Lob und Tadel der Baustellen.

Blätter und Schatten

Nicht neu kann sein was du beginnst –

denn immer nimmst du was dir längst gegeben

und gibst es hin:

wie in der Liebe da es mir gebricht

an jeder Kenntnis: rot wie die Buchen Laub verstreun

maßlos am Wegrand wo ich schon sehr frühe ging …

und kannte nicht den Weg

und kenn ihn jetzt noch nicht

und kenne nicht das Kind des Schatten mir vorausläuft

und weiß nichts von der Sonne die ihr rotes Gold

dem Blattwerk einbrennt.

Und weiß nicht mehr den Herbst

der ernst in meinem Rücken ging und dem ich Schatten

war: stets neu entworfner Schatten ungezählter Herbste.

(Wolfgang Hilbig)

…..

An was bauen auf Trümmer blickend? Auf die Trümmer von zerbröselnden Gewißheiten. Auf die Reste der schmelzenden Ewigkeiten von gestern. Mehr erträumt und behauptet als denn jemals stattgefunden.

Vor dem Fenster Panik. Man stürmt nicht die Bastille oder die Gefängnisse, sondern ein Schuhgeschäft und verwüstet es. Welche Angst treibt hier an? Noch knappe 36 Stunden. Sonst mit leerem Arm am Fest der Liebe. Obsolet das seit Jahren heruntergeleierte „Dieses Jahr schenken wir uns aber nichts!“. Wird es jetzt wahr? Die schönsten Geliebten sind die, welche flohen. Wären die Kirchen dieses Jahr voller, wenn sie dürften?

Welches werden die großen, bedeutenden Baustellen werden? Wer wird haben das Sagen? Die Lenkradherumreißer? Die Tempomaten? Die Bleifüße? Letztes Jahr, als ich in Hoyerswerda über „Gundi“ nachdachte und arbeitete und die Neunziger im Osten, die Zeit der richtig großen Umbrüche, konnte ich zusehen wie, immer noch, Wohnkomplexe (WK) vor Ort „rückgebaut“ wurden. Abrissmonster fraßen sich in leergelebte Riegel, knirschend, mit, immer noch, siegergefletschten Eisenzähnen. Das Neue schleifte stets die Mauern des Alten bis auf den Grund. Bastarde werden selten gelitten. Vielleicht sind sie manchem zu zäh. Die streunenden Hunde erwachen eben erst. Woanders, in den Ländern ohne Staatsgarantien auf Ewigkeit, lecken sie schon die Pfoten der Macht.

Manchmal wünschte ich der Menschen höchstes Glück wäre die Fahrt mit dem Schlagrahmdampfer (mein neues Lieblingswort) geblieben. Einer meiner ältesten und besten Freunde ist der Sprecher. Bauen wir zurück? Bauen wir zurück! Baut ab, baut ab, baut auf! Helter skelter!

…..

Immer noch Baustelle!

„Aber ich weiß, dass ich lieber

hier nicht zu Hause bin als

anderswo.“

(Marlen Haushofer)

…..

Was soll das werden? Noch eine Heimatseite vulgo Homepage. Ein Gedankenhackblock? Ich weiß es noch nicht. Eitle Selbstbefragung? Die Gefahr besteht immer. Sonst? Die schlafenden Geschichten sortieren am Ende eines anstrengenden Jahres vielleicht. Übrigens: Freue mich jetzt schon auf die Jahresendwünsche. Tenor: endlich ist das böse, böse, böse 2020 vorbei. Und nun das nächste Jahr? Was wird sein? Keine Prognosen. Bevor etwas beginnt, lieber etwas anfangen.

Wir stehen dieser Tage alle ziemlich kippelig an den Rändern rum. Binsenweisheiten geben sich die Hände. Das Fest der Liebe, es naht. „Spiel mir nichts vor!“ Sagt der Regisseur zum Mimen. Oder flüstern sich die Liebhaber einander zu. „Soll man daran arbeiten zu lieben, oder es lieben zu arbeiten!“ Schrieb mal die wunderbare Isabelle Huppert an den wunderbaren Jean-Luc Godard. Wer gemeinsam einen sehr hohen Berg besteigen will, tut sich und dem Partner auch mal weh. Möglicherweise.  Morgen bin ich nun ein Jahr lang verheiratet. „Durch dick und dünn!“ Schrieb die Gemahlin dann auf eine Kreidetafel in der Küche, wo wir in den dreizehn Jahren des vorausgegangenen Zusammenseins eigentlich Einkäufe notierten. Die Entscheidung war nötig und gut. Davon wussten wir vor einem Jahr noch nichts.

Die Einsamkeit, welche dieses Jahr vielen von uns bescherte, ist brutal. Las eben in der FAZ ein Zitat aus Eugene O`Neills Drama „Eines langen Tages Reise in die Nacht.“ Das Stück wurde in meinem Geburtsjahr verfasst. Gut, nicht von Bedeutung. „Ich bin allein. Fühle mich über allen und weit weg von allen. Es war ein großer Irrtum, dass ich als Mensch geboren wurde. Ich hätte mich besser zur Seemöwe geeignet oder zum Fisch.“ Oder als Bär und dann Lachse grillen? Diese Heimatseite ist erstmal eine leere Leinwand. Blick nach oben. Blick nach unten. Himmel und Hölle. Aufklappen. Zuklappen. Das gute alte Kinderspiel.

Das ist eine Baustelle!

Sobald ich mir etwas mehr digitale Orientierung auf dieser Seite angeeignet habe, werde ich von hier aus nachdenken, schreiben, reimen, poltern auch vielleicht. Über diese und jenes und den Rest. Es gibt viel zu tun: Packen wir es an. Was zu lange rumliegt verschimmelt und wird dann ungenießbar.

Bis denne und herzlichst

Christian Lugerth

PS:

„Ich schwimme mittendrin in meinem alten Hemd

gehöre noch dazu und bin schon ziemlich fremd.

Und frage mich, was ich bin, was ich war,

in der Suppe das Salz oder das Haar.“

(Gerhard Gundermann / Strasse nach Norden)

Sobald ich mir etwas mehr digitale Orientierung auf dieser Seite angeeignet habe, werde ich von hier aus nachdenken, schreiben, reimen, poltern auch vielleicht. Über diese und jenes und den Rest. Es gibt viel zu tun: Packen wir es an. Was zu lange rumliegt verschimmelt und wird dann ungenießbar.