Siebenmal ein Scheitern in die Welt rufen freudig / Liebe in Zeiten des Krieges / Reime aus dem Speisewagen / 06

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Konstanz / hinter der HInteren Sonne / 11. März 2022

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6

Dorthin

Wo meine größte Niederlage

Mir gegenüber saß

Erschöpft hinter dicken

Brillengläsern

Kehrte ich zurück

Nach genau zwanzig

Jahren

Als wollte ich feiern

Den Schmerz

Um wieder zu leben

Und lese:

„Wann ist ein Mensch ‚wahnsinnig‘? Wenn er das Normale tut und der Wahn nur in seinen Gedanken existiert oder wenn er unnormal handelt, aber mit der völligen Überzeugung, gesund zu sein?“

Danke Bernd Wagner

Worte als Pflaster

Ich reiße sie wieder ab

Der Wundschorf bleibt haften

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Siebenmal ein Scheitern in die Welt rufen freudig / Liebe in Zeiten des Krieges / Reime aus dem Speisewagen / 05

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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5

Ich löschte alle Spuren

Riss mir aus den Rippen

Worte hysterisch müde

Feuerbrand

Ein Anderer hütet derweilen sorgsam

Kistenweise fremdes Leben

Finstere Leichtigkeit

Schlechter Wein gleich in Frankfurt

Was macht es so schwer sich für

Einen Sitzplatz

Entscheiden

Zu müssen

Können Sie sich bitte mal hinsetzen

Das ist ein Speisewagen und kein

Wandergebiet

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Siebenmal ein Scheitern in die Welt rufen freudig / Liebe in Zeiten des Krieges / Reime aus dem Speisewagen / 04

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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4

Lasse er mich in Ruhe

Eine Kurzmitteilung droht

Dann sprachen wir

Eine lange Stunde

Im Kreis herum

Bibabutzemann

Rumpelstilzchen

Morgen backe besser nicht

Auch keine kleinen Brötchen

Das Märchenbuch aufgeschlagen auf ihrer atmenden

Brust

Es schneit

Der Zug hält nicht in Fulda

Der dumme Hund

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Siebenmal ein Scheitern in die Welt rufen freudig / Liebe in Zeiten des Krieges / Reime aus dem Speisewagen / 03

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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3

Heute puhle ich mir

Erinnerungsfetzen

unter den Fingernägeln hervor

und sehe den Luftballon

Zuneigung

verschwindend platzen

unter schneeschweren Wolken

keine sanften Lieder

Trommelschläge noch gelegentlich

nervöse Finger klopfen

die Sprache der Liebe

wird zum Stammeln

Ratgeber wohlfeile

jeglicher Schnee schmilzt

erschrocken

wer diffundiert zuerst

ich nehme die Teile

mit

wohin

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Siebenmal ein Scheitern in die Welt rufen freudig / Liebe in Zeiten des Krieges / Reime aus dem Speisewagen / 02

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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2

Gestern jagten wir den

Wolken hinterher

ritten Luftponys

bis zur Erschöpfung

wund getippte Fingerkuppen

Lippen rauhe

Strahlung radioaktiv

Gedehnte Bänder

und das Sehnen

stolpern mit Stil

muß man erlernen

vor der Zeit

Den letzten Krieg

müssen wir alleine

Geh!

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Siebenmal ein Scheitern in die Welt rufen freudig / Liebe in Zeiten des Krieges / Reime aus dem Speisewagen / 01

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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1

Eine ausgelaufene Badewanne

Bin ich heute

Ausgesaugt

Leere Hülle

Hänge über einem Stuhl

Wie die lange Unterhose von gestern

Stinkend

Die Welle auf der ich ritt

Die letzten Wochen

Eine Tüte Meersalz noch

Überteuert

Der Sand knirscht zwischen meinen Zähnen

Der Schwanz eingeklemmt

Zwischen den Hinterbeinen

Geprügelter Hund

Heimatlos

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Ein dreifaches Halleluja sei gesungen auf die Kraft der deutschen Jugend

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Die Sprache ist die, die man schreibt. So war das mal gewesen. Vielleicht. Die Sprache ist die, die man spricht. Teils, teils ist’s noch so. Eventuell. Die Sprache dieser Tage scheint die zu sein, die einem um die hilflosen Ohren und Augen gehauen wird. Gewiß. Es sei denn, man meidet öffentliche Plätze, verschrottet die Glotze, versenkt das Radio im nächst erreichbaren Gewässer. Leider sollte man auch etliche Printmedien – vor der Lektüre – nur noch zum Gemüse einwickeln nutzen. Tschüß FRAZ. Hallo FAZ.

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Gut, ein schön polarisierendes Duell Habeck versus Söder mag so nicht stattfinden. Lieber mögen sich alle in der Kuhle namens Mitte wohlig gestresst rumwälzen. So haben wir nun drei – wer hat da eigentlich das Copyright (Ricola natürlich, Du Sirch. Gruezi, dä Säzzer!) – TRIELLE. Oder Trielli? Wurst oder Salsiccia! Schlimm genug das schon. Samstagabend aber, in irgendeinem der komplett sinnfrei gewordenen – ich schau trotzdem – Strafräume der Liga stiegen zwei Undercutler nach einem Eckball hoch und ein Dritter rumpelte, wie die Faust des kleinen Boatengs ins Gesicht seiner Ex, in die sich in der Luft befindliche Zweiertruppe. Der Kommentator – die achtundvierzigste Kopie des mich schon damals nervenden Marcelo Überreif – schrie, die Hand am eigenen Glied, das neue Wort in meine Lautsprecher: ein Kopfballtriell! Ich wiederhole: DAS KOPFBALLTRIELL! Da wir, blöd wie wir sind, unsere Glotze eben auf Internetgucken aufgerüstet haben, steht der Empfänger immer noch gegenüber von unserem Sofa und schwimmt nicht lahnabwärts.

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1965 oder so mein erstes Spiel für den 1. FC Wollmatingen als Halbrechter. WM – System hieß das damals. Oben der Platz des Gegners. Getuntes Photo von diesem Sommer. Kunstrasen jetzt. Damals war das noch Ascheplatz. Ich war sehr engagiert und schoß gleich im ersten Spiel – 2:2 – den Ausgleich. Nach dem Spiel pickte meine Mutter dem Buben mit der Pinzette die Kiesel aus den Knien und Jod drauf. Ein schöner Schmerz ist das nach so einem wichtigen Tor. Wenige Hütten sollten folgen. Fünf Spiele später der Trainer: „Lugerth, Du bisch ein Schatte von Deinem Selbscht!“ Der erste Gegner hieß DJK Konstanz. Erst heute habe ich mal geguckelt, was DJK eigentlich heißt. Deutsche Jugendkraft. Weia. Deutsche Jugendkraft. Halleluja. Hät mr au wisse könne solle. Gegeüber vum Kickacker war‘s Kolpingheim. Ein Unentschieden gegen die Kirche erzielte ich also. Isch au heut noch so.

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Zurück zum Driell. Der Gute, die Böse, der Häßliche? Die Gute, der Böse, der Häßliche? Der Gute, der Böse, die Häßliche? Ich werde Eli Wallach wählen. Der gräbt wenigstens die Leiche der Mutti aus. Wenn auch unter Druck.

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It was twenty years ago today …

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… als nicht etwa Leutnant Pfeffer seiner Combo die Flötentöne beibrachte, sondern mein Telefon klingelte, eine Stimme mich – ja! – anschrie, ich solle sofort den Fernseher einschalten und zehn, hundert, tausendmal flog ein Flugzeug in den zweiten Turm. Die Abendprobe fiel aus.

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Ich lebte seit ein paar Wochen, da wo ich heute noch lebe, in einer noch nicht komplett renovierten Wohnung, zwischen Pappkarton und Gyros und der Tod hatte mich umzingelt. Die Stimme am Telefon gehörte zu meiner damaligen Liaison, wir beide schwer verwundet noch von fiesen Trennungen (Alle Trennungen sind fies! Schönen Gruß vom Säzzer!) und so auf eine nächste Trennung zustürmend. Die Frau war Pneumologin und begleitete in ihrer Klinik vor allem am Kaposi – Sarkom erkrankte HIV – Positive auf die andere Seite. An manchen Abenden half nur viel Wein.  In meiner Geburtsstadt lag mein Bruder auf der Intensivstation. Ein Arzt, der später freiwillig den Planet verlassen sollte, hatte ihm das Leben gerettet. Knapper als knapp. Hatte ich mehr als 24 Stunden probenfrei rauschte ich in den Süden. Ich sprach, als eine Art Familienältester, ein / zweimal mit diesem Arzt. Beeindruckende Persönlichkeit. In Flur der Klinik stehend rauchte jeder von uns in einer halben Stunde ein halbes Dutzend Gauloises bleu weg. Die Pneumologin tröstete mich mit den Worten: „Christian, das härteste für uns Ärzte sind die nahen Angehörigen und die Ungeduld!“

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Zu dieser Zeit spielte ich – meine erste Rolle hier – einen dem Tod geweihten alten Familientyrann, der die Hochzeit seiner Tochter mit einem Künstler und Freigeist mit allen Mittel verhindern wollte. Racine, der Vorgänger und Wegbereiter von Moliere hatte diese Geschichte verfasst. Der Regisseur kam aus dem Osten und ließ mich zu einem über Hundertjährigen, der über die Bühne humpelte, mit Krückstöcken um sich schlagend, schminken. So zwanzig Minuten war ich auf der Bühne, jedoch neunzig Minuten – manchmal sogar länger – in der Maske. Jedes Mal, blickte ich nach der Prozedur in den Spiegel, sah ich Dustin Hoffman am Anfang von „Little Big Man“ oder schlimmer noch, ich erblickte meinen Vater im offenen Sarg damals.

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Ich saß vor der Glotze, telefonierte, dieses sei doch einer jener spekulativen Weltuntergangsblockbuster mit denen Hollywood seit ein paar Jahren die Kinos dieser Welt penetriere, so das hilflose Gestammel. Die Stimmen der Kommentatoren, anfangs von fassungsloser Ungläubigkeit, wechselten binnen weniger Stunden in kieferknirschende Racheschwüre. Die Geburtsminuten von Guantanamo und Abu Ghraib. Das alte Prinzip eben, die Menschenverachtung mit der Menschenverachtung zu bekämpfen. Und die Vorbereitung einer weiteren schrecklichen Niederlage unserer Befreier. (Tja, der Blutzoll der Roten Armee wird gerne vergessen! Noch e‘ Grüßle vom Säzzer!) Man komme bloß nicht auf die Idee gegenzurechnen.

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Am nächsten Tag saßen wir schon um elf Uhr morgens im Burghof, direkt gegenüber vom Theater, damals Kantine, Debattierclub und Rettungsanker bis nachts um drei. Grazie, Maestro Parisi! E molto grazie Donna Parisi naturalamente! Axel, der Regisseur wollte hinschmeißen. „In diesen Zeiten kann ich doch keine Scheißkomödie auf die Bühne stellen!“ Wir waren erst ratlos, dann betrunken. Zuhause rief mich die Ärztin an. Ihr Chef schicke sie per Flugzeug in die USA. Ich weiß nicht mehr, was ich in den Hörer brüllte. Ein paar Tage später flog sie tatsächlich los. Die Premiere fand dann doch statt. Die Trennung folgte auf den Fuß. Mein Bruder überlebte.

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Ich weiß nicht, wer es erfunden hat. Vielleicht die frühen Italiener in San Gimingiano oder Bologna? Oder die Bewohner auf diesem wilden Finger des Peloponnes, der Mani? Um den Nachbarn, der gerne auch der Feind ist, zu beeindrucken und zu zeigen, wo der Hammer hängt, baut man den höchsten Turm im Dorf. Und die Antwort folgt sogleich, der Nachbar rüstet nach beziehungsweise auf. Ständerpolitik. Pimmelarchitektur. Karl Heinz Stockhausen – ach welcher Schrei der Empörung damals – hatte recht, als er davon sprach, was für eine wirkmächtige Inszenierung dieser Anschlag auf das großkotzige Symbol des Siegers der Geschichte vulgo Kapitalismus doch gewesen war. Er erschrak, kaum waren die Worte über seine Lippen gerutscht. Man kennt sie diese Reflexe. Es wird nicht gerne gesehen, wenn Du den Fluß überqueren willst. Die höchsten Türme der Menschheit bauen heute die alten Förderer der Piloten vom 11. September. (Danke dafür nicht 9 / 11 wiedergekäut zu haben. Der heute etwas geschwätzige Säzzer!) Deren einstige Förderer wiederum, es lebe die Vergeßlichkeit, waren die Erbauer der eingestürzten Türme. Davon berichtete schon Tolkien. Bände 3 & 4.

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Dem anderen den Krieg zu erklären, selbst in verständlichster Verzweiflung, zerstört letztlich Dich selbst. Dieses in die Wege zu leiten sei einem jeden gestattet. Aber die Strecke, die der Jäger nach der Genugtuung hinterlassen hat, sie ist immer eine viel zu lange. Da hilft auch kein Halali!

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Als Rio obiges Lied – meine Lieblingsstelle, wenn Rio ein Solo des Gitarristen mit einem herzhaften ‚Lanrue‘ einruft! – sang, regierte die sogenannte Heimstatt der Tapferen (Hähähä von wegen tapfer! Agent Orange und Drohnenkrieg! Etz halt ich die Gosch! Der Säzzer!) ein Sternenkrieger und Tarzandarsteller. Wir dachten, schlimmer geht es nicht. Das war aber erst der Anfang. Ronald MC Donald! Dig it, Stupid! Hinterher ist man meist nicht klüger, sondern macht einfach weiter. Die Rechnungen bezahlen eh die anderen. Davon gehen wir gerne aus. Schaun mer mal!

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Ach so, die Lichtgestalt hat heute Geburtstag und Herr Zimmermann veröffentlichte vor zwanzig Jahren sein Album „Liebe und Diebstahl!“ Sang von den brechenden Dämmen. New Orleans knows about it. Schon wieder.

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