Mr OZZY, what went on in your Head?

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Nun ist die letzte schwarze Messe gesungen

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Er taumelte und torkelte in einem Reich zwischen der Realität und einer Freakshow namens Popindustrie: Zum Tod von Ozzy Osbourne, dem Miterfinder tonnenschwerer Musik.

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Das Ende war klar, und das Ende schien immer nah, doch dann hat es sich ein paar Jahrzehnte Zeit gelassen, dieses Ende, was einem wieder einmal vor Augen führt, dass man wirklich von nichts eine Ahnung hat. Aber jetzt war es dann doch so weit: Vierzehn Tage nachdem die Geldgier seiner Mitmenschen den Selbstdarsteller John Osbourne noch einmal auf eine Bühne gezwungen hat, bewegungsunfähig auf einem schwarzen Thron geparkt, daheim in Birmingham, ist Ozzy im Alter von 76 Jahren gestorben und damit dem ganzen Trubel um seine Person entkommen, außer sein Management lässt ihn jetzt plastifizieren und als moderne Mumie um die Welt reisen, wie gesagt, man kann es sich nicht vorstellen, was in diesen Köpfen so vorgeht.

Es fällt einem schon schwer zu glauben, was man als Ozzys Zeitgenosse hat miterleben dürfen oder müssen: Es war wohl 1970, als ich mir von einem Schulkameraden das titellose Debüt von Black Sabbath auslieh, nicht ahnend, was eine schwarze Messe war, was Satanismus und dass der Sänger, dessen Stimme am ehesten dem Schleifgeräusch einer Flex ähnelte, dies ebenso wenig wusste. So tasteten sich Popstar und Popfan in trauter Ahnungslosigkeit in die mal finster, mal gülden erscheinende Zukunft, und damit haben wir eigentlich auch schon den Seelengrund der Musik von Black Sabbath und von Ozzy Osbourne berührt: Dies war und ist Musik für junge, weiße Männer – für „lads“, wie das in Großbritannien heißt –, die ohne gutbürgerliches Urvertrauen durch ihr Leben torkeln und taumeln, durch eine zähe, sie ständig nach unten ziehende Klebmasse namens Realität, deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten alle anderen zu verstehen scheinen, nur man selbst nicht.

1970 hieß das weder Heavy Metal noch Stoner Rock, und Black Sabbath, die sich davon Erfolg versprachen, die anderen Jungs in eine Art akustische Geisterbahn zu locken, lieferten den idealtypischen Soundtrack zu genanntem Teenager-Ennui, darunter Kracher wie „Paranoid“ oder das Antikriegslied „War Pigs“. Warum das funktionierte und wie lang das funktionieren würde, das wusste der einst kleinkriminelle Ozzy so wenig wie seine Mitgeiseln in dieser Freakshow namens Popindustrie, und diese Verlorenheit ist es, die keiner so unverstellt nach außen kommunizieren konnte wie Ozzy Osbourne. Darum liebten wir ihn, wenn er aus Versehen einer auf die Bühne geworfenen toten Fledermaus den Kopf abgebissen hat, wenn er jede Droge ausprobierte, die ein Hobbychemiker sich hat einfallen lassen, wir liebten ihn mit Black Sabbath und als Solokünstler, als Star einer Realityshow im Musikfernsehen oder als zitternden Tatterich, der sich irgendwie durch die Show, die ja immer weitergehen muss, hindurchwurstelt, selbst am meisten überrascht, dass man immer noch da war nach all den Schicksalsschlägen und selbst verschuldeten Zerstörungsversuchen am eigenen Leib.

Legendär sein Grund, eine Entzugsklinik nach wenigen Tagen wieder zu verlassen: Er habe keine Lust, selber sein Bett zu machen. Diesen Job, neben tausend anderen, übernahm 1982 Ozzys zweite Frau Sharon, die als Tochter eines überlebensgroßen Londoner Gangsters und Musik-Promoters durch eine vermutlich harte Schule in Sachen Selbstbehauptung gegangen ist und nun aus dem Häuflein Ozzy-Elend einen der erfolgreichsten Solokünstler der Achtzigerjahre formte, obwohl ihm gerade sein neuer Gitarrist durch einen Freak-Flugzeugabsturz abhandengekommen war, die in den Neunzigern ihren eigenen Metal-Sommer-Tournee-Zirkus ins Leben rief, die in den Nullerjahren gut geschminkte Miene zum Reality-TV-Spektakel machte und den immer hinfälligeren Ozzy samt den eher kompliziert geratenen Kindern im Wortsinn wie im richtigen Leben gemanagt hat bis hin zu den immer wieder stattfindenden „letzten Konzerten“.

Und sollten Sie bis hierhin gelesen haben, ohne eine einzige Platte von Black Sabbath zu besitzen, so rate ich zum „Reunion“-Album von 1998, auf dem sich die verfeindeten Kumpels von einst zu einer entschlackten Mega-Stadionrock-Form hochjazzen, dass man glauben möchte, diese tonnenschwere Musik würde gerade jetzt erst neu erfunden. In diesem Moment der Euphorie wie Traurigkeit sei auch an zwei Dinge erinnert, die man vielleicht überhaupt nicht mit Ozzy Osbourne in Zusammenhang bringen kann oder will.

Da ist zum einen eine, wie man heute sagt, queere Komponente, die in dieser pickligen, schwitzenden, testosterongesteuerten und von ständigen Erektionen geplagten Jungsmusik zumindest überrascht, vielleicht auch erst heute als solche gelesen werden kann: So tragen schon 1970 Feen hohe Stiefel und tanzen ekstatisch mit einem Zwerg, heimlich beobachtet von Ozzy himself, und wie Ozzy sich auf dem Cover seines Solodebüts „Blizzard of Ozz“ von 1980 räkelt, geschminkt und lasziv gekleidet in seiner pummeligen, leicht buckligen Nichtschönheit, das erzählt von einer seltsamen Bodypositivity und auch sexuellen Neugier, welche die eine oder andere Masterarbeit lohnen könnte.

In Richtung akademische Anerkennung des Werks von John „Ozzy“ Osbourne weist auch die seit Jahrzehnten ungebrochene Beschäftigung renommierter Intellektuellen-Bands aus dem Bereich Punk und Indie. Seien es Pere Ubu, die Smashing Pumpkins oder Mountain Goats – der Einfluss von Ozzy und/oder Black Sabbath auf bestimmte Sound-Vorstellungen und Grundgestimmtheiten gehört ebenfalls gesichtet und benannt. Vor der Arbeit aber das Vergnügen: Black Sabbath hören, laut mitsingen bei „Mr. Crowley“, diesem irgendwie unschuldigen Toren und Miterfinder der lautesten Musik auf diesem Planeten die letzte, dann die allerletzte, dann die allerallerletzte Ehre zu erweisen, soll jetzt unsere vornehmste Aufgabe sein.“

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(Dank an Karl Bruckmaier / FAZ vom 24.Juli 2025)

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 2

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Konstanz / Juni 2025 Sternenplatzhagelvoll nach 50er Abitursfeier

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Heimatkunde ist halt stets auch Heimatwunde. Oder eher andersrum? Aus der Heimatwunde erwächst selten eine Heimatkunde, sondern etwa so etwas wie Heimatmief? Oder doch nicht. Fragen wir den Arzt, den alten Deutschlehrer oder, falls es ihn noch gibt oder je gab, den Pfarrer, der Dich konfirmiert hat.

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Gestern fuhr ich, das Seniorenticket sei gepriesen, vor die Tore Gießens um bei den Schwiegereltern eine Gemüsetüte abzuliefern. Seit zwei, drei Wochen ist unsere Parzelle der Oberbefehlshaber meines Alltags. Pflegen, gießen, ernten, einlagern, Speisepläne erstellen. Dieses Jahr wächst und gedeiht viel. Da oben. Eine Art beruhigender Gegenentwurf zu den üblichen Hysterien überall. Da muß man teilen. Als der Bus das Ortsschild meines Zieles passiert hatte las ich auf einem Schild rechter Hand: „Kirmes vor Ort. 18. bis 21. Juli.“ Ich erinnerte mich. Man hatte mir davon erzählt. Heute also Montag, also der Frühschoppen und eigentliche Höhepunkt der Kirmes und das Restetrinken. Da will ich hin.

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Blasmusik war mir nie ein ideologisches No-Go. Ganz im Gegenteil. Ebenso wie Schrammelmusik oder bayrische Hackbretter. Ein alter Freund von mir studierte eine Zeitlang in München und auf den nächtlichen Fahrten dorthin hörten wir begeistert stoned, was wir damals den „Alpenblues“ nannten. Wahrscheinlich schaue ich deshalb morgens vor dem Frühstück so gerne Panoramabilder auf Bayern 3. Als ich einst in Tübingen engagiert war, bereisten wir Mimen im Herbst die schwäbischen Dörfer mit all ihren Feschtle und grölten zu Sierra Madre im Zelt von manchen Bieren wunderbar geborgen. (Verzeihung, Herr Bonhoeffer!) Ein Kollege aus Unterfranken, ehemals Soldat und sehr guter Schütze, schoß den Damen des Ensembles eine Plastikrose nach der anderen bis uns die Dorfjugend vom Acker jagte. Am Montag standen wir wieder auf der Probebühne als linke Weltenretter. Frühkindliche Prägungen halt. Mein Vater hatte etliche dieser damals allgegenwärtigen Fontana-Platten. Eine davon: „Deutsche und internationale Märsche“. Ich erinnere mich noch, wie ich als Bub auf dem Teppich vor der Musiktruhe (was ein wunderbares Wort!) lag und unbelastet zum Badenweiler-Marsch mitwippte. Oder gar dirigierte? Die Gnade der späten Geburt? Und trotzdem nicht im Herzen verdorben ward.

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Also betrat ich das Bierzelt. 11Uhr30. Am Tresen bestellte ich bei einer komplett tätowierten, gepiercten und gut gelaunten Punkfrau gleich zwei Bier. Zu meiner Entschuldigung dies: für einen in Süddeutschland aufgewachsenen sind Biere in Nullzwei Größe und das auch noch in einem Bierzelt ein Sakrileg. Dat darf man nur in Kölle. Ich setze mich also beidhändig bestückt an eine der Bierbänke, die Blasmusik spielte einen Marsch und die junge Frau hinter dem Tresen tanzte dazu vor sich hin. Wenn dies Heimatmief ist, so roch er nach Ambrosia. An der einen Nebenbierbank saßen die Altburschen „Frohsinn“ und stachen ihr zweites 10 Literfass an. Eine Bierbankreihe weiter erklärte ein Jungspund, vielleicht 16 oder ähnlich, seinen Kumpels wie man Appelwoi exxen kann. Zäpfchen nach hinten und nicht atmen. Sogar die Mädels machten mit. Denn so buchstabiert sich Fortschritt: da saß eine Burschen- und Mädchenschaft. Das Zelt füllte sich, die Blasmusik rockte und ich fühlte mich einfach nur wohl. Unter Menschen statt Labertassen. Betrachten statt altvorderer Analyse. Doch dann brach die Hölle los. Ein brachiales Gewitter donnerte auf das Zelt nieder, man verstand sein eigenes Wort nicht mehr, die Band mußte die Stecker ziehen und da das Bierzelt auf leicht abfälligem Terrain stand rauschte eine kleine Flutwelle unter den Bierbänken hindurch. Die kräftigsten Jungburschen, ich glaube sie hießen „Immergrün“, versuchten, man kennt das vom Camping, mit Besenstielen, Bierbänken und Leitern die bedrohlichen Wasserdellen von Zeltdach zu entfernen. Das Publikum blieb gelassen, schaute sich das Spektakel an, die Bedienungen trugen ihre Zehnerträger nassen Fußes an die Tische und draußen drehte sich das leere Kinderkarussel gelassen durch den Sturm. Die Losverkäuferin betrachtete die finsteren Wolken und die Pommes wurden kalt und lapprig. Ich holte mir noch einen Zweierset Bier und als der Regen nachließ, brach ich auf um nachzuschauen ob unsere kleinen roten Freunde aka die Tomaten auf dem Feld das Unwetter überlebt haben. Sie hatten. Jippie!

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Conclusio? Keine. Jedoch tut es gut gelegentlich den Menschen zu begegnen, die einfach mehr sind als wir Klugscheißer. Zuhause dann fand ich Post, die mir mitteilte, daß meine Rente ab sofort um 20 Euro im Monat ansteigt, quasi explodiert. Da hätte ich mir auf der Kirmes doch noch ein nonveganes Steakbrötchen leisten können. Menno! Aber besser so! Nächste Woche muß ich die Steuer machen. Man weiß ja nie. Und Sascha Bendiks – siehe Heimatmief – spielte letzten Samstag in Lollar auf. Groß.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Ritter kämpfe nur mit Drachen, das Schreiben sollen andre machen!“

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