bagatelle fünfzig

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und so saßen wir jahre in jenem

weißgetünchten raum die fenster verhangen

gegenüber der bahnhof das quietschen der

weichen gelegentlich hörten wir sahen

nicht die züge die kamen gingen und

entgleisten unsere gesichtszüge

sangen wir von der apokalypse die möge

komme und eile herbei

befreie die welt von den dummen den bösen

die wir nicht sind und

verschone uns und führe uns nicht in versuchung

so täuschten wir uns

großkotzig voller hoffnung

die bagatelle schrieb sich aber

mitgehangen mitgefangen

und wer sich da erhöhte sah bald wie

tief ist der brunnen

noch heute warte ich auf das geräusch wenn

wir werden aufprallen

der brunnen verliert an wasser des vergebens

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bagatelle neunundvierzig / von zukunft

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damals als die geträumten zukunften

dieser republik einen mercedes 600 befuhren

mußte man sich diesen mit ludwig erhard teilen

willy brandt scharrte im kofferraum

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heute bleibt uns ein cinquecento

gebaut von

so sangen wir in den überheblichen jahren

nudelverzehrern

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beim einsteigen bitte aufpassen

alte vermeintliche größe

kann beim einsteigen den rücken beschädigen

dauerhaft

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die sirenen schweigen schon länger

das land legt seine ungeduldig zuckelnden

hände in den schritt

heimwerkelnd

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bagatelle siebenundvierzig

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an manchen tagen

wenn ich wie ein käse ohne rinde

liege auf dem teller leben

in mir nagen die maden

die löcher gefressen heute

werden geflutet mit wut

tröstet lediglich der sonnenuntergang

oder der stich eines insekts

ein anderes jucken

außenhaut

ablenkung

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PS: Oben der Blick von unserer Gemüseparzelle ins Umland. Das hilft.

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PS2: „Du Sohn eines Regenwurms und Enkel einer kreuzlahmen Spinne, möge ein Kaktus in Deinem Bauche wachsen und eine Rattenfamilie mitten in dem Käse wohnen, den du zu deiner Abendmahlzeit erkoren hast.“ Diesen Fluch des guten alten Hadschi Halef Omar undsoweiter sandte mir ein treuer Leser meiner hier veröffentlichen Gedanken zu. Werde ich auswendig lernen. Man weiß ja nie!

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PS3: Dann aber denn auch noch. Manchmal ist googeln schon lustig. „Schweig, Du Sohn einer Hündin! Deine Zunge hängt voll Lügen, wie die Nessel voll von Raupen. Du verbreitest Gestank und streust die Krätze umher, kein Mensch sollte mit Dir sprechen.“ Wird auch auswendig gelernt. Die Welt braucht mehr kreative Flüche statt ständiger und vorauseilend verängstigter Selbstzensur.

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PS4: Das muß dann aber auch. Unfassbare Köstüme. Unfassbare Choreographie. Aber diese Naivität und unbedenkliche Freude am Leben würde glaube ich dieser Tage sogar Frau Baerbock gegen ihre Gegenwart eintauschen wollen. Korrekt?

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bagatelle sechsundvierzig

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als der sommer noch elke hieß

und die pfirsiche

den buben die an stränden

wandelten stierend

die augen fallen ließen aus den gesichtern

glänzend im ewigen regen

und rudi der niederländer beklagte

den ausbleibenden wie früher einst

von juni bis september

den sommer

der auf die eine schwalbe wartet

die sich verspätet

konnte ich noch nicht ahnen daß

jede generation nutzt ihre chance

sich zu täuschen

kurz behost dem denken gegenüber

trotzend den frösten und

fluten

und nie zufrieden

nun tragen die tiefs auch männernamen

fortschritt

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PS: Obiges Bild Anfang September 2009 auf Kreta. Matala. Tags zuvor sagte die Liebste, ein ausgetrocknetes Flußbett querten wir, da flöße doch nie mehr Wasser. Nun gut, knappe zehn Stunden später waren wir etwas gescheiter.

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bagatelle vierundvierzig

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vor dem nächtlichen balkon

unserer ersten reise

lagen schafe dösend in dürrem gras

ich sprach sie an

sie gaben antwort

schliefen weiter dann

wie du

die du mich geweckt hattest

auf dem nächtlichen balkon

zweimal

jan ullrich fuhr ins gelbe trikot

am nächsten tag

und mir gehörte die welt

sekunden

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(Thassos / 1997)

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bagatelle zweiundvierzig / zwiebacken

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nun da die zukunft nur noch ein zwieback

vielleicht uns ist

vor dem zerkauen einzuweichen in lauwarme milch

nun da die zukunft keine schwarzwälder

kirschtorte mehr üppig getränkt mit schnäpsen

die wir weit ausholend unseren ahnen ins gesicht

schleuderten unsere tische zukunft reich gedeckt noch

waren damals

packt uns die angst vor einer zukunft

die uns nur mehr scheint zwiebacken

die wütende sahne im gesicht aber dem eigenen

sie empört uns indigniert

sollten wir aber gelernt haben

dass jede bagatelle

dass die zukunft der nachwachsenden

sich von der vergangenheit der

altvorderen

nur in der form unterscheiden wird

nicht der inhalt sich wandelt

verlust schmerz euphorie leid schmerzende glieder

einatmen

ausatmen

die hoffnung blind umklammert

eingeweichten zwieback schlürfend

durch einen strohhalm

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PS: Sie werden in den nächsten Tagen in London die neue Variante des kleinen Tierchens wohl weiterzüchten und uns – sincerely yours – über den Kanal schicken. Wir werden es nicht zu verhindern wissen, auch nicht mit Klagen und Barmen. Hoffe trotzdem, daß einer der sympathischsten Kicker ever, Mister (bald Sir?) Harry Kane noch zwei bis drei Tore schießt. Das Foto getätigt 2017 in GB. Einer der wunderbarsten Urlaube, in der Sprache der Nachwachsenden, ever!

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bagatelle einundvierzig / pere lachaise

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Bevor ich in den großen Schlaf sinken werde

Möchte ich daß Du den Schrei eines

Schmetterlings hörst

Sagte ich zu ihr

Die mich begleitete

Jene angebetete Schaustellerin der Liebe

Die stand irritiert vom Leben jenseits der Bühnen

Mit mir am Grab des Sängers

Der zu schön war für den Rock’n’Roll

Und in einer Badewanne landete

Als er den Blues entdeckte

Um einzuschlafen für immer

In der Stadt der Liebe

Die ich suchte festzuhalten dort

Vergebens und hörte wie

Alle Schmetterlinge entflohen meiner Brust als ich sah

Ihr gelangweiltes Gesicht

Ob meiner kindischen Freude

Und ihre Gewißheit den Sänger im eigenen Bett

Empfangen zu dürfen

Hätte sie nur wollen dürfen

Zwischen ihren überschminkten Augen glaubte ich

Dies zu lesen

Vor dem Friedhof in einem Bistro

Trank ich drei Pernod

Sie schwieg eisern

Wie mein schmerzendes Herz

*

(Paris / Frühjahr 1998)

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PS: Zum fünfzigsten Todestag. Weiß immer noch nicht, was ich von ihm halten soll. Dieses Lied mochte ich immer sehr.

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PS2: Das Photo oben hat mir Mick Jagger zur Verfügung gestellt.

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