Nachricht aus dem Nachlösewagen 09

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Ich rüttelte an der Türe. Vollkommen undramatisch. Weder verzweifelt noch ansatzweise panisch. Ich wollte lediglich kurz raus. Treten. Es regnete eben nicht. Der Bahnsteig schien nicht mehr rutschig. Auch beim Warten sollte man sich gelegentlich die Beine vergehen. Und vielleicht steht der Küchentisch inzwischen vor der Tür. Die verschlossen. An der ich rüttele. Wie ein Falke über dem abgeernteten Feld. Schön anzusehen. Nicht jede Maus lässt sich fangen. Während ich rüttele, frage ich mich dies und das. Bin ich nun verpeilt? Habe ich etwas vergessen? Verdrängt? Vorbeigeschaut? An Tatsachen? Ich rüttelte und rüttelte. Ohne rechte Wucht. Bin ich nun ein Fatalist?

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Ich hätte gerne geflucht. Gebrüllt. Nein. Nein. Nein. Nein. Verfickte Scheiße. Dreckstüre. Bin ich blöd. Eigentlich. Und dies zunehmend zunehmender. Die war eben noch sperrangelweit offen. Die Türe. Da haben sogar Küchentische durchgepasst. Stattdessen? Ich spüre eine klebrige, billig parfümierte Hand auf meinem Mund. Atmete notdürftig durch die Nase. Hauche ein nasales Okay. Okay. Okay. Okay. Die Scheibe vor meinen müden Augen beschlägt. Ich fahre meinen Zeigefinger aus. Male ein paar Buchstaben ins Kondenswasser. A. B. E. R. Soll ich noch ein Fragezeichen dazufügen? Draußen heftige Hammerschläge. Ich fange an zu singen. Vor mich. Hin.

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„Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleich

Du, lass dich nicht verbittern …“

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Die Hammerschläge werden lauter. Jetzt sind es zwei Hämmer. Mindestens. Die dengelnd auf dem Eisen tanzen. Man brüllt sich an. Da draußen.

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 08

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Ich sitze am Küchentisch. Ich sitze an einem Küchentisch. In einem Schienenbus. Hektischer Regen prasselt auf das Blech über mir. Ich hatte mich wieder in den Triebwagen gesetzt. Es war wärmer geworden. Die Scheiben durchsehbarer. Ich hatte mich mit der Warterei abgefunden. Spielte mit mir selber SchnickSchnackSchnuck, als man gegen die Scheiben klopfte. Nicht klopfte. Donnerte. Man würde nun einen Küchentisch zu Dir, man duzt sich, reinstellen und Er käme dann auch gleich. Ich könne es mir schon mal machen. Bequem. Jetzt sitze ich am Küchentisch. In einem Schienenbus. Der sich nicht bewegt. Auch der Tisch bleibt stehen. Gut so. Ich lege eine Patience.

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Da isser. Der Angekündigte. Er ist da. Hier also. Sitzt mit gegenüber. Eine Make-up-Artistin stürzt herein. Pudert ab. Lässt aber die Augenringe unangetastet. Der hart Arbeitende. Verwuschelt kunstvoll das Haar. Der Unorthodoxe. Aber mittig. Sein Kopf mal nach rechts, wieder nach links geneigt. Zugewandte Nachdenklichkeit. Ich beobachte mein Gegenüber – deformation professionnelle – und frage mich: Wo will er hin? Was will er ausdrücken? Wer hat ihn besetzt? Wem hat er vorgesprochen? Er outriert. Fehlt nur noch, daß er seine Denkerstirn nach Art der Rodin’schen Skulptur auf die geballte Faust stützt. Schwer atmend. Sagen tu ich nix. Ich muß noch schauen. Gegenüber wächst Ungeduld. Die Gestaltungsbeaufauftragte verwuschelt das denkende Haupthaar erneut. Vielleicht glaubt sie, ich, der seit zehn Tagen sein Haupthaar nicht gewaschen, gewänne so mehr Zutrauen. Dann werde ich angesprochen. Er.

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„Hast Du denn keine Fragen?“

„Sollte man den Älteren nicht siezen?“

„Aber selbstredend! Haben Sie denn keine Fragen? Probleme? Ziele?“

„Ich tät‘ mich freuen, wenn dieser Leichttriebwagen mal losrollt.“

„Wohin soll er denn fahren? Und wie betrieben?“

„Er soll einfach fahren! Irgendwohin. Aber losfahren.“

„Und hast Du / Sie / man / es denn keine Haltung? Reflektion?“

„Ich habe inzwischen eine Rentnerkarte. Ich fahre zum Bahnhof und schau wer oder was sich als Erster bewegt. Da steige ich ein.“

„Ich bin leider nicht der Lokführer. Und für die Schienen sind Andere. Verantwortung. Ein Wort.“

„Der Wort sind genug. Gewechselt?“

„Ja dann. Hallo! Hallo! Meine Herren da draußen. Der Tisch kann raus hier. Heute noch ja bitte. Neue Küche. Neues Glück.“

„Und was ist mit meiner Patience!“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 07

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Ich sitze. Ich sitze zur Probe. Aber ganz vorne. Der erste aller Sitze in diesem Schienenbus. Ich sitze und stelle mir vor ich probierte Lokführer. Ich probierte ein Lokführer zu sein. Falsch. Ich stelle mir vor als Lokführer zu fahren. Zu arbeiten. Zu lenken. Dies muß man wohl, wie alles, probieren. Aus. Probieren. Keine Rolle Lokführer. Ausgeschrieben. Mit Fremdtext. Lokführer tun. Machen. Will ich das. Überhaupt. Es bleibt kalt. Der Bahnsteig leer. Der weiße Griesel legt sich auf Dächer. Wege. Scheiben. Man muß vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Setzungen. Platz. Träumerle. Platz. Bleibe sitzen und probiere.

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Ich sehe nichts. Nichts. Aber ich sitze noch vorne. Ganz vorne. Darf ich mich umdrehen? Ist da noch wer? Hinter mir? Als ich die Lichter anschaltete in einem Hotelzimmer in New York, sah ich zuerst die Kakerlaken flüchten. Rasende Striche in der Duschzelle. Neunzehnhundertneunundsiebzig. Ich drehe mich um. Nur den Kopf. 120 Grad und steifer Nacken. Niemand. Da. Niemand. Oder doch? Die Scheiben gewähren keinen Durchblick. Heute. Ich spreche mich an. Und antworte mir. Eine Probe nur. Ohne gelernten Text.

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„Was tun?“

„Umarme den Irrsinn!“

„Lokführer werden?“

„Du kannst Dich auch vom Irrsinn umarmen lassen!“

„Doch nicht Lokführer?“

„Mußt Du wissen!“

„Geht eigentlich auch Lokführer und Fahrgast?“

„Gleichzeitig? Nee! Also wirklich nur nee!“

„Und jetzt?“

„Es wird wärmer werden und Du darfst dann die Fenster putzen!“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 06

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Ich könnte. Wenn ich wollte. Wenn ich wollte, könnte ich. Möglicherweise. Man wird gesucht. Verzweifelt gesucht. Wie ich lesen kann. Aber könnte ich das? Wollte ich? Wäre ich nicht zu alt? Jedoch alt wie die Kuh lernte man immer noch dazu. Andererseits: ist ein Plädoyer für den Stillstand nicht Fortschritt? Bewegung gar? Oder nur bitterer Mainstream. Sich am Rollator seiner gestrigen Überzeugungen durch die verachtete Fußgängerzone namens HEUTE schieben. Nun. Was soll man tun sonst, außer in den geschwätzigen Netzen nach Friedwäldern googeln. Könnte ich Lokführer?

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Ich reibe meine Nasenspitze. Heute ein Grad wärmer. Aber noch nicht im Bereich plus. Ich stehe auf dem Bahnsteig. Mal rum. Mal Cognac. Erzähle mir uralte Witze, um meine Füße zu erwärmen. Goetheglatze. Schillerlocke. Das Trippeln wieder. Ein kleiner, einst verachteter Tanz. Staying alive. Ich klebe mein Gesicht an die Scheiben des Leichttriebwagens und sehe niemanden. Da drinnen. Reste eines Toast Hawaii lediglich kleben auf einer der Sitzbänke. Ach, was waren das für Zeiten. Kann ich durch Beschwörung den Schienenbus? Aber wohin? Warum? Weiterhin trippeln. Tänzeln. Da! Da liegt es doch. Auf dem Bahnsteig. Das Telegramm. Ich bücke mich. Lese. Beginne eine Debatte. Ein Gespräch. Ein Symposium. Mit mir selbst.

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„Was steht drin?“

„Ich lese noch!“

„Gefällt es Dir?“

„Ich lese weiter!“

„Liest Du mit Gewinn?“

„Ich lese einfach!“

„Erkenntnisse ante Portas?“

„Ich lese und sammle Eindrücke!“

„Willst Du mit mir teilen? Also mit Dir?“

„Da ich mich stets selber drängele, hier unser beider eigene Meinung!“

„Drei, zwei, eins, null. It’s a liftstart.“

„Der eine betracht’s,

Der andere beacht’s,

Der dritte verlach’s-

Was macht’s?“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 05

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Ich hatte es versucht. Nicht so, daß ich es nicht versucht hätte. Ich hätte es höchstwahrscheinlich sogar sehr gut gemacht. Ich hatte damals große Teile meiner Ausbildung zum Kasperle als Fensterputzer vorfinanziert. Selbst im Winter die Hände in schnell erkaltendes Wasser getaucht, stets angetrieben von den verhornten, geschrundeten, rissig aufgequollenen Tatzen meines Chefs. Aber was soll man tun, wenn dieser Tage das Wasser in den Eimern gefroren steht. Wie der Schienenbus. Und keine Tauchsieder in der Nähe.

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Ich hatte geklopft. Mehrmals. Ich habe geklopft. Mehrmals. Mit kalten Fingern geklopft. Dies sagte ich, mich entschuldigend, als man mir mürrisch wieder die Türe öffnete. Das alte Gegenüber flätzte immer noch auf einer der Sitzbänke. Schob sich einen Toast Hawaii nach dem anderen in den Rachen. Die Mundwinkel ein abnehmender Halbmond. Ich klopfte mir die steifen Finger beweglich. Faltete die Wolldecke. Versuchte aus den ungeputzten Fenstern zu schauen. Versuchte, vielmehr erträumte sie mir, die Bewegung. Da draußen. Hießen diese Fahrzeuge nicht mal Rote Flitzer? Damals als ich Scheiben durchsichtiger machte. Gegen Bezahlung.

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„Junger Mann! Fragen Sie, bevor Sie sich die Zunge abbeißen!“

„Können Sie Gedanken lesen?“

„Bevor Sie weiterfragen, ja, vor kurzem fuhr dieser Wagen noch. Vielleicht sogar gestern.“

„Aber ich wollte doch was anderes …“

„Lenken Sie nicht ab, HC Träumerle!“

„Aber sind das nicht Sie?“

„Nein! Müßte ich das wissen? Die nächste Frage!“

„Hießen die Fahrzeuge, in deren einer der älteren Ausgaben wir sitzen und frieren, nicht mal Rote Flitzer?“

„Gewiß! Aber man nannte Sie, wissenschaftlichter, auch Leichttriebwagen.“

„Leicht? Trieb? Wagen? Ich bin damit mal gefahren.“

„Nun ja. Die Behauptung von Bewegung ist gerne mal Chimäre!“

„Ich hatte gerne dran geglaubt! Ich hatte früher Fenster geputzt. Mein damaliger Chef rief mich stets Zigeuner.“

„Mögen Sie Toast Hawaii?“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 04

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Und dann saß ich. Wieder. Ich fror nicht mehr. Die Restwärme der Nacht unter meinen Achseln. Die Decke auf meinem Schoß. Roch nun nach mir. In kleinen Dosen. Zumindest. Mir gegenüber sitzt etwas. Ja was? Wesen. Dings. Es. Breitbeinig. Mundwinkel nach unten gezogen. Eine blaugrünviolet quergestreifte bauchig sich wölbende Kunstlederjacke übergeworfen. Das eine Auge scheint blind. Das andere starrt unverholen. Die Arme vor der Brust verschränkt. Den Kopf geneigt. Mal rechts. Mal links. Ich senke meinen Blick. Ich beobachte meine Füße. Sie täuschen Souveränität vor. Trippeln auf der Stelle.

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Mein Gegenüber steckt sich unentwegt etwas in den Mund. Kekse. Pralinen. Jabba the Hut? Starrt. Nun auf meine Füße. Ich starre zurück. Die Stirn visavis. Die grelle Jacke. Es gibt Häßlichkeit, die faszinieren kann. Draußen ist es inzwischen heller geworden. Ein helleres Grau. Das Es starrt nun an mir vorbei. Aus dem Fenster. Raus. Ich nutze die Gelegenheit. Wo ist das Telegramm? Ich durchsuche meine Manteltaschen. Wo? Verdammt. Ah. Da. Es knistert. Dann trifft mich der Blick. Starr. Herablassend. Müde. Müder Atem bläst mir in die Nase. Was soll ich sagen. Soll ich. Was?

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„Verzeihung?“

„Wofür?“

„Die Frage!“

„Welche?“

„Sie sind aber nicht der die das von heute Nacht?“

„Wer oder was?“

„Na ja! Der Lokführer. Ehemalig. Der HC Dingenskirchen!“

„Woher soll ich das wissen? Sie fragen mich doch!“

„Ich wollte eigentlich nur irgendwo hinfahren!“

„Na dann kümmern Sie sich!“

„Wie?“

„Die Scheiben sind undurchsichtig. Wie soll man da entscheiden, wohin man fährt? Ob man überhaupt fährt?“

„Was habe ich damit zu tun? Ich habe mich hier lediglich als Fahrgast beworben.“

„Draußen auf dem Bahnsteig steht Putzzeug. Eimer. Schwamm. Abzieher. Etcetera! Fragen Sie nicht, was der Schienenbus für sie tun kann. Den Rest kennen Sie!“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 03

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Ich schlief. Ich erwachte. Schlief weiter. Wieder ein und aus. Wachte auf. Erneut. Schlaf in Scheiben. Durch die Nacht bröseln wie trockene Scheiben Toastbrot. Eine der Wolldecken, auf die mich der Telegrammbote hingewiesen hatte, umwickelte mich. Rauh, kratzig. Jahrzehntelang eingesogener Schweiß. Pferde. Wahnideen. Schweine. Pubertät. Wut. Männer, weiß und anders in der Wolle gefärbt. Manche Duftnote nicht erratbar. GROßBUCHSTABEN, schwarz auf brauner Decke: Bundeswehr. Eigentum. Aber mir ging es nicht schlecht. In jener Nacht. Draußen, über dem Schienenbus, kein Vollmond, auch wenn mir ein Dramaturg dazu geraten hätte.

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Ich weiß gar nicht, ob ich besagtes Telegramm gelesen. Oder nur davon träumte. Ich fuhr vor Tagen mit der Rentnerkarte an einen ewig lang gestauten See. Dort fahren sie hin, viele Rentner. Hat man mir erzählt. Eine der Haltepunkte auf dem Weg dorthin: Ernsthausen. Es lag grauer, tauender Matschschnee auf den Wiesen. Keine Raben. Keine Krähen. Leblos, die Felder. Grautonvariationen. Die folgende Bahnstation nannte sich Münchhausen. Ich polierte meine Kanonenkugel und zog mich am Schopf meiner Träume in die nächste Schlafscheibe. Unter mir das Tack-Tack-Tack alter vernieteter Schienen.

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„Hallo! Hallo! Aufwachen! Das hier ist ein Zug, keine Notunterkunft!“

„Entschuldigung! Ja! Gleich! Gleich!“

„Nicht gleich! Sofort! Hopp! Hopp! Hallo?“

„Ja. Ich tue ja, was ich kann!“

„Verzeihung! Ich lache!“

„Iss ja gut! Ich richte mich auf und frage: Wer sind Sie?“

„Sie hatten unlängst ein Peh unterschlagen! Ich schenke Ihnen dafür ein zusätzliches Te!“

„Gut! Ja! Wie?“

„Sie befinden sich in einem Dienst-Traum!“

„Wenn Sie sich bitte vorstellen könnten?“

„HC Träumerle. Ich war mal Lokführer.“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 02

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Ich sitze. Ich sitze im Schienenbus. Ich sitze in einer Kälte, die sich in meinen Rücken frisst. Es gibt im Schienenbus alle paar Reihen Bänke mit umklappbarer Rückenlehne. In Fahrtrichtung. Gegen Fahrtrichtung. In Fahrtrichtung zurück. Gegen die Fahrtrichtung nach vorne. Denke an, während es draußen düsterer wird und Schneegriesel gegen die beschlagenden Scheiben des Triebwagens leise anklopfen, Stillstand und Angebot. Klappe die Lehne von vorne, von links nach rechts, nach hinten. Stehenbleiben in der Mitte kann sie nicht. Kippunkte. Ich unterschlage das dritte kleine Peh. Krähen hoppeln über ein Feld in der Nähe. Suchen zwischen kümmerlichen Schneeflecken und angefrosteten Pfützen nach dem Rest der Ernten der letzten Jahre. Wäre mir wärmer, wenn ich mir auf dem Bahnsteig die Füße vertrete? Sollte ich in Zukunft meine kleinen Reisen, Verreisungen besser mit einem Flachmann in der Tasche antreten? Und wo ist die Schaffnerin?

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Von draußen her vermeine ich das Geräder eines Rollkoffers zu vernehmen. Mitreisende? Es klopft laut und vernehmlich an eine Scheibe im vorderen Teil des Zuges. Kann Schneegriesel dermaßen aggressiv sein? Ich muß also entgegen des Rats meiner eingefrosteten Oberschenkel aufstehen. Gehe durch die Triebwägen nach vorne. Alte Kiesel, von ehemaligen Reisenden auf dem Boden hinterlassen, knirschen unter meinen Sohlen. Wo aber ist bei einem Schienenbus hinten? Wo vorne? Ich komme an. Vorne oder hinten. Da isser. Der Fensterklopfer. Ein Postbote steht auf dem Bahnsteig. Mit seinem gelben Dienstrollkofferwagen. Grauhaarig. Hager gebeugt. Augenberingt fröstelnd unter seiner beschlagenen Brille. Wahrscheinlich hat er das Pensionsalter schon lange erreicht. Er wohnt gewiß noch bei seiner Mutter. Auch wenn sie schon lange verstorben. Ist froh, wenn er draußen sein darf und seine Kundschaft redet ab und zu mit ihm. Noch. Er spricht mich mit meinem Namen an. Er wedelt mit einem vergilbten Papier durch die feuchtkalte Luft.

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„Hallo Herr Holz! Ich habe hier ein Telegramm für Sie!“

„Woher kennen Sie mich?“

„Wir kennen unsere Pappenheimer!“

„Ich dachte das Telegramm hätte ihre Zustellungsorganisation schon vor Ewigkeiten abgeschafft?“

„Denken ist nicht Wissen, sehr geehrter Herr Holz. Herr Johann Heinrich Holz? Oder doch nicht?“

„Nein, nein! Ich bin es. Geben Sie mir das Schriftstück!“

„Können Sie sich ausweisen?“

„Aber Sie sagten doch, Sie kennten mich, Herr …?“

„Namen sind Schall und Rauch! Schönen Abend noch!“

„Sie können doch jetzt nicht einfach gehen!“

„Wir müssen! Wir sind immer im Dienst! Immer und überall! Unser Lebensraum ist der Dienst! Und: in der Blechkiste neben der Nachlösetheke befinden sich alte Wolldecken. Schlafen Sie gut! Bis morgen!“

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