„Strike another match, go start a new and it’s all over now, Baby Blue.“ (BD)

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Jeep / Garage / Büdingen / Hessen / 11. Oktober 2024

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War in Nürnberg und habe Bob Dylan geschaut. Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber wohl zum etwa knapp 20ten Mal dem guten, alten Meister die Ehre erwiesen. Am Ende des Konzerts stand das Auditorium. Ich auch, aber aus anderen Gründen. Und eigentlich schon den ganzen Abend lang.

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Die einen schauen Horrorfilme an sich zu gruseln, mir reicht das Wort MEHRZWECKHALLE. Die Frankenhalle ist so ein Multifunktionsteil. Beton. Lüftungsrohre. Quadratisch, praktisch, mau. Bei der Errichtung war gewiß kein Akustiker zugegen. Wird trotzdem gebucht. Aber warum von Dylan?

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Rough and Rowdy Ways, das Album welches die aktuelle Tour betitelt und den Löwenanteil der gespielten Songs enthält, ist im Grunde ein intimes, nachdenkliches Werk. Textgebirge, die zu besteigen sich lohnt, aber Ruhe, Muße und Gleichmaß fordern. In Nürnberg jedoch legt die Band mit einem absurden Geschrammel los, wahrscheinlich notwendig, um eine Art Soundcheck zu simulieren. Man munkelt, daß der kleine Mann, der dem Publikum den Rücken zukehrt, dabei auch seit hundert Jahren wieder mal Gitarre spielt. Es mündet in eine gewagt verspielte Fassung von All along the watchtower. Hätte ich davon irgendwas hören können, ich hätte mich wohl wieder über den ständigen Veränderungswillen des Alten gefreut. Am Schlagzeug sitzt der ehrwürdige Jim Keltner, was ich erst im Nachhinein las, und haut drauf als begleite er einen sehr, sehr frühen Songs der Beatles. Kaum Bässe, nur sich überschlagende Höhen. Dazu kommt, daß etliche Zuhörer entweder nicht wissen, daß Herr Dylan seine Arbeit pünktlich beginnt oder es mangelt einfach an innerer Haltung, und deshalb jene, der Saal ist inzwischen radikal verfinstert, zusammen mit überfordertem, Taschenlampen schwenkenden Einlaßpersonal ihre Sitzplätze suchen. Und dies gerne laut tuschelnd und gar empört. Was erlaube Pünktlichkeit?

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Die ersten vier, fünf Songs sind eine blecherne Kakophonie. Ich stehe auf, hole mir draußen einen Silvaner und steige auf einen der Stehplätze über den Seitenrängen. False Prophet kann ich als ersten Song ein bisserl behören, Black Rider ein bisserl genießen. Aber die Decke echot von oben auf mich herab und die ganze Veranstaltung ist einfach sinnfrei zu laut. Und die Klimaanlage pustet nackenversteifend ihr begleitendes Grundrauschen.

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Bob Dylan und seine Band haben sich auf der Bühne eine Art Thing gebaut. Lampen und Verstärker bilden einen Kreis, in dem sich unsichtbare Schatten bewegen und musizieren. Sie scheinen aber Spaß zu haben. Rechts von der Bühne ein fettes Mischpult, welches wahrscheinlich für den gediegenen Sound im Musikantenzirkel sorgt. Dem Rest da draußen im Finsteren bleibt ein ständiges Knarzen und Rumpeln. Und wenn Dylan in die Harp pustet, dröhnt in den Ohren ein Fliegeralarm. (Lieber Joe! Jetzt weiß ich, was Du manchmal gemeint hast, wenn wir probten!) Früher sang Dylan von den Dystopien. Letzten Montag schien mir, daß die Auftritte von Dylan inzwischen zu einer Art Dystopie mutieren. Masked and Anonymous.

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Nach einer langen Weile setze ich mich ins Foyer. Noch ein Sylvaner. Laut genug war es, um draußen vor der Tür alles mitzukriegen. Und ich nahm den kleinen Abschied zu mir. Wenn schon, denn schon. Good bye, Jimmy …? Every day is the same thing, out the door, feel further away than ever before? Hä? Das lockte mich wieder ins Haus. Das gute alte Ratespiel.  Die Band spielt im Prinzip Highlands und der Sänger singt dazu Good bye, Jimmy Reed. Der Mann am Mischpult hat den Master runtergezogen. Dylan steht auf und trippelt, gebeugt, leicht schwankend nach vorne, stützt sich immer wieder mit der freien Hand auf dem Flügel ab, singt gesenkten Hauptes und schaukelt wie ein angeschossenes Reh wieder zurück zu seinen Tasten. Ein Charlie Chaplin des anderen Blues. Goodbye Bobby Dylan and everything within ya. Can’t you hear me calling from down in Frankonia?

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Hundertzwanzig habe ich für die Veranstaltung gezahlt. Das ist mit den Ticketpreisen anderer alter und rastloser Männer verglichen schon richtig preiswert. Die letzten Minuten waren mindestens 80 Mäuse wert. Wenn nicht mehr. Every Grain of Sand. Er schafft es immer wieder mich zu packen. Trotzdem: ab jetzt nur noch seine ehrwürdigen Scheiben an Orten, wo ich selbst entscheiden kann wie laut, wie hell, wie dunkel. Und leiser.

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Wo wir von den Abschieden schreiben. Unlängst gab es eine Anfrage für DieDylanTanten. Irgendwann nächstes Jahr. Ich habe mich auch da jetzt verabschiedet. Irgendwann iss immer gut. Und dann braucht auch keiner mehr schreiben, daß wenn Lugerth Dylan singt, Dylan gar nicht mehr nach Gießen zu kommen braucht. Mir war ein solches Echo auf gelegentliche Auftritte meist nur peinlich. Wobei? Vielleicht mal ein Dylansoloabend? Ganz zurückspulen auf seine Anfänge? Tarantula und die Sandkörner?

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Auf der Hinfahrt nach Nürnberg las ich im Zug die TAZ. Die Platte habe ich mir gekauft. After Zimmermann. Hat sich gelohnt. Ein Hoch auf die Jugend. Zum Glück ist sie vorbei. War sehr schön. In Nürnberg. Und auch sonst.

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PS: Während ich hier bei offenen Fenster rumtippe – draußen etwas absurde 21 Grad Celsius – fliegen seit ein / zwei Stunden hunderte Kraniche über mich hinweg. Wo sind sie nun zu Hause? In den nordischen Sommern? Im anvisierten südlichen Winter? Oder wenn dann unterwegs? Da oben?

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