Oh, it’s a long, long while / From May to December / But the days grow short / When you reach September / 03

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Hellas / Kreta / Auf dem Markt in Mires / Mein damaliges Moped / September 2009

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Der Songtext ist schuld. Mai bis September. Wird gesungen. Mai oh Mai. Alles neu und also heraus zum ersten Mai. Es lebe das Ritual. Hoffnung. Man versammelt sich auf manchmal schlechter beheizten Plätzen. Entgeltfreie Solidarität wird beschworen, besungen, versichert. Bratwürste versinken im Bier. Auf die alte Lederjacke tropft Mayonnaise und spätestens im Oktober feiern wir dann eine Revolution. Oder wenigstens eine Revolte. Rot glüht die Nase in Zuversicht und Alkohol. Oder auch nur ein Geburtstag wird begangen. Ruft die Waage in mir, die den Zaren nicht erschossen hätte, um neue Zaren zu züchten. Doch der September, der gerne noch nach vorne blickt, aber gelegentlich dann schon mal zurück, grinst sich einen. Im nächsten Mond, ihr Großmäulchen des Monats Mai, im etwas ehrlicheren Monat Oktober werden wir den sich anbahnenden Untergang besingen müssen. Oder dürfen? Ein herannahender Winter der irrenden Herzen, böser Nebenkostenabrechnungen und noch böserer Badetemperaturen ist nicht zu beklagen, sondern schlicht eine Tatsache. Utopia gab es nie, oh Wolfsmensch unter den Wölfen, die man nun wieder abschießen soll. Es jubeln die Schafe. Wer aber entdeckt nun denn mal endlich Atlantis? Das Versunkene, welches vor dem eigenen Versinken bewahren mag? Gab es jemals eine Revolution im Interesse einer Hoffnung? Jenseits der Eitelkeit? Und wo liegt das Wrack rum, an dem man rumschraubt in der irren Hoffnung das Ding noch mal an die Oberfläche zu hieven? Ist es am Ende dann nur Leonardo di Caprio, den man aus den Fluten zieht? Die Kopie der Kopie der Kopie? Kate Winslet hat sich wahrscheinlich längst vom Acker gemacht. Frauen können besser schwimmen. Jene, welche damals am schnellsten nach vorne rannten, heulen heute am lautesten auf, wenn die Nachgeborenen mit dem Schwert Veränderung – und sei diese auch noch so sinnfrei – herumfuchteln. Fragt Sokrates oder den Mann in der Tonne. Heute wieder Sonne. Und der Herbst nur meteorologisch. Doch der September tut so, als sei der Tod nur eine Option. Wenn man sich konzentriert und gelassen weiter atmet, rausche er an dir vorbei. Charon wird so arbeitslos. Denkste Puppe! Trotzdem schön dieser Balanceakt zwischen Verweigerung der Realitäten und den panischen Wadenkrämpfen.

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Wenige Tage im Kalenderjahr an denen so viel gelogen wird wie am Mai dem Ersten. Natürlich gut gemeint. Geboren werden Jahre gerne am ersten Januar. Die Vorsätze da? Weia! Man mag den ersten Mai so fast entschulden. Demnächst zu den Vorsätzen und den damit verheirateten Mülltonnen.

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Und eine kleine Alltagsbeobachtung. Selbstredend darf man diese Nasen niemals wählen. Aber der bis jetzt einzig zündende Spruch auf den Wahlplakaten allenthalben ist: Realisten wählen … Dings. Wie erobert man sich seine Realität zurück? Gewiß nicht mit altvorderen Reflexen. Uff!

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Oh, it’s a long, long while / From May to December / But the days grow short / When you reach September / 02

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Kiel / Förde / Vom Schwedenkai blickend zum Norwegenkai / September 2019

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Der September, ein Alter ist er noch nicht, auch nicht mehr jung, kann aber immer wieder noch sehr jung tun oder sich sehr alt fühlen. Heute macht er wieder einen auf August und protzt mit Wärme rum. Es gibt diese Tage da riecht das Laub schon modrig und man mag an einer Ecke den Sensenmann stehen sehen. Morgen dann wieder? Nach kühlem Morgen und Schal Hoffnungshitze. Andere wagen es da nochmal Rosenkohl zu pflanzen. Kürbisse liegen rum und ich weiß stets nicht, wann ist denn nun der rechte Zeitpunkt das Erntemesser zu zücken. Die Kickerei beginnt und nach dem dritten Spieltag hageln schon wieder Prognosen vom Himmel. Wer in den letzten Tagen des Monats Mai Silberteller in den Konfettihimmel recken darf, hechelt man schon wieder hektisch vorraussagend in die dünne Spekulierluft. Mal so. Dann so. Ist der September ein April demnach, der gestern stürmte und heute verbrennt? Nein, ist er nicht. Denn ihm folgt kein sich mit großmäuligen, noch nie eingelösten Versprechen brüstender erster Mai. Davon als Nächstes mehr. Eher ein nachdenklicherer Oktober, welcher Blätter färbt und sich dem jungen Weine widmet. Den älteren aber nicht vernachlässigt. Wobei auch hier die Wetterkapriolen manch alte Erzählung sich in heiße Luft auflösen lassen. Der Septemberblick in den Spiegel bemerkt eigene und fremde Falten, akzeptiert die Lesebrille und den langsam sich immer mehr zerstückelnden Nachtschlaf, aber er ist noch in der Lage das Ganze einfach zu leugnen. Was ich nicht sehen will, habe ich nicht gesehen. Seltsamerweise finden im September oft Wahlkämpfe statt, gefüttert von der absurden Vorstellung, bald werde oder könne sich etwas ändern. Der September schmunzelt und stiefelt gelassen und ambivalent auf ein Jahresende zu. Soll er. Und man erntet schon fast die Reste. Wer aber seit Mai einen möglichen Sommer verpennt, muß zu Aldi. Frische und Liebe gibt’s auch eingeschweißt. Aber dafür wird’s dann richtig richtig billig.

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Ich werde, Prognose hin und her, und dies nicht nur bei der Kickerei, weiterhin das Unmögliche erhoffen. Forza die Eisernen. Und zur Not FC Aspirin. Und ein Haus, welches im September noch steht, stehen lassen.

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Oh, it’s a long, long while / From May to December / But the days grow short / When you reach September / 01

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Vathy / Ithaka / 6. Juni 2023

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Ich freue mich Jahr für Jahr auf den September. Das Ende der – war mal gelassener – Hysterie namens: der Sommer. Als sei ein Leben nur in Flip – Flops und kurzen Hosen zu ertragen. Vielleicht ist es das Alter, welches die überdrehte Hitze so nicht mehr mögen will. Ich mag es, wenn es regnet. Wenn es milder wird. Zwischen mir und der Welt. Wenn die Menschen auch mal in ihren Zimmern bleiben und ein einsamer Spaziergänger leuchtende Fenster betrachten mag. Und raten will, was dahinter passiert. Schwarz oder weiß. Traurig oder froh. Der September lässt die abgestorbenen Blätter noch einzeln auf die Erde rieseln. Als Bub in Baden – Württemberg begann für mich das neue Schuljahr stets nach dem ersten Septemberwochenende. Ein letztes Bad im Bodensee und nach Hause geschlurft über das frühe Laub. Traurigfroh. Ich freute mich auf die nächsten Buchstaben. Auf die Zahlen weniger und die Reagenzgläser kaum. Das Licht machte sich rarer und in Dämmerung oder gar Dunkelheit zur Schule zu radeln fand ich immer abenteuerlich. Nun, sagen viele, würden die Tage kürzer. Als gehöre die Nacht nicht zu einem Tag. Auch ein Septembertag stellt 24 Stunden Lebenszeit zur Verfügung. Man nähert sich der Tagundnachtgleiche. Entspricht meiner Sichtweise auf’s Leben. Unoptimiert, jenseits allen garantierten Glückes. Nichtsdestotrotz oben ein Bildchen vom Sommerbeginn dieses Jahres, der eigentlich ein Frühlingsende noch war. Wahrscheinlich muß ich mir ein Land suchen, welches zweimal den Frühling und zweimal den Herbst zu bieten hat. Oder ist das die Reise in die Vergangenheit? Oder die Sehnsucht dem Land der Extreme und Zuspitzungen zu entfliehen? Dem Land in dem die Klagen und das Klagen regieren und Gespräche vor sich hindümpeln in beliebigen Beleidigtkeiten?

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Möchte mich in aller Form bei den Herren Mahler und Budnikowski für die kompetente Sommervertretung bedanken. Und der Liebsten für die Photos hier. Nun das Lied zum Monat. Wie viele Varianten zu entdecken wären?

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