… als nicht etwa Leutnant Pfeffer seiner Combo die Flötentöne beibrachte, sondern mein Telefon klingelte, eine Stimme mich – ja! – anschrie, ich solle sofort den Fernseher einschalten und zehn, hundert, tausendmal flog ein Flugzeug in den zweiten Turm. Die Abendprobe fiel aus.
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Ich lebte seit ein paar Wochen, da wo ich heute noch lebe, in einer noch nicht komplett renovierten Wohnung, zwischen Pappkarton und Gyros und der Tod hatte mich umzingelt. Die Stimme am Telefon gehörte zu meiner damaligen Liaison, wir beide schwer verwundet noch von fiesen Trennungen (Alle Trennungen sind fies! Schönen Gruß vom Säzzer!) und so auf eine nächste Trennung zustürmend. Die Frau war Pneumologin und begleitete in ihrer Klinik vor allem am Kaposi – Sarkom erkrankte HIV – Positive auf die andere Seite. An manchen Abenden half nur viel Wein. In meiner Geburtsstadt lag mein Bruder auf der Intensivstation. Ein Arzt, der später freiwillig den Planet verlassen sollte, hatte ihm das Leben gerettet. Knapper als knapp. Hatte ich mehr als 24 Stunden probenfrei rauschte ich in den Süden. Ich sprach, als eine Art Familienältester, ein / zweimal mit diesem Arzt. Beeindruckende Persönlichkeit. In Flur der Klinik stehend rauchte jeder von uns in einer halben Stunde ein halbes Dutzend Gauloises bleu weg. Die Pneumologin tröstete mich mit den Worten: „Christian, das härteste für uns Ärzte sind die nahen Angehörigen und die Ungeduld!“
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Zu dieser Zeit spielte ich – meine erste Rolle hier – einen dem Tod geweihten alten Familientyrann, der die Hochzeit seiner Tochter mit einem Künstler und Freigeist mit allen Mittel verhindern wollte. Racine, der Vorgänger und Wegbereiter von Moliere hatte diese Geschichte verfasst. Der Regisseur kam aus dem Osten und ließ mich zu einem über Hundertjährigen, der über die Bühne humpelte, mit Krückstöcken um sich schlagend, schminken. So zwanzig Minuten war ich auf der Bühne, jedoch neunzig Minuten – manchmal sogar länger – in der Maske. Jedes Mal, blickte ich nach der Prozedur in den Spiegel, sah ich Dustin Hoffman am Anfang von „Little Big Man“ oder schlimmer noch, ich erblickte meinen Vater im offenen Sarg damals.
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Ich saß vor der Glotze, telefonierte, dieses sei doch einer jener spekulativen Weltuntergangsblockbuster mit denen Hollywood seit ein paar Jahren die Kinos dieser Welt penetriere, so das hilflose Gestammel. Die Stimmen der Kommentatoren, anfangs von fassungsloser Ungläubigkeit, wechselten binnen weniger Stunden in kieferknirschende Racheschwüre. Die Geburtsminuten von Guantanamo und Abu Ghraib. Das alte Prinzip eben, die Menschenverachtung mit der Menschenverachtung zu bekämpfen. Und die Vorbereitung einer weiteren schrecklichen Niederlage unserer Befreier. (Tja, der Blutzoll der Roten Armee wird gerne vergessen! Noch e‘ Grüßle vom Säzzer!) Man komme bloß nicht auf die Idee gegenzurechnen.
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Am nächsten Tag saßen wir schon um elf Uhr morgens im Burghof, direkt gegenüber vom Theater, damals Kantine, Debattierclub und Rettungsanker bis nachts um drei. Grazie, Maestro Parisi! E molto grazie Donna Parisi naturalamente! Axel, der Regisseur wollte hinschmeißen. „In diesen Zeiten kann ich doch keine Scheißkomödie auf die Bühne stellen!“ Wir waren erst ratlos, dann betrunken. Zuhause rief mich die Ärztin an. Ihr Chef schicke sie per Flugzeug in die USA. Ich weiß nicht mehr, was ich in den Hörer brüllte. Ein paar Tage später flog sie tatsächlich los. Die Premiere fand dann doch statt. Die Trennung folgte auf den Fuß. Mein Bruder überlebte.
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Ich weiß nicht, wer es erfunden hat. Vielleicht die frühen Italiener in San Gimingiano oder Bologna? Oder die Bewohner auf diesem wilden Finger des Peloponnes, der Mani? Um den Nachbarn, der gerne auch der Feind ist, zu beeindrucken und zu zeigen, wo der Hammer hängt, baut man den höchsten Turm im Dorf. Und die Antwort folgt sogleich, der Nachbar rüstet nach beziehungsweise auf. Ständerpolitik. Pimmelarchitektur. Karl Heinz Stockhausen – ach welcher Schrei der Empörung damals – hatte recht, als er davon sprach, was für eine wirkmächtige Inszenierung dieser Anschlag auf das großkotzige Symbol des Siegers der Geschichte vulgo Kapitalismus doch gewesen war. Er erschrak, kaum waren die Worte über seine Lippen gerutscht. Man kennt sie diese Reflexe. Es wird nicht gerne gesehen, wenn Du den Fluß überqueren willst. Die höchsten Türme der Menschheit bauen heute die alten Förderer der Piloten vom 11. September. (Danke dafür nicht 9 / 11 wiedergekäut zu haben. Der heute etwas geschwätzige Säzzer!) Deren einstige Förderer wiederum, es lebe die Vergeßlichkeit, waren die Erbauer der eingestürzten Türme. Davon berichtete schon Tolkien. Bände 3 & 4.
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Dem anderen den Krieg zu erklären, selbst in verständlichster Verzweiflung, zerstört letztlich Dich selbst. Dieses in die Wege zu leiten sei einem jeden gestattet. Aber die Strecke, die der Jäger nach der Genugtuung hinterlassen hat, sie ist immer eine viel zu lange. Da hilft auch kein Halali!
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Als Rio obiges Lied – meine Lieblingsstelle, wenn Rio ein Solo des Gitarristen mit einem herzhaften ‚Lanrue‘ einruft! – sang, regierte die sogenannte Heimstatt der Tapferen (Hähähä von wegen tapfer! Agent Orange und Drohnenkrieg! Etz halt ich die Gosch! Der Säzzer!) ein Sternenkrieger und Tarzandarsteller. Wir dachten, schlimmer geht es nicht. Das war aber erst der Anfang. Ronald MC Donald! Dig it, Stupid! Hinterher ist man meist nicht klüger, sondern macht einfach weiter. Die Rechnungen bezahlen eh die anderen. Davon gehen wir gerne aus. Schaun mer mal!
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Ach so, die Lichtgestalt hat heute Geburtstag und Herr Zimmermann veröffentlichte vor zwanzig Jahren sein Album „Liebe und Diebstahl!“ Sang von den brechenden Dämmen. New Orleans knows about it. Schon wieder.
Der große FZ schrieb einst auf die Rückseite einer seiner Plattenhüllen: „Don“t forget to register to vote!“ In unserem Land der Quengler und Steuerhinterzieher kriegen wir den Wahlschein zugesandt. Das ist doch was. Also dürfen wir bald wieder wählen. Etliche sagen wir müssen dies tun oder tun es so erst gar nicht. Wahrscheinlich haben sie Angst davor, daß ihnen im Wahlbüro heimlich eine Spritze in den Oberarm gejagt wird. Ich schwanke leider auch wie ein entpolitisierter Halm im Spätabendtalk hin und her und habe so mal den Wahl – O – Mat befragt. Hä? Nein, natürlich nicht! Hätte ich gefragt gehabt, hätte ich wohl folgendes reimen können.
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wahl o mat oho
o wahl o wahl oh
mat he mat hicks und so
was tun
noch nicht immun
vielleicht gefeit
sein nicht bereit
angst vor’m pieks
aber kicks kicks kicks
die ohne ende
doch eine wende
mit toter lende
am ende des beckens
ach nee
dann lieber auf die wände zu
rauschen mit der brems` kaputt
enkel oh mach du den schutt
doch weg
mir geht es gut
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epilogisch dann das lob des schreckens
längst vergess’ne geister wecken’s
da die toten zahlen
tanzen im digitalen
im nirgendwo statt lebensfroh
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PS: Talking about Talkshows: What ever happend to humor?
Eine der schönsten Filmszenen, die jemals gedreht wurde. Eine der schönsten Filmmusiken überhaupt. Und ein großer Kämpfer war er auch.
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Tanzen? Hast Du tanzen gesagt? Also los, mein Junge! Zusammen! Fangen wir an! Oppa! (Sorbas lacht) Nochmal.Upp! (Sorbas lacht) Jetzt. Herzlich willkommen. Boss! Ich habe soviel zu erzählen. Niemals habe ich einen Mann mehr geliebt als Dich. Hey Boss, hast Du jemals etwas schöner zusammenkrachen sehen. (Sorbas lacht, dann auch Basil) Du kannst also auch lachen. Du lachst. (Beide lachen) Und vor allem die Mönche. Nicht blieb übrig, nichts. (Sie tanzen)
Seit ein paar Wochen jeden Sonntag – ok, fast jeden Sonntag und wenn ich Lust und Zeit habe und nicht meinen Gemüsegarten gießen muß – ein kleines Stückchen Bob Dylan zum Frühstück. Oder Abendessen. Frisch verwurstete Texte. Oder altes Material. Eigener Mist. Fremder Mist. Fundstücke. Auch das alte Brot muß man essen können ohne zu würgen. Auf geht’s. Fast jeden Sonntag. Fast ist mehr als nüscht. Heute ist Samstag.
…..
Mein Ding
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Alles rast auf Mauern zu
Die Hoffnung ist nur Selbstbetrug
Kein Lied erkauft sich Änderung
Ich sitz‘ in diesem anderen Zug
Ein halbes Wort ist kein ganzer Satz
Es ist die Uhr mit der ich ring
Auch Du, Du bist schon lange fort
Ich denke dieses ist mein Ding
*
Ich hätte nie gedacht, daß ich tue was ich tu
Daß ich lüge glücklich zweigeteilt
Daß es möglich ist so falsch zu sein
Daß mir jegliche Vernunft enteilt
Daß ich wiedermal dem eig’nen Spiegelbild
Ein letztes Ständchen sing
Daß ich nicht mehr weiß, wen ich zuletzt geküßt
Ich glaub auch dieses ist mein Ding
*
Der Zug kriecht aus dem Bahnhof raus
Der Mandelstrauch verblüht
Ich schrei dem Rücklicht hinter her
Das in der Ferne verglüht
Ich pisse an den nächsten Baum
Polier den Ehering
Ich wache auf wie frisch gefoltert
Ich schätz auch dieses ist mein Ding
*
Du warst voll Angst Deine Mauern hoch
Ich wollte sie zerbröckeln seh’n
Ich wollte, daß auf Deinen Wangen
Nur meine Lenden glüh’n
Nachdem ein Sieg errungen war
Die Fahne windstill hing
Geb‘ ich Dir Deine Haut zurück
Auch das ist jetzt mein Ding
*
Ich seh‘ Dich immer wieder geh’n
Es zerfetzt mir mein Gedärm
Ich würde Dir so gerne folgen
Solang ich Deine Füße wärm‘
Ich blieb nie vor Deiner Türe steh’n
Weil dort ein Hinweis hing
Daß wer heimlich kommt ein Verbrecher ist
Auch dieses bleibt mein Ding
*
Das Einzige was mich mit Stolz erfüllt
Ich half Dir auf das Pferd zurück
Als Du erschöpft von einer Ohnmacht warst
Ging ich mit Dir ein kleines Stück
Ob ich ein Heuchler bin oder nur ein Narr
Gar Dein Herzensschmetterling
Abgebroch’ne Flügel wachsen nach
Auch dieses ist vielleicht mein Ding
*
Ich traf mich in Dir, Du fielst in mich
Bin ich denn alles was Du brauchst
Ich höre unser „Ja ich will!“
Auch wenn Du es zu leise hauchst
Laute Angst schnürt uns die Kehlen zu
Wenn die Liebe uns zusammen zwingt
Und Du bewegst Dich lieber nicht
Ich denk‘ auch dieses bleibt mein Ding
*
Noch ist die Rechnung nicht an uns verschickt
Noch lieben wir in Dunkelheit
Doch die ersten Glocken läuten schon
Der Tag der Rache ist nicht weit
Wenn das letzte Blatt gefressen ist
Zerplatzt der Engerling
Ob er sich dann in die Luft erhebt
Auch dieses bleibt mein Ding
*
Gestern Nacht ging ich alleine aus
Ich trank kein einziges Bier
Frauen sprangen mir ins Gesicht
Ich verzehrte mich nach Dir
Ich warte seit Tagen, daß Du Dich rührst
Ich befrage das I – Ging
Weil der Berg nicht zum Propheten kommt
Auch dieses ist mein Ding
*
In Deinem Badezimmer schwimmt eine Flaschenpost
Gib sie weiter, wenn Du kannst
Morgen schau ich Dir lachend zu
Wenn Du aus meinem Leben tanzt
Dreh Dich nicht um, wenn ich den Tränenwust
Aus meinem Auge wring‘
Der Rest wird keinem Mensch erzählt
Auch dieses ist mein Ding
*
Ihr Buben und ihr Mädels
Ihr spielt das Spiel nicht schlecht
Ich sehe uns beim Lügen zu
Mein Herz behackt ein Specht
Du warst niemals mein Eigentum
Auch wenn ich meine Ketten schwing
Einer von uns muß den Abflug machen
Auch dieses wird mein Ding
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Selbst wenn wir uns nie wieder seh’n
Mein Herz erinner‘ Dich
Wie dies Lied Dich einst gestreichelt hat
Dir in Deine Seele schlich
Ich halt‘ mich an der Gitarre fest
Wenn ich noch leise für Dich sing
Niemand anders als Du kennt diese Melodie
Denn dieses war nur mein Ding
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(Zwischen Neuss und Köln im Herbst 1996 nachgedichtet)
…..
PS: Alles sehr irritierend in Sachen Dylan zur Zeit. Bis das geklärt ist – was es vielleicht nie sein wird – schweigt diese Rubrik.