Von der Notwendigkeit gelegentlich das Haupt gegen den Boden zu senken / Fangen wir wieder an zu rauchen 06

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Pfronten / Mariengrotte / Falkenstein / 14. Juni 2022

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Also wanderten wir hinauf zur Mariengrotte unlängst. Sehr steiler Pfad. Treppen. Wurzeln. Viele Pausen. Es tat weh. Kann die Metapher mir nicht verkneifen: ein Spiegelbild der letzten Monate. Die Mariengrotte liegt unterhalb des Falkensteins bei Pfronten. Eine wie ich erst auf dem Rückweg durch das Vilstal mit Blick nach oben auf den stundenlang begangenen Grat bemerkte, gigantische Felsvulva, aus der wohl, so dachte ich da, die Erdmütter einst das Leben in die Berglandschaften des Allgäu geworfen hatten. Oberhalb der Grotte die Ruine Falkenstein, die von ihren Besitzern, Tiroler damals, im 30 – jährigen Krieg abgefackelt wurde. Man befürchtete, die sich am Bodensee und in Bayern rumtreibenden Schweden, würden die Burg einnehmen und als „Räubernest“ nutzen. Knapp zweihundert Jahre später kam „Kini“ Ludwig, der Vorgänger aller Lichtgestalten in Bayern, auf die Idee dort ein zweites und noch höheres, weiteres und fetteres Neuschwanstein zu errichten. Doch noch vor Vollendung des ersten Prunkbaus, Sehnsuchtsziel aller Japaner und des gesamtdeutschen Mittelstandes, trieb den Kini seine innere Finsternis in den See. Wohl das Schicksal vieler Lichtgestalten. Hinteregger hat ja noch die Kurve gekriegt.

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Die Mariengrotte wurde im 19. Jahrhundert entdeckt. Eine Frau habe von ihr geträumt, sagt man. Mann suchte und fand sie. Der damalige Pfarrer von Pfronten beauftragte einen Bildhauer in diese Spalte eine Statue zu Ehren der wundertätigen Jungfrau Maria zu Lourdes zu errichten. Am Tag, als der Künstler die Grotte erreichte, eine und auch das Maß nahm und erste Entwürfe überdachte, stürzte am gegenüberliegenden Breitenstein der auftraggebende Pfarrer Anton Stach bei einer Bergtour tödlich ab. Besagter Künstler, der Pfrontener Bildhauer Theodor Haf, führte den Auftrag aber zu Ende. Wenn Gott zu laut spricht! Eine Geschichte, die ich nicht erfunden habe. So steht es in ganz alten Lettern auf einer Gedenktafel an diesem verwunschenen und auch strahlenden Ort, der mich – die weißen Steine, die Blumen, die Schroffheit – sehr an ein griechisches Kloster erinnerte. Die hängen ja auch gerne oben im weißen Felsen rum. Und beim Erreichen des Heiligtums pocht das Herz und zwickt das Knie und man schwitzt. Gut so.

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Es tut gut an solchen Orten das Haupt zu neigen oder die Hände zu falten. Und wenn man sich nur bedankt dafür, daß einem jemand das Futter für seine Esel gereicht hat. Siehe gestern.

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Wir blieben länger da oben sitzen. Es gab einiges zu bedenken. Ein Ehepaar, welches mit uns unten losgelaufen war, beide über 80, erreichte eine halbe Stunde nach uns den Ort, keuchend und gut gelaunt fluchend über die „Schinderei“. Früher sei das ihre Tour gewesen. Zwar schrumpfe das Pensum Jahr für Jahr zusammen, aber wie der Mann sagte: „Wann Du die Muskeln net bewegn tuast, nachert sann die gleich weg!“ Ich glaube, er meinte Oberschenkel und Hirn. Es war einer der guten Tage.

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RAUCHPAUSE / Teil 06

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Was wollen die eigentlich: im Durchschnitt mache ich 8 – 10 Jahre früher die Biege. Ich erspare der Gesellschaft Kosten. Mir müssen keine armen Zivildienstleistenden den Arsch abputzen oder rumänische Hilfskräfte mich im Rollstuhl den Flur hoch und runterschieben. Da liege ich schon längst unterm Holzkreuz. Na ja, muß ja nicht gleich morgen sein. Wäre schade. Ich habe ja noch gewisse Verpflichtungen. Steuern ist das Stichwort. Mal ein paar Zahlen. Fakten. Fakten. Fakten. Kostet etwa 0,22€ der einzelne Stab. Davon Steueranteil: 0,18€. Hochrechnung: 20 Stück am Tag. Mal 365 ist gleich 7300. Sind wir ehrlich, inklusive Parties und Beziehungskrisen oder frisch verliebt sein: 8000 im Jahr. Das Ganze mache ich jetzt seit 30, eher 33 Jahren. Macht alles in allem 264000 Teilchen, die mich durch mein Leben begleitet haben. Mal 0,18€ Staatsanteil ist das gleich 47.520€. Sind wir ehrlich und sagen wir aufgerundet: 50.000€. Sprich 100.000 ehemalige DM. Einhunderttausend. Sechsstellig.

Einfach so. Ist doch großzügig. (holt Zeitungsabschnitt raus) Hier: „Studie: Großzügigkeit genetisch bedingt.“ Die Großzügigen haben so ein Gen AVPR1 in sich, die anderen eben nicht. Vielleicht ist das ja dasselbe Gen, das macht, daß die einen es tun, die anderen nicht. Wahrscheinlich. Eins ist sicher. 95% Prozent aller Biere, die mir jemals ausgeben wurden, habe ich von? Na? Brauch jetzt nicht weiterzureden. Ist so.

Ich kenne jetzt die Steuersätze für Kamillentee, Tofu, Kanne Brottrunk oder so nicht wirklich. Jedenfalls baust du damit keinen Kindergarten. Und ich bin ja nicht allein. Auch wenn es jetzt grade mal so aussieht. Ich und alle meine Genossen: 14,4 Milliarden € im Jahr. Damit bauen wir die Straßen, auf denen wir dann von Red Bull saufenden, kaugummikauenden, adrenalinsüchtigen BMW – Piloten über den Haufen gefahren werden. Gell ihr Hansis. Ihr könnt Euch bestenfalls noch einen Papierkorb in der Fußgängerzone leisten. Aber ohne Aschenbecher. Das wäre nämlich zu teuer. Gefährdet zudem die „Frische Luft“ in der Fußgängerzone, der Konsumerlebniszone, der „Find-was-Dich-glücklich-macht-Eventmeile“. Das ist total gesund. Shoppen von Montag bis Samstag, jeden zweiten Sonntag und am Freitag bis Mitternacht. Moonlightshopping. In frischer Luft. Scheint auch schon zu wirken. Jugendliche tun es immer weniger. Gut, die laden sich Pornos und Foltervideos aufs Handy, verprügeln ihre Lehrer. Machen Wahlkampf für Koch. Aber schädlich einatmen, das tun sie weniger als früher. Ich weiß auch warum. Flatrate-Abkippen! Nur ein komatöses Wochenende ist ein gutes Wochenende! Die sind zu blau. Die kriegen die gar nicht mehr angemacht. Ich habe da ja auch im Prinzip nix dagegen. Jedem seine Sucht. Ich bin durchaus für radikale Bekämpfung von Abhängigkeiten auf allen Ebenen. Aber bitte konsequent. Ich habe da so einen kleinen Katalog entwickelt.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Mariengrotte / siehe oben / vielleicht auch Kalymnos / Agia Maria / aber siehe die Gedenktafel

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