Are you in the garden of eden or alone?

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Konstanzer Trichter / „Schmugglerbucht“ / Irgendwann zwischen Herbst 1978 und Winter 2024

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Wer am längsten auf der Tanzfläche bleibt! / Bist du froh und zufrieden?

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Douglas Lloyd „Doug“ Ingle ist verstorben. Da fallen die Erinnerungen aus dem Herzen wie der Regen dieser Tage aus dem Maienhimmel. Viel mehr als nur In A Gadda Da Vida. Jedoch, wer diesen Song, gerne unter Zuhilfenahme rezeptfreier Dopingmittel, die kompletten 17 Minuten auf der Tanzfläche durchhielt, gehörte zu den Geweihten. In der damaligen „Katakombe“ (kurz d‘ Kombe) gelang mir dies das eine oder andere Mal. Ausdruckstanz würde man es heutzutage nennen. Ein Mitglied der schlagenden Jungrocker, die das Tanzlokal einst beehrten, um die „Hippies“ und „Terrorischte“ ein bisserl zu erschrecken, sagte mal zu mir, ob jetzt ernst gemeint oder nicht, wieso ich nicht gleich zum Theater ginge. Habe ich ja dann gemacht. Das dauerte zwar entschieden länger als 17 Minuten, fühlte sich aber oft genau so an, wie in diesen unendlichen Minuten nach dem Drumsolo, welches wir alle auswendig buchstabieren konnten. Am End‘ war man fix und foxi.

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Das immer von großem Drama erfüllte Timbre von Doug Ingles Gesang berührte mich ab dem ersten Hören. Wie man heute so sagt: Gänsehaut. Heute noch. Vor allem wenn er vom anderen Geschlecht sang. Oder mich mit einem meiner Lieblingssongs unvermittelt anbrüllte und mich fragte, ob ich glücklich sei. Was sollte ich da antworten? Beschwerdefrei glücklich war ich nie in meinem Leben. Der geerbte Schwarze Hund lief stets neben mir kläffend. Wenn es mir besser ging, vielleicht ein paar Meter hinter mir. Schwanzwedelnd wie ein folgsamer Gatte. Es dauert Jahre, Jahrzehnte bis ich den Gefährten als Schwarzen Hund erkannte. Glück ist vielleicht die Abwesenheit von Insomnia und Schulden. Wenn ich mich glücklich gab, war ich meist zu laut, zu überdreht, zu bedröhnt, viel zu selbstbesoffen.

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1978 in Freiburg schrie das Glück nur so aus mir raus. Ich hatte eine junge, sehr junge Frau kennengelernt. Ich 21, sie 16 und schon in den Armen des Teufels H durch das Leben tanzend. Nie wieder hat mich eine „Frau“ dermaßen in der Gegend rumgeschickt. Besorg das. Färb dir die Haare. Sing nicht so. Nachts strolchte ich vor Aufregung zitternd durch Freiburg. Klaute für sie Rosen aus Vorgärten, einen Bierkasten aus dem Supermarkt, ein Fahrrad und Zigaretten überall. Und in meinen Kopf in Dauerschleife ein euphorisches Lied. Tage später schmiß ich auf ihren Wunsch Mister H ins Clo, spülte ihn runter. Wir trampten nach Amsterdam. Paris. Sie hielt den Daumen hoch. Ich mußte ins Gebüsch. Die Autos hielten ohne groß zu überlegen und sie redete mich auf den Beifahrersitz und uns so durch Deutschland, Osnabrück, Holland, Frankreich. Immer wenn es dir schlecht geht, sagte sie noch in Amsterdam, singst du vor dich hin. Sie hatte recht.

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Wieder in Freiburg, ich hatte alten Konschtanzer Freunden versprochen zu dritt nach Marokko zu hitchhiken, räumte ich etwas überhastet den Platz an ihrer Seite. Mister H freute sich nach mehrwöchiger Abwesenheit und übernahm wieder das Regiment. Ich hatte die Reiseroute geplant und ihr die Postämter einiger Halteorte aufgeschrieben. Dort könne sie im Notfall Briefe hinsenden. Poste restante. Obwohl wir auf dem Hinweg sehr langsam vorankamen, keine Post auf Nachfrage in den vereinbarten Postämtern. Es war eine seltsame Reise. Eine eigene Geschichte wert. Zurück in Freiburg. Alles klebrig. Bitter. Hast du keine Post gekriegt? Nein. Arschloch! Aber ich hab‘ doch. Fass mich nicht an. Sing mir ein Lied. Und dann fuhren wir beide ganz weit weg. Sie mit dem Teufel nach Berlin und wurde ein Stück des Berliner Untergrunds. Ich brach mein Studium der Literatur und Politik ab, ich war extra wegen uns von Konstanz nach Freiburg gewechselt, und ging wenig später auf die Schauspielschule. Erst in den USA und dann in Köln.

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Ich war dabei meine Sachen zu packen, da rief mich ein guter Freund an, bei dem ich zeitweise gemeldet war in Freiburg, er habe einen Packen Briefe entgegengenommen für mich. Briefe. Briefe die zurückgesandt. Aus Avignon. Barcelona. Malaga. Algeciras. Tanger. Marrakesch. Hilfeschreie. Malende Tintenfüllerschrift. Riesige violette Buchstabenkringel. Und nach Monaten noch waren die Reste des unvermeidlich heftigen Patschulis zu riechen, mit dem die Briefe besprüht wurden. Blieb die Luftspiegelung.

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Alle paar Jahre haben wir mal miteinander telefoniert. Aus heiterem oder düsterem Himmel. Sie sang mir ihre neuesten Lieder in den Hörer. Hielt mir – clean – inzwischen Vorträge über Nüchternheit und daß der Alkohol auch ein mieser Teufel. Fast hätte ich meine Kölner Schauspielausbildung abgebrochen und wäre gen Berlin gepilgert. Später wurde sie eine Zen-Nonne und ihr Leben ward in Teilen verfilmt. Da war ich dann schon in Gießen. Mittelhessen war nie das gewesen, was ich wollte. Aber es ist auch gut so. Geworden. Sehr sogar. Gelegentlich. Auch die nächsten langen 17 Minuten. Durchhaltern und sich dabei freuen. Lebt sie noch? Altersfragen.

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Nach dem Aufstieg ist vor dem Abstieg

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Nach einem Gewitter nahe der Landungsbrücken zu Hamburg / September 2021

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Natürlich habe ich mich gefreut, daß erst Kiel und dann Pauli aufgestiegen sind. Das Hoch im Norden, wie man so rumboulevardt. Und der HSV? Keine Schadenfreude. Unten ein alter sehr sentimentaler Text in Sachen Abstieg.

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Gespräch zweier Mondknoten an einem vielleicht sogar warmen Tag in Hamburg

oder

Es lebe die Unendlichkeit, die mal lebte

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Jahre später saßen sich beide wieder gegenüber. In jenem Café von einst.

Sie, kaum gealtert, lebte allein mit einer neuen Katze in ihrer alten Wohnung.

Er ging am Stock. Das Leben ist nun mal Abnutzung.

„Meinst Du nicht, daß man die Fenster mal wieder putzen sollte?“, fragte er sein Gegenüber.

„Damit die wieder eingetreten werden. Nee! Es lohnt sich nicht!“, antwortete sie und goß sich ein Glas Sekt ein.

Er nippte an seinem Yogatee mit Hafermilch. „Ich könnte Dir auch nicht mehr helfen. Die Hüfte. Du weißt ja!“

„Bist Du alleine?“ Sie brauchte etwas länger, dies zu fragen.

„Ja. Seit wir das letzte Mal die Fenster putzten!“ Sein Kopf nickte vor sich hin. Wackeldackel. „Ja. Seitdem bin ich alleine.“

„Aber ich dachte, also ihr wohnt doch noch zusammen, also dachte ich.“

„Du hast mich gefragt, ob ich alleine bin und nicht wie ich wohne!“

Vor dem Fenster des Cafés zog ein Schar Pauli–Anhänger vorbei. Trauriger Haufen. St Pauli war nach zwei Spielzeiten wieder aus der Liga abgestiegen.

„Und Du? Also?“, fragte er dann. Er brauchte sehr lange dafür. Sie nutzte die Zeit einen zweiten Sekt zu öffnen.

„Na ja. Verheiratet. Zwei Kinder!“

„Du?“

„Hallo! Tu nicht so als seist Du blöde!“

„Kannst Du mir bitte einen Pastis machen?“

„Hattest Du nicht gesagt, Du trinkst nicht mehr?“

„Eigentlich schon, aber wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt darin um!“

Ach ja, sie war inzwischen Besitzerin des Cafés und hatte sich von ihrem eigentlichen Beruf abgewandt. Und er war – schwer fällt es mir dieses Wort in die Tastatur zu klopfen – er war inzwischen Rentner und arbeitete gelegentlich in einem Bioladen und verkaufte sein selbst angebautes Gemüse.

Als sie ihm den Pastis servierte mit der Bemerkung „Aber ich will nicht daran schuld gewesen sein! Gelle, mon ami!“, da schmunzelte er.

„Ja so kenn ich Dich. Merci Cherie!“

„Fuck off!“

„Und ich dachte schon Du willst nichts mehr mit mir zu tun haben!“

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(Im Norden / Januar 2022)

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„Grandola, braungebrannte Stadt, Heimat der Brüderlichkeit!“ (Das Lied der Nelkenrevolution in Portugal / 1974)

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Lisboa / Largo di Carmo / Foto vom Foto / Installation 40 Jahre Nelkenrevolution / 15. Juni 2014

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Die Wucht der Jubiläen. Seit Jahresbeginn geistert das Jahr 1974 intensiv in der Gegend rum. 50 Jahre sind vorbei gerauscht. Der erste Golf. Drecksack Günter Guillaume. Willy Brandt gibt auf. Hölzenbein fällt. Stirbt fast schon kitschig fünfzig Jahre später. Ein Landschulheim in Meransen. Meine ersten Finger in fremder Mimi. Gerd Müllers Drehschuss. Kippen drehen lernen. Mit afghanischer oder tunesischer Füllung. Wir lassen uns die Heilkräuter vom Bodensee nach Südtirol liefern. Gegen die DDR verliert man dann. Und die wurde auch noch eben anerkannt durch die Blume. Helsinki. Unser Klassendealer rastet aus. Die Nachwirkungen des Vorjahres, die Ölkrise und der selbstgewollte Abgang meines Vaters mildern sich ab und machen Platz einer Art von Aufbruch. Aufbrechen. Die Nelkenrevolution. Rumble in the Jungle. Der erste nächtliche Boxkampf in der Glotze ohne den Vater. Zypern wird geteilt. Als verantwortlicher Redakteur unserer Schülerzeitung stehe ich kurz vor dem Schulverweis. Schließe mich der Schülergruppe des KBW an. Solschenizyn fährt in die Eifel und findet Asyl bei Heinrich Böll. Wir lesen vom unendlichen Tag im Leben des I. D. im Deutschunterricht. Ich halte weiterhin eine rote Diktatur für eine Form der Befreiung. Helmut Schmidt hält dagegen. Aber in Portugal wird doch so schön gesungen. Mein Mofa ist aus Frankreich. Ab und an sitzt auf dem Lenker oder auf dem Gepäckträger eine verzückende Blondine. Klosterschülerin und Tochter eines Grundschuldirektors. Die nächste Katastrophe naht. Die Amis verlassen Vietnam. Nachdem ich mir von Mutter 100 Mark erbettelt habe, fahre ich mit zwei Freunden nach Amsterdam. Es regnet zu oft und wir liegen im Vondelpark durchnässt unter alten Bäumen. Die Niederländer, frisch entmüllert, finden uns nicht sympathisch. Wir reißen aber auch zu gerne das Maul auf. Die Dealer vor Ort lachen uns Flaumbärtige aus. Damals schon nach zwei Amstel blau. Die Musik wird immer schlimmer. Sugar Baby Love. Selbst meine Mutter wagt sich inzwischen auf die Tanzfläche. Jack Nicholson wird in Chinatown die Nase aufgeschlitzt. Wir sitzen im Kino und lachen uns tot, wenn im Großen Fressen das Scheißhaus explodiert. Der Club of Rome veröffentlicht damals schon seine Warnung. Alles frisst auf mein Kommando. Ich lese ein erstes Mal Kerouacs „On the road“. Bob Dylan geht wieder auf Tour. Man munkelt in den Kneipen, dass es nun ernst werden würde mit unser aller Leben. Als ob es dies nicht schon längst gewesen wäre. Jedoch auch eine große Hoffnung, welche ich zwischen den Fingerspitzen hin und her rieb wie ein Komboloi, tanzte leise Sirtaki. Die Zukunft vielleicht ein Schmirgelpapier.  Nicht wissend was unten und was oben. Was bleiben wird, wird später mal. Viel weiter heute ich? Eher kaum. Sehnsucht und Selbstironie zumindest leben noch. Darauf einen Dujardin.

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sieben mal wirst du die asche sein, aber einmal auch der helle schein. (karat)

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Vor der Fallmühle (sic!) / Bei Pfronten (Allgäu) / 14. Juni 2022

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Unter dem Kreuz des Wartens

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Als des Esel Ballack gestrecktes Bein

Unterhachingang bringend

Den Kurvendoofen neues Liedgut schlechter

Servierte nur noch

Toppgemüllert zwei Jahre später

Zwei hoch mal drei

Nie nie nie der Brasilianer auf den Knien schrie

In einen bayrischen Samstagnachmittag hinein

Und der Dicke

Heute mal nicht so calmundig

Weinte wie ein Kind

Da half kein Aspirin mehr

Und auch keine Verklappung der ewigen Niederlagen

In den Tiefen der Fortsee

Nur ein Warten auf Godot

Besingen noch geduldigst

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Gestern dann war er aufgetaucht

Als hätte er einen Plan gehabt

Der Junge

Als Esel gescheiter

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(ich habe mich aufrichtig gefreut gestern / der vernünftige schiedsrichter, der rechtzeitig, fast schon rheinisch, der freude, in dem er abpfiff, ihren raum ließ / dieser wirtz und wenn der früher von mir verehrte fc kölle su’nem jong kein perspektiv bieten kann: wat willste maache? / leverkusen meerbusen hängen em rään, loss mich jetz erus he söns hann ich dich noch jään / sang der jächt / kann gar nicht zählen wie oft ich nachts im zug auf der rückkehr gen kölle nach proben oder vorstellungen in essen, düsseldorf, münster, duisburg am leuchtenden bayer-kreuz vorbeirollte / leverkusen alaaf / alter stern mal neu)

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Wo ist die Zeit? / Antio ’23 / Yassu ’24

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We drove that car as far as we could

Abandoned it out west

Split up on a dark, sad night

Both agreeing it was best

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Wir haben die alte Kiste, soweit sie mitmachte und wir noch konnten, gefahren. Irgendwo, wir waren unterwegs gen Westen, haben wir sie abgestellt. Trennten uns. Falls ich mich erinnere, war es eine verregnete Nacht. Wir dachten beide, besser wäre das. Singt Bob Dylan.

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Mal wieder ein Jahr perdu. Oben mein liebstes Erinnerungsfoto an eines der besseren, gar guten Jahre. Eine alte Kiste, der ich begegnete am Rande des Fischerhafens von Argostoli auf Kefalonia im letzten Juni. Wenn man sie über den TÜV brächte, sie würde mir vollkommen ausreichen, diese Kiste. Für die restlichen (etlichen) Meilen. Was brauche ich mehr? Meine mich zu erinnern, falls das tatsächlich ein Datsun ist, der sich da in der Garage ausruhte, daß mein alter Freund H und ich im Jahre 1979 so eine Kiste von NY nach Oakland überführten. Rot war jene Kiste auf alle Fälle.

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Ein neues Jahr liegt auf der anderen Seite der Fußmatte vor der Türe und mancher nimmt sich was vor. Versteigt sich gar zu Versprechungen. Besser nicht. Man scheinheiligt schneller als man eh schon sich bescheiden durch die Zeitläufte zu denken meinte. Die alte Kiste Leben ist ramponiert. So oder so. Gott sei Dank. Aber sie läuft noch. Und klappert fröhlich vor sich hin.

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Geht der alte weiße Mann zum Onkel Doktor. „Ich hab‘ da was Komisches, was weh tut. Woher kommt das?“ Antwort: „Schau’n Sie mal in Ihren Ausweis nach. Unter Geburtsdatum.“

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Nach jeder Delle zum Klempner rennen oder sich eine neu polierte Kiste kaufen, würgt nicht nur Mutter Erde, sondern auch die eigene Fähigkeit sich halbwegs brauchbar zu erinnern. Ohne ein bisserl Beulenschmerz: Stillstand. Vor der anderen Kiste. Der Ewiglichen.

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Und wenn die gute alte Kiste Leben lieber in der Garage bleiben will? Wie käme ich dazu ihr Anweisungen zu geben? Unten dann das Boot auf dem ich nächstes Jahr über die Weltmeere schippern werde. Frag nach bei Odysseus, ob das gehen wird. Ich glaube fest daran. Irgendein gewogener Wind weht immer. Glück auf und stets zwei Fuß Wasser unter dem Kiel. Auch an Land.

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Mitnehmen kann man eh nix. Wie der Autor meines Lieblingsbuches des ausgehenden Jahres einst sang. Oder soll man sagen tanzte? Zitat der vielleicht nicht wahren aber wahrhaftigen Tourschlampe Doris: „Die Überzeugung, daß unser Dasein, bei allem Sinn für Arbeit und Rechtschaffenheit, ohne gelegentliche Exzesse eine trostlose Veranstaltung ist.“

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Wo ist die Zeit? / Countdown JFK Zero

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Gießen / Auf der Hardt / © Angela Haas / Mitte November 2023

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Wir werden einen Mann auf den Mond schicken. So Kennedys Versprechen an die Zukunft. Die Sowjets hatten eben noch Rüdin Laika und dann sogar den ewigen Juri Gagarin einmal um unseren Globus geflogen. Kann gar nicht mehr zählen wie viele DDR – Briefmarken mit des Kosmonauten Konterfei ich von meinen Onkels drüben geschickt bekommen habe.

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Lese dieser Tage ein kleines Büchlein. Gegenspieler. Kennedy versus Chruschtschow. Als die Kriege noch kälter waren. Kubakrise hin oder her. Das waren ja, verglichen mit heute, fast schon kuschelige Zeiten. Vergossenes Blut und verschossenes Blei gewinnen im Rückblick eine fast schon romantische Anmutung. Man verwechselt Italowestern mit Historie.

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Ein paar Jahre später: „Zero! We have a liftoff. Oh Boy, it looks great!“ War natürlich ein einziger Beschiß diese Mondlandung. Hä? Weißmann doch als Rotgesicht. Wie Covid. Oder Lee Oswald. Jack Ruby? Wie die magischen Kugeln, die sowohl Kennedy als auch andere in diesem Cabriolet in Dallas durchschossen. Klar wie die legendäre Kloßbrühe! Was war das eigentlich? Gibt es die heute noch? Klarheit? Verschwören wir uns gegen die Vernunft.

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Las eben ein hübsches Interview mit Peter Sloterdijk im STERN. Eitel ist er halt, wer ist das nicht, aber er denkt wirklich quer und kreuz. Über unsere deutschen Weltrettungsanmaßungen. Die germanischen Moralschubladen, in denen nur alte, ziemlich löchrige Kondome rumliegen. Vom altvorderen Wohlstand und den daraus abgeleiteten Selbstermächtigungen. Der kostenfreien Gastfreundschaft jenseits des eigenen Wohnzimmers und der nicht aussterbend wollenden Arrogancia tedesca. Die wo holpert nun dieser Tage – I werd Narrisch! – gemüdet auf etlichen Spielfeldern herum. Und, selbst selbstredend überheblich, über viele Überheblichkeiten der Nebenschauplatzkrieger. Grund zu lachen. In mich rein. Überheblich natürlich. Was man so macht im Cafe, um sich nicht selbst zu Tode zu langweilen an sich selber. Schön vor allem der Schluß des Interviews. Auf die Frage, welchen Titel er einer eventuellen Autobiographie geben würde, antwortete Sloterdijk mit: „Gebrauchte Hindernisse!“. Er hatte eine Pferdesportmesse besucht und dort konnte man gebrauchte Hindernisse kaufen. Das Leben sei eben kein Flachrennen. Ich bin entzückt. Besser kann ich mich nicht in die nächste Tastaturpause verabschieden. Gebrauchte Hindernisse wird man immer benutzen. Kann man posthum noch so eine Art Lebensaufgabe oder ein Lebensaufgeben daraus basteln. Stets auf der richtigen Seite steh’n wollen! Müssen? Traurig, aber meistens Wahn.

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Die neueste Bootleg – Series vom Meister ist, wie immer, hörenswert. Unten ein Blues über Verluste. Die Schönsten ihrer Gattung. Vielleicht was für die Tanten. Unsere Parzelle – siehe oben – ist abgeräumt. Ein kleines Fähnlein flattert noch rum und trotzt den Winden. Bis ins nächste Jahr!

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Wo ist die Zeit? / Countdown JFK One

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Jetzt wird es schwierig mit dem Erinnern. Läuft wahrscheinlich auf eine Behauptung hinaus. Aber ein paar Teile könnten oder sollten dann doch so geschehen. John Fitzgerald Kennedy wurde erschossen vor 60 Jahren. Mittags. Also bei uns am Bodensee spät abends. Am nächsten Morgen – mein Vater hörte das Radio in der Frühe – die Nachricht. Vielleicht Schulbrot eingepackt und Ranzen auf den Rücken und los. In der Straße parallel über unserer Straße – wir die Werkssiedlung in der Bücklestrasse (sic!) – die neuangelegte Straße mit den Neubauten. Da wohnten die, wo ein bisserl mehr Geld. Oder bei Telefunken arbeiteten. Mein Klassenkamerad Ulli wohnte dort. In der Moosstraße (sic!). Den holte ich öfters mal ab. Die hatten eine Badewanne. Und er eine Märklineisenbahn. Fette Anlage. Papa war Ingeniör. Ulli sah im Prinzip aus wie Dicki Hoppenstedt. Mein Kampfname auf dem Schulhof war Spargeltarzan. Tut nichts zur Sache, aber ist schmückendes Beiwerk. Pat und Patachon. Also klingelte ich wie gehabt scheu. „Komm der Ulli runter?“ Keine zwei Schritte gelaufen, wir im Gleichklang: „Die haben den Kennedy erschossen!“ Wir waren grade mal 7 Jahre alt, an Ostern des Jahres eingeschult und hatten doch, das erinnere ich, so ein Gefühl von: Die Welt dreht sich mal eben in eine andere und falsche Richtung. Das hatten wir wohl gerochen. So wie die Großen sprachen mit gesenkter Stimme den ganzen Tag über. Und jetzt hoffe ich nicht, daß meine Erinnerung mich komplett bescheißt, aber es war ein seltsam warmer Tag. Ein Novembertag am Bodensee, der fast schon nach kurzen Hosen roch. Das sind die Bilder, die noch über sind.

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Natürlich noch das Berliner Zitat, welches meinen Vater, wie viele seiner Generation, beeindruckte und dieses Bonmot, vom Land, das man nicht fragen solle, was es für einen leiste, sondern man selbst könne auch mal schauen und so. Bei meinem Vater, Erinnerung bitte sei gnädig, klang das natürlich immer so, als suche er eine Rechtfertigung für seine traurige Laufbahn als junger Soldat in Diensten des Dritten Reiches. Ich weiß es nicht und werde es auch nicht schlaumeiernd wissen wollen. Für die Beantwortung von Schuldfragen stehe ich nicht zur Verfügung.

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Ein paar Tage später mit meiner Mutter beim Frisör. Also meine Mutter beim Frisör. Ecke Wollmatingerstrasse, Ecke Taborweg. Oder Ecke Enzianweg? Weiß nicht mehr, warum sie mich da immer mitschleifte, aber es war so. Während sie unter der Trockenhaube, habe ich in die QUICK geschaut. Ein Fotostrecke. Jack Ruby erschießt Lee Oswald in den Gängen eines Knastes oder so. In Schwarzweiß. Ich erinnere mich noch recht genau an dieses in der Luft vibrierende Empörungsgefühl. Wer hat geschossen? Warum, wie kommt der da rein? Ist das alles wahr oder was auch immer?

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Vor ein paar Jahren hat Bob Dylan davon gesungen. Sein mit Abstand längster Song. Erinnerungen. Oder eher Einordnungen. Sich sortieren.

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Wo ist die Zeit? / Countdown JFK Two / Oder wenn die alte Stimme spricht

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Paul Celan hat dieses Gedicht übersetzt, nachgedichtet, von dem ich nur die letzte Strophe kannte, diese letztlich verwurstet als einen vielseitig interpretierbaren und / oder einsetzbaren simplen Merksatz. Oder eben Selbstvergewisserung in den dunkleren Stunden, von denen etliche in den letzten Jahren. Fand ich neulich in der FAZ. Lesenswert. Reim und Artikel.

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Wes diese Wälder sind, das weiß ich recht genau.

Allein im Dorf erst, drüben, steht sein Haus.

Der Schnee füllt ihm den Wald – steh ich und schau,

dann sieht er mich nicht, macht er mich nicht aus.

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Mein kleiner Gaul, der findets wohl verquer:

kein Haus, kein Hof – und dahier hält sein Herr;

ein Teich, gefroren, und nur Wälder um uns her;

der Abend heut – im ganzen Jahr kein finsterer.

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Das Zaumzeug schüttelt er – die Schelle spricht:

Ist das ein Mißverständnis – oder nicht?

Ich lausch und horch – ich hör sonst nichts;

doch, dies noch: leichten Wind, die Flocken, erdwärts, dicht.

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Anheimelnd, dunkel, tief die Wälder, die ich traf.

Doch noch nicht eingelöst, was ich versprach.

Und Meilen, Meilen noch vorm Schlaf.

Und Meilen Wegs noch bis zum Schlaf.

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(Aus dem Amerikanischen von Paul Celan)

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Robert Frost spricht von „der alten Stimme“, welche ihm das Gedicht eigentlich diktierte. Ich – obwohl bei weitem kein Poet – meine sie zu kennen. Ich versuche nicht nachzudenken. Las die Finger machen. Keine Zensur. Keine Selbstzensur. So wenig Korrekturen als möglich. Innerer Monolog. Fehler mitnehmen. Peinlichkeiten. Aus dem Moment heraus. Siehe unten Meister Dylan. Am nächsten Tag stehe ich vielleicht wie der Ochs vor’m Berg vor dem Erguß. Belebend sind die Zweifel. Und niemals ist eingelöst, was ich versprach. Nur wem? Rauf auf den Wachturm. Zwei Reiter in ferner Ferne. Nähern sich. Wissen sie Bescheid? Oder die Wildkatze.

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