Nicht von Kartoffelbrei, der Kunscht, aber vom Huschen und Pfuschen und nicht vom Horizont, der Haare abrasiert

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Albertschwende / Bregenzerwald / 7. Oktober 2022

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Ist ja nix Neues (Gibt es wenigstens was Neues vom Nix?), dass die Welt und diese auch in ihrer bescheidenen mittelhessischen Ausprägung, dieser Tage wirr daherkommt. Vielleicht liegt es an den absurden Temperaturen, welche manche Gehirne erweichen in einer abstrusen Sommersimulation. Oder, so geht es mir, ist es dieser seltsame Widerspruch von einer – wirklich? – massiv finanziell bedrohten Gesellschaft, wie alle tagtäglich singen und den seit Tagen, Herbstferien hin oder her, voll und volleren Einkaufszonen und Cafes? Die Menschen jagen durch oder auch nur an den Geschäften vorbei, huschen, pfuschen sich durch einen oft sinngeleerten Alltag, so scheint es, und die Cafes erhöhen die Preise. „Das machen doch alle!“, antwortet die bedienende Studentin auf Nachfrage. Klar, wer soll auch ihr Studium und die fetten Benze des Gastronomenclans finanzieren? Nach dem Prinzip: ich parke um die Ecke und rolle dann den Wohlstandsbauch auf einem E-Roller hipsterroid in meine Lokale. Dort wo am lautesten über Wohlstandsverlust gesungen wird, ist er wohl noch gar nicht angekommen.

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Es scheint, dass das öffentlich zelebrierte Verschlingen von Eiskugeln, die immer kleiner werden, deren Preise sich jedoch in die andere Richtung bewegen, nachhaltig und pfeilschnell selbstredend, so eine Art geheim verabredeter Widerstandshandlung der Angepassten darstellen soll. Und die Schlange, die einem wahrscheinlich berichtet, dass man „dazugehört“, wird lang und länger. Und, hey Bruda, inflationierst Du mich, inflationiere isch disch doppelt.

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Dann sind da noch die Anderen. Die mit van Gogh und dem Kartoffelbrei und dem Sekundenkleber. Und der Aufschrei der plötzlich aus dem Boden schießenden Kulturnationenbürger? Frage nur: Wann waren Sie das letzte Mal im Museum und im Theater? Kaufen Sie Musik? Oder holen Sie die nur runter? Und warum Bücher so teuer sind? Und was, wenn man die Nachrichten des Tages sitzend und nicht in Designerklamotten „runterpradat“, sondern wieder „salamandert“? Wobei, wer hinter einem Tische hockt, könnte es auch barfuss tun, die eigene Hose oder den Rock in Sachen Besserwissen auf halber Höhe nur hängen lassen.

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Lese zurzeit eine Biographie über Alexander von Humboldt. Er, Zeitgenosse von Goethe und Schiller, warnte schon damals davor dem Regenwald Leid zuzufügen. Und entdeckte auf seinen Reisen ein riesiges Russland gänzlich neu.

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Bald wird ein Winter sein, ein kalendarischer. Schnee wird so selten sein wie menschliche Vernunft. Schön, dass das Ende des kleinen Schleppliftes, der mich mal nach oben beförderte und mir Buben, den milden Hügel in gemächlichem Schneepflügen gen Unten rutschend, das euphorisierende Gleiten über Schnee lehrte, noch in der Gegend rumsteht. So selbstverständlich und gelassen. Man hat ihn nicht vergessen. Im Gegenteil. Siehe oben.

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Weiß aber wiederum nicht, ob mir die Namen der Urahnen der Möwen, die im Konschtanzer Hafen immer noch auf die ein- oder ausfahrenden Schiffe warten – „Einer wird schon ein paar Brotkrumen in die Luft werfen!“ – noch geläufig sind. Das Früher ist nur eine Variante des nächsten Morgens. Und hinterm Horizont, der meist der eigene, sehr eingeschränkte ist, lauert nichts, was dazu bewegen darf, sich öffentlich Haare zu entfernen. In falscher Buße, so selbstermächtigend. Im Gegenteil. Wachsen lassen.

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Konschtanz / Stadtgarten / 11. Oktober 2022

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Der Schwarze Hund oder das Leben bricht jedem von uns irgendwann das Herz und vielleicht die Reparatur: 20

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Über was man so stolpert. Las ich eben im Cafè im SPIEGEL von einer Frau Roshani, die ein Buch darüber geschrieben hat, wie man den Schwarzen Hund mit LSD an die Leine legen könne. Eine Akt der Selbstbefreiung quasi. Schöner Ansatz, gibt er doch die Möglichkeit, mir zumindest, zurück zu schlüpfen in ganz alte Traumbilder. Oder Farbmuster?

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Entsinne mich an die ein oder andere Beleuchtungsprobe, in der die Abteilung Licht zu mir sprach: „Also Lugerth, das ist jetzt schon arg bunt!“ Und ich antwortete: „Gesehen ist gesehen!“ Die „Reisegutsele“, wie sie einst am Bodensee unser Lotse und Meister Backes gerne nannte, waren unter all dem Krempel, den ich im Laufe der Jahre, unter der steten Prämisse der Weltengrauheit zu entfliehen, meinem Körper und Geist zugefügt hatte, meine liebsten Hirn– und Herzbeweger, weil ganz andere Türen als jene zur Verstärkung eigener Blödheit öffnend. Kaufe ich also erst mal das Buch und dann …

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Ein alter Freund und Klassenkamerad, der Einzige neben mir, den es auch an den Musentempel trieb, war Beleuchtungschef und später technischer Direktor an durchaus brauchbaren Bühnen in Ost und West. In den frühen Tagen saßen wir ab und an am Lake of Constanze, der Föhn fiel über die Alpen oder dramatische Nebel krochen übers Wasser oder ein leicht übertriebener Sonnenauf– oder -untergang setzte den Säntis erhaben in Szene und mein Freund – beide waren wir „beflügelt“ selbstredend – sagte dann: „Etz, Lugi, wenn ich so was leuchten würd‘, na würden alle sagen, was isch des etz für ein kitschiger hirnkranker Scheiß! Oder?“ Ich antwortete vielleicht: „So isch es halt!“

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Greife man ins eigene Auge, leihe es einem Fremden und versuche so zu sehen. Und wenn LSD tatsächlich zerbrochene Herz zwar nicht kitten, aber wieder beleben kann? Irgendwo muss ich doch noch die Nummer meines alten Dealers aufgeschrieben haben. Black Dog! Platz jetzt aber, Du Hund!  

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Am Strandbad Nonnenhorn / 9. Oktober 2022

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(Gießen, 25. Oktober 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Wo ist die Zeit? / Die Fallversuchungen

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In zwei Monaten iss schon wieder Weihnachten. Man wird sich vollballern wollen. Also viele von Absturzvisionen Geplagte wollen sich vollballern werden. Oder so ähnlich. Es gab mal ein Vollballern, welches vor den Vollballereien anderer Art bewahren sollte. Das richtige teure todbringende Zeugs. Inklusive böser Rechnungen. Natürlich gibt es dieses Vollballern immer noch, es ist nur nicht mehr so romantisch wie anno längst vorbei bei W.S. Burroughs, Nick Cave, Lou Reed, John Lennon, dem nicht zu füllenden Gefäß Keith und don`t forget Tim Buckley. (Von dem später mal!) Hier nun eine romantische Frühfassung von „Öffne Deine Venen in Gelassenheit!“ zum Hören. Sind wir kurz mal Jesus‘ Sohn. Ok, i forgot Denis Johnson.

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Nach dem zehnten Entzug kling der Beat anders. Kalter Truthahn oder den Affen schieben. Fehlbar bleiben zu möchten oder es nicht anders können wollen, mögen oder dann schon ganz gern es tun täten, ist, glaube ich, gar nicht so doof. Nur nicht immer so laut. Letztlich wäre wohl selbst Karl Valentin ein Junkie hätten werden können mögen. Wenn er es hätte mögen wollen können. Wie beginnt das Lied unten nochmal? „Ich weiß doch auch nicht, wohin ich gehe.“ Oder gehen werde? „Glaube, ich weiß es nicht!“

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Wo ist die Zeit? / Von Gehversuchen

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Der Charme der ersten Versuche. Hotelzimmer. Kammern. Durchgesessenes Sofa. Volle Aschenbecher und Venen. Bei aller Naivität, ein sicheres und unbeirrtes Wissen ums eigene Vermögen springt aus den Poren. Seit gestern in meinem CD – Schacht „in schwerer Umdrehung“, wie man so sagen kann: Lou Reeds und John Cales musikalisches Gründungsdokument. Und am Meister BD kam man damals wohl nicht vorbei. Schadet aber auch nicht.

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Jahre später: Entscheide man selber. Ein langes Leben kann schmerzen.

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Wenn des Pudels Kern ein Kranich wäre

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Der alte Hut / Lindau / Theatercafe / 8. Oktober 2022

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Seit bald drei Monaten bessere ich meine Rente auf, indem ich gelegentlich als Kulturschreiberling arbeite. Ich bemühe mich dabei ein gut und gütiger Mensch zu bleiben, so nicht auf die von mir besehenen Bühnentätigen und – tätigerinnen draufzuhauen. Manchen Zweifel an den betrachteten Darbietungen schlucke ich runter und konzentriere mich darauf, wird der Schalter denn gedrückt, nicht zu heftig auf die Empathiebremse zu treten.

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Gestern war ich entzückt. Der großartige Christian Baron stellte hier in Gießen seine zwei – Achtung: Wiederholung! – großartigen Bücher „Ein Mann seiner Klasse“ und „Schön ist die Nacht“ vor. Auf dem Nachhauseweg, drüber hirnend, wie ich über das eben Erlebte mit den wenigen mir erlaubten Zeilen berichten soll, hörte ich die ersten Kraniche dieses Herbstes nach Süden ziehen. Finster war es, es regnete und ich sah die Vögel nicht, hörte sie nur. Als klängen die zwei Bücher Barons, die mich entfernt an meine Kindheit und Jugend gemahnten, in mir nach. Ich kramte nach meinem Telefon, um der schon schlafenden Gemahlin per SMS von der Herbstflucht der von uns verehrten Vögel zu berichten, blickte so auf Bildschirm und Fußspitze, als mich ein junger, sehr trunkener Bub anhielt mit den Worten: „Hier! Ich muss mal was fragen! Was ist des Pudels Kern? Wissen Sie das?“ Er schwankte, wollte mir schier um den Hals fallen, seine Begleiterin hielt ihn zurück.

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Die Kraniche hörte ich nicht mehr, die Ampel am Berliner Platz war auf rot gesprungen, gegenüber grüßte meine alte Arbeitsstätte, das Stadttheater Gießen mit inzwischen dämlich verhängten Fenstern. „DEINS!“ brüllte es mir statt leise sprechender Butzenscheiben entgegen. Ach nee? Was war noch die Frage? „Was ist des Pudels Kern?“

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Der Teufel sei es, antwortete ich und der Bub, als hätte er erstmalig in seinem Leben einen Leser des FAUST erblickt, wollte mir schon wieder um den Hals fallen. Mit der in Coronazeiten virtuos erlernten GhettoFAUST hielt ich ihn auf Distanz und empfahl ihm, der, wie er sagte, eben im Rahmen seiner ihn euphorisierenden Lektüre bei der „Gretchenerzählung“ angekommen sei, dringendst bei Bedarf mit dem zweiten Teil des FAUST nachzulegen. Da habe er was für den Rest seines Lebens. Auch wenn da nichts drinsteht. Von seinem restlichen Leben.

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Eine wunderbare Begegnung in jenen Tagen, da ich mir vorgenommen habe, das Weltenrund nach den zarten Anzeichen einer Hoffnung abzuscannen. War jetzt kein schlechter Einstieg, diese Begegnung. Gibt es noch Gründe ein Theater zu betreten? Also für mich nur, `tschulligung! Wenn es mich nicht deppert anbrüllt, gerne. Sonst lesen der trunkene Bub und ich, der auch nicht nüchtern war, uns gegenseitig aus dem FAUST vor.

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Bevor ich es vergesse. Oben mein Hut, unten ein Pfaffenhütchen. Und unter den Hüten wohnt? Des Pudels Kern vielleicht. Seien wir also gut behütet.

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Zu Hause dann noch ein letzter Gedanke angeregt durch Christian Baron. Wer fällt denn dieser Tage in den Kriegen? Nicht die Söhne der Akademiker. An der Front werden die Buben der armen Leut‘ verheizt. Immer schon. Der Teufel tanzt nicht sich, sondern die anderen tot. Und wer heizt wem die Hütte? Sind wir auf der Hut. Oder ziehen mit den Kranichen von dannen. Die schlimmsten Hüte sind die Hüte der Pharisäer. Lechts wie rinks. Oder?

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Pfaffenhütchen / Lindau / Theatercafe / 8. Oktober 2022

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Herbstlachen

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Costa del Sol / Konstanz / 11. Oktober 2022

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Und wie ich zurückgekehrt

Watte zwischen den Zähnen

Eingeübt Eingeübtes ausspucke

Kein Bild mehr im Portfolio

Zwischen Ausweisen Impfbescheinigungen und

Dem Benutzerausweis der Stadtbücherei

Kein gereimtes Quengeln mehr

Nur mein Kratzen am schuppigen Haaransatz bleibt

Die Trinkerhaut

Ein Reiben ein Schieben

Das Glas in der Hand schwingt singt nicht heute

In der Magengrotte

Das schlingernde Floß

Mühselig die Muskeln um die Knochen schlackernd

Keine Erinnerung an den Tag

Morgen dann vielleicht

Aber zuerst von der Freundlichkeit der Müden

Umkreisen sich nur

Dienen

Keine lauten Volten Funken schlagen

Nicht Manegen bezaubern

Wollen nichts

Auf leiseren Sohlen aber

Die Nägel in die Wand hämmern

Den schwereren Rahmen zu halten bis er verstaubt

Herbstlachen

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(Gießen / 20. Oktober 2022 )

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Kant ist gern Gast im Costa del Sol (KN)

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Konstanz / Costa del Sol / 11. Oktober 2022

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Unlängst feierte ich in meiner Geburtsstadt – der gerne tümelnde Begriff Heimat sei weiterhin vermieden – diesen Geburtstag, an dem das Leben erst so richtig anfangen soll. Peinlich genug so ein Lied. Hinter unserem Tisch obiges Plakat. Die gute alte hoffärtige Hoffnung blickte gnädig auf unsere Tortillas, die frittierten kleinen grünen (HOFFNUNG!) Paprikas und den Arroz Pepe. Mein Blick glitt hinunter – Bild unten – auf Tische trunkener Jugend und aufgeladener Gespräche. Und links oben winkte der Fernseher – ein aktuelleres Modell, gewiß – auf dem wir gerne mal kollektiv Ernst Huberty schauten. Oder war es doch Heribert Jürgen Furler?

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Damit ist mein Konto „Früher“ ab sofort überzogen. Bis gestern.

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Hoffnungslose ziehen statt Nieten mieten

Hoffnungslose ziehen ins letzte Gefecht

Nach lose kommt das Fest

Nach dem Fest kommt es lose in die Hose

Ich heiße Loose und wohne hier

Übers Treiben übern See übern See

Übers Übertreiben als Ausgang aus der selbstgewählten Sackgasse

Ohne zu übertreiben

Weiland

Man kant es auch anders oder ganz und gar oder nichts

Erkenntnisse dann lieber morgens

am Abend

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Home Haus Wohnung Heimat Herzensgegend Hopfen Hope

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In den USA ist Hope sogar ein zulässiger Vorname. Mochte ich je so heißen wollen?

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Konstanz / Costa del Sol / zwischen jetzt und einst

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Der Schwarze Hund: Siegen müssen 19

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Bahnhof Grünberg / Kurz vor Mitternacht / 10. September 2022

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Da wird dieser Tage Luis Enrique, der Trainer der kickenden Spanier, zitiert. Sie hatten gerade den inzwischen hüftsteifen CR 7 inklusive Erzkonkurrent Portugal mit Achen und Krachen besiegt in einem – den Fußball neudefinierenden? – Wettbewerb namens Nations League. Weia! Was hat er noch gesagt? „Es ist ein wunderbarer Sport und ein Sieg ist das beste Mittel gegen jede Traurigkeit!“ So übersetzt es die deutsche Medienwelt. Im Original sprach er nicht von der Traurigkeit, sondern von der Depression.

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Er benennt so präzise die Fehlschaltung im Hirn der von den Schwarzen Hunden begleiteten Wesen. Ohne es wohl zu wissen. Oder vielleicht doch, fortgeschwemmt vom erhebenden Augenblick. Dieses kurze Schnuppern am Momentum Sieg hat aber meist keinerlei Wirkung bezüglich ersehnter innerer Ruhe. Der neue Morgen schreit schon wieder nach einem nächsten Sieg. Was immer das auch sei: Siegen. Man ahnt die Sinnesleere dieses Begehrens, blickt man in den Spiegel. Wahrscheinlich reiben sich deshalb so viele Buben und Männlein wollüstig an Bayern München wund und suchen sich folglich Vereinslieben aus, welche ständige Niederlagen garantieren. Eventuelle Siege lassen dann fliegen. Bis zur Rückseite des Mondes. Nicht aber stets zurück.

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Nein, Fußball schauen kann nicht nur sehr traurig machen dieser Tage, sondern tatsächlich depressiv. Hände weg also von der Fernbedienung und den erwarteten Siegen in Katar und sonstwo. Licht aus und Rasen kalt werden lassen. Wobei: das erledigt sich wohl von selbst.

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Mein schwarzer Hund lässt mich zurzeit in Ruhe. Er fordert nichts. Außer auf Siege zu verzichten. Wo er Recht hat. Ähem! Ansonsten liegt er unterm Küchentisch und freut sich, wenn ich was koche. Wenn ich ihn frage, ob ein gelungenes Gericht unter Sieg abgebucht werden darf, gähnt er nur, zeigt seine Lefzen und lässt den Abend unter seinem müd zuckenden Schweif ausklingen. Wie man so sagt, wenn man schon auf dem Sofa eingeschlafen ist. Oder?

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Wenn er wieder aufwacht, gehen wir spazieren. Ohne Leine. Ich lass ihn laufen. Der macht eh was er will, der Hund. Jetzt hier Pause in seiner Sache. Den leeren Bahnsteig genießen. Bis der nächste Zug vorbeikommt. Das Licht brennt noch. Hell genug.

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(Gießen, 30. September 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Der Schwarze Hund: Kettenkarussell 18

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Briefkästen und Türe / Grünberg / 10. September 2022

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Dass der Schwarze Hund ein grauenhafter Egoist ist, es wurde, wenn ich mich nicht irre, hier schon erwähnt. Sicherlich: es ist ein Leiden, es ist eine Krankheit, wenn der Schwarze Hund dir nicht mehr von der Seite weichen will und dich an seiner Leine um die Teiche zerrt, aber es ist leider meist auch nur ein unseliger Rundweg, den man absolviert. Manchmal musst du hundertmal mal am selben Strauch vorbei, hundertmal über dieselbe Bordsteinkante stolpern, hundertmal in den letzten Haufen deines Begleiters treten, bis dir schwant, dass du Passagier eines Kettenkarussells bist und kein Karussellbremser da unten in der Kabine sitzt, sondern dass du selber Bremser, Karussell und Passagier in Personalunion bist. Kein höheres Wesen wartet ungeduldig darauf dich auf Grund deiner vermeintlich grandiosen Besonderheit zu retten.

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In den düsteren Momenten an der Seite des Hundes bist du leider nicht in der Lage zu begreifen, dass du, außer du sitzt in Einzelhaft, nicht gänzlich alleine bist. Da ist einer, eine, manchmal mehrere, die dich auf den täglichen Runden begleiten. Du starrst auf deine Schuhspitzen und den Nabel und die Kreise werden enger, zu eng. Das Tempo der Drehungen schraubt sich in gefährliche Höhen und so vermag der ein oder andere Begleiter nicht mehr mitgehen. Dann ist es besser den Blick zu heben. Nach rechts zu schauen und nach links. Und nachzusehen, ob deine Briefkästen noch ihre Funktion erfüllen. Vielleicht modern darinnen Briefe, Mitteilungen, die raus zu fischen und zu lesen, mehr als hilfreich sein kann. Das schont auch deine Begleiter. Gib auf sie acht. Das flüstert sogar der Schwarze Hund. Er ist zwar ein fürchterlicher Egoist, aber er ist nicht dumm.

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(Gießen, 29. September 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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Des Schwarzen Hundes Mühe: Liebe 17

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Grünberg / Gerichtstrasse (sic!) / 10. September 2022

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„Größe hat etwas mit der Fähigkeit zu tun, Leid auf sich zu nehmen. Ob mit Lachen oder ohne, das weiß ich nicht.“, schreibt mein momentaner Lieblingsautor Bernd Wagner. (Verlassene Werke!) „Ich wünsch‘ Dir Liebe ohne Leiden.“, sang der ewige Udo Jürgens für seine Tochter.

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Das mit der Größe und dem Hohelied auf das Leid ist so eine Sache. Je heißer das ungebremste Feuer ist, mit dem du dich auf ein begehrtes Objekt zubewegst, umso weniger bleibt – dies ist die Gefahr der Höchsten Minne – von deinen Liebeskarren über am Ende der Strasse. Bevor du vollends auseinanderfällst, bist du nur noch Chassis. Haut und Knochen. Die Wiedereinrichtung des Gefährts ist teuer und kostet nicht nur einiges an Geld, sondern auch Zeit. Und viele Runden mit dem Schwarzen Hund um den Teich im Stadtpark, den Blick auf die eigenen Schuhspitzen gerichtet. Bleibt zu hoffen, dass der wieder instandgesetzte Motor noch ins alte Chassis passt und dieses sich in der Hitze des verlorenen Gefechts nicht allzu sehr verzogen hat. Da hatte ich viel Glück gehabt.

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Was war zuerst da? Die ewige Flucht? Oder der Schwarze Hund? Es ist Huhn wie Ei und vollkommen wurscht. Wenn ich nicht in der Lage bin, von dem zu leben, was ich naiv erträume, ernähre ich mich von dem, was ich kann. Besser wohl! Auch wenn – nochmal Wagner – behauptet werden kann, komme das Herz zur Ruhe, bedeute dies auch Stillstand des Hirns. Wie oft wünsche ich, mein Hirn würde endlich mal die Schnauze halten. Vor allem in der Nacht. Grübeln ist kein Denken.

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Manchmal kommt man mit dem Schrecken davon. Also mit dem Schrecken. Der Schrecken verharrt nicht am Ort des unglücklichen Geschehens. Er springt in deine Manteltaschen – Es war Winter! – und tritt dir gelegentlich gegen die Hüfte. Jetzt hängt der Mantel im Schrank. Bald muss ich in wieder rausholen. Gelegentlich rappelt es im Schrank. Manchmal erschrecke ich dann. Meist wenn ich mir sicher war, vergessen zu haben. Das kannst du vergessen.

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Das Schlimmste war und ist immer wieder die manchmal tagelange Abwesenheit des Lachens. Dann versuche ich wenigstens zu schmunzeln über das Leid, das eigene. Und versuche, die die liebt, nicht mit ins „valley below“ zu ziehen. Denn der Schwarze Hund mag eigentlich kein Selbstmitleid. Seltsamerweise fordert er Klarheit ein!

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Raus jetzt! Um den Teich. Indianersommer. Mit oder ohne Schmerz. Hough!

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(Gießen, 21. September 2022 / Mittags / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

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