Nachricht aus dem Nachlösewagen 22

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Ich muß aufstehen. Ich sollte aufstehen. Es wäre gut, wenn ich mich bewegte. Und nicht nur deshalb, weil mich in den Träumen der letzten immer noch sehr kalten Nächte ununterbrochen ein Orange angebrüllt hatte. Im Märzen der Denker. Eingespannt. Einspänner. Aus. Asche. Aschenkreuz auf der Stirn. Der Nubbel ist verbrannt. Die Strohmänner namens Winter auch. Trotzdem bleibt es kalt. Ich muß aufstehen. Ich sollte aufstehen. Es wäre gut, wenn ich mich bewegte. Das Telefon klingelt.

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Das Telefon klingelt. Klingelt und klingelt. Penetrant. Ich wohne hier nicht. Ich warte hier nur. Noch nicht einmal auf Godot. Ich habe das ein aus dem Fenster hinausschauen und den Stillstand besingen inzwischen angenommen. Angenommen der Fall. Ich muß aufstehen. Ich sollte aufstehen. Es wäre gut, wenn ich mich bewegte. Das Telefon klingelt. Ohn‘ Unterlaß. Ohn‘ Unterlaß. Darf man fremde Telefone berühren. Notfalls. Wer ruft an. Es hört nicht auf. Es hört und hört nicht auf. Rangehn. Rangehn. Wenn Du scharf bist, mußt Du rangehn. Gehe ran. Ich greife zu. Hebe ab. Meine Finger umkrampfen den Hörer. Welche Nummer meldet sich. Die Fünf. Die Neun. Das wäre Ihr Herzblatt gewesen. Die Gewinnzahlen vom Wochenende. Ich hebe ab. Und gehe in. Wie sagt man doch. Vorleistung.

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„Ich höre!“

„(…..)“

„Hallo! Wer spricht!“

„…..“

„Pronto?“

„….“

„Hello again?“

„…“

„Yes Sir!!!!“

„..“

„Was rauscht mich an?“

„.“

„Ich lege jetzt auf! Das ist eine Drohung!“

„Leer wie stets, mein Freund. Hier spricht Ihr Lokführer. Mir geht es dieser Tage nicht so gut. Ich melde mich morgen wieder. Von der Neun.“

„Wir fahren immer?“

„Oder von der Fünf!“

„Alle reden vom Wetter?“

„Waren ist die wahre Zeit. Schulligung. Mir fehlt noch ein T.“

(ZKRICK RAUSCH NEBEL)

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 21

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Wir lassen den Schienenbus im Bahnhof. Denn dort gehört er hin. Was soll er denn woanders. Das hat doch keinen Sinn. Stellen Sie sich einfach nur vor der Kreml befände sich in der Innenstadt von Köln. Stellen Sie sich vor der Kölner Dom befände sich an der Lahn. Das ergäbe doch gar keinen Sinn. Demnach haben wir entschieden. Wir lassen den Leichttriebwagen vor dem stillgelegten Bahnhof stehenbleiben lassend. Woanders gehört er nicht hin.

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„Do wör für die zwei doch vill ze winnich Platz,
dat wör doch e unvorstellbar Ding.
Do wöss mer üvverhaup nit, wo mer hinjon sullt.“

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Sieben Narren. Sieben Narren waren es gewesen. Sieben Narren. Sie sind eingedrungen in der Mutter Küche. Haben dort die Fasnetkrapfen geklaut. Die Krapfen von der Mama. Hatte sie eben gebacken. Und die ungeschorene Sau ist haarig. Die Katze auch. Hoch den Narren. Und gib mir Haferstreu. Oder Sauerkraut. Das füllt die Hüte der Buben aus. Der Maid den Magen. Und den alten Weibern den Pelzkragen. Narren, oh Narren. Der Lenz rückt ein.

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„Narro, Narro, Giegeboge,
wa de seesch isch alls verloge!
Narro, Narro Lenzio!“

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Sonntags Reime unter Bildern / 03

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Wenn die Städte wieder brennen

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Wir hatten es versäumt

Die Häuser unserer Nachbarn zu pflegen

Wir haben diese nicht beachtet

Nun schlagen sie uns blind wütend

Auf die Schultern

Rechts wie links

Ihre Seelenhäßlichkeiten feiernd

Den Tod besingend

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Wird es wieder Zeit für

Die Hohle Gasse

Der Turm stürzt ein

Und vor den ausgespießten Hüten sich zu verbeugen

Verbietet der letzte Rest eines Gottes

Wer ihn noch finden mag

Im genehmigten Amok der Supermärkte ewiger Langeweile

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Wir hatten versäumt unsere alten Hütten zu pflegen

Zu selbstgewiß

Im Friedensgejaule der Besserwisser

Als die Städte wieder brannten

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 20

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Heute müssen wir reden. Nicht mehr sprechen. Wetten daß? Über das Wetter wettern. Darüber kann man nur reden. Wie über die Familie. Über Fußball. Die Krankheiten. Einerseits. Meinerseits. Auf der Suche nach den Gründen muß man wohl langhalsiger gründeln. Aber das Wetter. Und die Welt. Die Lage. Da wird geredet. Gewettert. Generelles. Und zuerst mal über den Lokführer. Die Abwesenden. Stets. Aber gibt es nicht einen NEUEN. Aber der ALTE. Mein – welche Anmaßung – der meinige Schienenbus jedoch steht seit Anfang des Jahres. Vor sich hin. Weder hin noch her. Rum. Oder Cognac. Sinn die Wiever die Besseren. Heute bin ich verliebt wie noch nie. Alkmene. Wo ist sie. Der Schädel explodiert mir. Rakija. Slivja. Her zu mir. Nein. Geht. Geht. Bitte. Geh bitte.

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Ich setze mich auf den Bahnsteig. Ist es nicht wunderbar neben seinem Zug zu sitzen und darauf zu warten ob er losfährt. Gewiß und wissend daß er stehenbleibt. Und wird. Und lange noch. Der Himmel milchig grau. Und unentschieden. Wie die abwesenden Lokführer. Hörte ich heute Nacht heimkehrende Kraniche. Schreien. Schreie. Was hatte mir Alkmene in mein trunkenes Ohr geflüstert. Bevor sie ging. Und dann ging. Die NEUN. Da könne ich IHN. Erreichen. Jedoch. Ob. Willst Du es wirklich. Überlege genau. Ich überlege selbstredend nicht. Ich bin verkatert. Verlassen. Trübselig. Und wähle. Die NEUN. Zrick. Zrick.

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„Guten Tag! Sie haben die Nummer des Lokführers gewählt. Das freut uns. Außerordentlich. Leider dürfen wir Ihnen mitteilen müssen daß … Für Fragen gibt es derzeit wenig Zeit. Und Antworten finden Sie nicht weil … Gerne aber können Sie uns morgen und stets weiterhin … Fragen oder auch Klagen. Was aber Kosten nach sich ziehen. Kann schon sein. Machen Sie keine Fehler und verzeihen Sie uns weiterhin. Die Unserten. Wir freuen uns Sie abgewiesen zu haben. Verwechseln Sie Vorsignale nicht mit Ihrer Zukunft. Ob rot, ob blau. Bis Mittwoch tanzt die … Ja. Die auch. Alaaf. Helau. Miau. Und Grunz. Was erlaube Struuuunz?“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 19

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Gestern noch. Gestern wollte ich mich nicht mehr erinnern. An nichts. Heute aber. Heute aber kann ich mich nicht mehr erinnern. An nichts. Reines Garnicht. Ich liege. Ich liege zu Füßen eines Tresens. In einem Leichttriebwagen. Wo ich eben noch zu Füßen Alkmenes. Schwamm. Durch mein Leben. Durch ein Mehr. Das Meer. An dessen auf das glänzende Blau hinabblickenden Felsen der Schnaps dieser Nacht destillierte. Immer und immer. Wieder und wieder. Die Kristalle glitzerten in den Eingeweiden weiter. Meinen. Und Alkmene sprach und sprach. Und sie redete nicht.

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Ich habe immer ein paar Reiszwecken in meiner Manteltasche. Vielfältig die Zwecke der Zwecken. Wachstecher beim trübsinnigen Herumkruschteln in alten Behältnissen. Gedankenfixierer. Merkhefter. Zwei ergriff ich meinen anisbefeuerten Zustand vorsichtig bedenkend und pinnte meinen rechten Mantelärmel auf die Holzplatte des Tresens. In der Hoffnung. In der Hoffnung den bevorstehenden Fall hinaus. Hinaus. Hinaus. Zu zögern. Vater unser. Der Du. Und führe uns nicht … Nein. Nicht. Alkmene leuchtenden Auges fiel mir in den nicht komplett abgeschossenen Satz und jetzt lachte sie. Breit wie der Mississippi. Wenn er den Golf von Mexico erreicht. Sie tanzt. Ihr linker Ellenbogen malt Bilder in stickige Schienenbusluft. Ich werde mich nicht verlieben. Schwöre ich mir. Alkmene. Dein das Mikro.

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„Hör auf Dich vor Dir selbst zu tarnen. Folge nicht den Lokführern. Schmeiße Kleingeld in die Parkometer. Wo Deine Sehnsüchte parken. Ähem. Parkten. Die Müllabfuhr streikt heute. Zu behaupten in Dauerschleife Du seist gescheitert ist lediglich das Spiegelbild Deines selbstermächtigten Größenwahns. Yamas mein Jupiter. Aber weil Du mir eben vor die Füße fällst. Das ionische Meer in Deinen Augen. Mein kleiner Provinzodysseus. Es strahlt. Vergisst sich. Das Selbst. Man darf mich lieben. Man darf mich betrügen. Meine Dummheit gestehe ich. Auch Dir. Jetzt gehe ich. Auch ich werde schwanken. Mir den Kopf anschlagen. An der Türe des Schienenbusses. Wenn ich gehen werde. Aber ich werde gehen. Draußen werde ich mich ins Gebüsch hocken. Den Schnaps unserer göttlichen Nacht auf den noch gefrorenen Boden pinkeln. Werde ich. An Dich denken. Werde ich. Und vielleicht sogar weinen. Gewiß werde ich weinen. Ob Deiner Feigheit. Die mir nicht unbekannt. Jetzt decke ich Dich zu. Mit meinem Halstuch. Und gehe. S’agapo. Werde ich. Mein falscher Held. Der Du immer noch an den Weihnachtsmann glaubst. Bussi! Mein Gott. Oh jemine!“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 18

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Ich greife in die Wählscheibe. Die Drei. In der Hoffnung auf die Schaffnerin. Zrick hin. Zrick Zrück. Wenig Zeit. Bleibt. Wenn die Drei der Wählscheibe. Zrück kreist. Ich habe aber gewählt. Zumindest. Ich hatte gewählt. Beide Fäuste in den Taschen. Meines Mantels. Wärmer aber da draußen. Letztlich bleibt es kalt. Es klopft. Bevor ich den Hörer in der Hand halte lege ich ihn wieder auf die Gabel. Es hat geklopft. Was ich vernehme. Einvernehmend. Ich habe angeklopft. Es hatte geklopft. Ja. Ja. Iss ja gut. Ich öffnete die Tür‘. Von innen. Hatte ich mich selber eingeschlossen. Oder. FRAGEZEICHEN. Ich erinnere mich nicht. Ich will mich an nichts mehr erinnern. Die Türe steht offen. Sperrangelweit. Ich bleibe drinnen. Die Schaffnerin kommt herein.

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Ich bemerke. Ich bemerke, daß die Schaffnerin sehr müde aussieht. Violette Augenringe. Krähenfüsse. Rote Flecken im Gesicht. Hektisch. Trockene Luft. Kälte. Aber sie lacht. Lächelt. Versucht es zumindest. Angestrengt leichte Bewegung rund um ihre Mundwinkel. Ich mag sie. Von einem Moment auf den anderen. Ich muß aufpassen. Verlieben will ich mich nicht mehr. Schon gar nicht heute. Und überhaupt. Aber. Was hast Du eigentlich gegen die Schaffnerinnen. Eine kleine Selbstbefragung. Gegenüber des Telefons ein Tresen. Verwaist. Da stehen wir nun. Angelehnt. Rechter Ellenbogen ich. Linker Ellenbogen sie. Die Lächelnde. Mir gelingt es noch nicht. Oder nicht mehr. Meine Lippen bewegen sich. Meine Stimmlippen folgen. Artikulieren.

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„Da sind Sie ja wieder!“

„Wenn man mich ruft!“

„Aber ich hatte doch gar nicht zuende gewählt.“

„Man hat so seine Vorahnungen! Was wollten Sie wissen?“

„Sie sehen sehr erschöpft aus!“

„Das weiß ich wohl selbst. Was wollen Sie wissen?“

„Der Lokführer?“

„Welcher?“

„Irgendeiner welcher diesen verfickten Schienenbus bewegt!“

„Reißen Sie sich bitten zusammen. Ihre Rentnerfahrkarte berechtigt Sie zu rein gar nichts!“

„Wollen Sie diese etwa sperren lassen?“

„Ach!“

„Heißen Sie Alkmene?“

„Vielleicht! Aber Sie sind nicht Jupiter. Heute Nacht bleibe ich trotzdem noch hier. Bei Dir. Ich habe ein Flasche Schnaps mitgebracht, geliebter Amphitryon. Da wir schon am Tresen festgenagelt sind.“

„Yamas! Obwohl noch früh am Tage!“

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