bagatelle zweiundfünfzig / konstanz 1

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mit den harten im garten

wollte ich warten

auf das ende der schmerzen

mit dröhnenden scherzen

das rothaus immer märzen

da der bauer den pflug

doch schon am anfang genug

vom eggen und pflügen

gott segne die lügen

die ich mir um die ohren schlug

der leiden genug

zu füllen den see

die in meinen taschen jacken wie hosen

gegenüber den kasernen der franzosen

gediehen

heimat es sei dir verziehen

am heutigen tage

keine weit’re frage

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bagatelle einundfünfzig / zweifel’s turm

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da wir uns sonnten

zwischen den fronten

lediglich lagen

ohne zu sagen

bäuchlings verschliefen

das toben

sich selber loben

und nicht lauthals riefen

herbei schwarz oder weiß

und so vermieden

das kentern der boote

weniger tote

den frieden nun störe

der fronten

michel störe

und höre

zu und den kasten

klappe auch

halt dich fern gern

von den allzu klaren

es sei denn im stamperl

nur ein fremdes auge

bildet dich ab

besteige des zweifels turm

vor dem grab

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PS: Geklaute Gedanken. Dazu angeregt hat mich ein sehr lesenswerter Essay im letzten Magazin der SZ. Autor Tobias Haberl. Überschrift „Zwischen den Fronten!“ Schön. Allein die Eröffnung: „Ein Gespräch setzt voraus, daß der andere Recht haben könnte“, hat der Philosoph Hans-Georg Gadamer gesagt.

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PS2: Der Mann ist 103 (einhundertunddrei) Jahre alt geworden. Vielleicht sollte ich ihn mir zum Vorbild nehmen.

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PS3: Obiges Bild zeigt die Ecke des Hauses in der Straße des Friedens Nr. 1 in Ilmenau. Unten eine Buchhandlung. Oben wohnte meine Oma. Unten wurde einst der Zwangsumtausch in Buchstaben umgetauscht. Oben – man munkelt es – entstand ich. Würde mir gefallen. In der Straße des Friedens. Ist mir nicht immer gelungen dem Namen Ehre zu erweisen. Dranbleiben.

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PS4: Hier noch das Lied meines Lieblingszweiflers. Ähem, gab es damals eigentlich schon dieses, ähem, Dingsbums, dieses #haschischetikett?

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bagatelle fünfzig

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und so saßen wir jahre in jenem

weißgetünchten raum die fenster verhangen

gegenüber der bahnhof das quietschen der

weichen gelegentlich hörten wir sahen

nicht die züge die kamen gingen und

entgleisten unsere gesichtszüge

sangen wir von der apokalypse die möge

komme und eile herbei

befreie die welt von den dummen den bösen

die wir nicht sind und

verschone uns und führe uns nicht in versuchung

so täuschten wir uns

großkotzig voller hoffnung

die bagatelle schrieb sich aber

mitgehangen mitgefangen

und wer sich da erhöhte sah bald wie

tief ist der brunnen

noch heute warte ich auf das geräusch wenn

wir werden aufprallen

der brunnen verliert an wasser des vergebens

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Nachklapp eig’ne Sach‘ / Fremder Reim

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Hatte letzten Sonntag eine sehr schöne Lesung hier vor Ort. Mit Texten des eigentlich verschwundenen aber noch aktuellen Wolfgang Borchert. Hundert wäre er geworden dieses Jahr. Theoretisch. Ich mag ja eigentlich keine Jubiläen und Jahrestage, aber das war es wert. Fast vergessene Texte die immer noch abrufbar sind. Und seine Lyrik kannte ich bisher noch nicht.

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Was bleibt aktuell an Borchert? Die Lernfähigkeit der Menschen versus die Verdrängungsmeisterschaft? Das dicke Grinsen der Krisengewinner versus die Ohnmacht der Abgehängten? Die laut tönenden Schuldigensucher versus die Übernahme von Verantwortung? Der fette Ranzen versus das Hungerödem? Die alten Fragen versus das alte Schweigen? Denke wohl ja!

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Hier ein Gedicht von Wolfgang Borchert, welches ich gestern nicht vorlas, welches aber von kompetenter Stelle vermisst wurde. Das Nachklappen.

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Das graurotgrüne Großstadtlied

Rote Münder, die aus grauen Schatten glühn,

girren einen süßen Schwindel.

Und der Mond grinst goldiggrün

durch das Nebelbündel.

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Graue Straßen, rote Dächer,

mittendrin mal grün ein Licht.

Heimwärts gröhlt ein später Zecher

mit verknittertem Gesicht.

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Grauer Stein und rotes Blut –

morgen früh ist alles gut.

Morgen weht ein grünes Blatt

über einer grauen Stadt.

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Es regnet und regnet all dieser Tage. Also immer dann, wenn ich vor die Haustüre trete. Ich hatte vor ein paar Tagen den Regen ja noch gelobt. In Maßen selbstredend. Dürfte ich wählen zwischen ertrinken hier oder verbrennen dort, tja watt? Die Natur reagiert zur Zeit weltweit wie ein schlecht gelauntes Rodeopferd. Wirft uns einfach ab. Noch ein Gedicht.

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Regen

Der Regen geht als eine alte Frau

mit stiller Trauer durch das Land.

Ihr Haar ist feucht, ihr Mantel grau,

und manchmal hebt sie ihre Hand

und klopft verzagt an Fensterscheiben,

wo die Gardinen heimlich flüstern.

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Das Mädchen muß im Hause bleiben

und ist doch grade heut so lebenslüstern!

Da packt der Wind die Alte bei den Haaren,

und ihre Tränen werden wilde Kleckse.

Verwegen läßt sie ihre Röcke fahren

und tanzt gespensterhaft wie eine Hexe!

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Heute scheinen mir die Städte nicht mehr grau, sondern in hysterisch bunten Farbtöpfen ersoffen. Die Blätter eines nächsten Morgen sind schon länger welk geworden. Die Hoffnung färbt sie nimmer mehr grün. Die Zecher aber gröhlen weiter. Gott sei’s gedankt. Mögen auch manche Rentner müde protestieren. Morgen früh ist alles gut. Verknittert.

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Immer wieder Sonntags …

… ein kleines Stück Dylan zum Frühstück

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Seit ein paar Wochen jeden Sonntag – ok, fast jeden Sonntag und wenn ich Lust und Zeit habe und nicht meinen Gemüsegarten gießen muß – ein kleines Stückchen Bob Dylan zum Frühstück. Oder Abendessen. Frisch verwurstete Texte. Oder altes Material. Eigener Mist. Fremder Mist. Fundstücke. Auch altes Brot muß man essen können ohne zu würgen. Auf geht’s. Fast jeden Sonntag. Fast ist mehr als nüscht. Dieses Lied mag ich.

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In jedem Sandkorn

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In der Zeit meines Bekennens, in dieser Stunde tiefster Not

Als die Tränenpfütze zu meinen Füßen jeden neuen Samen ersäufte

Gab es diese absterbende Stimme in mir die versuchte Gehör zu finden

In großer Gefahr ich, mich abrackernd, Moral suchend in Verzweiflung

Habe ich keine Lust all meine Fehler durchzukauen

Wie Kain, das Joch meiner Missetat um den Hals, zerschlage ich es lieber

Selbst im Moment größter Wut sehe ich die Hand des Meisters

In jedem zitternden Blatt, in jedem Sandkorn

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Oh, die Blüten der Schwäche und das Unkraut Nostalgie

Wie Verbrecher würgen sie mein Gewissen und was mich jubeln ließe

Das Sonnenlicht knallt gnadenlos auf meinen Weg

Lindert die Schmerzen meiner Bequemlichkeit und die Erinnerung an meinen Verfall

Vor meiner Türe brennt die wütende Flamme Versuchung in die ich blinzle

Jedes Mal, wenn ich mein Haus verlasse, höre ich, daß jemand meinen Namen ruft

Und irgendwann auf meiner langen Reise begriff ich

Jedes meiner Haare ist nummeriert wie jedes Sandkorn auch

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Mein Leben: vom Tellerwäscher zum Millionär, vergrübelte Nächte

Gewalttätige Sommernachtsträume, Zittern im fahlen Winterlicht

Bittere einsame Tänze, abgehoben durch das Weltall segelnd

Blicke ich ahnungslos in zerbrochene Spiegel, all diese vergessenen Gesichter

Ich vernehme die Schritte der Altvorderen wie Wellen die an den Strand schlagen

Ich drehe mich um, manchmal ist da wer, manchmal bin ich es nur

Ich sitze in den hin und her pendelnden Waagschalen allen Lebens

Wie jeder Spatz, der vom Himmel fällt, wie ein jedes Sandkorn

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bagatelle neunundvierzig / von zukunft

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damals als die geträumten zukunften

dieser republik einen mercedes 600 befuhren

mußte man sich diesen mit ludwig erhard teilen

willy brandt scharrte im kofferraum

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heute bleibt uns ein cinquecento

gebaut von

so sangen wir in den überheblichen jahren

nudelverzehrern

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beim einsteigen bitte aufpassen

alte vermeintliche größe

kann beim einsteigen den rücken beschädigen

dauerhaft

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die sirenen schweigen schon länger

das land legt seine ungeduldig zuckelnden

hände in den schritt

heimwerkelnd

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bagatelle achtundvierzig / nichts tun

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wenn die tage weniger werden

scheinen sie zu gewinnen an

gewicht kaum zu heben sind diese

morgens als wollten sie

entgegenrufen dem maladen rücken

nimm mich nicht leicht

verschwende mich nicht

ernte

und bleiben verborgen hinter mauern

die ich nicht überklettern mag

die tage verstreichen

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Die Frage des Tages: Darf Dusty Hill in geweihter Erde versenkt werden?

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Ganz davon abgesehen, daß ich mich immer gefragt habe, wie die zwei Texaner es vermeiden konnten, daß sich ihre Barthaare in den Saiten verfingen, werden viele – auch ich – lange Zeit gar nicht gewußt haben, wovon die Herren in obigem Lied eigentlich singen. Ganz einfach ist es.

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„Herr, fahr mich bitte in die Stadt. So viele Wünsche habe ich doch nicht. Mir ging es oft gut, dann ging es mir wieder so richtig Scheiße. Ich war hier und dort ja auch gerne mal ein Arschloch. Aber auch immer mal wieder ein netter Kerl. Doch heute Nacht, in der Stadt, da suche ich nichts, nichts anderes außer einen Hintern (m/w/d?). Vor allem aber Herr, da ich dann nach Hause muß, unter Deiner Führung, bitte nicht allein. Mmh, geht das?“

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Wie böse die Welt damals doch war. Und heute? Macht man das nicht mehr?

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