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Texte. Vergessen, wiedergefunden, wiedergekäut. Neues aber auch. Autor: Christian Lugerth
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Erinnerungskrümel in Sachen Einheit
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Stand nicht schon in der Heiligen Schrift: „Ein jeder öffne des anderen Bier!“? Doch heute benutzt man den 17er-Schlüssel meist nur ums Getränk vor der eigenen Nase verzehrfertig zu öffnen. Und rechts wie links von sich? „Das ist nicht mein Bier!“
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Gestern feierte das offizielle Land 35 Jahre Vereinheitlichung. Im Westen. Ganz am Rande. Ohne einen Vertreter des Ostens. Dafür kamen Monsieur „Mark/Krone“ und Jörg Pilawa vorbei. War die Mauer am Ende gar ein die Brüder und Schwestern eher verbindendes Element?
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Unlängst als ich ein Cafe hier vor Ort – das Traditionscafe!!! – verließ, schnappte ich auf, wie ein älterer gutsituierter Herr zum anderen gutsituiertem Herrn – es roch nach Oberstudienräten oder Rechtsanwälten in Rente – sagte: „Also das muß man doch mal sagen. Die jetzige Situation besteht doch erst, seitdem wir das ganze Geld da drüben hinschicken.“ „So isses doch!“ War die Antwort. Wie sprach mein Vater immer? „Der Teufel scheißt stets auf den größten Haufen!“ Wobei die Haufen dies für selbstverständlich halten oder ihr Anwachsen gar nicht bemerken. Werde die zwei armen Kaffeehausrentner fortan in meine allabendlichen Fürbitten einschließen.
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Ich habe am gestrigen Erinnerungstag dem „Lern- und Erinnerungsort“ Meisenbornweg einen ersten Besuch abgestattet. War dabei einer der eher jüngeren Besucher. Sic! Gut gemacht das Ganze. Fand ich. Ein Ort um die Fähigkeit sich zu erinnern, im Guten wie im Schlechten, nicht komplett und auf Dauer zu verlernen.
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Stadttheater Gießen im Jahr vor der Pandemie. Eine Hauptprobe meines Gundermannprojektes. Die damalige Intendantin – Schweizerin – kritzelt, mit hängenden Mundwinkeln und schräg gelegtem Haupt zuschauend, einen halben Notizblock voll. Zum Gespräch über das Monierte kam es nicht. Oder fehlte – Vermutung – schlichtweg jegliches Wissen / Interesse / der passende Flaschenöffner? Ich hatte damals vorgeschlagen den noch leerstehenden Meisenbornweg als Spielstätte zu nutzen. Die Gesichter gegenüber sprachen daraufhin ein großes „HÄ?“.
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Die Verträge waren früh und schnell gemacht. War es wirklich die einzige Chance diese Eile damals? Spät ist gerne mal schlau. Jedoch das Rütteln an Bäumen, deren Früchte noch nicht reif, und die Unfähigkeit auf das gereifte Fallen zu warten, war noch nie gescheit. Vor allem, wenn man an den Bäumen der Anderen rüttelt. Siehe der „große Haufen“!
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer gern mit bloßem Tand sich schmückt, der ist von Fürstenhold entzückt. Doch alle Ehren sind umsunst, genießt er nicht des Volkes Gunst!“
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PS: Im Dezember wird – endlich – meine mich ordentlich ärgernde Hüfte ersetzt. Weihnachten und Sylvester verbringe ich dann mit dem Pflegepersonal in der Reha. Bis nächstes Jahr dann. Wieder hier. Vielleicht!
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Vor etwa einem Jahr kaufte ich mir die Gesammelten Gedichte von Thomas Brasch. „Die nennen das Schrei“. Ein Backstein von Buch. Mit Anhängen über 1000 Seiten. Davon weit mehr als die Hälfte Gedichte aus dem Nachlaß. Ein Nachttischwerk und immer gern Begleiter. Drei Beispiele. Danke Suhrkamp.
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WO SCHLAGT IHR EURE ZELTE AUF
sagt, wo
wo begrabt ihr euer Herz,
und hört ihr –
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Die leisen Wellen
ich höre sie nicht
die schönen Träume
ich träume sie nicht
gekettet an Qual der Gedanken
allein mit dem Schlagen des Herzens
bin ich
Und wo sind die Wellen,
die schlagen für mich
an einsame Ufer
wo sind meine Träume
die ziellos erwärmen
die kühlen und klagenden Lieder.
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Gegangen das alles,
verstorben die Winde,
geblieben ein Zelt,
allein und zerstört,
im Winde gebrochen
und stumm ist die Welt.
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LIED
Gibt es ein Lied,
das alle singen können,
das alle hier befriedigt,
Es müßt‘ ein Lied sein
Sauber und auch schmutzig
In hohen und in tiefen Tönen
Gemischt aus Dur und Moll
Mal lustig und mal traurig,
vielleicht auch manchmal beides gleich.
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Es müßt‘ in Höhen schwingen können
So unbeschwert wie Drachen,
die im Herbst
voll Freude
die Sonne hier verdunkeln.
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Doch müßt‘ es auch die Tiefen suchen
Die ich am Abend spür‘
Und müßte plätschern wie der Fluß
Und rauschen wie das Meer.
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Glaubt ihr,
es gibt solch Lied,
das alle aus dem Herzen
ohne rot zu werden
einer Lüge
singen können.
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Und wer das Lied kennt,
sag‘ es mir,
denn ich hab es
bis heute
nicht gefunden.
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DIE AUGEN DER ANDEREN SEHEN MICH
Meine Augen sehen die anderen
Ich sehe mich nicht.
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Für ihn bin ich der Arrogante
für den der manchmal Amüsante
für sie bin ich Gewicht, das rhytmisch zuckt
für ihn der Mann, der gegen alles muckt
was bin Ich?
Im Spiegel sieht mich einer an
Zwei Augen, Nase, Mund
Die Beine seh ich, Arme auch
Die Schultern manchmal und den Bauch
Doch was ist das, was Feuer haßt
Und was ist das, was diese liebt?
Was ist es denn, was sie loben?
Sind es Gedanken, die den Kopf durchzucken
Durch meinen Mund sie an der Seele jucken?
Was sie da hören, bin nicht ich,
kein Satz zeigt doch das Chaos der Gedanken
nichts, was ich zeige, zeigt Ideen, die Stimmungen durchranken
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In ihren Augen bin ich nicht.
Ich bin nicht, was der eine haßt
Und bin nicht, was sie sagt im Bett
Ich bin nicht mutig, klug und nett
Ich bin nicht dort in ihren Köpfen
Ich bin in mir allein
Die Augen, die nach innen sehen, sind leer
Wo bin ich nur, wo, was und wer?
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Tja. Die nicht endenwollende, selten von Findeerfolgen begleitete, Suche. Auf der Flucht vor der unerträglich kurzatmig stupiden Unwirtlichkeit da draußen, findet man sein Innen nicht weniger unbehaust vor. Die drei obigen Reime schrieb der Mitzwanziger Brasch in den frühen sechziger Jahren. In der DDR. Bin ich gescheiter weiter dieser traurigen Tage? Noch ein Tag. Eben der.
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Zähne kostet es zumeist, wenn ein Hund auf Eisen beißt!“
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Zeigefinger auf hohen Absatzbewegungen
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Beschwingt zerknirscht schwingt das hochdesignte Schlaghosenbein
Hinter dem geschwungenen Pult hervor im Studio der
Zeitendeuterinnen
Und ich versuche mit druckergeschwärzten Fingerspitzen
Mir die Zeigefinger aus den Augen zu kratzen
Die auf mich eindringen moralingesäuert
Die Meldungen überschreiend
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In NY grinst eine Prinzessin Gernegroß in die Linsen
Kein Eintopf
Winkt heran einen alten Backfischtraum stampft auf
Und rumpelstilzt
Nein nein nein
Meine High Heels laß ich mir nicht verbieten
Der Dienstwagen hält auf Passanten
nicht mehr halten aber
kann es der farbige Chauffeur welcher lachend
sich erleichert an einen Hydranten
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Wie gut ginge es mir
Ohne all die
Die mir weismachen wollen
Es ginge mir schlecht
Schrieb mal Andre Gide
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(September 2025)
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Umzingelt von Besserwissern und Rechthabern aller sieben Geschlechter, meide ich die Bildschirme nicht immer, aber immer öfter, halte mich an einer Zeitung aus Frankfurt fest, auch wenn die nicht mehr soviel Druckerschwärze hinterlässt wie anno tobacco road und ansonsten bleibe ich in der Nähe von Reimen. Den unten mag ich. Selber denken.
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du heilige
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wie hast du
alle hinters licht
geführt
ganz ohne
insignien
der ohnmacht
du bist die beste
scheinheilige
alle kerzen
zünde ich dir an
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(Doris Runge)
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Ritter findet immer noch, zu guter Letzt, ein Mauseloch!“
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Daheimgefühl versus innere Freiheit
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Wenn das Müde nach uns greift
Der Himmel nur noch Donnerblech
Zum Abendmahle Schwefel Pech
In überhitzten Kesseln schmurgelt
Beginn Dein Ende ohne Arg
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Wenn das Fade nach uns fasst
Der Fluß versiegend Ufer meidet
Ein Storch durch Auen trocken schreitet
Frosch ungeküsst im Brunnen tobt
Begeh Dein Ende Tag wie Nacht
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Wenn eine Reise ohne uns
Gestade fern und unbesehen
Ein Berg verborgen unter Wehen
Schnee fiel die ganze Woche leicht
Sing nicht vom Ende heut noch nicht
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Wenn Stunden alt und klapprig atmen
Bieg nochmals um die selbe Ecke
Erinner Dich an die Verstecke
Die Bilder hingen nicht umsonst
Denkt nicht an Ende häng sie um
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(gießen / anfang september 2025)
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Verloren wäre ohne Schwan der Lohengrin in seinem Kahn!“
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Sand auf der Seele oder Du hattest mich an die Dinge gemahnt, die heimlich in mir waren
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Sie sind nicht voll
Die Flaschen leer
Und unter deinen Schwingen
Mit was soll ich noch ringen
Da ich nach Hause roll
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Auf morschen Pfaden hingemalt
Der Abdruck Deiner Schuh
Das Ächzen meiner Knochen
Soll ich Dir heut was kochen
Die letzte Rechnung nicht bezahlt
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Es dräut ein Schweigen langer Mut
Und Fingerspitzen tippeln Hast
Der Herbst fällt schüchtern über’s Land
Der Sommer halt erschöpft den Rand
Feuchte Felder Kartoffelfeuerglut
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Die Stadt tanzt ihre Häßlichkeiten
Passanten hasten ohne Pläne
Ein trudelnd Blatt ich fing es auf
Hoffnungsbrösel Dauerlauf
Wir sollten uns wohl vorbereiten
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(gießen / ende august 25)
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer sich ganz in Eisen hüllt, hat noch nie vor Schmerz gebrüllt!“
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poesiealbum des alterns
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seit beginn des jahres sammle ich die
schmerzen des dahinschwindens die
wenn sie mir nicht zufliegen nächtens
oder wenn der griff zur kaffeetasse zu heftig eine
unerwartete drehbewegung weil ich ein
knirschen ziehen rasten überhörte dies
wollte gar und nicht anders kann ich dies
doch
zwischen die zipperzapperlein hüpfen sie tanzen
herein herein rufe ich nicht die uralten
die fröhlichen nie auskurierten nie kuratierten
schmerzen eines einstigen jünglings die nicht siedeln in den
knochen aber im kopf
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wohin gehen die tage wenn sie
vorübergehen bleiben sie
hinter der nächsten ecke stehen um
zu warten dort auf mich
einandermal
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(unlängst in einer schmerzhaften nacht / gießen sommer 25)
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Das was im Faß, ist meistens naß!“
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Ich mache grad die Steuer. Seit Wochen mache ich grad die Steuer. Einst machte ich die Steuer an einem, bestenfalls zwei Tagen. Analog. Papier. Bleistift. Wenn es klemmte: Telefon. „Guten Tag, Herr Lugerth!“
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Jetzt stehe ich vor dem Portal. Ich kann da schon rein. Absurde, angeblich sichere Zahlen und Zeichen und Codes und was weiß ich nicht alles, machen mir den Weg frei. Ich werde traurig vor diesen Zeiten und schlag nach bei Franz Kafka. Da steht man dann davor.
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Es ist das Gesetz. Möchtest Du aber das Gesetz überleben: Bleibe ehrlich.
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Morgen werde ich erwachen, zu früh wie immer, an den Schreibtisch humpeln und mache Steuer. Sitze gebeugt über analogem Papier, das ich bis spätestens nächste Woche digitalisieren muß. Der Sachbearbeiter (m w div) kann das nicht. Warum die Finanzämter ihr Portal nach dem Vogel nennen, der seinen Lebensinhalt durch den Klau von Silberbesteck bestreitet?
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Ich zahle und zahlte gerne meinen Obolus an die Gesellschaft, im Gegensatz zu vielen alten Freunden, die ihr Geld auf deutschen Autobahnen verdienten, Lebensunterhalt erhandelnd, aber alle Steuer für ein Marterinstrument der Freiheitsdiebe hielten und davon ausgingen, daß der Herr im Himmel nachts die Pisten baut für lau und ihre Freiheiten. Kann man machen. War mir stets fremd.
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Gerne hätte ich es halt wieder einfach. Analog. Bleistift. Telefon. „Guten Tag, Herr Lugerth.“ Viele raten mir: geh doch zum Berater. Aber lieber vor dem Portal verzweifeln, statt Schmeißfliegen mit Honig zu füttern, um ein paar Pfennige zu sparen auf Kosten des Restes.
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Die Hüfte schmerzt. Diesen Tag und den nächsten Tag. Kurze Pausen nur. Alltag. Wunsch? Wieder in einem System ehrlich bleiben können dürfen.
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann mit guter Kinderstube gräbt niemals andern eine Grube, weil, das ist halt der Lauf der Welt, er meistens selbst in diese fällt!“
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Ex-Vize Robert geht. Der einst kuschelbärige Prediger der Bescheidenheit kann nicht anders als dies etwas zu laut zu tun. Wohin aber will er denn nun? Zweizimmerkemenate? Als Bürgergeldjunkie enden? Muß er in eine WG mit Annalena Dior? In der prekären Kleinstadt NY-City? Kriegt der Dorian Grey der selbstverordneten Grandiosität unterwegs eine Idee in Sachen „Neues Buch“? Warum ich Politiker wurde, obwohl Politik nur für böse Menschen aus dem Sauerland oder vom Tegernsee geeignet ist? Die schlechter aussehen als meine Wuschelbärigkeit? Wobei Annalena auch mal gerne vor dem Spiegel steht. Wäre ich lieber eine Dame?
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Der Fronge Margus aus Nemberch fresst net nur dra im Weckla sondern ach mal neun. Soviel hätte der Miro als Clubbererbewecher gern auf der Habenseite. Aber da iss nur a Null. Hat Annalena die Kinder schon eingeschult in NY? Frogn über Frogn. (BS: Coaudor wor Loddar M! Basst scho!)
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Ich gehöre zu einer Alterskohorte, die fürchterlich drauf stolz war in Zeiten gut funktionierender Sozialsysteme in einer sehr wohlhabenden BRD belehrend in die Welt hinaus zu husten. An den Rändern war es damals noch nicht so kalt wie heutzutage. Jetzt huscht das, was wir einst Plebs nannten, an die von uns laut besetzten Rändern und brüllt da rum. Und wir würden lieber halbwegs gut berentet gerne unsere Ruhe haben in einer stabilen MITTE. Bittääää! Unsere neuen Lieblingsnummern? 110 und 112! Welches Schiff wird kommen? Dieses kaum noch!
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Wenn die Träume platzten wie der Luftballon, den man einst auf der Kirmes erbettelt hatte von Mama, obwohl der böse Papi gewarnt hatte, man also das Softeis, welches die Länge der eigenen Zunge überstieg, in den Kirmeskies fallenließ? Da begann wohl die hektische Suche unser sich arg intensiv empfindenden Generation nach den Schuldigen.
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Ich denke, es ist hohe Zeit vom Kinderkarussel des ewig gekränkten und beleidigten Gescheitle auf die Achterbahn namens Realitäten zu wechseln. Auch wenn es dem maladen Rücken nicht mehr wirklich guttut. What goes up must come down. Reiten wir auf dem Pony, welches wir selber anmalten einst und lassen die noch böseren Schwiegerleut drehen am Spinnrad.
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann aus gutem Holz ist nur auf seine Taten stolz!“
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