bagatelle vierzig / vom gemüse singen

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Knete rote Beete

Fenchel streicheln jäte

Kartoffelkäfer klauben

Weißkohl zerstört entlauben

Salate vor dem Sprießen

Nicht zu heftig gießen

Harke durch den Boden ziehen

Der Rucola ist gut gediehen

Am Zaun ein Kürbis lauert

Die Gurke noch was dauert

Die Bohnen kräftig ranken

Und mit dem Unkraut zanken

Doch eines wäre noch zu raten

Achte stets auf die Tomaten

Und binde sie an Stecken

Sonst werden sie …

Ach ja und der Spinat

Hält aufrecht sich und grad

Und diesen einen Rettich

Geerntet ihn fast hätt` ich

Da fiel mir ein

Da muß noch etwas Jauche rein

Ins Beet und der Kohlrabi

Braucht keine Matura

Es lebe die Natura

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PS: Dank an die Gattin für das Foto. Im Hintergrund rauchen die letzten Reste der Arbeiterklasse vor sich hin.

bagatelle neununddreissig

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also stehen sie weiter im türrahmen

ihre koffer schon vorausgeschickt

den fuß in der türe noch

salbadernd

den finger im bauchnabel

und streuen mehltau

auf ihre alten taten

und die neuen werke

ersticken unter ihrer agonie

keiner kommt rein

keiner mehr raus

totes haus

maden feiern feste

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Für Joachim Löw und all die anderen, die nicht erkennen können, wann ihre Zeit abgelaufen ist.

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bagatelle achtunddreissig

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als durch die alten folianten

noch worte die wir kannten

vom hirn ins herzelein rannten

und wir den bogen spannten

vom gestern bis ins abgestand‘ne bier

das heute trinken wir

und so wir schnell verbannten

gespenster absturzkanten

und blieben querulanten

vor uns’rem eig’nen bangen

der angst vor dem verlangen

wir nannten das unendlichkeit

und ruhten in fremden worten

an unbekannten orten

und auch in den folianten

die wir niemals erkannten

auf dieser reise ohne ziel

um zu begreifen ein leben

auf abgefahrenen pneus

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PS: Noch ein schönes Photo, welches die Liebste schoß. In Münster / Westfalen. Dort wird, erfuhr ich eben, eine Krimiserie gedreht. Wieder mal was gelernt.

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bagatelle siebenunddreissig

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zuviel himmel über dem kopf

immer zu wenig himmel über dem kopf

im kopf aber mittelalterliche gassen

der himmel lediglich ein lichtstrich

über dem kopf der nach hinten kippt

muskeln härten sich der nacken blockt bockig

der herzmuskel hechelt braucht nur

himmel über dem kopf

und wenige worte

der himmel über dem kopf schweigt

lieber brüllend

wie beckett

not me wurm!

watt?

wurm!

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PS: Waren vorletzte Woche ein paar Tage an der See. Die Rückkehr in die Enge der (auch mental) fußgängigen Konsumentenzonen erschüttert mich als Innenstadtbewohner jedes Mal aufs Neue. Vor allem hier vor Ort.

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PS2: Noch ein Dylan. Über den Himmeln. Ohne Worte. Einer seiner besten Texte.

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bagatelle sechsunddreissig oder das waschmaschin*ius*a*um antwortet

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Traf gestern auf der Straße eine alte Waschmaschine

Ein harter Tod hatte sie ereilt

Aber sprechen konnte sie noch und ich

Fragte also was geschehen sei und sie antwortete

Leise so leise wie sie einst nach dem letzten

Schleudergang so leise

Was geschehen sei hatte ich also gefragt ach immer und

Immer ein langes Leben lang rotierte und rotierte ich

Bis achthundert Umdrehungen pro Minute

Um meine stets rotierende Mitte

Die freundliche Antwort

Und dann hätte es sie

Zerrissen flüsterte sie und ich fragte

Diese Teile diese zwei Teile da wenn man sie zusammenfügte wieder

Ob vielleicht dann

Nein nie denn in zwei Geschlechter sei sie zerteilt nun

Sogar in deren dreie nun ein kleines Diversum noch läge in der Mitte

Ob man mit Sternchen zwischen den Fragmenten Heilung

Eventuell wäre noch meine letzte Frage gewesen

Als die Waschmaschine sich endgültig totlachte und

Schrie

Ja der letzte Schrei der allerletzte ihrer wüsten Schreie

Man möge sich bitte bitte bitte entspannen

Und entfliehen den Bagatellen der Gegenwart zurück

In versunkenen Spaß

Eins bleiben

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PS: Widme die Bagatelle Elke Heidenreich und ihren aktuellen Einlassungen zur Sache Gendersprachhysterie. Muß man aber kuckeln nach im Netze. Während man unkorrekte Video gugge tue könne wolle. Esse eben Russenbrot. Gut lecker.

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bagatelle fünfunddreissig

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Gestern griff ich in meine Hosentasche

Suchte den Schlüsselbund trunken

Und fand lediglich

All die Lügen die ich mir im

Davonlaufen vor dem Leben

Dort hinein gelogen habe

Der Gürtel riß

Das Beinkleid rutschte

Und ein nackter Arsch grüßte

Den aufgehenden Mond

Bagatelle Donnerschlag

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PS: Warum haben die Finnen soviel musikalischen Humor? Rettet Wodka etwa den Verstand? Oder macht die Einsamkeit geselliger? Lob des langen Winters?

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bagatelle vierunddreissig

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unter den regenbögen

rasen wir hinweg

wegweiser ignorierend

abgebogen in einbahnstrassen

namens eigensinn

solange die kabel leiten

unser aller strom

weiter weiter

rollen wir

wohin auch immer

unter den regenbögen blinde zeiger nur

tickend

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PS: Damals in der Schule schrieben wir, will sagen mussten wir schreiben, sogenannte Bildbetrachtungen. Siehe oben.

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PS2: Dank und Kopierrecht für das Foto an die Liebste.

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bagatelle dreiunddreissig / strange lenz

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ich bin der komische frühling

dieses jahr

bin ich der komische frühling

ich bin der komische vogel

dieses jahr

bin ich der komische vogel

unter meinem flügel

bleibt der winter warm

und das ist gut

so soll es auch bleiben

tanz du doch

du tanz doch

von mir aus

tanz du doch

mit dem licht

lass mir die nacht

und nimm deine schönheit

nimm sie wieder mit

dir deine schönheit

und dieses lachen

lach es doch am tag

wenn ich schlafe

und kalt bleibe ich

kalt vor deiner

schönheit

kalt

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(gießen, wahrscheinlich im mai 2003, der auch ein kalter war)

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bagatelle zweiunddreissig oder als der frühling unlängst auszufallen drohte

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Als in den letzten Wochen der Frühling

Auszufallen drohte

Fuhren sie beflissen

Die guten Hirten unserer kleinen Stadt

Palmen durch die Straßen

Und wir standen winkend an den Rändern

Arme ausgestreckt

Fäuste geballt

Köpfe gesenkt

Tücher vor den Gesichtern

Bierbüchsen unter den Achseln

Auf hohem Schuh

Oder nackend in geklauten Sandalen

Und fürchteten uns

Vor der Wucht des nächsten Karnevals der erwachten Leiber

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bagatelle einunddreissig oder von der arroganz der eigenen angst atme doch

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Las heute das Zitat eines Regisseurs

Eben achtzig Jahre geworden

Man betitelte ihn Enfant terrible Berserker Avantgardist einst

Als Theater noch in offene Ohren und Augen schreien durfte

Man nicht nur Oberflächlichkeiten verwaltete wie überzogene Konten

Flunschlippig

Gelernt habe er von den Dichtern Komponisten Malern

Die sein reiches Leben in Schwung gebracht

Der Mensch sei disparat fragmentarisch beeinflußbar

Das einzig Unzuverlässige

Garantiert

Sei der Mensch

Der Einzige garantiert Unzuverlässige in der Natur

Und dachte an den unfassbaren Lärm in der reichen Welt

Nein nicht aufheulende Motoren

Gröhlende Fußballanhänger

Schreiende Kinder

Kläffende Hunde

Brüllend volle Plastiktüten

Und exaltiertes Partyvolk

Müde Menschen lediglich die doch auch dachte ich nur

Nein der sekündlich anschwellende Bocksgesang der Klagen Vorwürfe

Die Schatzsuche nach der Truhe Bundeslade Erlösung Heil

Ewige Narren die wir sind doch und die letzte Antwort bleibt Bagatelle

Die Schuldfrage stets im Visier die schon in den Almanachen unserer Ahnen

Vor sich hin moderte unbeantwortet

Das Große Jammern nun da sich die Lebenswut wieder nähert unserer

Gelähmten Gesellschaft

Die Arroganz der eigenen Angst

Spielart eine nur der vielen Verzweiflungen

Disparat fragmentarisch beeinflußbar

An den Rändern des eigenen Tellers in Agonie

Selbst Eingebrocktes den Fremden auslöffeln lassen mögen

Oh nein der Schrei

Es gibt sie nicht die Guten

Nirgendwo und nirgends

Auf den Feldern der eigenen Endlichkeit

Bastarde vermeintlichen Wissens wir

Werden überleben müssen die letzten Tage ohne zu wissen

Einatmen

Ausatmen

Abwarten

Ich wünschte ich wäre ein Berg doch bin ich nur Mensch

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