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Der schwarze Hund war ein Leben lang mein Begleiter. Wahrscheinlich habe ich in an jenem kalten Februartag im Jahre 1973 geschenkt bekommen. Das ist kein billiger Sarkasmus. Oder ein Rumgespiele mit dem eigenen Schmerz. Es ist tatsächlich ein Geschenk, so wie jede Aufgabe, ob man sie nun bewältigt werden kann oder nicht, ein Geschenk ist. Was und ob man begreift liegt aber in Sachen Schwarzer Hund nicht in der eigenen Hand. Dies erfahre ich in den letzten Tagen und Wochen. Mit Macht. Und Wucht.
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Ich wußte stets, daß der schwarze Hund ein gefährliches Biest ist. Lebensbedrohlich. Doch ich bildete mir ein, die Leine um seinen Hals hielte ich straff in der Hand. Ein kurzer Ruck, ein „Platz, Du Sau!“ würde mich verschonen vor seiner knurrenden Wut. Manchmal nahm ich den Schwarzen Hund mit zur Arbeit, band ihn auf der Probebühne an den Regietisch oder an die Heizung oder im Anschluß an die Aufführung saß er friedlich unter dem Kneipentisch. Ich habe ihn meinen Kollegen vorgestellt, jedoch seine wahre Herkunft und seine Gefährlichkeit gerne verschwiegen. Natürlich habe ich auch mit diesem Tag im Februar vor nun bald fünfzig Jahren kokettiert. Sehet, was ein Mensch – seien wir genau – ein MANN so alles überleben kann. Und daraus etwas destilliert. Für die Arbeit. Für das Private eher nicht. Da halfen die Destillate. Vermeintlich.
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Manchmal ist er verspielt der schwarze Hund. Streicht Dir ums Bein, grinst und fordert Dankbarkeit für das letzte Gedicht oder das letzte Lied – „Ohne mich wärst Du genau so ein Langweiler wie die anderen, mein Freund!“ – und dann bestellt er sich ein Bier. Unter den Tisch. Und Dir fünf. Zahlen mußt natürlich Du. Machst Du gerne. Eine lange, lange Zeit lang. Eines Tages ziehst Du den Geldbeutel aus deiner Tasche und der ist leer. Ebenso wie der Platz unter dem Kneipentisch. Der schwarze Hund hat sich losgerissen. Die Leine baumelt vor sich hin. Verlassen. Dann juckt es Dir am Hals. Du schwitzt. Bekommst kaum mehr Luft. Und der schwarze Hund hat sich um Deinen Nacken gelegt wie eine Stola. Und langsam, ganz langsam beginnt er zuzudrücken. Aber er trägt an dieser Situation keine Schuld. Er ist lediglich da. Erinnere Dich.
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An jenem Februartag begann es mittags heftig zu schneien. Als wolle die Welt etwas verschwinden lassen. Morgens noch war es für die Jahreszeit viel zu warm. Der Schneefall – wir liefen durch den Wald, wir, also die anderen Mitbesitzer des schwarzen Hundes – und die Stille war greifbar, heilsam und brach trotzdem die Herzen. Jahrzehnte noch schaute ich aus den Fenstern meiner Sorgen und sah es schneien. Oder ich wünschte es mir. Gnädiger Schnee, bedecke die Felder und laß diesen Moment der Ruhe wieder einkehren, bitte. Die Spuren, welche der schwarze Hund im Schnee hinterlassen hatte, Tag für Tag und vor allem Nacht für Nacht, ich übersah sie. Wollte ich das? Der schwarze Hund hat mich nie angefallen. Inzwischen habe ich begriffen, daß ich ihn schon viel früher hätte kraulen müssen. Hinter seinen traurigen Ohren. Doch ich hatte Angst. Nicht vor dem schwarzen Hund. Vor mir selbst. Sogar ein geduldiger schwarzer Hund wird irgendwann sauer, wenn man seine Existenz stets leugnet.
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(Gießen, 20. Juli 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
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