Es war einmal ein Pizzabäcker. Er hatte drei Töchter. Eine schöner als die andere. Zwischen 16 und 22 wallten lange schwarze Haare, blitzten verwegene Augen und lachten Zähne, perlweiß und trugen geschickte Hände mondgroße Pizzen an die Tische. Wobei, so viele Gäste waren gar nicht vorhanden in dieser kleinen Pizzeria in Padova. Nur sei tedesci. Und ein paar Verwandte und Nachbarn des Pizzabäckers. Eben hatte, unter verhaltenem Jubel der Tedesci, die eben erst Platz genommen hatten als Gäste, ein Glücklicher aus dem Norden aus etwa zwanzig Metern Entfernung einen Medizinball ins Gehäuse der Alten Tante gewuchtet. Im fernen Athen. Daraufhin wurden sie wütend, die Balltreter aus der italienischen Autostadt und berannten das Gehäuse der Anderen. Vergeblich. Der Pizzabäcker trat an den Tisch der Tedesci. „Ragazzi? Come il Numero Uno?“ „Stein!“ Das war die Antwort! „Ä? Come il Numero Uno di Hamburgo!“ „Stein! Uli Stein!“ „Rispetto! Fantastico!“ Eine der drei Schönheiten trat an den Tisch der Gäste, man hatte die ganze Zeit wild hin und her geblinzelt, und sprach die Pizzen servierend: „Aspeta Papa. Paolo Rossi.“ Einer der Pizzaesser am deutschen Tisch, meine ich mich zu erinnern, warf ein zaghaftes „Aspeta, Bella. Horst Hrubesch!“ Gleich darauf spürte er die Faust seiner Freundin in den Rippen.
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Früh um fünf waren wir losgefahren in Köln. Der romantisch klapprige Ford Transit war vollgeladen. Drei Schauspieler, eine Schauspielerin, die Regisseurin und meine damalige Liebste, mit mir in derselben Klasse der Schauspielschule, aber diesmal gebucht als „Junge Frau für ALLES“. Licht. Ton. Soufflage. Inspizienz. Gute Laune. Kartenlesen. Im Fond ein paar zusammenklappbare Bühnenelemente. Holz. Ein paar Kostüme. Eher Lumpen. Requisitenschwerter. Eine alte Gitarre. Mehr braucht Theater ja auch nicht. Und das Wollen halt.
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Was wir spielen sollten? Wollten? Ein Stück von „Ruzante“. Ich habe den Titel vergessen. Es ging um Liebe, Krieg und alles andere. Rüpeltheater. Bauerntheater. Ich spielte den Rüpel mit dem großem Maul, der aber ständig auf selbiges kriegte. Ich glaube, weiß es aber nicht mehr, wir reisten im Auftrag des italienischen Generalkonsulats zu Kölle. Der Katholik an sich hält ja zusammen. So von schwatt zu nero.
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Gegen frühen Nachmittag erreichten wir Padua. Parkten auf dem Hof des altehrwürdigen Theaterbaus. Niemand war da, außer einem einsamen, rauchenden und Kreuzworträtsel lösenden Pförtner. Warum sind die Türen alle chiuso? Scusi. Grande Problema. Generalstreik. Wo sind die Techniker? In der Bar vis a vis vom Musentempel. Ich wurde losgeschickt, da ich bei der Vorbereitung damit angegeben hatte, ich könne … ähem … italienisch. Bin ja auch an der Grenze zur Schweiz aufgewachsen. Siehe oben. Chiaccherione.
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Da saßen sie. Die zwei Technici. Espressi. Vino rosso. Fumare. Bella figura. Trotz Hausmeisterkittel. Geht so nur in Italia. Buon giorno und so. Ich, also wir, das teatro tedesco, dings, ausladen, aber teatro chiuso, grande problema. Oggi una prova necessario. Domani … show. Antwort: Non ce niente che possiamo fare. Oggi scipero generale. Hä? Nix dürfen mache! Ah! Super. Generalstreik auf italienisch. Zweiter Versuch: Scusi, carissimi signori. Scipero generale finito? Quando? Antwort: In serata. Pause. Ob ich auch einen Rotwein wolle. Naturalmente. Geistesblitz. Sono compagno. Genosse. Communista. Teatro politico. Ruzante. E in serata: calcio! Hamburgo. Torino. Da lächeln sie, die zwei Bühnentechniker. Stolz überquerte ich – zu dritt – die strada. Die Türen wurden uns geöffnet. Ausladen und Bühne einrichten mußten wir selber. Und ein hastiger Durchlauf wurde auch noch gestemmt. Licht machen wir halt morgen. Kurz vor Anpfiff checkten wir ein in unsere Pensione. Den Göttern Dank: direkt gegenüber eine kleine Pizzeria mit Televisione. Siehe oben.
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Warum das alles? Heute abend Magath und der HSV. Man trifft sich immer zweimal im Leben und so. Gefällt mir. Bin aber für den HSV. Mein liebes St Pauli war ja letztes Jahr schwer auf Kurs. Dieses Jahr halt nur ein Tja. Schrieb ich doch – als Prophet – unlängst in anderem Zusammenhang:
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„Ich muß aufräumen. Du kannst sitzen bleiben. Da draußen vor der Tür!“
Einige Pauli – Fans torkelten vorbei. Der Aufstieg in die erste Liga mußte gefeiert werden. Auch wenn er gar nicht stattgefunden hatte.
„Noch einen Grappa? Dann trinke ich einen mit!“
(Hamburg / Januar 2022)
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Ein Lied noch zu den letzten Tagen des Mais. Die Pizzen einst in Padua waren unfaßbar. Wir Jungs waren am Ende recht trunken. Die Grappe auf Felix. Ein bisserl peinlich waren wir auch. Der Stielaugenblues. Aber unsere Frauen haben uns sicher ins Bett geleitet. Wie et halt so iss im Leeve. Und gestern? Glückwunsch Attila. Hoffe der Streich hätt‘ au zug’schaut.
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PS: Habe eben eine Mail erhalten. Ein aufmerksamer Leser, früher selber in der Presse tätig, machte mich darauf aufmerksam, daß da nicht Platini mit dem Henkelpott steht, sondern eben der Ristic. Eigentlich logisch. Danke nach Krofdorf, lieber Norbert.
So. Mit drei Ausrufezeichen. Das letzte Ruinenphoto aus Konstanz. Das ist eine alte Verteilerdose. Über Drähte miteinander schwätze! Wosch noh? Man mag kaum glauben, daß diese Drähte damals Gespräche hin und her ruckeln ließen. Von rotierender Scheibe zu rotierender Scheibe. Stand man in der Telefonzelle, galt es zu beachten stets genug Zehnerle dabei zu haben und sich trotzdem kurz zu fassen. Wartende – vor allem nächtens und promillt – konnten recht wütend werden. „Wenn Du Seggl etz it gleich do raus kommscht, no loß i di dä Telefonhörer fresse! Kapiert?“ Wenn man selbst vor der Telefonzelle stand, weil die neue Freundin nicht so auf Blitzbesuche stand, sondern (Die hatte schon ein Telefon … ähem … also ihre Eltern!) darauf bestand „kurz mal anzuklingeln“, war es wichtig die eigenen Aggressionen im Zaum zu halten. Indische Heilkräuter konnten zur Gelassenheit beitragen. Eventuell. Was nicht heißt, daß man nicht selbst auch mal beherzt gegen die Scheibe trat. Nicht immer wissend, was daraus folgen mag. Ging meistens gut aus. Früher endeten Auseinandersetzungen, selbst nach blauem Auge, nicht gleich auf der Polizeiwache. Eher am Tresen.
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Zwischenbemerkung: Man soll als AGM (bianco) doch nicht die alten Zeiten beschwören und dann auch noch die Errungenschaften der digitalen Kommunikation ausnutzend. Gelle! Ich weiß. Aber als AGM (white) habe ich heute zur morgendlichen Weinprobe (Vorsicht! Satire!) gerne und erfreut folgendes von Herrn Martenstein gelesen. Hier mal zum HÖREN.
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Zurück in die Telefonzelle. Also wenn man war drinnen. In der Telefonzelle. Das andere war noch nicht möglich. Dann hat es halt manchmal gedauert. Und die korrekten Geständnisse, obwohl es die noch nicht so gab in Sachen Korrektheit des Empfindens, mußte man ja auch noch lernen.
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„Hallo? Bist Du noch da?“
„Ja!“
„Leg bitte nicht auf!“
„Ok!“
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Das minutenlange mit – Seufzern / Zwischenrufen / „Ja, Mama, ich komm gleich!“ / Heulrotz hochziehen / Feuerzeugklicken und dann hektisches Inhalieren / im Hintergrund LC’s „Hey! That’s no way to say good bye“ – garnierte Schweigen wurde abrupt beendet von einem lauten Schlag gegen die Scheibe der Zelle. „Wenn Du Seggl etz it gleich do raus kommscht aus derre Zelle, no loß i di dä Telefonhörer fresse! Kapiert? Und mach Dein geischtige Hosestall zu. `S zieht! Brauchsch ä Tempo? Heulsuse!“
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Manchmal ist man dann halt doch einfach bei ihr vorbeigegangen. Wenn man keine Zehnerle mehr hatte. Oder Herzensnot. Hat geklingelt. Geklopft. Steinchen gegen das Fenster geschmissen. Im Guten wie im Bösen. Fiel damals noch nicht unter Stalken. Und dann schlich man wieder heim. Mit oder ohne blauem Auge. Gelegentlich mit rosaroter Brille. Roten Ohren eigentlich immer. Ich muß aufhören mich zu erinnern an das, was ich eigentlich vergessen hatte, aber mein Kopftelefon klingelt eben:
Es klingelt an der Haustür. Ich öffne, obwohl noch im Nachtgewand, etwas verkatert und mit subakutem Rückenschmerz. Ein bebrillter Glatzkopf hält mir einen Ausweis unter die Nase.
„Moin. Sie wünschen?“
„Ich bin Ihr Erhebungsbeauftragter!“
„Schön! Und was wollen Sie?“
„Wissen wie es Ihnen geht!“
„Geht so! Geht es etwas konkreter?“
„Was war gestern?“
„Ich trank Wein, pflanzte Bohnen, fuhr Fahrrad und schlief dann ein.“
„Sonst nix?“
„Doch, ich mußte noch einen Schuldschein entgegennehmen. Nix besonderes. Tut man ja jeden Tag. So als Mensch oder Menschine.“
„Also sind Sie ein Mensch. Darf ich das schon mal in meine Erhebung eintragen?“
„Wenn es der Wahrheitsfindung dient!“
„Und was machen Sie heute so?“
„Ich schnüre ein Entlastungspaket!“
„Und was ist da drinnen?“
„Nüscht oder nur das, was der Empfänger da drinnen zu sehen in der Lage ist. No Expectations!“
„Schönes Lied!“
„Find ich auch! Wollen Sie reinkommen? Hab‘ noch was Wein!“
„Glaube nicht. Ich habe mich, denke ich eben, beim Erheben etwas verhoben. Ohne mich zu loben. Jetzt. Ich muß mal vergessen, was ich eh nie begriffen hab‘! Manchmal ist man doch gehetzt!“
„Sie können aber jederzeit wieder vorbeischauen!“
„Mache ich! Tschööö!“
Die Tür fällt ins Schloß, ich mache das Bett, trinke den Restwein vom Vorabend und gehe zur Akupunktur. Ein weiterer Tag geht. Weiter!
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Ich liebe die Tage nach Wahlen. Egal wo und wie. Der Ausgang ist mir meist wurscht. (Stimmt natürlich nicht. Aber heute will ich mal wieder kokett sein!) Jedoch die GROSSE NACHBEREITUNG, da habe ich einfach Spaß dran. Erst die ritualisierten Elefanten -, Goldhamster – oder Kreuzotterrunden. Mit den wild vorwärts stürmenden Fragen der – den Rücken überstreckt – naja, das ist nicht gesund – Frager und Fragistinnen. Herrliche Scheingefechte. An den Montagen dann die Lektüre des Papiers und die erneuten Hinterherdenkereien schauen. Die ausgestreckten Zeigefinger prangen allenthalben. Das üblich obsolete Politikerbashing, welches vor allem die Verlierer in die Ringecke quatschen soll. Um dann den Gewinnern die Schuhe zu polieren. Aber mit einer farblich anderen Schuhvixe. So simmer halt, wir Wählermenschen … Verzeihung … Staatswürger … so ein Blödsinn auch: STAATSBÜRGER. Den ausgestreckten Zeigefinger aber brauchen wir. Morgens bohrt man sich ja auch gerne mal in der Nase rum.
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Die Menschen in diesem Land verzichten zunehmend auf die Ränder. Können wir uns nicht mehr leisten! So isses. Oder? Man kuschelt sich in die Mitte. Angstvoll. Sollte ich meinen Block … sorry … Blog schließen? Frag ich mich. Oder Dich. Oder jene auch noch.
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Weit über vierzig Prozent nutzten ihr Wahlrecht nicht vorgestern. Ist alles so schön bunt hier. Kann mich gar nicht entscheiden. Ist alles so schön bunt hier. Da ist doch die Eine dööfer als der Andere. Und die Benzinpreise. Ich find‘ mich da nicht wieder. Ich bin denen allen nicht grün. Jetzt wähl‘ ich halt mal die. Solange Krieg ist, gibt es auch kein Tempolimit. Die haben anderes zu tun. Nächstes Jahr im Merz sieht dann alles wieder ganz anders aus. Was weiß ich denn?
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Immer noch mein Mantra: Auch der Wähler ist ein Depp. Vor allem, wenn er nicht wählt. Der Depp.
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Immer noch mein Lieblingsaufkleber auf dem Flaschencontainer, wo ich eben das Leergut, welches der Erhebungsbeauftragter*in nicht mit mir leeren wollte, entsorgte:
Olaf Scholz ist nur Kanzler, weil der wahre Olaf schmolz!
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Ich glaube, die Ränder wollten eigentlich schon immer Mittelpunkt sein. Ich liebe Rio. Schauen Sie selbst. Morgen mehr über eine wieder neu entdeckte Liebe.
Stolperte (sic!) heute über den herrlichen Ausdruck „wüst gefallen“. Siedlungen, aufgegeben. Verfallen. Ruinenreste. Flucht. Krieg. Langeweile. Unfruchtbarkeit. Man nennt die leeren Orte auch eine Wüstung. Ein paar Brocken liegen noch rum. Seit langem schon hat das Grün des Vergessens alles überwuchert. Man muß sich bücken, um noch etwas zu erkennen.
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Die Bilder hinter der Hinteren Sonne zu Konstanz von letzten März, die hier in den letzten Tagen aufploppten? Eine Wüstung, die meiner damaligen inneren Wüstung entsprach. Der bescheuerte Sturz auf der Flucht. Das kaputte Handgelenk. Erinnerungen. In der Welt rumtrudeln. Das Tja. So sah Konstanz tatsächlich aus in den späten Siebzigern. Noch keine Anzeichen des in der heutigen Zeit überdrehten Wohlstands von Schweizer Gnaden. Nee, wie ich damals gerne sagte: Hier feiert die DDR noch fröhliche Urständ. Hinter der Hintern Sonne. Eine Halbe für zwei Mark. In der Unteren Sonne sogar noch für eine Mark neunzig. (Weniger als ein Euro, Freunde der Jugend!) Und eine Jukebox. Hendrix singt von Dylans Wachtürmen. Die Teestube dort. Die Geschäftle mit den indischen Heilkräutern. Anbetungen. Fummeleien. Phantastereien. Versprechen. Fluchten. Bröckelnder Putz.
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Nebengedanken: Bin ich als Anbeter des Morbiden und des Stillstandes gar deshalb nach Gießen gezogen?
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Bekifft und doch im Aufbruch befindlich, turnen wir damals durch die alten Gemäuer und es war die Normalität, das Bröckeln, das Graue, die Wunden, die die Stadt mit sich rumtrug, zeigte und nicht hinter Geplapper und Selbstoptimierungsmist verbarg. Das prägt wohl. In uns aber war es einstens bunt genug. Unsere Lautstärke überflügelte das beredte Schweigen des Verfallens. Und der glitzernde See war das Gegengewicht. Bis im November der Nebel die Stadt auffraß. Bis in den März hinein. Und die Mauern noch finsterer grüßten. Ich mag solche Ecken, in denen ich vergangene Zeit anfassen kann. Zumindest gedanklich.
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Wüstung. Wüst gefallen. Nicht nur Mauern. Beziehungen. Hoffnungen. Überdrehte Träume. Übersteigerte Erwartungen. Wenn man das Poesiealbum seines Lebens dereinst noch mal durchblättern wird, allenthalben neben den funkelnden Feuerwerken, den selbstvergessenen Tänzen, den überdrehten Premierenfeiern, den schlaflosen Nächten, den ganzen Umarmungen und dem Daumen im Wind: Wüstungen. Herr Lugerth? Betrachten Sie Ihr Leben als ein wüst gefallenes? Antwort: Es gibt solche Tage. Die manchmal lange Wochen anhalten. Jedoch:
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Schlag nach bei Cohen, meinem Meister der gelegentlichen Düsternis und bekennendem Prozac – Fresser. Er singt – hymnisch – von diesem Riss in den Dingen. Der Riss muss sein, sonst fällt das Licht nicht rein. Die Risse hektisch mit Gaffatape und Nebelkerzen zuzukleben mag ein Weg sein. Ich glaube nicht daran. Eher, wie ich schon bemerkte, Kintsugi: also die Risse gülden bemalen. Das Licht spiegelnd quasi. Und die Ruinenreste stehenlassen. Zur gelegentlichen Betrachtung. Dabei die Glocken schlagen. Was halt noch so bimmelt. Und das nicht perfekt. Aber den Hut ziehen!