Weingut Haltnau / Meersburg visavis Konstanz / Im Gespräch mit alten Zeiten im Juni 2025
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Ist es denn nun an der höchsten Zeit der traurigen und übermüdet aufgedrehten Stadt zu entfliehen? Stadtfest ante portas in Mittelmaßhessen. Gewiß gab es Zeiten, da ich diesem Wochenende gerne fernblieb. Bitter Lemon minded und diversen Lautstärken nicht freundlich gesinnt. Inzwischen im meist ereignislosen Alltag vor mich hin kraulend, dachte ich, bleib ich hier und gehe raus heut‘. Und der Zufall, den ich gerne als Gescheitle zur Coinzidenz aufblase, servierte mir folgendes. Eine Frankfurter Jungrockerkombo eröffnet den Tanz. Der Bandleader heißt Chris Luger. Und seine richtigen Leut‘. Was soll ich da noch machen?
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer müde ist, kriecht unters Segel – das ist ’ne gute Ritterregel!“
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Müde ist in Ordnung. Garstig nicht. Bitter eh nicht. Schöner Song. Neide man den Anderen nicht die Freud‘, die zu empfinden man nicht mehr in der Lage ist. Oder? Und nur noch den schon seit langem Verstorbenen seine Nächstenliebereste bekunden? Ehrliche Umarmungen sind nicht so einfach. Schönes Lied.
„Ich habe Deinen Namen eingezeichnet in meine Hände. Und damit halte ich ihn fest.“
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Gibt es tatsächlich so etwas wie eine kontrollierte Offensive? Gibt es so was wie einen milden Zorn? Existiert möglicherweise eine Art von Berechtigung Grenzen anderer erkenntniserweiternd überschreiten zu dürfen? Sind Zornesfalten Ausdruck einer ewigen Suche nach … ja was auch immer.
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Kurz nach unserem 50 Jahre Abiturtreffen am Bodensee erreichte mich die Nachricht, daß ein prägender und viel Platz einnehmender unserer Lehrer verstorben ist. Er hatte, damals gerade Mitte 30, die Verdrängung eines Tankers, wenn er durch die Reihen unserer Klasse pflügte. Laut. Übergriffig, würde man heute sagen. Selbstverliebt. In solchen Fällen wird dann schnell gewertet. Daumen runter. Oder vielleicht doch Daumen hoch? So auch in unserer alten Klasse. Ich schrieb in diesem Zusammenhang eine Mail an eine mir liebe Klassenkameradin.
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„G. war tatsächlich eine höchst ambivalente Gestalt. Während er mir meine Eins in Geschichte geklaut hatte und mir dafür eine ideologische Drei verpasste, weil ich stets aus der Sicht des historischen Materialismus (Dumm und überheblich halt als Jungmaoist!) geschichtliche Ereignisse eingeordnete, hat er jedoch, traf er meine Mutter später in der Stadt, von mir stets in den höchsten Tönen geschwärmt. Jahre später, ich war schon längst am Theater, traf ich ihn bei meinen KN-Aufenthalten einige Male in alten Thermalbecken am Jakob. Und da suhlten wir uns in der Rentnerbrühe und er erzählte mir, von Badehose zu Badehose, er habe zu Hause einige Aufsätze von mir aufbewahrt. Seltsamer Vogel. Zerrissen. Als Bub hatte ich auch seinen Vater kennengelernt. Mein Schulweg führte an deren Haus vorbei. Der Alte war ein Patriarch ältester Machart. Aber G‘s Frau war eine Seele. Nach der Geschichte mit meinem Vater war Sie mir öfters eine echte Hilfe. Großes Herz. Und – wie so viele Frauen – mit der Fähigkeit diesen Kerle zu ertragen und zu lieben.“
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Etwa vier Monate nach dem Selbstmord meines Vaters im Jahre 1973 organisierte selbiger G. mit anderen Lehrkräften einen zehntägigen Kulturausflug nach Burgund. Inklusive Weingüter. Meine Mutter konnte sich das nicht leisten für mich. Aber G. hat mitgekriegt wie ich in den Seilen hing und hat sich dafür eingesetzt, daß der Bub subventioniert wird. Seine Frau hat uns begleitet auf der Reise. Und ein gütiges Auge auf mich geworfen, der ich ein bisserl zu überdreht in die Normalität zurückkehren wollte. Während ihr Gatte versuchte ein etwas zu lautes und strenges Regime inklusive Wissenserwerbsverpflichtung auf uns niederregnen zu lassen.
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Gestern hat mir mein Bruder ein Foto von G’s Grab geschickt. Nun liegt er neben seiner Frau. Auf Ihrem Grabstein steht: „Ich habe Deinen Namen eingezeichnet in meine Hände. Und damit halte ich ihn fest.“ Daneben der Vorname von G. Zorn und Sanftheit. Liebe und Wut. Denen, die allzu schnell urteilen wollen, kein eigenes Urteil hinterherschicken.
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann von Schrot und Korn kennt sich selber nicht im Zorn!“
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Während der Burgundreise saßen die üblichen Bengel natürlich in der letzten Busreihe. Einer hatte einen Kassettenrekorder dabei und einen großen Beutel voller Batterien. (Ein Jahr später ist leider auch er selbstständig von dieser Welt gegangen.) Und wir hörten in heftiger Umdrehung diese Platte. Nee. Wir hörten eine Kompaktkassette.
Klausenhorn bei Wallhausen neben Dingelsdorf hinter Konstanz im Juni 2025
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Hier herrschte nun einige Zeit ein Schweigen im Walde. Viele Gründe. Hitze oder zu viel Regen. Eine neue Hüfte muß in den Körper rein. Baldigst. Gedankenfreiheit im Hirn. Die Seite mußte auf einen neuen Server verfrachtet werden. Was nun funktioniert. Da sei dem Schwager herzlichst gedankt. Also blieben die Boote im Wald und nicht auf dem See. Ob sie demnächst wieder in den Wind geschickt werden, das weiß ich noch nicht. Schweigen hat gewiß seinen Reiz und ist notwendig, aber die Eitelkeit ist ein Pferd, welches zu Ende geritten werden muß.
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Was sagt dazu nun Ritter Runkel von Rübenstein? „Ein Ritter meide Schiff und Segel, heißt eine alte Ritterregel.“
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Und hier bitte: Bob Dylan beim Bullitreffen 2025. Grüße an den See.