Mr OZZY, what went on in your Head?

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Nun ist die letzte schwarze Messe gesungen

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Er taumelte und torkelte in einem Reich zwischen der Realität und einer Freakshow namens Popindustrie: Zum Tod von Ozzy Osbourne, dem Miterfinder tonnenschwerer Musik.

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Das Ende war klar, und das Ende schien immer nah, doch dann hat es sich ein paar Jahrzehnte Zeit gelassen, dieses Ende, was einem wieder einmal vor Augen führt, dass man wirklich von nichts eine Ahnung hat. Aber jetzt war es dann doch so weit: Vierzehn Tage nachdem die Geldgier seiner Mitmenschen den Selbstdarsteller John Osbourne noch einmal auf eine Bühne gezwungen hat, bewegungsunfähig auf einem schwarzen Thron geparkt, daheim in Birmingham, ist Ozzy im Alter von 76 Jahren gestorben und damit dem ganzen Trubel um seine Person entkommen, außer sein Management lässt ihn jetzt plastifizieren und als moderne Mumie um die Welt reisen, wie gesagt, man kann es sich nicht vorstellen, was in diesen Köpfen so vorgeht.

Es fällt einem schon schwer zu glauben, was man als Ozzys Zeitgenosse hat miterleben dürfen oder müssen: Es war wohl 1970, als ich mir von einem Schulkameraden das titellose Debüt von Black Sabbath auslieh, nicht ahnend, was eine schwarze Messe war, was Satanismus und dass der Sänger, dessen Stimme am ehesten dem Schleifgeräusch einer Flex ähnelte, dies ebenso wenig wusste. So tasteten sich Popstar und Popfan in trauter Ahnungslosigkeit in die mal finster, mal gülden erscheinende Zukunft, und damit haben wir eigentlich auch schon den Seelengrund der Musik von Black Sabbath und von Ozzy Osbourne berührt: Dies war und ist Musik für junge, weiße Männer – für „lads“, wie das in Großbritannien heißt –, die ohne gutbürgerliches Urvertrauen durch ihr Leben torkeln und taumeln, durch eine zähe, sie ständig nach unten ziehende Klebmasse namens Realität, deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten alle anderen zu verstehen scheinen, nur man selbst nicht.

1970 hieß das weder Heavy Metal noch Stoner Rock, und Black Sabbath, die sich davon Erfolg versprachen, die anderen Jungs in eine Art akustische Geisterbahn zu locken, lieferten den idealtypischen Soundtrack zu genanntem Teenager-Ennui, darunter Kracher wie „Paranoid“ oder das Antikriegslied „War Pigs“. Warum das funktionierte und wie lang das funktionieren würde, das wusste der einst kleinkriminelle Ozzy so wenig wie seine Mitgeiseln in dieser Freakshow namens Popindustrie, und diese Verlorenheit ist es, die keiner so unverstellt nach außen kommunizieren konnte wie Ozzy Osbourne. Darum liebten wir ihn, wenn er aus Versehen einer auf die Bühne geworfenen toten Fledermaus den Kopf abgebissen hat, wenn er jede Droge ausprobierte, die ein Hobbychemiker sich hat einfallen lassen, wir liebten ihn mit Black Sabbath und als Solokünstler, als Star einer Realityshow im Musikfernsehen oder als zitternden Tatterich, der sich irgendwie durch die Show, die ja immer weitergehen muss, hindurchwurstelt, selbst am meisten überrascht, dass man immer noch da war nach all den Schicksalsschlägen und selbst verschuldeten Zerstörungsversuchen am eigenen Leib.

Legendär sein Grund, eine Entzugsklinik nach wenigen Tagen wieder zu verlassen: Er habe keine Lust, selber sein Bett zu machen. Diesen Job, neben tausend anderen, übernahm 1982 Ozzys zweite Frau Sharon, die als Tochter eines überlebensgroßen Londoner Gangsters und Musik-Promoters durch eine vermutlich harte Schule in Sachen Selbstbehauptung gegangen ist und nun aus dem Häuflein Ozzy-Elend einen der erfolgreichsten Solokünstler der Achtzigerjahre formte, obwohl ihm gerade sein neuer Gitarrist durch einen Freak-Flugzeugabsturz abhandengekommen war, die in den Neunzigern ihren eigenen Metal-Sommer-Tournee-Zirkus ins Leben rief, die in den Nullerjahren gut geschminkte Miene zum Reality-TV-Spektakel machte und den immer hinfälligeren Ozzy samt den eher kompliziert geratenen Kindern im Wortsinn wie im richtigen Leben gemanagt hat bis hin zu den immer wieder stattfindenden „letzten Konzerten“.

Und sollten Sie bis hierhin gelesen haben, ohne eine einzige Platte von Black Sabbath zu besitzen, so rate ich zum „Reunion“-Album von 1998, auf dem sich die verfeindeten Kumpels von einst zu einer entschlackten Mega-Stadionrock-Form hochjazzen, dass man glauben möchte, diese tonnenschwere Musik würde gerade jetzt erst neu erfunden. In diesem Moment der Euphorie wie Traurigkeit sei auch an zwei Dinge erinnert, die man vielleicht überhaupt nicht mit Ozzy Osbourne in Zusammenhang bringen kann oder will.

Da ist zum einen eine, wie man heute sagt, queere Komponente, die in dieser pickligen, schwitzenden, testosterongesteuerten und von ständigen Erektionen geplagten Jungsmusik zumindest überrascht, vielleicht auch erst heute als solche gelesen werden kann: So tragen schon 1970 Feen hohe Stiefel und tanzen ekstatisch mit einem Zwerg, heimlich beobachtet von Ozzy himself, und wie Ozzy sich auf dem Cover seines Solodebüts „Blizzard of Ozz“ von 1980 räkelt, geschminkt und lasziv gekleidet in seiner pummeligen, leicht buckligen Nichtschönheit, das erzählt von einer seltsamen Bodypositivity und auch sexuellen Neugier, welche die eine oder andere Masterarbeit lohnen könnte.

In Richtung akademische Anerkennung des Werks von John „Ozzy“ Osbourne weist auch die seit Jahrzehnten ungebrochene Beschäftigung renommierter Intellektuellen-Bands aus dem Bereich Punk und Indie. Seien es Pere Ubu, die Smashing Pumpkins oder Mountain Goats – der Einfluss von Ozzy und/oder Black Sabbath auf bestimmte Sound-Vorstellungen und Grundgestimmtheiten gehört ebenfalls gesichtet und benannt. Vor der Arbeit aber das Vergnügen: Black Sabbath hören, laut mitsingen bei „Mr. Crowley“, diesem irgendwie unschuldigen Toren und Miterfinder der lautesten Musik auf diesem Planeten die letzte, dann die allerletzte, dann die allerallerletzte Ehre zu erweisen, soll jetzt unsere vornehmste Aufgabe sein.“

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(Dank an Karl Bruckmaier / FAZ vom 24.Juli 2025)

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„Und dann fängt man eben an, Mist für Gold zu verkaufen, und so einen Unsinn zu reden, wie ich es da geredet habe.“ (Ricarda Lang nachdem sie fortging)

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Konschtanz / Stadtgarten / Weihnachtsmarkt / Freitag Der Dreizehnte Dezember 24 (Foto: A. Haas)

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Wieder mal Zeit für eine Pause hier. Den Restadvent nutzen, um drüber nachzusinnen, what the fucking x-mas-hassle is all about originally. In den rauen Nächten Zwiegespräche halten mit den Gespenstern. Den Anderen gelegentlich. Vor allem jedoch mit den Eigenen. Und in Erwartung des kommenden Jahres den Zeigefinger kürzer schleifen und sich nicht in Bitternis rumwälzen, weil die Welt, die man gerne externalisiert statt ihr beizutreten, nicht nach der eigenen Pfeife tanzt.

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Also ein besinnliches Fest begehen (Oh schöne alte Sprache, in die ich hineinwuchs!), wenn es dann ansteht und weil uns Donald nächstes Jahr Frieden auf Erden machen wird, müssen wir nicht auf den Dritturlaub verzichten, um ein braver Erdenwürger zu bleiben. Die Verschärfung des Klimas fällt aus nach Ansage vom Vorjahr und weniger denken vor all diesen Wahlen, hüte, oh hüte dich vor all den Qualen, gelle, Germania. Ach.

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Rauer die Nächte nicht werden, die Tage vielleicht gelegentlich

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Ab 2025 in neuen Strümpf

Vielleicht auch löchrigen Socken

Neugeboren runderneuert

Wird Erlösung angesteuert

Ampelbefreit sind wir bereit

Zur größeren Wende

Mit vollem Beutel Weltenende

Besingend händeringend

Weiterhin

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Oder nimm am Weltenkummer teil

Mach sie heil biete feil

Auf den Märkten eig’ne Häute

Nicht das Portmonnaie der fremden Leute

Auch Kleingeld klappert

Laut gelegentlich

Zur Not hilft auch ein Gin

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Besinnliche Zeit gewünscht von hier. Bis denne.

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“Es ist alles nur geliehen auf dieser schönen Welt!” (Heinz Schenk)

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Eine Küche in Gießen / Innenstadt / Februar 2023

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„Im blauen Bock, beim Äppelwoi,

Da laß dich ruhig nieder.

Da komm´n nur gute Menschen rein,

Und singen frohe Lieder.

Und warst du erst ein paarmal treu,

Dann sagst auch du beim Gehn.

Im blauen Bock beim Äppelwoi,

Da gibt’s ein Wiedersehn.

Im blauen Bock beim Äppelwoi,

Da gibts ein Wiedersehn.“

Im Jahre 1966 kaufte mein Vater unserem Haushalt den ersten Fernseher. Schwarz-weiß. Eigentlich die einzige Farbkombination, in der man Geschichten ernsthaft erzählen mag. Eine WM stand an. Uns Uwe. Der junge Franz. Emma. Sigi, mein Held. Das dritte Tor. Hans der Tilkowski.

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Ein Fernseher tat es nicht von alleine einst wie heute auf Knopfdruck. Antennen mußten her. Ästhetische Dachverzierer, aufsaugend fremde Wellen und Schwingungen zu Diensten stehend den erwartungsfroh Schauenden. Oft aber lediglich blieb Rauschen und Nebel grieselnd und eine Ahnung nur von der Welt. Mein Vater kletterte auf dem Dach rum, die Antenne zu fixieren, zu richten gen Hamburg, Mainz oder Stuttgart. Die Mutter in berechtigter Panik ob der Sandalen des Dachbesteigers. Der Bube bewundert jedoch, muß aber nach unten und über zwei Stockwerke hoch brüllen, ob da mehr als Rauschen und Nebel grieselnd wäre zu sehen. Oben auf dem Dach wird geflucht. Der Bub zu leise sei. Die Fünffingerrüge später folgte auf den Fuße. Also auf die Backe. Zwei Stockwerke tiefer dann.

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Es war ein warmer Samstag. Juni oder Mai. Und die Kiste sprang sichtbar an. Zwei Sender nur. Wir wählten die Eins. Und da isser. Der Heinz Schenk. Frühkindliche Prägung. Wäre der FC Blauer Bock ein Fußballverein, jetzt noch wäre ich knallharte Kurve. Und Reno Nonsens mein ewiger Hrubesch.

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Das Bühnenbild aka der Hintergrund war eine fürchterliche Halle, ein Gemeindesaal oder ein Bürgerdings. Wo? Hessen. Was ist das? Wo ist das? Hätte mir damals jemand geflüstert, daß ich in diesem Bundesland, welches mir damals schon, ich saß am Ufer des Bodensees, als eine gnadenlose Manifestation obskurer Hässlichkeit? Immer noch ist es mir nicht möglich Äppelwoi zu trinken. Ich kann etliche Dialekte bundesweit nachäffen, aber dem Hessischen verweigern sich Glottisschlag, Stimmlippen und meine Zungenmuskulatur. Marmoush oder Yeboah hin oder her. Warum ich hier bin? Weil ich hier halt lebe. Jawoll Frau Wirtin. Das Loch im Eimer blieb.

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Heinz Schenk ist gebürtiger Mainzer. Dann ließ sich Schenk irgendwann zum Vorzeigehessen ummodeln. Unser David Bowie heißt Heinz Schenk singt es in einem der traurigsten und schrägsten Songs der Republik. Ich lebte wenige Monate in Mainz, welches ich, ohne groß zu klagen und trauernd hoffnungsfroh gegen Kölle eingetauscht hatte, um nach einer emotionalen Höllenfahrt in Hessen zu stranden. Ich mochte Heinz Schenk.

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Nie vergessen: „Herr Schenk, ich habe Sie in der Sportschau gesehen. Olympia in München. Sie sind beim 400m-Rennen mitgelaufen. Warum hatten Sie denn eine rote Krawatte umgebunden?“ „Das war meine Zunge!“ Morgen tät er dann 100 Jahre alt gewesen sein. Frau Wirtin! Ein Bembel!

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„Lässt Christmäss Ei gev Ju mei Hartt!“ (Schorsch Meikel / Helmut Cabbage)

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Riesenrad versus Dom / Erfurt / 9. Oktober 2021

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Oh wie ist das schön oh wieder schon

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Der Oberbürgermeister leckt am Glühweinbecher

Er tut dies nur aus Pflichtgefühl

Ein Pope ist nunmal kein Zecher

Und wenn nur in der Sakristei

Keiner nur der Herr dabei

Es regnet Hund‘ trotzdem Gewühl

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Im Hintergrund ein Riesenrad

Sich dreht und windet

Beleuchtet Nachbars Schlafeszimmer

Es zählt nur dies und das auch immer

Das eigne Freud auf fremdem Terräng stattfindet

Uns geht es gut denn Ander‘n schlimmer

Soll’n sich nicht so anstellen

In ihren Schützengräben

Eben

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Man wärmt und jung die Hände sich

Steht dichtgedrängt am runden Tisch

Gepanschter Mist glüht in den Tassen

Mein trunken‘ Hirn kann es nicht fassen

Und immer wieder dieses Lied

Obskure Sehnsucht schunkelt mit

Und das wohl noch vier Wochen

Oder so

Advent Advent oh jemino

Wie ist die Lage?

Fragen wir den Lorenz Flake

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PS und Aufdatierung vom 3. Dezember: Man verzeihe mir die mitschwingende Schadenfreude. Nach wenigen Tagen verletzt das neu erstandene, in Gießen jungfräulich eingesetzte, Renommier-Riesenrad ein Kind schwer und muß stillgelegt werden. Ein weiterer Spezial dieser an durch Geldmacherei verursachten Kuriositäten reichen selbsternannt größten Kleinstadt ganz Hessens. Mir tut unser Nachbarsjunge leid. Der wollte täglich Riesenrad fahren.

“Zurück an die Arbeit!” (Patti Smith)

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Quellhöhle und Schmetterling / Aachtopf / Aach / 20. September 2024 (Foto: A. Haas)

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“Es gibt Zeiten in unserem Leben, in denen wir uns zurückziehen müssen, nicht um uns zu verstecken, sondern um uns selbst zu heilen. Das ist keine Rhetorik. Das ist ein Plan. Ich habe heute Morgen mit meinen Kindern angefangen und dann langsam mit Freunden. Fühlt euch nicht in die Ecke gedrängt, eingeengt. Lasst nicht zu, dass euer Geist und euer Herz von anderen bestimmt werden. Bewegt euch, so gut ihr könnt, durch die Welt um euch herum und lebt in einer Welt eurer eigenen Welt. Das habe ich heute geschrieben. Zurück an die Arbeit.”

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Nach den letzten zwei Tagen. Eben in der SZ davon gelesen und jetzt hier gesehen. Danke! Dem ist nichts hinzufügen als ruhige und stille Arbeit.

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„Männer mit weißer Hautfarbe sind Geister von Toten, die ihr Ende nicht finden, leben nicht mehr und sind noch nicht tot.“ (Thomas Brasch / Kargo)

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Im Zug / Fensterblick / Zwischen Leipzig und Hoyerswerda / Das Wo ist vergessen / Juni ’23

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Am 3. November 2001, vor 23 durch die Zeitachse davon gejagten Jahren, starb Thomas Brasch. Auf vielfältige Art und in vielen Zusammenhängen mir eine aufploppende Projektionsfläche und Identifikationsfigur.

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„Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber

wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber

die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber

die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber

wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber

wo ich sterbe, da will ich nicht hin:

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“

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(Thomas Brasch / Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu entkommen)

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Im Sommer 1980 hat mir meine damalige Geliebte dieses Buch geschenkt. Mit gereimter Widmung. Wo ist das Buch? Ich habe es – glaube ich – im Rahmen meiner Arbeit an der „Tankstelle für Verlierer“ – irgendwohin verliehen. Manches kehrt nie mehr zurück. Ich erinnere mich, wie ich mich durch diesen wilden Wust versuchte durchzulesen. Viel begriff ich nicht. Was ich aber begriff: wie wuchtig die Heimatlosigkeit, das Atmen ohne Wurzeln, die verlassen, das blinde Tasten namens Wut in diesen Texten. Damals befremdete mich das. Inzwischen ist es Bestandteil meiner Sicht auf das Außen. Obiges Gedicht war Motto meiner Gundermann–Arbeit.

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„Wieviele sind wir eigentlich noch.

Der dort an der Kreuzung stand,

war das nicht von uns einer.

Jetzt trägt er eine Brille ohne Rand.

Wir hätten ihn fast nicht erkannt.

Wieviele sind wir eigentlich noch

War das nicht der mit der Jimi-Hendrix-Schallplatte.

Jetzt soll er Ingenieur sein.

Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte.

Wir sind die Aufgeregten. Er ist der Satte.

Wer sind wir eigentlich noch.

Wollen wir gehen. Was wollen wir finden.

Welchen Namen hat dieses Loch,

in dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.“

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(Brasch / DDR-Lyrikreihe Poesiealbum)

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Kurz nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 verschob sich auch Brasch mit seiner Geliebten Katharina Thalbach in den Westen. Ließ sich auf eigenen Antrag hin verschieben. Wer bereut was und wann? Das Wortungetüm namens Ausreiseantrag. 1980, eben in Köln auf der Schauspielschule angefangen, sah ich im Schauspiel Köln Flimms Inszenierung des „Käthchen von Heilbronn“. Die junge Thalbach eine Explosion der Darstellungskunst. Tief beeindruckt. Damals verstummte Brasch eine längere Zeit lang, zumindest öffentlich, und besoff und bedröhnte sich, wenig beeindruckt vom „Versprechen West“. Der Grenzgang, das Faszinosum Euphorie, war mir nie fremd gewesen. Früher noch mit etwas mehr Glitzern versehen. Heute gelegentlich erschreckend banal mit dem eigenen Untergang jonglierend. Nie vergessen werde ich den Schluß des Theaterabend zu Kölle. Die Rückwand der Bühne öffnete sich, man sieht die nächtliche Krebsgasse. Kalt zieht und sieht es in den Zuschauerraum hinein. Draußen stehen die Schauspieler und glotzen zurück. Ein Poem von Brasch?

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„Und wenn wir nicht am Leben sind

dann sterben wir noch heute.

Die Liebe stirbt, du lebst, mein Kind

Die Mädchen werden Bräute

Ach, wenn ihr mich gestorben habt,

lebt ihr mich weiter heute,

gemeinsam wird ein Land begrabt

und einsam sind die Leute.“

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(Brasch / Gedichtsammlung: Die nennen es Schrei)

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Der ewige Riß. Laut oder leise. Wie einst der Vorhang im Tempel zu Jerusalem. Die Welten werden weiterhin Pharisäer beheimaten, denen eine gezielte Beerdigung ihres Landes am Schrumpelhirn vorbeigeht. Man setzt lieber fremdes Eigentum am Roulettetisch namens Leben denn den eigenen Arsch. Brasch ging, wie man heute so gerne schwafelt „All in“. Das mochte ich stets und mag es noch, wissend um die Risiken. Und sie auch gerne negierend. Wissend negieren? Geht das? Vor den Vätern sterbend als Sohn, der man ewig bleiben muß, wenn kein Vater? Dann Gott? Anderer Vater?

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„DAS FÜRCHTEN NICHT UND NICHT DAS WÜNSCHEN

darf mir abhanden kommen, auch mein täglich sterben nicht

das seellos süchtig sein auf keinen fall

nur hirnlos reimen wie ein wicht muß beendet werden

da ist ein gott und setzt sich zwischen alle stühle

er sieht genauso aus wie ich mich fühle“

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(Brasch kurz vor seinem Tod 2001)

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Und nun welches Lied? Ich kann nicht begründen warum, glaube aber es passt. Verdammt. Neat übersetzt: sauber. War auch einmal ein höchschtes Lob. „Und wie isches? Sauber!“ Beachten Sie den Bassisten links im Bild!

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„Ali, boma ye! Ali, töte ihn!“ (Zaire`74)

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Brunnenfigur/ Zwinger / Dresden / 30. Oktober 2009

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Ich schlafe schlecht dieser Tage aka Nächte. Eigentlich schon länger, aber eben gerade besonders. Vor 50 Jahren schlief ich auch nicht. Aber freiwillig. The Rumble in the Jungle. Aus dem Schlaf geholt nicht mehr von meinem seit einem Jahr nicht mehr existenten Vater, sondern von einem profanen Wecker. Den man aufziehen mußte und der nicht klingelte, sondern schrillte. In den 60ern und bevor Cassius Marcellus Clay, der spätere Ali, aus dem Verkehr gezogen wurde vom ach so demokratischen Amerika, hatte mein Vater mich verlässlich geweckt, wenn die stechende Biene tanzte und wir saßen mit schweren Augenlidern vor der frisch erstandenen Glotze und im Flimmern und Rieseln konnte man stets sehen wie der Meister permanent seine Gegner mit Trashtalk zutextete und dann auf die Bretter schickte. Mir, dem Buben von einst, gefiel das und gefällt mir noch immer.

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Îch weiß nicht mehr, wo ich den Kampf sah. Ich hatte ein Zimmerchen unter dem Dach über der neuen Wohnung meiner Mutter. Ich glaube, ich durfte runterschleichen und ohne Ton gucken. An was ich mich erinnere ist, daß der Held meiner Kindheit ständig in den Seilen hing, Foreman auf ihn einprügelte und er zurückwippte, die Fäuste ständig vor dem Gesicht. Ich war, wieder mit den schweren Augenlidern, enttäuscht, war doch der Plan und mein Wunsch, Vietnam eben amifrei geworden, daß der alte Champion die von außen verwüstete Erbfolge wieder hinbiegt. Quatsch: Rache wollte ich sehen! Hau dem Opportunisten einen auf die Zwölf! Und das mit den Seilen? Rope a Dope. Der Bahn-Babo aus Frankfurt: „Das Leben ist manchmal ein Spagat, mal ist es leicht, mal ist es hart, doch bist du biegsam wie der Baum der im Wind, kein Lebenssturm dich je bezwingt.“ Es hat funktioniert. Die achte Runde. Schlief ich da schon oder erinnere nur noch?

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In diesem Jahre 1974 stand ich etliche Samstage vor der Hermann-Tietz-Kaufhalle in Konstanz und versuchte die KVZ (Kommunistische Volkszeitung), das Zentralorgan des KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) an Hertietüten schleppende kleinere oder größere Bürger zu verkaufen. Ein sogenannter Genosse, dann auch noch so jung, ist halt weisungsgebunden. War nicht so einfach dieser Auftrag. Klar, iss Klischee, aber: „Dich hat man doch vergessen zu vergasen!“ oder „Dann geh halt nach Drüben!“, das durfte ich schon öfters mal hören. Machte aber uns linke Idioten noch ein wenig stolzer. Oder überheblicher? Aber dann gab es aber eine Ausgabe der KVZ, ein paar Wochen vor dem großen Kampf in Zaire, und das Zentralorgan widmete eine ganze Seite inklusive Riesenfoto dem tanzenden Schmetterling und seinen Fäusten. Nie zuvor und nie mehr danach bin ich so viele Exemplare dieser obskuren Gazette losgeworden.

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Darf man Spaß daran finden, daß sich alte schwarze Männer einen aufs Maul hauen und die Bleichgesichter glotzen? Fragen wir Brecht: „Das Erste, was da sein muss, damit ein richtiger Boxer zustande kommt, ist das Herz.“

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PS: Diese Platte welche „uns“ Muhammed Ali zurecht besingend feiert – Remember die zittrigen Arme damals in Atlanta! – darf man sich gerne kaufen dürfen. Ich glaube meine Schwester hat die mir damals geschenkt.

„Unglücklich zu sein, ist ein Luxus für arrogante Idioten, die sonst nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wissen.“ (Nick Cave)

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Wird hier das Monster aus der Höhle kommen? Oder Messias? Der Stein zur Seite geschoben ward!

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Glücksvögel

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Wir müssen da wir keine Drohnen

Den Wind spüren unter unseren gespreizten Schwingen

Wir sind auf der Flucht

Die Kälte

Angewiesen auf freundliche Lüfte

Rückenwind würde uns in die Auen drücken

Wo wir rasten werden falls notwendig

Dort wo wir tanzten begeistert um uns herum

Die dürren Beine hoch

Oh Lenz mein Lenz

Unsere Schnäbel die Götter beklappernd

Im Gleichschritt

Gelegentlich aus unseren festen Formationen

Stürzen wir ins Chaos orientierungslos

Verirrten uns in den Himmeln

Rast lediglich ersehnend

Unsere Schreie aber Erdenbewohner

Hörst Du immer die und

Alles dauert diese Zeit

Die du nicht mehr hast

Der Frühling stets fern und näher doch

Die Ewigkeiten ohne Garantie

Bis nächstes Jahr

Zurück

Ein letzter Tanz der nächste ist

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(gießen / gestern ein weiterer beeindruckender kranichflug über mittelhessen / jedoch ein bisserl unglücklich ich aus grund / also gescheite zitate sammelnd)

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