der hätt doch einen anner nit vorhandenen Waffel!“

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Auftritt Frau Oberbürgermeisterin. Man möge Ihr und Ihrer Stadt bitte nicht vorschrivve, wie mr der Fastelovend fiere donn. Aha, sie spricht die Sprache der Eingeborenen. Die Mehrzahl der angereisten Entgrenzten (Sind Sie das?) versteht kein Wort davon. Sitzen sie doch schon seit Stunden in den, die Domstadt umzingelnden, überfüllten Vortortzügen. Inklusive ICEs. Mal was erleben. Ey und sorry! Man kann doch auch schon mal vor 11 Uhr Elf watt breiti sein. Beobachter fragen sich besorgt: sind auch Mittelhessen unter den Opfern? Oder Bayern? Oder gar Chinesen? Düsseldorfer gar? Erstaunlicherweise beherrschen die Besucher aber etliche Liedtexte der Einheimischen. Die Perücken verrutschen kaum. Die eingemeindeten Moderatoren der überhitzten Veranstaltung jubeln sich einen in die Büx.

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Habe länger in Nippes gewohnt. Da wurde am 11.11. auf dem Wilhelmsplatz zwei Stunden früher, sprich 9 Uhr Elf die Session eröffnet. Ein Kölsch rechts und eines links und die Hände zum Himmel. Geht auch. Auf dem Walkman lief: „Lasst doch der Jugend, der Jugend ihren Lauf!“ Gelegentlich traf man eine Kielerin oder einen Ulmer. Seltener Transsilvaner*innen.

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Die letzten zwei oder drei Jahre haben nicht ein Volk ausgehungert, sondern vielleicht ein vollkommen absurdes Anspruchsdenken weiter aufgeblasen. Vielleicht fast schon ausgeblasen. Ich habe ein Recht, weil erzwungener Verzicht iss nich. Sagen die Gäste.

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Zurück nach Kölle. Mr lasse uns nit verzälle, wie dat mit dem fiere jeht, wenn der Schwaadlapp uch noch von drusse kütt. Sagt die OB. Zurück zum Besucher. Hey, kann mal wer der Tante erzählen, ich will mich hier einfach ordentlich wegtanken? Wie heißt die Stadt hier bitte? Solingen oder so?

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Erinnere mich an ein oder zwei Sessionen in den Neunzigern. Da zogen Trupps mit Baseballschlägern durch die Stadt und nach dem Aschermittwoch gab es keine intakten Telefonzellen mehr. Hat sich später die Post zum Vorbild genommen und den Rest plattgemaat. Un wenn du drisse häs müsse, dann bisse halt innet Jebüsch. Kölsche Anarchie.

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Wir hatten, nach vollzogen ungezogener Entleerung zu benutzen, stets einen Sixpack Kölnisch Wasser in den weiten Taschen der Clownsgewänder dabei. Kurz mal dröver jesprüht und die liebe Seele hatte ihre Ruhe und jubelte ein befreites Doppel – Alaaf in den einst noch etwas kühleren Novemberhimmel.  Und die Stadt roch angenehmer. Kölsche Ordnung.

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Sonst? Ich mochte dat Jetrommel. Das Taumeln. Inklusive begrenzter Entgrenzungen. Tja. Wie alles, wird wohl auch grade der Karneval seiner Geschichte beraubt. Evver solang der Rubel rollt, iss auch dat drissegal.

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Die kölsche Verlogenheit und selbstvergessen masturbative Sentimentalität haut mich jedes Jahr wieder um. Trotzdem schalte ich an diesem Tag den WDR ein und höre mir den alten und wohl noch immer geliebten Driss an.

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Man bereit sich wahrscheinlich so auf Katar vor. Nee, wat iss et schön sich die Täsche voll zu lüje. Su janz solidarisch. Arsch runger. De Schnüss haale.

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Ausgerechnet Götze oder von Hoffnung

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Reutte / Tirol / 13. Juni 2022

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Ausgerechnet Götze der kleine dicke Bub

Der des depressiven Schürrle Pass in die Kiste hub

Und alle Pilger unseres Jogis aus Schönau

Hüpften auf dem Sofa hoch

Ich henn`s gewißt! I au!

Löwy au der Besserwissi

Du machsch mir etz direkt der Messi

Dann ward der Bub verschwunden und wurd krank und Bayer

Schmorte dick und dicker auf der Bank

Mal zehn Minuten Einsatzfeier

Heiratete sein Gegenbild zum Wohle seiner … Zukunft

Die nicht mehr lag in Kloppos warmen Arenen

Wo die Nation noch Hoffnung tat wähnen

Dass eben der kleine dicke Bub nochmal

Den Pass von Schürrle hub

Doch jener selbst sich schon versenkt

Ungewollt und aufgehängt

In müder Dauerschleife alten Triumphs

Vergangenheitssumpf und hektisch transferiert

Die Hoffnung gern Gesicht verliert

Und nun aus fernen Hollands Stränden

Kehrt er zurück der Mario

Die Nation schon wieder richtig froh

Er soll nicht enden

Als Bub mit ewig dicken Backen

Noch einmal sich am Schopfe tat er packen

Und adlergleich beflügelt

Aus den Sümpfen er

Zurück zu den Triümphen kehrt

Und Flickens Hansemann

Glaubt dass er es nochmal machen kann

Auch wenn

Dies nun des Reimes Ende

Man Kicker niemals in die Wüste sende

Lasst regnen es aus den Hintergründen

Schwarz – weiße Bilder

Bestraft die Sünden

Dem dicken Bube toitoitoi

Alte Hoffnung ist nicht neu

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PS: Aus aktuellem Anlass. Ein bisserl freu ich mich schon für den Götze mit den gar nicht mehr dicken Backen. Aber gucken deshalb trotzdem nicht. Ähem! Vielleicht habe ich eben hoffnungsfroh gelogen. Hoffentlich nicht.

Wenn ich ein Schiff besteige, muss es nicht gezwungener Maßen irgendwo ankommen / Reisen ohne sichere Häfen

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Hamburg – Altona / Blick vom „Balkon“ / 8. November 2018

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Deutschland bangt und zittert und weiß wie immer Bescheid. Eben weil es keiner wissen kann. Dann müssen es halt wir wissen. Von links und ganz dolle aufgeweckt oder von rechts und alte Lieder nachsingend, deren Melodie wir längst vergessen haben, aber mit denen Oma und Opa uns einst in einen wohligen Schlaf gesungen hatten. Oder direkt aus der immer schmaler werdenden Mitte, die einfach mal wie die drei Affen agiert. Augen zu und durch. Und Maul halten. Weil da ist ja noch das überteuerte Frühstücksbuffet drin. Das gönne ich mir heute. Gelle und Helau! Trinkgeld geht nicht mehr. Hä? Hat wer was gesagt? Oder gar ich selbst?

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Das Schiff verlässt den Hafen. Man konnte, oder meinte dies in selbstermächtigender Einfachheit, stets davon ausgehen, dass es den Hafen anlaufen wird, für den man – der Kunde ist die amtliche Prinzessin auf der Erbse – gebucht hat. Die Zeiten ändern sich halt. Nicht nur damals, als Bob Dylan davon sang, sondern stets. Wir haben das dummerweise vergessen und fordern die Uhren auf, ihre Zeiger stille zu halten.

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Bob Dylan hat ein wunderbares Buch geschrieben. Bald mehr davon. Er steigt in ein Boot, in viele Boote, manche mit löchrigem Rumpf, Seelenverkäufer, wie man sie einst nannte, und schippert los. Vertraut darauf, dass jenseits der Horizonte ein Ankommen möglich ist. Auch wenn man an sturmumtosten Klippen zerschellen sollte. Kurz vor vermeintlicher Ankunft. Die Liebe aber, sie bleibt bestehen.

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Ich weiß, klingt nach Frauenzeitschrift. Oder nach Binsenweisheiten wie: der Weg ist das Ziel. Postkartengeschwätz halt. Hermann Hesse für Arme.

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Meine aber etwas anderes. Der Blick auf das Meer beruhigt. Eben weil man nicht, Füße im Sand, meint zu wissen, wie zum Beispiel Dummbatz und Porschepilot Lindenberg, erster Stellvertreter germanischer Hybris, dass es hinter dem Horizont weiter geht. Nee. Eine leere Fläche isses Meer. Kann man wegkippen da hinten oder irgendwo ankommen. So oder eben anders. Und jetzt greift auch noch der fürchterliche Stellvertreterdeutsche Rudi Carrell in meine Tastatur. Und brüllt: „Lass Dich überraschen!“ Weia!

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Wie auch immer. Dylans Buch ist ein Gewinn für mein altes und vielleicht die anderen Hirne. Müssen nicht alle alt sein. Ein Lied. Zwo. Drei. Hier.

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Altes Haus und Ufer gegenüber

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Bildstein im Bregenzer Wald / 7. Oktober 2022

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Das alte Haus

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Als ich unlängst

Ich spielte unachtsam und begeistert mit

Sich selbst entzündenden Streichhölzern

Das alte Haus beinahe abgefackelt hatte

Selbstvergessen und erschöpft von den Zeitläuften

Und dem was unvermeidlich

Leises Verschwinden du

Jedoch nicht vergessen konnte wo der Löschteich

Und liebevoller blickte wieder

Auf die Staubmäuse den kleinen Schimmelfleck in der Küche

Den Riß in mancher Fensterscheibe

Fiel hinter einer herabgleitenden Tapetenbahn vergessen

Altes Silber hinab und

Achtlos noch auf dem abgetretenen strapazierten Teppich

Golden glänzend lag es

Obwohl ich gelegentlich auf den Balkon trat

Hinüberblickend zum anderen Ufer

Nicht wissend ob jene Hütte dort

In Flammen schon

Noch bewohnt oder von den

Baggern des Vergessens

Plattgemacht

Mein Erinnern ein

Fliehendes Pferd

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(Gießen / Anfang November 2022)

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Wasserburg am Bodensee (Martin Walser – Town) / 6. Oktober 2022

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