Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 14

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Einheitsflaschenöffner „Hand in Hand“ / gefunden bei BUSCHFUNK

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Erinnerungskrümel in Sachen Einheit

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Stand nicht schon in der Heiligen Schrift: „Ein jeder öffne des anderen Bier!“? Doch heute benutzt man den 17er-Schlüssel meist nur ums Getränk vor der eigenen Nase verzehrfertig zu öffnen. Und rechts wie links von sich? „Das ist nicht mein Bier!“

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Gestern feierte das offizielle Land 35 Jahre Vereinheitlichung. Im Westen. Ganz am Rande. Ohne einen Vertreter des Ostens. Dafür kamen Monsieur „Mark/Krone“ und Jörg Pilawa vorbei. War die Mauer am Ende gar ein die Brüder und Schwestern eher verbindendes Element?

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Unlängst als ich ein Cafe hier vor Ort – das Traditionscafe!!! – verließ, schnappte ich auf, wie ein älterer gutsituierter Herr zum anderen gutsituiertem Herrn – es roch nach Oberstudienräten oder Rechtsanwälten in Rente – sagte: „Also das muß man doch mal sagen. Die jetzige Situation besteht doch erst, seitdem wir das ganze Geld da drüben hinschicken.“ „So isses doch!“ War die Antwort. Wie sprach mein Vater immer? „Der Teufel scheißt stets auf den größten Haufen!“ Wobei die Haufen dies für selbstverständlich halten oder ihr Anwachsen gar nicht bemerken. Werde die zwei armen Kaffeehausrentner fortan in meine allabendlichen Fürbitten einschließen.

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Ich habe am gestrigen Erinnerungstag dem „Lern- und Erinnerungsort“ Meisenbornweg einen ersten Besuch abgestattet. War dabei einer der eher jüngeren Besucher. Sic! Gut gemacht das Ganze. Fand ich. Ein Ort um die Fähigkeit sich zu erinnern, im Guten wie im Schlechten, nicht komplett und auf Dauer zu verlernen.

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Stadttheater Gießen im Jahr vor der Pandemie. Eine Hauptprobe meines Gundermannprojektes. Die damalige Intendantin – Schweizerin – kritzelt, mit hängenden Mundwinkeln und schräg gelegtem Haupt zuschauend, einen halben Notizblock voll. Zum Gespräch über das Monierte kam es nicht. Oder fehlte – Vermutung – schlichtweg jegliches Wissen / Interesse / der passende Flaschenöffner? Ich hatte damals vorgeschlagen den noch leerstehenden Meisenbornweg als Spielstätte zu nutzen. Die Gesichter gegenüber sprachen daraufhin ein großes „HÄ?“.

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Die Verträge waren früh und schnell gemacht. War es wirklich die einzige Chance diese Eile damals? Spät ist gerne mal schlau. Jedoch das Rütteln an Bäumen, deren Früchte noch nicht reif, und die Unfähigkeit auf das gereifte Fallen zu warten, war noch nie gescheit. Vor allem, wenn man an den Bäumen der Anderen rüttelt. Siehe der „große Haufen“!

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer gern mit bloßem Tand sich schmückt, der ist von Fürstenhold entzückt. Doch alle Ehren sind umsunst, genießt er nicht des Volkes Gunst!“

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PS: Im Dezember wird – endlich – meine mich ordentlich ärgernde Hüfte ersetzt. Weihnachten und Sylvester verbringe ich dann mit dem Pflegepersonal in der Reha. Bis nächstes Jahr dann. Wieder hier. Vielleicht!

Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 13

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Chemiesaal / Die 10b / Konstanz / Juni 1972

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Vor etwa einem Jahr kaufte ich mir die Gesammelten Gedichte von Thomas Brasch. „Die nennen das Schrei“. Ein Backstein von Buch. Mit Anhängen über 1000 Seiten. Davon weit mehr als die Hälfte Gedichte aus dem Nachlaß. Ein Nachttischwerk und immer gern Begleiter. Drei Beispiele. Danke Suhrkamp.

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WO SCHLAGT IHR EURE ZELTE AUF

sagt, wo

wo begrabt ihr euer Herz,

und hört ihr –

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Die leisen Wellen

ich höre sie nicht

die schönen Träume

ich träume sie nicht

gekettet an Qual der Gedanken

allein mit dem Schlagen des Herzens

bin ich

Und wo sind die Wellen,

die schlagen für mich

an einsame Ufer

wo sind meine Träume

die ziellos erwärmen

die kühlen und klagenden Lieder.

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Gegangen das alles,

verstorben die Winde,

gelieben ein Zelt,

allein und zerstört,

im Winde gebrochen

und stumm ist die Welt.

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LIED

Gibt es ein Lied,

das alle singen können,

das alle hier befriedigt,

Es müßt‘ ein Lied sein

Sauber und auch schmutzig

In hohen und in tiefen Tönen

Gemischt aus Dur und Moll

Mal lustig und mal traurig,

vielleicht auch manchmal beides gleich.

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Es müßt‘ in Höhen schwingen können

So unbeschwert wie Drachen,

die im Herbst

voll Freude

die Sonne hier verdunkeln.

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Doch müßt‘ es auch die Tiefen suchen

Die ich am Abend spür‘

Und müßte plätschern wie der Fluß

Und rauschen wie das Meer.

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Glaubt ihr,

es gibt solch Lied,

das alle aus dem Herzen

ohne rot zu werden

einer Lüge

singen können.

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Und wer das Lied kennt,

sag‘ es mir,

denn ich hab es

bis heute

nicht gefunden.

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DIE AUGEN DER ANDEREN SEHEN MICH

Meine Augen sehen die anderen

Ich sehe mich nicht.

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Für ihn bin ich der Arrogante

für den der manchmal Amüsante

für sie bin ich Gewicht, das rhytmisch zuckt

für ihn der Mann, der gegen alles muckt

was bin Ich?

Im Spiegel sieht mich einer an

Zwei Augen, Nase, Mund

Die Beine seh ich, Arme auch

Die Schultern manchmal und den Bauch

Doch was ist das, was Feuer haßt

Und was ist das, was diese liebt?

Was ist es denn, was sie loben?

Sind es Gedanken, die den Kopf durchzucken

Durch meinen Mund sie an der Seele jucken?

Was sie da hören, bin nicht ich,

kein Satz zeigt doch das Chaos der Gedanken

nichts, was ich zeige, zeigt Ideen, die Stimmungen durchranken

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In ihren Augen bin ich nicht.

Ich bin nicht, was der eine haßt

Und bin nicht, was sie sagt im Bett

Ich bin nicht mutig, klug und nett

Ich bin nicht dort in ihren Köpfen

Ich bin in mir allein

Die Augen, die nach innen sehen, sind leer

Wo bin ich nur, wo, was und wer?

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Tja. Die nicht endenwollende, selten von Findeerfolgen begleitete, Suche. Auf der Flucht vor der unerträglich kurzatmig stupiden Unwirtlichkeit da draußen, findet man sein Innen nicht weniger unbehaust vor. Die drei obigen Reime schrieb der Mitzwanziger Brasch in den frühen sechziger Jahren. In der DDR. Bin ich gescheiter weiter dieser traurigen Tage? Noch ein Tag. Eben der.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Zähne kostet es zumeist, wenn ein Hund auf Eisen beißt!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 12

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An der Seite des Geheimrats / Ilmenau im Oktober 2021

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Zeigefinger auf hohen Absatzbewegungen

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Beschwingt zerknirscht schwingt das hochdesignte Schlaghosenbein

Hinter dem geschwungenen Pult hervor im Studio der

Zeitendeuterinnen

Und ich versuche mit druckergeschwärzten Fingerspitzen

Mir die Zeigefinger aus den Augen zu kratzen

Die auf mich eindringen moralingesäuert

Die Meldungen überschreiend

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In NY grinst eine Prinzessin Gernegroß in die Linsen

Kein Eintopf

Winkt heran einen alten Backfischtraum stampft auf

Und rumpelstilzt

Nein nein nein

Meine High Heels laß ich mir nicht verbieten

Der Dienstwagen hält auf Passanten

nicht mehr halten aber

kann es der farbige Chauffeur welcher lachend

sich erleichert an einen Hydranten

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Wie gut ginge es mir

Ohne all die

Die mir weismachen wollen

Es ginge mir schlecht

Schrieb mal Andre Gide

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(September 2025)

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Umzingelt von Besserwissern und Rechthabern aller sieben Geschlechter, meide ich die Bildschirme nicht immer, aber immer öfter, halte mich an einer Zeitung aus Frankfurt fest, auch wenn die nicht mehr soviel Druckerschwärze hinterlässt wie anno tobacco road und ansonsten bleibe ich in der Nähe von Reimen. Den unten mag ich. Selber denken.

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du heilige

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wie hast du

alle hinters licht

geführt

ganz ohne

insignien

der ohnmacht

du bist die beste

scheinheilige

alle kerzen

zünde ich dir an

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(Doris Runge)

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Ritter findet immer noch, zu guter Letzt, ein Mauseloch!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 11

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Abendliche Altstadt / Gernsbach / Nordschwarzwald / September 2024

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Daheimgefühl versus innere Freiheit

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Wenn das Müde nach uns greift

Der Himmel nur noch Donnerblech

Zum Abendmahle Schwefel Pech

In überhitzten Kesseln schmurgelt

Beginn Dein Ende ohne Arg

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Wenn das Fade nach uns fasst

Der Fluß versiegend Ufer meidet

Ein Storch durch Auen trocken schreitet

Frosch ungeküsst im Brunnen tobt

Begeh Dein Ende Tag wie Nacht

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Wenn eine Reise ohne uns

Gestade fern und unbesehen

Ein Berg verborgen unter Wehen

Schnee fiel die ganze Woche leicht

Sing nicht vom Ende heut noch nicht

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Wenn Stunden alt und klapprig atmen

Bieg nochmals um die selbe Ecke

Erinner Dich an die Verstecke

Die Bilder hingen nicht umsonst

Denkt nicht an Ende häng sie um

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(gießen / anfang september 2025)

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Verloren wäre ohne Schwan der Lohengrin in seinem Kahn!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 10

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Bei Nonnenhorn / Bodensee / Oktober 2022

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Sand auf der Seele oder Du hattest mich an die Dinge gemahnt, die heimlich in mir waren

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Sie sind nicht voll

Die Flaschen leer

Und unter deinen Schwingen

Mit was soll ich noch ringen

Da ich nach Hause roll

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Auf morschen Pfaden hingemalt

Der Abdruck Deiner Schuh

Das Ächzen meiner Knochen

Soll ich Dir heut was kochen

Die letzte Rechnung nicht bezahlt

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Es dräut ein Schweigen langer Mut

Und Fingerspitzen tippeln Hast

Der Herbst fällt schüchtern über’s Land

Der Sommer halt erschöpft den Rand

Feuchte Felder Kartoffelfeuerglut

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Die Stadt tanzt ihre Häßlichkeiten

Passanten hasten ohne Pläne

Ein trudelnd Blatt ich fing es auf

Hoffnungsbrösel Dauerlauf

Wir sollten uns wohl vorbereiten

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(gießen / ende august 25)

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer sich ganz in Eisen hüllt, hat noch nie vor Schmerz gebrüllt!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 9

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Bank, altersschwach und Abfalleimer / Sowetsk (ehemals Tilsit) / 2. September 2017

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poesiealbum des alterns

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seit beginn des jahres sammle ich die

schmerzen des dahinschwindens die

wenn sie mir nicht zufliegen nächtens

oder wenn der griff zur kaffeetasse zu heftig eine

unerwartete drehbewegung weil ich ein

knirschen ziehen rasten überhörte dies

wollte gar und nicht anders kann ich dies

doch

zwischen die zipperzapperlein hüpfen sie tanzen

herein herein rufe ich nicht die uralten

die fröhlichen nie auskurierten nie kuratierten

schmerzen eines einstigen jünglings die nicht siedeln in den

knochen aber im kopf

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wohin gehen die tage wenn sie

vorübergehen bleiben sie

hinter der nächsten ecke stehen um

zu warten dort auf mich

einandermal

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(unlängst in einer schmerzhaften nacht / gießen sommer 25)

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Das was im Faß, ist meistens naß!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 8

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Und dann mußten sie den Blumenladen schließen / Gießen / vor ein paar Monaten

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Ich mache grad die Steuer. Seit Wochen mache ich grad die Steuer. Einst machte ich die Steuer an einem, bestenfalls zwei Tagen. Analog. Papier. Bleistift. Wenn es klemmte: Telefon. „Guten Tag, Herr Lugerth!“

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Jetzt stehe ich vor dem Portal. Ich kann da schon rein. Absurde, angeblich sichere Zahlen und Zeichen und Codes und was weiß ich nicht alles, machen mir den Weg frei. Ich werde traurig vor diesen Zeiten und schlag nach bei Franz Kafka. Da steht man dann davor.

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Es ist das Gesetz. Möchtest Du aber das Gesetz überleben: Bleibe ehrlich.

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Morgen werde ich erwachen, zu früh wie immer, an den Schreibtisch humpeln und mache Steuer. Sitze gebeugt über analogem Papier, das ich bis spätestens nächste Woche digitalisieren muß. Der Sachbearbeiter (m w div) kann das nicht. Warum die Finanzämter ihr Portal nach dem Vogel nennen, der seinen Lebensinhalt durch den Klau von Silberbesteck bestreitet?

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Ich zahle und zahlte gerne meinen Obolus an die Gesellschaft, im Gegensatz zu vielen alten Freunden, die ihr Geld auf deutschen Autobahnen verdienten, Lebensunterhalt erhandelnd, aber alle Steuer für ein Marterinstrument der Freiheitsdiebe hielten und davon ausgingen, daß der Herr im Himmel nachts die Pisten baut für lau und ihre Freiheiten. Kann man machen. War mir stets fremd.

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Gerne hätte ich es halt wieder einfach. Analog. Bleistift. Telefon. „Guten Tag, Herr Lugerth.“ Viele raten mir: geh doch zum Berater. Aber lieber vor dem Portal verzweifeln, statt Schmeißfliegen mit Honig zu füttern, um ein paar Pfennige zu sparen auf Kosten des Restes.

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Die Hüfte schmerzt. Diesen Tag und den nächsten Tag. Kurze Pausen nur. Alltag. Wunsch? Wieder in einem System ehrlich bleiben können dürfen.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann mit guter Kinderstube gräbt niemals andern eine Grube, weil, das ist halt der Lauf der Welt, er meistens selbst in diese fällt!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 7

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Kommt das Schiff oder legt es ab? / Bodensee im Juni 2025

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Ex-Vize Robert geht. Der einst kuschelbärige Prediger der Bescheidenheit kann nicht anders als dies etwas zu laut zu tun. Wohin aber will er denn nun? Zweizimmerkemenate? Als Bürgergeldjunkie enden? Muß er in eine WG mit Annalena Dior? In der prekären Kleinstadt NY-City? Kriegt der Dorian Grey der selbstverordneten Grandiosität unterwegs eine Idee in Sachen „Neues Buch“? Warum ich Politiker wurde, obwohl Politik nur für böse Menschen aus dem Sauerland oder vom Tegernsee geeignet ist? Die schlechter aussehen als meine Wuschelbärigkeit? Wobei Annalena auch mal gerne vor dem Spiegel steht. Wäre ich lieber eine Dame?

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Der Fronge Margus aus Nemberch fresst net nur dra im Weckla sondern ach mal neun. Soviel hätte der Miro als Clubbererbewecher gern auf der Habenseite. Aber da iss nur a Null. Hat Annalena die Kinder schon eingeschult in NY? Frogn über Frogn. (BS: Coaudor wor Loddar M! Basst scho!)

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Ich gehöre zu einer Alterskohorte, die fürchterlich drauf stolz war in Zeiten gut funktionierender Sozialsysteme in einer sehr wohlhabenden BRD belehrend in die Welt hinaus zu husten. An den Rändern war es damals noch nicht so kalt wie heutzutage. Jetzt huscht das, was wir einst Plebs nannten, an die von uns laut besetzten Rändern und brüllt da rum. Und wir würden lieber halbwegs gut berentet gerne unsere Ruhe haben in einer stabilen MITTE. Bittääää! Unsere neuen Lieblingsnummern? 110 und 112! Welches Schiff wird kommen? Dieses kaum noch!

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Wenn die Träume platzten wie der Luftballon, den man einst auf der Kirmes erbettelt hatte von Mama, obwohl der böse Papi gewarnt hatte, man also das Softeis, welches die Länge der eigenen Zunge überstieg, in den Kirmeskies fallenließ? Da begann wohl die hektische Suche unser sich arg intensiv empfindenden Generation nach den Schuldigen.

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Ich denke, es ist hohe Zeit vom Kinderkarussel des ewig gekränkten und beleidigten Gescheitle auf die Achterbahn namens Realitäten zu wechseln. Auch wenn es dem maladen Rücken nicht mehr wirklich guttut. What goes up must come down. Reiten wir auf dem Pony, welches wir selber anmalten einst und lassen die noch böseren Schwiegerleut drehen am Spinnrad.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann aus gutem Holz ist nur auf seine Taten stolz!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 6

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Eben noch junge Gespenster auf Untersee und Reichenau von einer Schweizer Anhöhe aus blickend

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Times fades away und wie die Gespenster mit der Zeit milder gestimmt

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Manchmal muß man Binsenweisheiten verbraten. Obwohl manchmal maßlos untertrieben ist. 95% aller Äußerungen jedweder Art von 97% Prozent aller Zweibeiner jeglicher Coleur sind nichts als das Wieder- und Weiterkäuen von Binsen. So ein ehemaliger, vor nun 11 Jahren leider verstorbener, Regisseur von mir einstens. Recht hatte er.

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Hier die erste Binse. Die subjektive Zeit im Alter rast. Und übertriebener Aktivismus hält sie nicht auf. Als ich eben die Mülltonnen reinholte, eine der Hausmannpflichten, die meinem Rentneralltag etwas Struktur verleihen, radelte ein ehemaliger Nachbar vorbei. So alle halbe Jahr‘ schaut er oder seine Frau in der alten Neighborhood vorbei. Und natürlich sprachen wir über die dahinfließende Zeit. Ich erzählte, daß vorgestern unser aktueller Nachbarbub eingeschult wurde. (Mein Gott, was für ein aufgeblasenes Bohei Eltern und Großeltern da heutzutage veranstalten! Gruselig!) Wir erinnerten uns wie vor einiger Zeit, sprich also gestern noch, seine zwei Mädels mit dem anderen Nachbarbub den selben Weg zur Schule tapperten, den der sich heftig (noch nur hoffentlich) dagegen sträubende Bube nun seit gestern auf sich nehmen muß aka sollen sollte. Binse 2: extreme Mutterfixierung. Klammeraffereien. Mama! Da werden neue Gespenster gezüchtet. Ist zuviel Liebe wirklich so viel „besser“ als gar keine Dingens! (Zumindest subjektiv nicht ‚empfundene‘ Dings? Was ist eigentlich Liebe? Außer ein Totschlagargument? Verzeihung, ein bisserl Häme muß ab und an!) Wir hatten uns gefreut über das zufällige Begegnen, verabredeten uns lose, wohl wissend, daß es wieder nicht klappen würde. So isses halt. Time wird dahinfaden. Pfiff das Lied.

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Jetzt höre ich eine meiner drei Lieblingsscheiben, die ich auf die besagte einsame Insel mitnehmen würde. Oder mir in den Sarg legen lasse. (Ich möchte nicht als anonyme Asche im Wald landen. Gottesacker muß schon sein. Und ein paar verlogene Grabrednersätze bitte auch. Könnte ich auch selber tippen.) Ich kuckelte ein bißchen rum und, hör einer an, mein Lieblingssong auf meiner lieben Platte wurde live am 11. Februar 1973 aufgenommen. Ist mir tatsächlich erst heute aufgefallen. Hier die Lyrics.

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Journey through the past

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When the winter rains come pourin‘ down

On that new home of mine

Will you think of me and wonder if I’m fine?

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Will your restless heart come back to mine

On a journey through the past?

Will I still be in your eyes and on your mind?

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Now I’m goin‘ back to Canada

On a journey through the past

And I won’t be back ‚til February comes

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„I will stay with you, if you’ll stay with me“

Said the fiddler to the drunk

And we’ll keep the tab on a journey through the past

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When the winter rains come pourin‘ down

On that new home of mine

Will I still be in your eyes and on your mind?

Will I still be in your eyes and on your mind?

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Jener verschneite Februartag hat das Leben unserer Familie auf allen Ebenen, horizontal und vertikal, beeinflußt, durcheinandergebracht, ganz neu oder noch älter ausgerichtet, egal ob man hinschauen wollte oder nicht, mit sofortiger Wirkung oder schleichend in der Langzeitversion und dafür umso fieser. Und mich letztlich dazu aufgefordert die alte Heimat zu verlassen. Der „Alte“ machte sich vom Familienacker. Darf man das? Verbale Empörungsrituale.

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Aber auch die hartnäckigsten Gespenster können im Alter eine gewisse Milde an den Tag legen. Ist das nun eine Binse? Vielleicht ist er wirklich zurück nach Kanada, wo er wohl mal glücklich gewesen war. Nach dem Krieg. Nun ein mildes und Bäume fällendes Gespenst? Lumberjack. Mit wem spricht der Sänger? Mit sich selbst? Oder dem Gegenüber? Ich habe es noch nicht herausgefunden. Will es auch gar nicht. Singe das Lied.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer müde ist, kriecht unters Segel – das ist ’ne gute Ritterregel!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 5

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Gießen / vorletztes Wochenende

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Unlängst stand ich vor einem „legendären“ Pavillon vor Ort. Weil diese Stadt, wie jedes Leben, sich gerne an die Reste, die man freudvoll noch erinnert, klammern mag. Und die dann oft im Superlativ etikettiert. Dachte könnte da ein nettes Photo (Ich klammeraffe mich an die alte Rechtschreibung!) machen für diesen Block. Hinter den leeren Scheiben lauert möglicherweise ein restliches Funkeln. Wertvolle Erinnerungen. Ich habe hier unseren Hochzeitsstrauß gekauft. Und meiner Mutter sehr oft Muttertagssträußle gefleuropt. Und das wunderbare Paar, welches den Laden betrieb? Aber wie mer sieht, sicht mer nix. Nur in meinem Rücken Menschen. In Bewegung. Was mache mer jetzt? Schreib ich einen Roim.

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Elche Kritiker Narzissten

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Elche Kritiker Narzissten

Sitzen oft in kleinen Kisten

Wo sie nicht nur einst vermissten

Liebe allumfassend ja

Von Papa Tante und Mama

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Der Frühling geht der Sommer bald

Der Herbst noch wartet dann wird’s kalt

Was es schon seit Jahren war

Mein Leben war nie wunderbar

Ich lebe zwar der Sorgen bloß

Mein Konto und die Wohnung groß

Doch Geister Zecken und Lemuren

Ach mein Leben voller Spuren

Narben darben voll der Bauch

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Der Kritiker den Elch beschimpft

Weil der sich viel zu spät geimpft

Der Elch dem Kritiker den Vorhalt macht

Er habe will zu spät bedacht

Man sei doch ein und ganz der Gleiche

So wie der Therapeut sacht zum Kliente

Du hast doch nix nicht mal niente

Und jetzt mein Leid tu akzeptiere

bevor ich die Geduld verliere

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Und der Narziss in seiner Kist‘

Den Zeigefinger gen Himmel hißt

Und blökt zum Ende des Gedicht‘

Keiner keiner liebt mich nicht

Also mach ich’s selber mir

Herr Doktor schnell noch ein Klistier

Da will mich was verlassen

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Dann schmiert man sich ein Butterbrot

Und salzt es isst es und der Kot

Am Ende Deiner Lebensmühle

Wo Herr im Himmel bist Du bitte

Doch der sagt

Spüle

All Deine Geisterchen hinab

Es wird ein lustig‘ Rauschen

Dein endend‘ Leben wirst Du nicht tauschen

Gegen Illusionen und selbstverordnet‘ Grandiosem

Zu spät doch übe Gnade

Besser iss gewiß

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Für einen Ritter ist die Rache so wertvoll wie ein fetter Drache!“

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Gestern war ich noch länger auf dem Stadtfest. Alles ein bisserl hysterisch massenhaftig. Wie es halt iss. Die malade Hüfte war aufsässig. Man trifft sich. Geht sich auch gerne mal aus dem Weg. Zu lange in dieser Stadt. Den einen Tag eben. Aber am Schluß – mir ist das Hessische immer noch ein humorlos und gewöhnungsbedürftiger Dialekt – das Folgende mochte ich dann doch. Weil es halt passte. Und manche Geister auch überleben sollen.

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