„Wir streiken!“ (Ton Steine Scherben)

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Aus aktuellen Anlässen, auch wenn die Zielrichtung und die Definitionen von Teilhabe oder Verantwortung oder Wunschdenken dieser Tage anders ausgerichtet sein mag denn dunnemals, hier als kleine Solidaritätsadresse eines Rentners die Scherben in Ihrer wunderbaren Roh- und Direktheit. Die Qualität eines Getriebes zeigt sich erst, wenn der Sand darinnen knirschen darf. Und ein Text oder Streik ist so lang wie er ist. Inklusive Wiederholung.

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Wir streiken

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Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

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Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

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Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

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Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

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Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

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„Der Beruf ist für mich das, womit ich Geld verdiene. Es ist für mich wie ein Geschenk.“ (Angela Winkler)

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August 2021 / Haus Dix / Gaienhofen / Untersee / Bodensee

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Letzten Montag in Lich im Rahmen einer Veranstaltung wieder ein paar kleine Texte von Peter Kurzeck gelesen. Und vor allem den da unten. Bin heute noch angefasst davon. Dank an eine der Mitstreiterinnen für die Weiterleitung und an den Verlag für das zitieren dürfen.

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„Einer der schreibt und dabei ist, ein Werk zu schaffen, ist wie ein Mensch, der auf einer Leiter steht. In beträchtlicher Höhe. Nur mit einem Fuß auf der Leiter. Mit dem anderen Fuß in der Luft. Über sich mit beiden Händen ganze Stapel von zerbrechlichem Zeugs. Traglasten, Traumgepäck, Streichhölzer, Dynamit, Felsblöcke, Stangen und Kisten, Schnee, Schneeflocken, Wassertropfen, Wolken und Wolkenschatten, Gedanken, Vogelfedern, lebendige Vögel, Sandkörner und Goldklumpen, die er zu halten versucht. Sind viele, sind schwer und wollen davonflattern. Fangen zu rutschen an. Die Leiter schadhaft und morsch, geradezu lachhaft die Leiter. Angebrochene Sprossen, fehlende Sprossen. Der eine Leiterfuß rutscht (vielleicht ist der Fußboden nass oder ölig), der andere Leiterfuß abgebrochen, zu kurz und deshalb auf einem Schemelchen, das auf einem leeren Karton steht, der das lang nicht mehr mitmacht. Und wackelt nicht auch das Haus? So also ist jeder Tag wieder die Situation eines Schriftstellers bei der Arbeit. Man soll ihm keine Ratschläge geben. Es hat keinen Sinn ihm mit Argumenten zu kommen. Man muß ihn gewähren lassen auf seiner halsbrecherischen Leiter.“ (Peter Kurzeck)

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Treiben mich um diese Worte, da ich jenseits der meist etwas masturbativen Schnellschüsse hier im Netz, versuche gerade auf Papier zu schreiben. Zusammenfassung. Aspekte. Rückblicke ohne Sentiment. Vorausschauen ohne feuchte Unterwäsche. Der Angst die Hand geben. Sammeln und nichts vergessen, aber manches weglassen besser. Zu viele mäandernde Gedanken bedürfen eines feinen Siebs. Allerdings nicht zu fein. Es bleibt mühsam.

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Und natürlich noch eine kleine Anekdote „triggert“ – oh Verrohung der Sprache – dieser feine Text in mir. In den letzten zwei ab und an recht schwierigen Sommern überließ mir ein Freund und Mitmusikant seinen Garten an der Lahn vor den Toren Gießens. Ich wollte da etwas zur Ruhe kommen und schreiben. Denken. Im ersten Jahr brach eine morsche Leiter unter mir zusammen. Die zweite Sprosse. Man hatte vergessen mich zu warnen. Im zweiten Jahr die erste Stufe der kleinen Treppe zum Geräteschuppen. Es hatte zwei Wochen durchgeregnet. Altes Holz verfault. Die literarischen Ergebnisse der Gartennutzung sind mehr als bescheiden. Noch. Aber ich habe fleißig gegossen, den Rasen und mich, die Rosen beschnitten und „Unkraut“ gezupft. Generell? Der Regen der letzten Monate soll ja die Grundwasserspiegel aufgefüllt haben. Wir bleiben dran.

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„ … im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.“ (Franz Kafka)

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Am Rande des ErzWeg Süd bei Freienseen / Juni 2020 / maskenfreie Zone damals

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Papierhäuser

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Als Architekten gegen den Kontrollverlust

Errichten wir Papierhäuser

In der Hoffnung die Lungen des Wolfes schwächeln heute Nacht

Lustige Schweinchen die wir waren

Recken wir die Nasen

Gen die vom Wind gepeitschten Himmel

Angekokelte Papierschnitzel rieseln auf uns nieder stets zu laut

Die geduldige Schwarte schwitzend Feuer fängt

Und wenn der Bauer die Weide betritt

Die Eimer schwenkend rechtens wie linker Arm

Das Kraftfutter immer noch überschwappt auf die fruchtbaren Äcker

Grunzend wir ihn mürrisch an:

„Machen Sie sauber! Gründlich!“

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(anläßlich franz kafka 100’sten schrieb die schriftstellerin teresa präauer in der sz angeregt durch „auf der galerie“ vom weinen ohne es zu wissen und ob so etwas gebe / denke ja / kann man sich auch ein haus aus papiertaschentüchern errichten, frage ich dann / denke ja / im deutschland dieser tage ganz gewiß / deswegen nennt man – zumindest wir boomer – das papiertaschentuch immer noch tempo / mach also hinne, schicksal)

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„Ich kann niemanden, der einmal tief in meinem Herzen war, hassen! Warum auch? Keine Zeit dafür!“ (Erika Pluhar)

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Aachen / Oktober 2023

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Der Schauspieler

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Es hatte geregnet und es war neblig und strenger Frost

Und die Sonne schien als die Türe ins Schloss

Gefallen tu mir bitte einen Gefallen

Umschluss heute nicht

Die Zellentüre stand offen gen Flucht

Ohne Verzicht

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Zur Feier dieses Tages

Wankte er ins vorläufige Hotelzimmer

Handschuhe und Lesebrille vergessen

Unterwegs und der Brustkorb

Eng und enger durch diese hohle Gasse wird

Sie

Nicht mehr kommen geschweige denn

Aber Schweigen

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Heimkehr unter alte Decken

Der Kühlschrank steht offen leer

Draußen rumpeln Müllfahrer ihre Weckrufe ins Morgengrau

Freudig frustriert

An seiner Seite die welche tiefer schläft

Unter dem Kopfkissen

Seine Pistolen

Angedacht

Ständig müd‘

Nie erschöpft seine Gefallsucht

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(giessener varianten verschiedener positionen / heute und gestern schon scheint die sonne / frühe narzissen / vielleicht zu früh / reimen als selfie / tuchel trägt heute einen spezialschuh / kann mann machen / nach dem zeh bricht das herz)

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„Mit dem Aufhören kann man nur anfangen!“ (Axel Hacke zitiert H. Hesse)

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Skulturenpark Hoyerswerda / Sommer 2019

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In der Erinnerung sieht alles anders aus

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Man kann sich keine private Welt schaffen

Säuberlich getrennt von der

 Die uns umgibt

Wir haben gelernt den Mund zu halten

Keine unbequemen Fragen zu stellen

Einflußreiche Leute nicht anzugreifen

Wir sind ein bißchen unzufrieden

Ein bißchen unehrlich

Ein bißchen verkrüppelt

Sonst ist alles in Ordnung

Wer trennt sich schon gerne von seinen Idealen

Man tut was man kann

Aber das ist zu wenig

Gemütlichkeit wärmt

Wer warm sitzt wird träge

Trägheit hat kein Gesicht

Es ist so bequem feige zu sein

Eine komische Sorte Glück

Das nur für Minuten vorhält …

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(ein kleines poem, zusammengestellt aus zitaten, unerlaubterweise, aus dem großartigen bilderbuch „in der erinnerung sieht alles anders aus“. zum internationalen frauentag desweiteren grüsse aus avignon.)  

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„Wir ließen unsere Welten unter den Namen ICH und WIR gegeneinander antreten.“ (Brigitte Reimann)

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Sprechende Strassenschilder / Hoyerswerda / Sommer 2019

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Sibirien statt der Adria

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Die Väter aus der Kälte zurück

Zitternd vor den Weibern

Die aufräumten

Die Söhne frisierten ihre Mofas

Kamm in der Gesäßtasche

Während die Töchter Schäferhunde kraulen konnten

Sie wären in der Lage gewesen zurück zu beißen

Gas aber zu geben

Wie der Opa

Sieg und kein Heil

Die Urenkel

Schlecht frisiert dieser Tage

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(seltsam ist es dieser tage diesen in teilen fast schon euphorischen bericht zu lesen, da eine hoffnung nach sibirien reiste auf der suche nach erlösung vom ICH und der sehnsucht nach dem WIR / das folgende zitat auch von brigitte reimann: „man kann sich keine private welt schaffen, säuberlich getrennt von der, die uns umgibt.“/ weiß nicht mehr welche welt heute geburtstag haben könnte.)

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„Su hann ich geliert im Jegner den Minsch zu sinn!“ (Toni Schumacher)

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Kölner Südstadt. Alleine vor dem Schwarz – Weiß – Fernseher im „legendären Sommer von 1982“. In der Nacht von Sevilla kütt der Tünn anjeflogen. Davon berichtet er fünf Jahre später aka lässt berichten in seinem „Anpfiff“. Mehr im Anschluss. Viele Menschen, gerne Männer, laden sich im Laufe ihres Lebens ein Paket auf den Buckel, welches sie kaum mehr runterkriegen. Toni Schumacher hatte gleich zwei bis mehrere solcher Kisten hochgehievt.

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In den 80er Jahren war ich regelmäßig im Müngersdorferstadion. Nicht im Freibad nebenan. Aber der Sound von nebenan lag stets in der Luft. Festes Ritual: der Einmarsch des Tünn. Als Erster oder Letzter des EffZeh. Kulturbeutel unterm Arm. Vom Nordtor einmal längs und quer über den Platz – Huldigungen benötigen ihre Zeit – rüber in die Südkurve. Man feierte den King vom Rhing. Dieser Tünn isset und nit der Dummse Tünn, obwohl dieser möglicherweise der einzige Lude auf Wikipedia. Meister Schumacher fing meist alles, was zu fangen war, auch mit gebrochenen Fingern. Siehe ganz unten. Sogar den BIG MÄC. Außer 1986, wieder ein Sommer in der Südstadt. Die WM der Hand Gottes und Toni griff im Endspiel daneben wie man nur daneben greifen kann. Noch ’ne Paket am Hals? Letztlich drissejal.

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Im Jahr drauf diktierte er den besagten Anpfiff. Was stand drin? Kicker dopen. Etliche Kicker sind schwul. Kicker saufen und zocken. Und Loddar ist nicht die hellste Kerze auf der Torte DFB. Sowie Rumminiga ein Schleimer und Karrierist. Remenber the Schlucksee! Was ist daran falsch? Und – etwas ungelenk, siehe Überschrift – schrieb er sich die Causa Battiston von der gekränkten Seele. Die Nationalmannschaft entledigte sich des kickenden Autors und so dann auch – wahrscheinlich tausendmal verletzender – der EffZeh. Feige wie sie halt sind, die Taktiker und Bettvorleger. Also ein erzwungener Wechsel gen Schalke. Höchststrafe?

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Wieder ein Jahr später im Mai. Schalke zu Gast in Kölle. Das letzte offizielle Bundesligaspiel – ok, später durfte er als Dortmunds Torhütertrainer ein paar Minuten Meister sein – des Schumacher. Eine verpflichtende Pilgerreise für uns Jünger. Die alten Gefährten Icke und Litti netzen gegen ihn ein. Das ganze Stadion entschuldigt sich dafür. Eines meiner emotionalsten Fußballspiele. Ich mochte diesen freundlichen Verrückten sehr. Nur die wirklich Coolen werden von Andy Warhol porträtiert. Und reden im Theater über ihre alten Pakete. Später mal.

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„Ich glaube sowieso, dass es im Leben immer möglich sein muss, wegzugehen.“ (Sandra Hüller)

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Graffiti am Rande eines Wanderweges bei Tambach-Dietharz / Thüringen / Mitte Oktober 2021

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Brief des erschlagenen Abel an seinen Mörder Kain

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Wie Dein Kartoffelfeuer gen Himmel fingerte

Das hastig zusammengeklaubte Kraut brannte in der Hoffnung,

Auf das Podest im Herzen des Schöpfers Deiner Eltern

– Papa Rippe wie wir ihn in leichteren Tagen nannten –

Zu klettern, bekränzt, vorbeigezogen am lästigen Fleiß

Des Bruders

Dessen Hände noch blutig vom stundenlangen Schächten,

Vom Ausweiden, Häuten,

Vor Stunden Du noch neben der Blutwanne gestanden

Gebeten hast um ein gutes Stück des besten Opferkalbes

Zu braten es und zu verzehren neben den Kartoffeln

Die lagerten vor Deiner Hütte eben geerntet

Obwohl der Bauch schon bedenklich

Schliffen Deine Rachephantasien schon die Axt

Da nebenan der hager Getriebene das Holz sammelte

Es zerteilte, Reisig stapelte und Dir

Dem freudig Schlingenden

Opferholz vor Deine Feuerstelle trug

Brüderlich teilend wie stets von Dir gefordert

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Als ich auf dem Acker

Papa Rippe hatte mir kurz freundlich zugezwinkert

Dir, was ich bedauerte, lediglich signalisiert hatte

Dass er wichtigeres zu tun habe

Als unser beider Eitelkeit zu befriedigen

Da der Menschen Zeit doch eben erst begonnen

Da unsere Opferfeuer brannten verwirrt fordernd

Ich, mein Gesicht zerschmettert vom Stein Deiner Zuneigung

Hinauf blickte und der Vater nichts mehr war

Denn ein Nebel, der sich senkte auf das blutgetränkte Feld,

Kühlte ich und ab und schwor allen meinen möglichen Schulden ab und sie also lud

Auf meine Schultern

Da glomm noch mein Schaf lichterloh

Es stanken zum Himmel seine Reste

Papa Rippe schwieg

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Es waren gewiss nicht die Engel

Welche mit hart gegen die Steine stechender Klinge

Ausgruben meine Grabstätte

Doch da ich lag tiefer nun

Und die Erdkrumen der Erinnerung

Rieselten hinab, Blutungen stillend,

Auf meine blinden Augen

Schlief ich ein als Einzelkind

Und dankte ab den Götzen der Verbundenheit

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(gießen / erster weihnachtsfeiertag 2023)

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(wo ist kate? / und jetzt auch noch camilla krank / man sucht nach revolte-rentnern in alten bauwagen-elendesquartieren / findet sie nicht / hat jemand deren hunde gesehen rund um das ostkreuz? / schreiberlinge suchen in friedrichshain nach spuren von sandra hüller / oder war es doch friedrichsroda? / allenthalben geifereifer / check your age at the door, um quincy jones zu zitieren / und: höhepunkt eines weiteren müde freudigen tages: bob dylan ist ein mensch: so schreibt das feuilleton der SZ / putin hast du das gehört? ab oder an?)

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