Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 12

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Feuerlöscher im Knast / Feste Agios Georgios / Peratata / Kefalonia / Hellas / 3. Juni 2023

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Nicht die besten Karten auf einmal auf den Tisch legen.

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„Wenn der Drang auszubrechen größer ist als die Selbstachtung. Wenn Freiheit nur ein Wort ist, dessen tiefere Bedeutung man nicht kennt. Wenn die verletzte Seele nach weiteren Verletzungen sucht.“

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Obiges las ich irgendwo dieser Tage. Ich hatte es hier notiert. Leider habe ich komplett vergessen in welchem Zusammenhang. Ein Buch? Die FAZ? Literatur? Theater? Psychologie? Ratgeber? Apotheken Rundschau? Habe ich es gar selber gedacht? Nee! Kaum! So gescheit bin ich nicht. Auch wenn ich es mir öfters einbilde. Aber es klingelte in den denkenden Innereien. Als ich das las. Aber warum?

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Zurück zu den besten Karten, die man holterdiepolter auf den Tisch haute ab und an. Die Einen nennen das Offenheit, die Anderen selbst grundgütig kaum zu verzeihende Naivität. Wenn man zu schnell in einer Begegnung alle Türen aufreißt, darf man sich nicht wundern, wenn ungeladene Gäste die Party entern. Oder besser gesagt aus einem Dialog eine Party machen. Partys dauern eine Nacht. Dialoge könnten langfristigere Perspektiven haben. Und sind die besten Karten wirklich die guten Karten?

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„Wir“ wurden seltsam sozialisiert. In den Siebzigern. Ganz schlimm in den Achtzigern. Konfrontiert mit dem massiven Schweigen der Eltern und Großeltern, denen wir erst jetzt im Alter einen gewissen Respekt oder zumindest Verständnis entgegenbringen können, entschieden wir uns – Pendel hin und Pendel her – dafür jede noch so unwesentliche Belanglosigkeit dem Gegenüber vor die Latzhose zu knallen. Natürlich emotional. Betroffenheit nannte man das. Was nichts mit Empathie zu tun hat. Die schweigt. Oder handelt. Generation Laberrhabera wir aber.

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Beim Schreiben fällt es mir eben ein, woher das Zitat. Hier! Ein Buch übers belastende Schweigen der Eltern. Und wie man dann die Vorwurfsebene verlässt und handelt. Und beginnt eine Suche. Ich las es gerne und mit großem Gewinn. Der genauere Zusammenhang des Zitats entfiel mir aber.

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Vielleicht ist ein Schweigen zu respektieren. Ab und an. Mir fällt das oft sehr schwer. Obwohl ich selbst ein überzeugter Schweiger bin. (Entschuldigung! Das ist kein bemühter Gießen – Witz!) Nicht jede Betrachtung aber mündet in Erkenntnis und Conclusio. Liegt eher im unteren Promillebereich. Außer vermeintlich in unserer Alterskohorte. Do simmer dabei, dat is prima oder janz schlimm. Dat wisse mr stante pede. Ich glaube wir sind zu schnell gewesen. Stets. Und noch. Unsere empathischen Feuerlöscher liegen vergessen im Keller. Wer hat die Schlüssel eigentlich? Sind sie verloren?

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Alternative? Öffentlich hinter einem geschlossenen Vorhang agieren? Möglicherweise schätze ich deshalb meinen Meister Zimmerman. Siehe unten. Besser sich nicht selbst aller Überraschung entledigen. Vor der Zeit.

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Wo ist die Zeit? / Auch Eisenfuß stirbt

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Dorftaverne / Stavros / Ithaka / Hellas / 7. Juni 2023

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Erhielt heute eine Mail von einem Fachmann in Sachen Erinnerung. Horst Dieter Höttges sei gestorben. Gestorben wird dieser Tage auf der Welt und im Umfeld wie blöde. Manchmal hängt persönlich oder generell an der Leich‘ Erinnerung. Vielleicht gar ein Prinzip. Welches man, sich erinnernd, meint zu vermissen dieser Tage als wertvolles. Mal ohne, mal mit Anlaß.

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Man verzeihe mir den Ausdruck „die Leich‘“. Jedoch ist die wienerische Sicht auf den Gevatter mir eine recht nahe. Gesturbn wern muaß. Wird da gesungen. Oder wie man im Stephansdom lesen darf: „Optima philosophia et sapientia est meditatio mortis.“ Was heißt: »Es ist die höchste Philosophie und Weisheit, sich den Tod vor Augen zu halten.«

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 Zurück zu Horst Dieter Höttges. Allein der Dreiklang dieses Namens. Wer kennt noch einen Horst unter 50? Gar einen Dieter unter 40? Und einer namens Höttges würde dieser Tage bestenfalls in Atzbach oder Prignitz oder auf Pellworm kicken dürfen. Ich saß also neben Vattern auf dem Sofa. Der Fernseher, pünktlich zur WM 1966 erstanden, grieselte vor ich hin und ab und zu, wenn der Argentinier oder Spanier und – Verzeihung! Triggerwarnung! – der „Uru“ oder gar der „Iwan“ sich dem deutschen Strafraum näherte, fegte ein langgestrecktes Bein den Stürmer vom Rasen. Das Bemerkenswerte, was ich dann später auch in den kurzen Sportschau – Ausschnitten der Bundesligapartien sehen durfte, der vom sogenannten Eisenfuß kurzzeitig aus dem Spiel Genommene wälzte sich nicht am Boden rum, nach dem Nebenrollenoscar schielend. Er stand auf. Machte weiter. Das ging recht flott. Frisuren waren nicht zu richten, vielleicht die Stutzen hochzuziehen. Selbst der Bomber und uns Uwe nahmen es gelassen. Ein ordentliches von den Beinen geholt zu werden war da noch keine Majestätsbeleidigung. Und weil Höttges auch nur den Ball im Blick hatte – meistens – und nicht die Knochen des Gegners, gab es auch keinen Grund hyperventilierend zum Schiri zu stürmen und Vergeltung zu fordern. Mit dem ewig erhobenen Arm. Die sogenannte „Joshua Neuer – Geste.“

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Vielleicht stirbt das für mich mit einem wie Höttges: Duelle, Konflikte, den nicht zu vermeidenden Zusammenprall (Dig the Interessenkonflikt!) fair auszutragen und nicht gleich ins Netz oder gar zum Kadi zu rennen. Die großen und kleinen Panzer losschicken zu müssen. Und rumzujammern. Auf der Suche nach der einen großen Gerechtigkeit, die nichts anderes ist als den eigenen überlaufenden Suppenteller stets voll wissen zu wollen.

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Höttges hatte sich wohl – wie ich las – schon seit langem in die Demenz verabschiedet. Vielleicht gibt es eine Form der kontrollierten Demenz. Nichts verdrängen. Nichts ausklammern. Sondern einen starken Filter der durchgeknallten Welt, die auf den eigenen Strafraum zustürmt, entgegenzuhalten. Und wenn nichts anderes hilft den Eisenfuß aktivieren.

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Eines hatte der Horst bestimmt nicht. Ein Eisenherz. Was natürlich auch wiederum Spekulation ist. Oder meine Erinnerung an meine Erinnerungen. An diese Leich‘ erinnere ich mich mit Freude und Respekt. Zurück zu Bob!

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 11

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Nationalpark Berg Enos / Kefalonia / 4. Juni 2023

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Klage nicht die Winde an. Die wehen.

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In den Sandkästen schlugen wir uns die Plastikschaufeln auf die Köpp

An der Fasnacht auch mal eine Käpselepistole

Was den Vater nicht erfreute

Der hatte mit kargem Lohn die fordernden Mäuler gestopft

Seine Aktentasche flog durch die Luft und trennte Kain und Abel

Für einen Moment

Biblisch wurde es dann nicht aber blieb kleinlich

Scheele Blicke auf Teller rechts oder links

Selbst ich der ich die 190 cm Lebenslänge anstrebte

Hatte das Gefühl gekommen zu sein

Jedoch zu kurz

Dumme Flecken unter Decken und daß John Wayne am Ende seiner Filme

Oft die Dorflehrerin die dem maßlosen Westen Kultur beibringen sollte

Den Hut ziehend in Schräglage küßte machte Hoffnung

Dann übernahmen Clint and Sergio und man spielte eher Lieder vom Tod

Staubaufwirbelnd einsam stolz

Wir gaben unseren bekifften Fahrrädern die Namen der Pferde Winnetous

Die kargen Berge des Südens nun Verheißung und Erinnerung

Der klammen Träume und an die Decken der Kneipe die Teebeutel

Geschleudert blieben sie hängen und einmal rutschte der Whisky genauso

Elegant über den Tresen wie bei John Ford

Der stete Wind trieb Tumbleweed über die Main Street

In dieser stupenden Langeweile möchte ich Siege feiern

Der Föhn blähte nicht die Segel sondern trieb mich vor mir selber her

Schlingerndes Schiff

Heute klebt man sich an den Dingen fest diese zu bewegen

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Bei uns alten Jungs ist halt – TRIG*GERWARNUNG! TRIGG*ERWARNUNG! TRIGG*ER*WARNUNG! – Hopfen und Malz verloren. Wer mit dem ganzen Wild West Kram sozialisiert wurde, kann nicht anders als hinter jeder der kargen Bergketten die angreifenden Komantschen zu ahnen, in Schluchten das Signalhorn der rettenden Kavallerie zu hören und Nscho-tschi sterbend in den Armen halten zu wollen. Zur Not Rock `n´ Roll auf die Bühne setzen.

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Der Nationalpark rund um den Berg Enos, unser Hausberg auf Kefalonia, ist eine der perfektesten Landschaften in Sachen hier kann ein gerne noch mal wilder Westener einer sein können dürfen mögen. Zumindest im Kopp. Meine Frau hielt ungerührt das Lenkrad des Mietautos in den Händen, während ich euphorisiert meine gesammelte Westernfilmhistorie zum Besten gab. Mal wurde zugehört, mal um Schweigen gebeten. Ironische Distanz, eine Gabe die nicht jedem gegeben. Und dann bogen wir um eine der etlichen spektakulären Kurven. „Du musst hier halten. Hier haben sie das Cover von Ace of Spades photographiert.“ Pure Behauptung. Was soll man aber tun, wenn die Assoziationen und Erinnerungen einen überfallen?

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Was ich nie gelernt: Nicht die besten Karten auf einmal auf den Tisch legen!

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 10

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Glockentürmchen der Kapelle des Heiligen Paulus / bei Pessada / Kefolonia / 3. Juni 2023

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Egal wohin wir gehen, es ist immer woanders.

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Hier mal ein paar Großbuchstaben: LANGE GALT ES ALS GESICHERT. Weiter im Text oder eher halt Pustekuchen. Man sagte immer, Paulus der Apostel sei auf Malta gestrandet, was lange als gesichert galt. Denkmal dann. Touristen und Pilger folgten. Irgendwann ist einer verbissen, glaubt nicht ans das LANGE GALT ES ALS GESICHERT, hängt sich rein und erzählt eine andere Geschichte. So wehten wieder die Winde andersrum. Wie bei Odysseus. Und man landet an ferneren Stränden. Ich liebe die Zufälle. Auch wenn diese gerne Schmerzen in der Hinterhand bereithalten.

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Der Historiker Heinz Warnecke hat bei seinen Nachforschungen rausgefunden, daß der kirchengründende Fels und Apostel doch wohl eher auf Kefalonia gelandet war. Wie auch der Vielgereiste. Jetzt ist Warnecke Ehrenbürger des Eilands. Die Anwohner in Stolz selbstredend. Mal schau‘n wann der nächste Wind den Jesusjünger und auch den Irrfahrer wieder woanders hinweht. Paulus bleibt im Sturm. So auch wir. Sogar ich. Und das Du eh! Singe mir, oh Muse. Selbst wenn Du das Schweigen bevorzugst.

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Wir besuchten diese alte Kapelle nördlich von Pessada. Unter dem kleinen Gotteshaus vermutet man Reste einer frühkirchlichen Kirche, welche dem Apostolou Pavlou geweiht. Der zweite, dritte, vierte Überbau steht bis auf an zwei, drei, vier besondere Ehren – oder Namenstagen leer. Dann versammelt man sich vor diesem griechischen – vor vielen Kirchen errichteten – Glockentürmchen. Sieht immer ein bisserl aus wie bei Sergio Leone. Und – siehe oben – hinten an unserem Hausberg der wunderbaren Tage wurden Winde zusammengebraut. Wohin sie wehen mögen den nächsten Reisenden? Fragt die Götter! Sie werden Euch nicht antworten.

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Hängen zwei Glocken nebeneinander, nie in dem gleichen Ton sind sie gegossen. Aus der Dissonanz ergibt sich das gemeinsame Singen. Der Gleichklang ist ein veraltetes Modell. Falls es ihn je gab. Wird gerne mit Gleichschritt verwechselt. Lechts wie rinks. Die Risse sind feine. Diese feinsten Risse können aber selbst den Dicken Pitter im Kölner Dom sprengen. Jeder Schlag des Klöppels oder des unruhigen Gewissens birgt Gefahr. Keiner ist gefeit. Und sonst ist sowieso nichts in Sicherheit.

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Merke gerade beim Tippen, daß ich in meinem nächsten Leben wohl Prediger werden sollte. Aber dann so richtig alttestamentarisch. Wie Meister Dylan. Conclusio: Klage nicht die Winde an. Die wehen.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 09

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Lourdata / Strand / Stammbar / Das Gedankenabflußloch / Oben der Regen / 29.5. bis 12.6.23

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Gehen wir woanders hin.

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„Gehen wir woanders hin, gehen wir woanders hin

nur die Verrücktheit des Verstands ist uns als Pfand geblieben

in diesem Gemüseeintopf der Welt

sind wir das Salz geworden.“

(singt Giorgos Dalaras / siehe vorgestern)

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Also betrachten wir die Welt. Sagen wir. Oder ich. Meist bleibt es beim Blick in den Spiegel. Spiegel sind gerne trübe oder voller Zahnpastaspritzer. Was soll man morgens denn tun mit müder werdenden Knochen und Innereien, als sich dem Tag vorsichtig anzunähern? Die Welt retten? Ich bin ja kaum mehr in der Lage meine Vorhaben in die Nähe eines Hauchs von Verwirklichung zu schieben. Und keiner ist dran schuld. Ich auch nicht. Was wäre zu begreifen?

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Gestern bei Fluß mit Flair, eine der wenigen noch sympathischen Kulturveranstaltungen in Little Gießen und man trifft tatsächlich da noch Altbekannte, saß ich beim Außenstand der Weinstubb in der Steinstrasse, rieslingend. Auf der Nebenbierbank eine Familie und Opi. Das Kind, ich schätze knappe zwo Jahre, entdeckt Bierbank, heißt begreift sie. Fasst dahin, dorthin, von unten, von oben, drauftrommeln aufs marode Holz, Standfestigkeit überprüfen und grinst den Weintrinker visavis dauerhaft an. Die Welt anfassen. Begreifen. Wie anno dunnemals man selbst.

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Später müssen wir anfangen zu sprechen. Meist ein Gelabber. Die Haptik stirbt. Man textet seine vermeintliche Liebe zu. Mit unbedeutenden Wichtigkeiten. Spiegelfechterei. Der Verstand vorgetäuscht und nur ein trauriger Versuch der eigenen Verrückung von der Welt Gestalt zu geben. Wortberge. Bücherschränke. Beschränkte man sich auf den Haiku wurde IKEA schon längst pleite sein. Kein einziges Billy wäre mehr nötig.

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Einschub. Eben klingelt es. Ein Heizungsdingerableser verlangt Einlaß. Er müsse in unsere Küche. Das Ding sei kaputt. Ich: Hä? Das Ableseteil sende keine Funksignale mehr. Neues Teil nötig. Man wird also abgehört. Gut. Iss ja wohl nicht mehr der Putin, sondern Prigoschin Wagner. Perverses Wochenende. Die Welt drückt dem Nachfolgemassenmörder die Daumen.

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Zurück in den Gemüseeintopf namens Welt. Da schwimmt man neben ein paar zu weich gekochten Karotten und meint man sei die Fleischeinlage. Hat aber meist die eigene Suppe versalzen. Hinter Dir, wenn Du Glück hast Gedankenberge, an denen sich jemand abregnen kann und unten am Strand, unter der Straße lasse ein Loch. Da kann das Denkwasser zurückfließen. Ins Meer. Dann wieder zum Regen werden. And so on and on. Asche zu Asche. Schützt auch Gemüsebeete vor dem Austrocknen, die Asche.

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Egal wohin wir gehen, es ist immer woanders.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 08

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Taverna Alexandros / Parkplatz / Divarata / Kefalonia / 5. Juni 2023

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Mann braucht keine Worte, wenn mann mal sehr müde ist.

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An der Kreuzung in Divarata, gegenüber der Taverne gab es einen der herrlichen griechischen Mini – Markets, kaufte ich mir einen neuen Hut. Meine Frau übernahm meinen alten Hut. Und auf dem Parkplatz ließen wir ihren noch älteren Hut zurück. Zur freien Verwendung. Dann fragte meine Frau den Hutverkäufer, ob es vor Ort einen Geldautomaten gäbe. „No, no. Not here. But soon. May be in three oder four weeks!“ Was heißt? Drei Jahre? Oder vierzig? Braucht man den Geldautomaten? Ach Veränderungen!

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Unter den älteren Hüten brodelt ein seltsames Wüten

Schaut man in den Spiegel sitzt du auf einem Igel

Im fremden Fleisch der Stachel juckt mich nicht

Doch meine Angst die sticht und sticht klare Sache kurz mal Rache

Über’s eigene Versagen stellt uns keine Fragen wir antworten später oder nie

Mundwinkel zucken und verziehen sich wo gestern noch Verlass mich nicht

Heute geh‘ ich selber und auf der Schlachtbank Kälber im Ringelreih’n versammelt

Altes Vertrauen gammelt schweigend vor sich hin sage sage deine Klage auf und lauf

Den abgelaufenen Hut an einen Ständer hänge und ändere die Gesänge oder kreisel weiter

Dann wenigstens ein bisserl heiter

Junge Köpfe alte Hüte meine deine gute Güte hüte oder nicht

Kommst du vorbei der alte Hut ist frei

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Giorgos Dalaras wieder. Pame Gi‘ Allou. Gehen wir woanders hin.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 07

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„Schule des Homer“ / bei Stavros / Ithaka / 7. Juni 2023

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Das WIR ist wirrer denn je.

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„Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung, vieler Menschen Städte geseh‘n und Sitte gelernt hat, und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet, seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft.“

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Mit 10 Jahren war ich wohl noch lernfähiger oder – bereiter wie dieser Tage. Die üblichen Alterserscheinungen halt. Am Ende der Quarta – entsprach auf einer höheren Bildungsanstalt einer 7. Klasse – wurde ich auf Grund großen Engagements im Deutsch – und Geschichtsunterricht mit einem Buchgeschenk ausgezeichnet. Gustav Schwabs unsterbliches „Die Sagen des klassischen Altertums“. Ein Wunder. Mehrfach verschlang ich die Geschichten, Mythen und Göttersagen. Besonders angetan hatte es mir natürlich die Odyssee. 10 lange Jahre irrte der Held kreuz und quer übers Mittelmeer bis ihn die Götter aus ihren undurchsichtigen Ränkespielen entließen und der Gott der Winde Aeolus den Weitgereisten an die Gestade seiner Heimatinsel Ithaka warf.

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Schon als Bub war mir einleuchtend, daß da jemand nicht für sich und den Nachruhm seine Abenteuer durchleidet, die oft genug herzliche Irrtümer und Dummheiten waren, sondern Homers Erzählung so eine Art Stellvertretersaga war, die sich an ein WIR richtete. Lese Menschenkind und verstehe. Im Schicksal des Heroen spiegelt sich die Welt und ihre Mühsal, also auch Du. Es bedarf keiner besonderen Betonung, daß Bob Dylan seine Dankesrede in Sachen Nobelpreis mit einem Zitat aus der Ilias begann. “Sing in me, oh Muse, and through me tell the story.”

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Also saß ich unlängst auf Ithaka unter einem uralten Olivenbaum, rechts und links davon ein paar spärliche steinerne Reste, die darauf hindeuten, daß hier vielleicht der Palast des Odysseus gestanden haben könnte. Könnte wohlgemerkt, bis zu 3 Weiler auf der Insel beanspruchen Heimat des Helden gewesen zu sein und vor einigen Jahre hat ein Altertumsforscher sogar rausgefunden, daß der Palast eigentlich auf der Halbinsel Paliki stand, welche ein wunderschöner und wild abgelegener Teil von Kefalonia ist. Da nicht nur Gott, sondern auch die Götter inzwischen tot sind, kann man die auch nicht mehr fragen. Es war ein glücklicher Moment, jedoch spürte ich auch eine ungeheure Müdigkeit in mir.

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Zurück zum WIR, welches seit einiger Zeit, auch angesichts toter Götter schrumpelt und ächzt und reduziert bleibt auf Heldengesänge auf ein angeblich allmächtiges Ego. Verbindende Erzählungen tun Not.

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Mein ganz persönlicher Held aber war Argos, der alte Jagdhund und vielleicht gar Schwarze Hund des Vielgereisten, der seinen Herrn erkannte, der unter einem alten Olivenbaum saß, er erkannte ihn, obwohl er schon im Sterben lag, räudig und vom Ungeziefer eines langen Lebens und Wartens zerfressen. Nach zwanzig Jahren, Odysseus zehn Jahre vor Troja und die zehnjährige Irrfahrt durchwartend, erkannte er den geliebten Herrn, wedelte dies kundzutun einmal mit dem Schwanz und ließ sich dann von Charon in den Hades rudern. Falls es einen Hundehades gibt. Eine wunderbare Treue, zu der man selber oft nicht fähig und erst in Zeiten der Anfechtungen und Krisen erkennt, was eine solche Treue wert ist. Sollte ich jemals sterben und ich werde dies nicht verhindern, auch wenn es noch etliche Jahre dauern mag, man spiele dieses Lied. Mann braucht keine Worte, wenn mann mal sehr müde ist.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 06

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Fundstück / Erinnerungsort Torgau / Stiftung Sächsische Gedenkstätten / 21. Juni 2023

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Und schon gar nicht das inexistente WIR.

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Dann durch Gotha. Blick auf den Busbahnhof. Oben eingeschrieben in die Kante der Überdachung ein Zitat des weltweiten Frankfurter Geheimrats. Tusch! „Denn man reist doch wahrlich nicht, um auf jeder Station einerlei zu sehen und zu hören!“ Goethe heißta, der ahle Maista!

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Der Zug leert sich. Will denn keiner in den Westen weiter? Oder halluziniere ich? Die Gewitter sollen nahen, tun es nicht. Ich krame in meiner Tasche rum. Ach und ach! Eben noch in Torgau im Schloß Hartenfels eine kleine, feine Ausstellung angeschaut. „Die Stasi“. Tatsächlich angekündigt in Anführungszeichen. Mein derzeitiger Wohnort war dem Schild der Partei offensichtlich nähere Betrachtung wert. Wieder nix Neues, aber gut immer wieder daran erinnert zu werden. Siehe das Photo oben. Stift und Reim her.

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Passionen revisited

Ich vertraue nicht mehr den trockenen Worten

Die Schleifen basteln mögen

Und Kurven drehen geradeaus

Statt mit Säure angereichert

Zwischen den Zähnen herauszuschießen

Auch auf die Gefahr hin

Zu schlittern

Herr Oberin

Zahlen bitte

13 48 3 24 8 37

Wir hörten die Gewinnzahlen der Mittwochsziehung

Protokoll

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Dann Eisenach. Mein Hirn wird weich und weicher. Blasen an den überhitzten Füßen. Zeit für einen Limerick.

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Geboren ward der Basti Bach

Vor Jahren einst in Eisenach

Dort lernte er von Flöten

Und auch von den Nöten

Er orgelt seitdem Gottes „Ach“


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Dann schlug mir die Hitze den Stift aus der Hand. Und ich überfuhr die alte Grenze. Ich schau da immer noch aus dem Fenster. Es gibt sie nicht mehr. Sagen die Einen. Und die Anderen nicht! Jeder bleibt vor sich allein. Das WIR ist und bleibt wirrer denn je.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 05

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Erfurt Hbf / Thüringen / 21. Juni 2023

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Was, bitte, wolltest Du eigentlich von mir? Sprich!

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„Nächster Halt Erfurt Hauptbahnhof! Der Ausstieg ist links! Next Schtopp is Öhrfut Meenschteschn! Exit iss on the left seid!“ Am linken Ausstieg ein Zettel. „Türe unbenutzbar!“ Der Zug rollt in den Bahnhof. Von der Tür nach links drei Mädel. Eines mit Kopftuch und zwei bauchnabelfreie Instagramfiguren. Die zwei Letzteren heben ihren Blick von den an ihren Händen festgewachsenen Kommunikationsgeräten und ziehen einen Wagen weiter. Ohne der wohl zu analogen Altersgenossin vor ihnen Bescheid zu sagen. Diese scheint verwirrt. Man hört die Bremsen des einfahrenden Zuges quietschen. Ich mache auf mich aufmerksam winkend und weise in Richtung des vorderen Wagens. Sie eilt den zwei anderen Mädels hinterher. Wenige Sekunden die Bühne leer. Dann Auftritt eines Mitfünfzigers. Bier formte seinen Körper. Hat wohl vor sich hingeträumt, mußte aufspringen vom Platz. Die Erkenntnis: „Scheiße, ich muß ja hier raus!“ Steht da wie der Ochs vorm Berg. Rührt sich nicht. Ein Legastheniker? Frühsenile Lesestörung? Winken hilft nicht mehr. Ich rufe ihm zu: „Da hängt ein Zettel!“ Er liest was, Gott sei Dank. Eilt davon, drei Mädels hinterher. Und er hatte noch ein in sich selbst versunkenes „Danke, Danke, Danke!“ in meine Richtung gemurmelt. Ich blicke aus dem Fenster rechterhand und suche die berühmten Buchstaben auf dem Dach des ehemaligen Erfurter Hofs. „Willy Brandt ans Fenster“. Sie sind noch da, rechterhand.

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Heute sitze ich zu Hause und lese, daß in den Umfragen die AfD die SPD überholt hat. In Thüringen, der Heimat meiner Vorfahren, regiert noch der Ex – Gießener Linke Bodo Ramelow. Noch. Mein Trost wäre, führe ich das nächste Mal wieder in den Osten, ist die Türe rechterhand unbenutzbar und linkerhand ruft man Willy ans Fenster. Deutsches Land, was willlst Du eigentlich noch außer einem neuen Bundestrainer und in Ruhe gelassen zu werden?

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Im Westen nichts Neues, dachte ich eben. Und natürlich möchte ich, auch wenn das senil klingen mag, lieber von einem depressiven Alkoholiker und Schürzenjäger regiert werden. Der empfindet wenigstens etwas. Aber ich bin nicht das Volk. Genauso wenig wie Du, Genosse. Und schon gar nicht das inexistente WIR.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 04

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Torgau / Sachsen / 21. Juni 2023

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Das Theater da lang und ich bog ab.

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Selbstredend ist es nicht die Regel und über einen Kamm geschoren. Aber eine Conclusio wäre, daß ich letztlich unter den wohlsituierten Bürgerkindern, welche die Theater dominieren und dies mehr und mehr tun, ist doch der wütige Aufsteiger von unten her schon länger als toxisch markiert, immer etwas fehl am Platze war. Und die Sache mit den eingeschmierten Ellenbogen, ich konnte es nie. Die Schafe anmalen mit angeblich wissendem Herzen schon gar nicht. Wie gesungen: keine Klagen.

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Menschen und Landschaften, welche ihre Wunden und Narben überschminken, sind mir fremd. Menschen und Landschaften und Städte, welche ständig von ihren Verletzungen singen und für ihre Narben und Wunden Denkmäler bauen und Feiertage einführen, sind mir auch fremd. Am fremdesten jedoch sind mir jene, die behaupten durch ein Leben gekommen zu sein, ohne jemals einen Schaden angerichtet zu haben.

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Theaterseelchen

Gekränkte Idioten die wir

Puhlen die eine Erbse

Auf der wir unsere Empfindlichkeiten

Wollen zu Ende liegen

Bis uns Denkmäler gesetzt

Und schneller vergessen sind als Morgentau

Wenn aber diese gestürzt vor der Zeit

Welch Erlösung für die Hülsenfrüchte und Seelchen

Unter den durchgelegenen

Matratzen wohlfeiler Scheinwütelei

Es schwenkt nach Dir der Verfolger

Heller Bühnenfleck der Rest

Säuft ab zum Hintergrund und

Rein in die Kulissen Abgang

In Schmoll

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Was, bitte, wolltest Du eigentlich von mir? Sprich!

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