Leben Luv Lee und der Flautenschieber

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Caravela / Lange Reihe 13 / St. Georg (HH) / 22. September 2021

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Sessho

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Wir müssen leben mit unseren Lügen

Wir müssen die Preisschilder von den Schnäppchen kratzen

Und neu einpreisen

Unsere Gewohnheiten zwischen einem Gestern und

Keinem Morgen bevor der

Felsen

Stürzt auch auf unsere Hoffnungen

Der Nordnordwest wartet nicht

Auf die gesetzten Segel

Und den Katzenjammer

Land ho

(Gießen / vorgestern bis heute)

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„Manchmal kletterst du morgens aus dem Bett und denkst, ich schaffe es nicht, aber du lachst innerlich – denkst daran, wie oft du dich so gefühlt hast.“ (Charles Bukowski)

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Auch wenn der Frühling kein Wert an sich ist, sondern eine Erscheinung, er tut gut. Das Licht. Doch schmähen wir nicht den Schatten. Der erzählt letztlich von der Sonne. Nur er. Sein Gegenentwurf ist schmerzlicher Sonnenbrand. Mit Folgen.

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was würde ich tun ohne diese Welt ohne Gesicht ohne Fragen

wo Sein nur einen Augenblick dauert wo jeder Augenblick

ins Leere fließt und ins Vergessen gewesen zu sein

ohne diese Welle wo am Ende

Körper und Schatten zusammen verschlungen werden

was würde ich tun ohne diese Stille Schlund der Seufzer

die wütend nach Hilfe nach Liebe lechzen

ohne diesen Himmel der sich erhebt

über dem Staub seines Ballasts

was würde ich tun ich würde wie gestern wie heute tun

durch mein Bullauge schauend ob ich nicht allein bin

beim Irren und Schweifen fern von allem Leben

in einem Puppenraum

ohne Stimme inmitten der Stimmen

die mit mir eingesperrt

(Samuel Beckett / aus: Sechs Gedichte 1947 – 1949)

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Vor ein paar Wochen sah ich mein Traumschiff. Noch angekettet. Aber freundlich vor sich hin und her schaukelnd.

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„Leben heißt: dunkler Gewalten Spuk bekämpfen in sich. Dichten: Gerichtstag halten über das eigene Ich“. (Heinrich Ibsen)

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Das Leben Luv oder Lee? Wir entscheiden uns für den Flautenschieber.

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Konstanz – Staad / Jachthafen / 10. März 2022

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„Zum Blauen Engel“ war sein letztes Wort, dann trugen sie den Unrat fort

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St Pauli – Landungsbrücken / 22. September 2021

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Kintsugi

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Mit schweren Füßen schlurfte ich durch das furztrockene Frühjahr

Beton in den Oberschenkeln und den Kopf noch

In den windigen Wolken des letzten Herbstes

Die Regentropfen durchnummerierend

Keiner falle unvergessen in die Förde

Es ist an ihr nun dort vorüberzuziehen

Wo ich aufs Wasser starrte eingefroren herzensstarr

Nach der Flut kommt die Ebbe

Die langen Finger

Eiseskalt nicht mehr sammelnd den Schwall meiner Worte

Die Schlepper abgeschleppt ferne Bugwellen Richtung Nordmeer

Durch den Hinterausgang fiel ich besoffen auf verbeulte Pappkartons

Die dort durchfeuchtet sich stapelten

Einst voller Flaschen badischen Grauburgunders

Porto aufkleben sinnlos keine Nachbestellung mehr

Zähle die Regentropfen in denen du liegst

Von vorne

Und hoffe eine der Möwen hätte Dich

Wiedererkannt

Das Brot dir aus der Hand gerissen

Flecken kalkenden Kots dir auf der Stirn hinterlassen

Die tägliche Bö rüttelt an den Regalen in denen ihre Reime modern

Die Vase fällt

Ich klebe die Scherben zusammen

Pinsele Goldstaub über die Fugen

Kintsugi

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Ich bin leider heute allein

Sprach der Kellner im Speisewagen

Zur ungeduldigen Kundin

Wer ist das nicht

Dachte ich

In den Tagen dieses Kriegs

(ICE Offenburg – Frankfurt / Ende März 2022)

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