Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 4

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Weingut Haltnau / Meersburg visavis Konstanz / Im Gespräch mit alten Zeiten im Juni 2025

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Ist es denn nun an der höchsten Zeit der traurigen und übermüdet aufgedrehten Stadt zu entfliehen? Stadtfest ante portas in Mittelmaßhessen. Gewiß gab es Zeiten, da ich diesem Wochenende gerne fernblieb. Bitter Lemon minded und diversen Lautstärken nicht freundlich gesinnt. Inzwischen im meist ereignislosen Alltag vor mich hin kraulend, dachte ich, bleib ich hier und gehe raus heut‘. Und der Zufall, den ich gerne als Gescheitle zur Coinzidenz aufblase, servierte mir folgendes. Eine Frankfurter Jungrockerkombo eröffnet den Tanz. Der Bandleader heißt Chris Luger. Und seine richtigen Leut‘. Was soll ich da noch machen?

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer müde ist, kriecht unters Segel – das ist ’ne gute Ritterregel!“

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Müde ist in Ordnung. Garstig nicht. Bitter eh nicht. Schöner Song. Neide man den Anderen nicht die Freud‘, die zu empfinden man nicht mehr in der Lage ist. Oder? Und nur noch den schon seit langem Verstorbenen seine Nächstenliebereste bekunden? Ehrliche Umarmungen sind nicht so einfach. Schönes Lied.

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 3

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„Ich habe Deinen Namen eingezeichnet in meine Hände. Und damit halte ich ihn fest.“

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Gibt es tatsächlich so etwas wie eine kontrollierte Offensive? Gibt es so was wie einen milden Zorn? Existiert möglicherweise eine Art von Berechtigung Grenzen anderer erkenntniserweiternd überschreiten zu dürfen? Sind Zornesfalten Ausdruck einer ewigen Suche nach … ja was auch immer.

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Kurz nach unserem 50 Jahre Abiturtreffen am Bodensee erreichte mich die Nachricht, daß ein prägender und viel Platz einnehmender unserer Lehrer verstorben ist. Er hatte, damals gerade Mitte 30, die Verdrängung eines Tankers, wenn er durch die Reihen unserer Klasse pflügte. Laut. Übergriffig, würde man heute sagen. Selbstverliebt. In solchen Fällen wird dann schnell gewertet. Daumen runter. Oder vielleicht doch Daumen hoch? So auch in unserer alten Klasse. Ich schrieb in diesem Zusammenhang eine Mail an eine mir liebe Klassenkameradin.

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„G. war tatsächlich eine höchst ambivalente Gestalt. Während er mir meine Eins in Geschichte geklaut hatte und mir dafür eine ideologische Drei verpasste, weil ich stets aus der Sicht des historischen Materialismus (Dumm und überheblich halt als Jungmaoist!) geschichtliche Ereignisse eingeordnete, hat er jedoch, traf er meine Mutter später in der Stadt, von mir stets in den höchsten Tönen geschwärmt. Jahre später, ich war schon längst am Theater, traf ich ihn bei meinen KN-Aufenthalten einige Male in alten Thermalbecken am Jakob. Und da suhlten wir uns in der Rentnerbrühe und er erzählte mir, von Badehose zu Badehose, er habe zu Hause einige Aufsätze von mir aufbewahrt. Seltsamer Vogel. Zerrissen. Als Bub hatte ich auch seinen Vater kennengelernt. Mein Schulweg führte an deren Haus vorbei. Der Alte war ein Patriarch ältester Machart. Aber G‘s Frau war eine Seele. Nach der Geschichte mit meinem Vater war Sie mir öfters eine echte Hilfe. Großes Herz. Und – wie so viele Frauen – mit der Fähigkeit diesen Kerle zu ertragen und zu lieben.“

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Etwa vier Monate nach dem Selbstmord meines Vaters im Jahre 1973 organisierte selbiger G. mit anderen Lehrkräften einen zehntägigen Kulturausflug nach Burgund. Inklusive Weingüter. Meine Mutter konnte sich das nicht leisten für mich. Aber G. hat mitgekriegt wie ich in den Seilen hing und hat sich dafür eingesetzt, daß der Bub subventioniert wird. Seine Frau hat uns begleitet auf der Reise. Und ein gütiges Auge auf mich geworfen, der ich ein bisserl zu überdreht in die Normalität zurückkehren wollte. Während ihr Gatte versuchte ein etwas zu lautes und strenges Regime inklusive Wissenserwerbsverpflichtung auf uns niederregnen zu lassen.

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Gestern hat mir mein Bruder ein Foto von G’s Grab geschickt. Nun liegt er neben seiner Frau. Auf Ihrem Grabstein steht: „Ich habe Deinen Namen eingezeichnet in meine Hände. Und damit halte ich ihn fest.“ Daneben der Vorname von G. Zorn und Sanftheit. Liebe und Wut. Denen, die allzu schnell urteilen wollen, kein eigenes Urteil hinterherschicken.

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 Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann von Schrot und Korn kennt sich selber nicht im Zorn!“

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Während der Burgundreise saßen die üblichen Bengel natürlich in der letzten Busreihe. Einer hatte einen Kassettenrekorder dabei und einen großen Beutel voller Batterien. (Ein Jahr später ist leider auch er selbstständig von dieser Welt gegangen.) Und wir hörten in heftiger Umdrehung diese Platte. Nee. Wir hörten eine Kompaktkassette.

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Boote im Walde mit Blick auf den See

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Klausenhorn bei Wallhausen neben Dingelsdorf hinter Konstanz im Juni 2025

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Hier herrschte nun einige Zeit ein Schweigen im Walde. Viele Gründe. Hitze oder zu viel Regen. Eine neue Hüfte muß in den Körper rein. Baldigst. Gedankenfreiheit im Hirn. Die Seite mußte auf einen neuen Server verfrachtet werden. Was nun funktioniert. Da sei dem Schwager herzlichst gedankt. Also blieben die Boote im Wald und nicht auf dem See. Ob sie demnächst wieder in den Wind geschickt werden, das weiß ich noch nicht. Schweigen hat gewiß seinen Reiz und ist notwendig, aber die Eitelkeit ist ein Pferd, welches zu Ende geritten werden muß.

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Was sagt dazu nun Ritter Runkel von Rübenstein? „Ein Ritter meide Schiff und Segel, heißt eine alte Ritterregel.“

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Und hier bitte: Bob Dylan beim Bullitreffen 2025. Grüße an den See.

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Mr OZZY, what went on in your Head?

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Nun ist die letzte schwarze Messe gesungen

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Er taumelte und torkelte in einem Reich zwischen der Realität und einer Freakshow namens Popindustrie: Zum Tod von Ozzy Osbourne, dem Miterfinder tonnenschwerer Musik.

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Das Ende war klar, und das Ende schien immer nah, doch dann hat es sich ein paar Jahrzehnte Zeit gelassen, dieses Ende, was einem wieder einmal vor Augen führt, dass man wirklich von nichts eine Ahnung hat. Aber jetzt war es dann doch so weit: Vierzehn Tage nachdem die Geldgier seiner Mitmenschen den Selbstdarsteller John Osbourne noch einmal auf eine Bühne gezwungen hat, bewegungsunfähig auf einem schwarzen Thron geparkt, daheim in Birmingham, ist Ozzy im Alter von 76 Jahren gestorben und damit dem ganzen Trubel um seine Person entkommen, außer sein Management lässt ihn jetzt plastifizieren und als moderne Mumie um die Welt reisen, wie gesagt, man kann es sich nicht vorstellen, was in diesen Köpfen so vorgeht.

Es fällt einem schon schwer zu glauben, was man als Ozzys Zeitgenosse hat miterleben dürfen oder müssen: Es war wohl 1970, als ich mir von einem Schulkameraden das titellose Debüt von Black Sabbath auslieh, nicht ahnend, was eine schwarze Messe war, was Satanismus und dass der Sänger, dessen Stimme am ehesten dem Schleifgeräusch einer Flex ähnelte, dies ebenso wenig wusste. So tasteten sich Popstar und Popfan in trauter Ahnungslosigkeit in die mal finster, mal gülden erscheinende Zukunft, und damit haben wir eigentlich auch schon den Seelengrund der Musik von Black Sabbath und von Ozzy Osbourne berührt: Dies war und ist Musik für junge, weiße Männer – für „lads“, wie das in Großbritannien heißt –, die ohne gutbürgerliches Urvertrauen durch ihr Leben torkeln und taumeln, durch eine zähe, sie ständig nach unten ziehende Klebmasse namens Realität, deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten alle anderen zu verstehen scheinen, nur man selbst nicht.

1970 hieß das weder Heavy Metal noch Stoner Rock, und Black Sabbath, die sich davon Erfolg versprachen, die anderen Jungs in eine Art akustische Geisterbahn zu locken, lieferten den idealtypischen Soundtrack zu genanntem Teenager-Ennui, darunter Kracher wie „Paranoid“ oder das Antikriegslied „War Pigs“. Warum das funktionierte und wie lang das funktionieren würde, das wusste der einst kleinkriminelle Ozzy so wenig wie seine Mitgeiseln in dieser Freakshow namens Popindustrie, und diese Verlorenheit ist es, die keiner so unverstellt nach außen kommunizieren konnte wie Ozzy Osbourne. Darum liebten wir ihn, wenn er aus Versehen einer auf die Bühne geworfenen toten Fledermaus den Kopf abgebissen hat, wenn er jede Droge ausprobierte, die ein Hobbychemiker sich hat einfallen lassen, wir liebten ihn mit Black Sabbath und als Solokünstler, als Star einer Realityshow im Musikfernsehen oder als zitternden Tatterich, der sich irgendwie durch die Show, die ja immer weitergehen muss, hindurchwurstelt, selbst am meisten überrascht, dass man immer noch da war nach all den Schicksalsschlägen und selbst verschuldeten Zerstörungsversuchen am eigenen Leib.

Legendär sein Grund, eine Entzugsklinik nach wenigen Tagen wieder zu verlassen: Er habe keine Lust, selber sein Bett zu machen. Diesen Job, neben tausend anderen, übernahm 1982 Ozzys zweite Frau Sharon, die als Tochter eines überlebensgroßen Londoner Gangsters und Musik-Promoters durch eine vermutlich harte Schule in Sachen Selbstbehauptung gegangen ist und nun aus dem Häuflein Ozzy-Elend einen der erfolgreichsten Solokünstler der Achtzigerjahre formte, obwohl ihm gerade sein neuer Gitarrist durch einen Freak-Flugzeugabsturz abhandengekommen war, die in den Neunzigern ihren eigenen Metal-Sommer-Tournee-Zirkus ins Leben rief, die in den Nullerjahren gut geschminkte Miene zum Reality-TV-Spektakel machte und den immer hinfälligeren Ozzy samt den eher kompliziert geratenen Kindern im Wortsinn wie im richtigen Leben gemanagt hat bis hin zu den immer wieder stattfindenden „letzten Konzerten“.

Und sollten Sie bis hierhin gelesen haben, ohne eine einzige Platte von Black Sabbath zu besitzen, so rate ich zum „Reunion“-Album von 1998, auf dem sich die verfeindeten Kumpels von einst zu einer entschlackten Mega-Stadionrock-Form hochjazzen, dass man glauben möchte, diese tonnenschwere Musik würde gerade jetzt erst neu erfunden. In diesem Moment der Euphorie wie Traurigkeit sei auch an zwei Dinge erinnert, die man vielleicht überhaupt nicht mit Ozzy Osbourne in Zusammenhang bringen kann oder will.

Da ist zum einen eine, wie man heute sagt, queere Komponente, die in dieser pickligen, schwitzenden, testosterongesteuerten und von ständigen Erektionen geplagten Jungsmusik zumindest überrascht, vielleicht auch erst heute als solche gelesen werden kann: So tragen schon 1970 Feen hohe Stiefel und tanzen ekstatisch mit einem Zwerg, heimlich beobachtet von Ozzy himself, und wie Ozzy sich auf dem Cover seines Solodebüts „Blizzard of Ozz“ von 1980 räkelt, geschminkt und lasziv gekleidet in seiner pummeligen, leicht buckligen Nichtschönheit, das erzählt von einer seltsamen Bodypositivity und auch sexuellen Neugier, welche die eine oder andere Masterarbeit lohnen könnte.

In Richtung akademische Anerkennung des Werks von John „Ozzy“ Osbourne weist auch die seit Jahrzehnten ungebrochene Beschäftigung renommierter Intellektuellen-Bands aus dem Bereich Punk und Indie. Seien es Pere Ubu, die Smashing Pumpkins oder Mountain Goats – der Einfluss von Ozzy und/oder Black Sabbath auf bestimmte Sound-Vorstellungen und Grundgestimmtheiten gehört ebenfalls gesichtet und benannt. Vor der Arbeit aber das Vergnügen: Black Sabbath hören, laut mitsingen bei „Mr. Crowley“, diesem irgendwie unschuldigen Toren und Miterfinder der lautesten Musik auf diesem Planeten die letzte, dann die allerletzte, dann die allerallerletzte Ehre zu erweisen, soll jetzt unsere vornehmste Aufgabe sein.“

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(Dank an Karl Bruckmaier / FAZ vom 24.Juli 2025)

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 2

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Konstanz / Juni 2025 Sternenplatzhagelvoll nach 50er Abitursfeier

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Heimatkunde ist halt stets auch Heimatwunde. Oder eher andersrum? Aus der Heimatwunde erwächst selten eine Heimatkunde, sondern etwa so etwas wie Heimatmief? Oder doch nicht. Fragen wir den Arzt, den alten Deutschlehrer oder, falls es ihn noch gibt oder je gab, den Pfarrer, der Dich konfirmiert hat.

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Gestern fuhr ich, das Seniorenticket sei gepriesen, vor die Tore Gießens um bei den Schwiegereltern eine Gemüsetüte abzuliefern. Seit zwei, drei Wochen ist unsere Parzelle der Oberbefehlshaber meines Alltags. Pflegen, gießen, ernten, einlagern, Speisepläne erstellen. Dieses Jahr wächst und gedeiht viel. Da oben. Eine Art beruhigender Gegenentwurf zu den üblichen Hysterien überall. Da muß man teilen. Als der Bus das Ortsschild meines Zieles passiert hatte las ich auf einem Schild rechter Hand: „Kirmes vor Ort. 18. bis 21. Juli.“ Ich erinnerte mich. Man hatte mir davon erzählt. Heute also Montag, also der Frühschoppen und eigentliche Höhepunkt der Kirmes und das Restetrinken. Da will ich hin.

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Blasmusik war mir nie ein ideologisches No-Go. Ganz im Gegenteil. Ebenso wie Schrammelmusik oder bayrische Hackbretter. Ein alter Freund von mir studierte eine Zeitlang in München und auf den nächtlichen Fahrten dorthin hörten wir begeistert stoned, was wir damals den „Alpenblues“ nannten. Wahrscheinlich schaue ich deshalb morgens vor dem Frühstück so gerne Panoramabilder auf Bayern 3. Als ich einst in Tübingen engagiert war, bereisten wir Mimen im Herbst die schwäbischen Dörfer mit all ihren Feschtle und grölten zu Sierra Madre im Zelt von manchen Bieren wunderbar geborgen. (Verzeihung, Herr Bonhoeffer!) Ein Kollege aus Unterfranken, ehemals Soldat und sehr guter Schütze, schoß den Damen des Ensembles eine Plastikrose nach der anderen bis uns die Dorfjugend vom Acker jagte. Am Montag standen wir wieder auf der Probebühne als linke Weltenretter. Frühkindliche Prägungen halt. Mein Vater hatte etliche dieser damals allgegenwärtigen Fontana-Platten. Eine davon: „Deutsche und internationale Märsche“. Ich erinnere mich noch, wie ich als Bub auf dem Teppich vor der Musiktruhe (was ein wunderbares Wort!) lag und unbelastet zum Badenweiler-Marsch mitwippte. Oder gar dirigierte? Die Gnade der späten Geburt? Und trotzdem nicht im Herzen verdorben ward.

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Also betrat ich das Bierzelt. 11Uhr30. Am Tresen bestellte ich bei einer komplett tätowierten, gepiercten und gut gelaunten Punkfrau gleich zwei Bier. Zu meiner Entschuldigung dies: für einen in Süddeutschland aufgewachsenen sind Biere in Nullzwei Größe und das auch noch in einem Bierzelt ein Sakrileg. Dat darf man nur in Kölle. Ich setze mich also beidhändig bestückt an eine der Bierbänke, die Blasmusik spielte einen Marsch und die junge Frau hinter dem Tresen tanzte dazu vor sich hin. Wenn dies Heimatmief ist, so roch er nach Ambrosia. An der einen Nebenbierbank saßen die Altburschen „Frohsinn“ und stachen ihr zweites 10 Literfass an. Eine Bierbankreihe weiter erklärte ein Jungspund, vielleicht 16 oder ähnlich, seinen Kumpels wie man Appelwoi exxen kann. Zäpfchen nach hinten und nicht atmen. Sogar die Mädels machten mit. Denn so buchstabiert sich Fortschritt: da saß eine Burschen- und Mädchenschaft. Das Zelt füllte sich, die Blasmusik rockte und ich fühlte mich einfach nur wohl. Unter Menschen statt Labertassen. Betrachten statt altvorderer Analyse. Doch dann brach die Hölle los. Ein brachiales Gewitter donnerte auf das Zelt nieder, man verstand sein eigenes Wort nicht mehr, die Band mußte die Stecker ziehen und da das Bierzelt auf leicht abfälligem Terrain stand rauschte eine kleine Flutwelle unter den Bierbänken hindurch. Die kräftigsten Jungburschen, ich glaube sie hießen „Immergrün“, versuchten, man kennt das vom Camping, mit Besenstielen, Bierbänken und Leitern die bedrohlichen Wasserdellen von Zeltdach zu entfernen. Das Publikum blieb gelassen, schaute sich das Spektakel an, die Bedienungen trugen ihre Zehnerträger nassen Fußes an die Tische und draußen drehte sich das leere Kinderkarussel gelassen durch den Sturm. Die Losverkäuferin betrachtete die finsteren Wolken und die Pommes wurden kalt und lapprig. Ich holte mir noch einen Zweierset Bier und als der Regen nachließ, brach ich auf um nachzuschauen ob unsere kleinen roten Freunde aka die Tomaten auf dem Feld das Unwetter überlebt haben. Sie hatten. Jippie!

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Conclusio? Keine. Jedoch tut es gut gelegentlich den Menschen zu begegnen, die einfach mehr sind als wir Klugscheißer. Zuhause dann fand ich Post, die mir mitteilte, daß meine Rente ab sofort um 20 Euro im Monat ansteigt, quasi explodiert. Da hätte ich mir auf der Kirmes doch noch ein nonveganes Steakbrötchen leisten können. Menno! Aber besser so! Nächste Woche muß ich die Steuer machen. Man weiß ja nie. Und Sascha Bendiks – siehe Heimatmief – spielte letzten Samstag in Lollar auf. Groß.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Ritter kämpfe nur mit Drachen, das Schreiben sollen andre machen!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 1

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Erinnerungsruine Costa del Sol / Konschtanz / 23. Juni 2025 / Heilandzack aber au

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Heimatkunde ist halt stets auch Heimatwunde. Der Leithengst aller linken Bescheidler namens Teddi vom Wiesengrund setzte einem seiner früh und später viele Spätkonsumenten prägenden Werk das gerne wiedergekäute Zitat vom falschen Leben im richtigen Leben oder umgekehrt als scheinbar donnernden Vorgedanken auf die ersten Seiten. Wurst oder Jacke wie Hose waren mir immer diese wiederzukäuenden Weisheiten und in meiner Jackentasche fand sich nie eine mich ewig begleitende Ausgabe zur auch noch ewig gültigen Gedankenanregung. Eher eine Packung Camel ohne Filter. Man stirbt schneller als man denkt auf der Matratze namens Vergangenheit. Karl Lagerfeld sagte mal: „Ich möchte auch nicht gesehen werden, wenn ich tot bin, find ich furchtbar. Tuch drüber und weg. In den Mülleimer. Aus. Vorbei.“  

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Ich habe eben eine sehr angenehme Woche in meinen Vergangenheiten verbracht. Konschtanz. Mutter wurde neunzig Jahre alt. Und fuhr drei Tage nach den Feierlichkeiten mit ihrem Freund, fünfzehn Jahre jünger als sie, mit dem Bulli nach Norwegen. Drei Wochen lang trauen sie sich das zu. Gut. Meine Frau ist fünfzehn Jahre jünger als ich. Sind das jetzt Prägungen? Oder einfach nur einer dieser Zufälle, welche man Leben nennen mag.

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Heute lief ein Mensch mit beschrifteten T-Shirt vor mir her. Was ich eigentlich nicht wirklich mag. Da stand: „Ich sammle Fehler. Andere nennen das ein Leben!“ Sehr schön. Der Mann schwankte ein wenig.

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Dann noch zwei Tage Feierlichkeiten am See dazu. Fünfzig Jahre Abitur. Gute siebzig Prozent der ehemaligen Absolventen anwesend. Der Tod hat nur zweimal zugeschlagen in der Gruppe und zweimal noch an den Rändern. Selten so viele lachende Gesichter um mich herum. Keine Penislängenvergleiche. Kaum Aufplustern. Eine seltsame Gelassenheit im Blick zurück. Glück gehabt. Wobei: in Baden-Württemberg wohnen nicht die Hungerleider. Deshalb wohne ich nicht mehr dort.

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Mit meiner Frau auch noch Geburtstag gefeiert auf dem Säntis. Wir könnten dann von ganz oben auf das alles was war blicken. Hatte ich auf die Geschenkkarte geschrieben. War nicht nötig. Wir haben Herisauer Geschnetzeltes gegessen. War nicht ganz billig. Besser so. Wenn die Kasse leer ist, ist es wohl besser keinen Geiz zu zeigen. Auch sonst nicht nötig.

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Ich hatte anderen Tags, wie immer, vorgeschlagen eine Kleinigkeit und viel Flüssigkeit im Costa del Sol in Konschtanz zu uns zu nehmen. Tja. Die alte Hütte nur noch eine Ruine der Erinnerung. Da war dann ein wirklich wesentlicher Teil Vergangenheit von mir unbemerkt den Acheron heruntergerauscht. Adios. Sammeln wir weiter Fehler ohne Besserwisserei.

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Mal schaun ob aus dieser Kategorie was wird. Melankomisch. Moralfrei.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Selbst auf der längsten Leiter kommt man schließlich nicht mehr weiter!“

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„Seit Wochen jede Nacht dieser Nebeldunst über den Teichen. Irgendwo da draußen schlägt immer einer auf ein totes Pferd ein.“ (frei nach Bob Dylan)

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Lob der Vernachlässigungen

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Und ich hatte doch noch was auch immer

Ich wollte aber

Morgens die unaufgeräumte Küche Mahnung an den Abend davor

Und was war es eigentlich was ich wollte

Die Versprechen die goldnen wo sich verirrt

Warum die Ampel heut‘ rot

Und dann dreht man sich um

Schon wieder jemand in Not

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Was war’s was gegolten

Als wir noch konnten vertraun

Was war’s was gegolten

Statt johlend sich zu verhaun

Was war silbern statt golden

Wir erinnern uns nicht

Es stolpern die Reime

Über mein letztes Gedicht

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Was immer wir wollten

Vergessen wir’s schnell

Heute war’s dunkel

Morgen wird’s wieder hell

Und der Mann auf dem Mond

der passt auf uns auf

Unsere Erde bleibt rund

Und läuft ihren Lauf

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Lasse ich die toten Pferde liegen und strenger riechen

In Ruhe als

Die eigenen Zeigefinger

Fuchtelbefreit

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„Der Sturm wird immer stärker. Das macht nichts. Ich auch!“ (Pippi L.)

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Lob der Lethargie

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Wie ich beschloß ein schlechter Mensch zu werden

Der ich schon immer

War mit dem nackten Arsch gen Bestätigung

Da wo er mich lecken mag

Empor empor empört schon lange nicht

Mehr mehr sagte der kleine Häwelmann und ich mache mir

Die Welt wie sie vielleicht

In den alten Unterhosen und Almanachen nur noch gelbe Flecken

Pippi konnte Pferde in die Luft

Schlösser

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Als kleiner Junge träumte ich vom Dietrich

Der öffnende Öffner der verschlossenen Schlafzimmer

Töte den Vater schlaf mit der Mutter

Oh Jimi Morrison Schreivogel

Der Diederich die alten Geschichten wundersam befreie

Wie ich mein trauriges Glied von mir selbst

Jahre später verabschiedete sich eine Bildschirmtante

Nacht für Nacht

Alles wird gut

Grinste sie

Ach

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Jetzt liege ich auf der Matratze meiner letzten Sätze

Roch besser schon

Doch meine Frau verzeiht mir

Was ich mir niemals

Und die Jugend vermodert endlich sich

Müde so müde

Und führe mich nicht

Versuche mich

Chimären kostenbefreit und von der Erlösung

Singen die ewigen Konfirmanden

Und die Weltenretter tanzen in ihren Gummizellen

Den Klammerblues allein

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