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Es genügte ihm. Einmal aufwachen, Tränen und Bescheid zu wissen. In der Wohnung seiner Schwester hatte er genächtigt und der alte dicke Kater saß zu seinen Füssen und hatte ihn angeblickt. Auch der wusste: es ist vorbei. Die Luft über der Stadt hatte sich früher als erwartet und erhofft in die Arme des Herbstes gelegt. Dieses Jahr, geizig wie seine Liebste, hatte keine Sekunde zu viel des Sommers rausgerückt. Die Menschen waren nervös und von seltsam trauriger Aggressivität befeuert. Ein paar Zeitungen unter den Arm geklemmt quetschte er sich an den Tresen eines Stehcafes. Dieser war knappe drei Zentimeter breit. Seine Tasse taumelte hin und her und das belegte Brötchen verwandelte sich zu trockenem Brei zwischen seinen Zähnen. Da stand er, würgte und wußte: etwas stirbt. Wenn die Sportseite vor deinen Augen verschwimmt, ist es Zeit nachzudenken. Wenn die Geldstücke im Portemonnaie kleben bleiben und die Schalterdame in der letzten Vorortpostfiliale blickt, als hätte sie den Leibhaftigen geküsst, ist etwas geschehen, dessen Wucht dir das Genick brechen wird.
Schon der gestrige Abend trug Keime des Verfalls in sich. Die Vorstellung, von einer ominösen Stahlfirma gekauft, mit Haut und allen Haaren, begann einfach nicht. Etliche Reden wurden gehalten, es wurde der verstorbenen Firmenmitglieder gedacht und die Pause dauerte solange bis auch der Portier des Unternehmens sein siebtes Sektglas durchgegurgelt hatte. Die Kollegen trugen ihre Worte mit gebührender Distanz über die Bühne und einmal strich eine Hand über seinen Kopf : „Bist du traurig?“. Warum ist man manchmal in der Lage zu verneinen? Als der Zug zurück in die Domstadt sich eine halbe Stunde vor Ankunft auf den Gleisen festfraß und nicht mehr weiterbewegte, wuchs die Zeichenvielfalt ins Unerträgliche. Personenschaden. Er wußte von nichts. Er wußte alles. Er fuhr in den wartenden Abgrund.
In der neuen Stadt hatte sie sich betrunken. Ein Portugiese hatte um die Ecke aufgemacht und keine Stunde länger hätte sie es ausgehalten. Mit ihm. Ohne jenen. Es hatte sie etwas in den Hals gebissen, was sie so nicht kannte. Ihre Augen zogen sich zusammen und mit den letzten Resten ihres instinktsicheren Verstandes ergriff sie die Flucht. Dorthin wollte sie. Das Telefon schwirrte über ihrem toten Schlaf und heute noch ist sie sich nicht sicher, ob sie noch etwas hören konnte oder schon nicht mehr wollte.
In der neuen Stadt geht in jener Nacht der Andere Zigaretten holen und wird blind im Bier. „Come as you are!“ singt er vor sich hin und bricht ein Versprechen. Ein zweites Mal geht er Zigaretten holen, wieder und wieder greift er zum Streichholz und atmet ein den erlösenden Rauch und tänzelt, siegessicher und zitternd wie Espenlaub. Wir wissen nicht, ob er unter ihrem Fenster stand. Wir wissen lediglich: er heißt Curt. Nicht Kurt, nein, sondern: Cörd, wie dieses weggeblasene Gehirn hinter der Polizeiabsperrung an einen kalten Herbsttag in Seattle.
Sie schläft. In dieser Nacht begann der Herbst. Meteorologisch.
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