Wo ist die Zeit? / Countdown JFK Three

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Wahrscheinlich wiederhole ich mich. Aber nun tue ich es aus quasi aktuellerem Anlaß. Die Wiederholung: Wenn ich am Schreibtisch sitze und schreibe, schaut mir der älteste aller Altkanzler über die Schulter, garniert mit seinem „Lieblingsgedicht“, wovon ich wohl mal las und es sogleich verwurstete. Weil es mir gut gefiel stets und noch gefällt. Bisserl Olli Kahn: Weiter! Immer weiter! Schön naiv bleiben. Weniger klagen halt! Dinge tun!

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Letzte Woche sah ich eine Dokumentation über JFK im TV und guckelte nach. Das Gedicht ist gar kein Gedicht, sondern lediglich die letzte Strophe. Und gewünscht hat sich die Reime Kennedy zur Amtseinführung. Manchmal dauert es halt 60 Jahre, bis man was begreift. Oder nie. The complete poem:

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Whose woods these are I think I know.  

His house is in the village though;  

He will not see me stopping here  

To watch his woods fill up with snow.  

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My little horse must think it queer  

To stop without a farmhouse near  

Between the woods and frozen lake  

The darkest evening of the year. 

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He gives his harness bells a shake  

To ask if there is some mistake.  

The only other sound’s the sweep  

Of easy wind and downy flake. 

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The woods are lovely, dark and deep,  

But I have promises to keep,  

And miles to go before I sleep,  

And miles to go before I sleep.

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(Robert Frost)

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Robert Frost? Bob Frost? Seit etlichen Jahren, seitdem Dylan seine Platten selber produziert, was gut so ist, nennt er sein Produzenten – Alter Ego: Jack Frost. Mein zweiter Name ist Hans. Vater eben. Ich mag diese Coincidencien. Mit oder ohne jegliche Bedeutung versehen. Verbindungen.

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Oh, it’s a long, long while / From May to December / But the days grow short / When you reach September / 10

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Gießen / Vitos – Kapelle / 22. September 2023 / (v.l.n.r.) Fischer Lugerth Manz Bonica

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Das war ein guter Abend letzten Freitag in der Gießener Vitos – Kapelle. Ein richtiges Septemberprogramm. Lieder des alten Meisters. Vom Kommen und Gehen. Vom Aufbrechen und Stillstehen. Über Traurigkeiten und die wilde Freude. Gestern statt heute. Heute statt gestern. Der letzte Frühling im nächsten Herbst. Ein Herbst im gegenwärtigen Frühling. Oder doch noch Sommer? Man steht wieder mal vor einem rotierenden Kinderkarussell. Sinnierend. Ein schönes Wort. Es verzichtet auf Thesen und Gewißheiten.

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Was macht Herr Dylan eigentlich dieser Tage? Er feiert mit den alten Herzbrechern eine Art Erntedankfest und spielt wieder mal Gitarre.

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The September of my years (Frank Sinatra)

One day you turn around, and it’s summer

Next day you turn around, and it’s fall

And the springs and the winters of a life time

Whatever happened to them all

As a man who has always had the wandering ways

Now I’m reaching back for yesterdays

‚Til a long forgotten love appears

And I find that I’m sighing softly as I near September

The warm September of my years

As a man who has never paused at wishing wells

Now I’m watching children’s carousels

And their laughter’s music to my ears

And I find that I’m smiling gently as I near September

The warm September of my years

The golden, warm September of my years

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Ja ja ja, der September dieser Tage wärmt in vielerlei Hinsicht. Überraschend. Aber auch seltsam. Und recht aggressiv. Ich mag mich der Kinderfreude über immer noch mögliche Badetage nicht anschließen. Die nach uns kommen, werden dafür bezahlen müssen. Das ganzjährige „Draußensitzen“ ist mir suspekt. Eine dieser neugermanischen Marotten. Der Schädel eines Menschen ist kein Cabrio. Sagt der Hutträger in mir.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 20

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Garage / Fischerhafen / Argostoli / Kefalonia / 2. Juni 2023

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Die ureignen Reflexe ersetzen? Womit aber?

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We drove that car as far as we could

Abandoned it out west

Split up on a dark, sad night

Both agreeing it was best

(Bob Dylan)

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Wie trennt man sich von seinen Irrtümern? Möglichst geräuschfrei und ohne sich selbst und den in den Verwickelungen Verwickelten zusätzliches Weh zuzufügen? Den Tod wünschen seinen wohlfeilen Vorhaltungen?

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Man meint es mit seinen Münchhausen-Geschichten ja überhaupt nicht böse. Vielmehr ist man es so gewohnt, die Realität mit fiktiven Ereignissen und Details wild auszuschmücken, daß es einem selbst schon gar nicht mehr auffällt, daß man sich immer weiter von der Wahrheit entfernt und immer tiefer in seine Lügen verstrickt. Vor allem sehnt man sich nach Anerkennung der Mitmenschen und denkt, daß man diese nur mit Lügengeschichten bekommt. Man fürchtet irrtümlicherweise, dass man sonst nicht genügt.

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Ein sich einem Ende entgegenneigendes Leben ist eine rechte Schrottkarre. Meist war man selber zu blöd richtig einzuparken, aber oft genug ist auch irgendein Depp einem aufs Heck oder in die Seitentür gerauscht. Gerade wollte man eigentlich aussteigen. Auch da man vergaß rechtzeitig zu tanken und sich dann über den Kolbenfresser echauffierte. Peching! Formulierte es ein lebenslanger Freund gerne mal. Hatte man aber DAS Glück, wohnte in engster Nachbarschaft eine kundige Schrauberin, die die Kiste wieder flott gemacht hat. Aber das Ding eintauschen? Gott bewahre! Ein SUV – Leben hätte ich wohl nicht überlebt. Lieber Pflaster kaufen Tag für Tag als an Langeweile verschrumpeln bis zur Unkenntlichkeit. Und ständig auf der Suche nach einem Parkplatz durchs Leben huschend bös‘ klagen. Dabei Lebenslügen jonglierend. Nicht daß ich das nicht auch täte immer wieder!

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Jetzt verabschiede ich mich hier von Kefalonia, obwohl noch hunderte Bilder auf der Festplatte lauern. Inklusive vieler kleiner Geschichten. Eine Verschwendung eigentlich. Aber ohne Co2 – Fußabdruck. Immerhin. Was mit dem restlichen Sommer auch immer geschieht. Werde nicht zu heiß!

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Katalixi: Griechenland ist das Land, wo mich mein ständiges Nachhirnen weniger schmerzt. Das Zweifeln und das fröhliche Bereuen liegen dort freundlich in der Luft, die kleinen Bescheißereien, die charmanten Lügereien, die selbstironischen Übertreibungen, die Rituale jeder Begegnung und die Irrtümer inklusive des grinsenden „kai loipon“. Tut gut.

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Zurück und weiter, auch wenn die alte Kiste in der Wüste abgestellt wurde, mit dem Meister. Sie rostet dort aber langsamer. Es lebe der Irrtum!

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 18

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Vathy / Ithaka / 6. Juni 2023

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Es ist alles gut

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Hinter den Horizonten lauere es

Am Ende des Regenbogens auch

Warum aber die Erfindung der Schreibmaschine

Verlängern ins Unendliche

Zurück zu den Bleistiften

Und wer jeden Sonntag sein Knie beugt

Muss die Nacht weniger fürchten

Sie bleibt unerbittlich

Auch wenn die Götzen in die Dunkelheit recken

Ihre einst verbotenen Abbilder

Bleibe zu Hause und wehre Dich redlich

Sprach ein alter Freund

Der stets auf Reisen

Leiser leben

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Zimmerman again: Überleben jenseits der Verletzungen. Das Schiff bleibt im Hafen. Und blickt auf die Berge der Vergangenheit.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 17

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Nach einem letzten Bad / Lourdata / Kefalonia / 11. Juni 2023

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Verabredungen einzuhalten ist nicht immer einfach (revisited)

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Wenn das Trottel – Ich das Zepter schwingt

Und unterm Teppich Dummheit staubt

Wenn ein Zeigefinger alte Lieder singt

Seelenschrot rostet Schlaf mir raubt

Die Hüfte steif die Lende lahm

Und jeden Morgen neben der Zahnbürste

Wartet ein Kilo frischer Scham

Statt Wut

Alles wird gut

Ja alles ist gut

Basst scho wie der Fronge sacht

(Übersetzung: Passt schon, wie man in Franken gerne sagt)

Die Katze tot und

Kalinichta

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Zurück zu Bob. Es ist alles gut.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 14

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Agios Nikolaos / Friedhof / Peratata / 3. Juni 2023

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Was wird auf meinem Grabstein steh’n. Überraschung?

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Wollte er gehen, so stolperte er? Wir hatten uns in ihm getäuscht? Er war einer von uns? Hätte er weniger gedacht, wäre mehr Leben möglich gewesen? Wanderer, verweile nicht länger als nötig? A schöne Leich‘? Da liegt einer (ohne Name!)? Entschuldigung? Es war nicht zu vermeiden?

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Da debattieren sie im Bundestag heute zwei Gesetzentwürfe in Sachen Beihilfe zum Selbstmord. Sie nennen es assistierten Suizid. Was ein grauenhafter Sprech. Sehr zwiespältige Angelegenheit. Erst verlängern wir mit modernster Medizin das Leben ins Unendliche und dann muß eine Abzweigung eingebaut werden. Hatten einst nicht, die die es sich leisten konnten, den Ring am Finger mit dem kleinen Giftbehälter, um sich in der größten Not den Schierlingsbecher selbst zu mixen? Ist man aber tatsächlich Herr seines Schicksals? Ich glaube, obwohl ich nicht wirklich glaube, nicht so recht daran. Gibt es so etwas wie Dankbarkeit für das Geschenk Leben? Lohnen Klagen und Vorwürfe, die man den ungerührten Göttern vor die Füße schleudert? Ersetzt ein Bundesverfassungsgericht den Priester? Die Schuldfragen. Darf man schuldbeladen gehen? Einfach so. Weil man nicht mehr kann? Die Schnauze voll hat? Zurück zur Dankbarkeit. Ich weiß es wirklich nicht. Fällt unser Umgang mit Muttern Erde eigentlich auch unter assistierter Suizid?

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Seit sich mein Vater vor 50 Jahren selbsthändig vom Leben verabschiedet hat – mit gerade mal 48 Jahren und dem Krieg im Körper – bin bei diesem Thema natürlich belastet. Ich weiß immer noch nicht wie tiefgehend das mein Leben beeinflusst hat. Daß dies doch schwierige Startbedingungen waren, war mir nicht immer klar. Mit zunehmendem Alter begreife ich mehr. Es ist jedoch weiterhin nur ein Ahnen, kein Bescheidwissen.

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Sitze ich an der Tastatur schaut mir Helmut Schmidt über die Schulter, wie ihn Bernhard Heisig im Jahre 1986 malte. Darunter Schmidts Lieblingsgedicht von Robert Frost.

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The woods are lovely, dark and deep

But I have promises to keep

And miles to go before I sleep

And miles to go before I sleep

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Bob Dylan sang schon als Jungspund auf seiner ersten Platte mit Altmännerstimme vom selbstbestimmten Tod. Da hatte er noch einige Wegstrecken vor sich. Jetzt ist er „never ending“. Ja, es gibt noch etliche Meilen zu gehen. Besser zu zweit. Verantwortung beginnt beim Gegenüber.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 13

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Am Rande des Parkplatzes vor der Drogarati – Höhle / bei Sami / Kefalonia / 31. Mai 2023

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Besser sich nicht selbst aller Überraschung entledigen. Vor der Zeit.

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Der Bauer oder der Fischer oder der Bergführer blickten kurz zum Himmel. Da kommt heut‘ noch Regen. Heut‘ Abend wird es wohl stürmisch. Heut‘ bleiben wir lieber im Tal. Heut‘? Kaum fahre ich den Rechner hoch überfallen mich Wettervorhersagen. Keine stimmt. Die sinnentleerten Prophezeiungen der Moderne. Die Superlative jagen sich gegenseitig. Kann ich heute noch grillen? Joggen gegen den Wind? Wird mein SUV nass?

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Man kann auch ohne Schirm sein Haus verlassen, wenn das große Unwetter angekündigt wurde, welches den kleinen hysterischen Ort, in dem ich wohne, sowieso ständig meidet. Was soll es da? Darf ja gar nicht mehr in die Innenstadt fahren. Klage, oh Gießen, klage! Neue Lieder sind Dir fremd.

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Hatte gestern noch in Sachen Horst Dieter Höttges hin und her gemailt. Am Spielfeldrand tauchte auf und in den Untiefen der Erinnerung – sinnfreies Wissen – ein Ole Björnmose. Mein Bruder und ich und die gesamte jungmännlich selige Bundesrepublik sammelte damals und tauschte Fußballbildchen. Und klebte. Der zweite BRD – Däne nach Kuh Karoline, der erst bei Werder Bremen kickte und eigentlich erst beim HSV so richtig – Triggerwarnung! Boomerbesserwissersprache! – reüssierte. Man kann sich vorstellen was dieser Name für ein Gegiggel bei den unwissend lederbehosten Buben auslöste. Das hat mich angenehm überrascht, daß dieser Dänenkicker noch in den hinteren Synapsen meines Hirns rumturnte.

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Huch! Hoppla! Jetzt aber! Also hömma! Da fällt einem doch glatt die Kinnlade runter. Das habe ich so nicht kommen sehen. Hoffentlich Allianz versichert. Was erwarte Mensch? Drum mach Dir einen Plan und sei ein großes Licht. Und mach noch einen zweiten Plan. Auch der tut es wohl auch nicht. Zu Risiken und Nebenwirkungen in Sachen Existenz auf diesem wüsten Planeten, lesen Sie gelegentlich ein Buch oder fragen Sie Ihren Navi. Überraschung! Wie Rudi Carrell einst nuschelte.

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Vor zwei Tagen, ich saß vor mich hin klampfend im Hinterhof, durfte ich mithören wie mein Nachbar aus Kasachstan, der lieber nicht mehr Russe sein mag, den anderen Nachbarn erklärte, was Deutschland sei. Und was zu tun sei, um dieses Land wieder nach vorne zu bringen. Den DfB auflösen? Die Regierung entscholzen? Belindnern? Theaterzwang und Lesepflicht frei nach Karl Valentin einführen?  CO2 – Abdruckkontrollen in die Steuererklärung einfügen? Sekundenkleber verbieten? Nein. Das Recht auf einen innerstädtischen Parkplatz ins Grundgesetz einspeisen. Er wusste Bescheid. Man grinst, aber leicht bitter. Überraschend war es nicht.

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Zurück zu Herrn Dylan. Halt Dein Gesicht in die Winde aller Art. Ich weiß wie ich heiße, aber ich weiß nicht wer ich bin. Was wird auf meinem Grabstein steh’n. Überraschung?

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 12

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Feuerlöscher im Knast / Feste Agios Georgios / Peratata / Kefalonia / Hellas / 3. Juni 2023

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Nicht die besten Karten auf einmal auf den Tisch legen.

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„Wenn der Drang auszubrechen größer ist als die Selbstachtung. Wenn Freiheit nur ein Wort ist, dessen tiefere Bedeutung man nicht kennt. Wenn die verletzte Seele nach weiteren Verletzungen sucht.“

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Obiges las ich irgendwo dieser Tage. Ich hatte es hier notiert. Leider habe ich komplett vergessen in welchem Zusammenhang. Ein Buch? Die FAZ? Literatur? Theater? Psychologie? Ratgeber? Apotheken Rundschau? Habe ich es gar selber gedacht? Nee! Kaum! So gescheit bin ich nicht. Auch wenn ich es mir öfters einbilde. Aber es klingelte in den denkenden Innereien. Als ich das las. Aber warum?

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Zurück zu den besten Karten, die man holterdiepolter auf den Tisch haute ab und an. Die Einen nennen das Offenheit, die Anderen selbst grundgütig kaum zu verzeihende Naivität. Wenn man zu schnell in einer Begegnung alle Türen aufreißt, darf man sich nicht wundern, wenn ungeladene Gäste die Party entern. Oder besser gesagt aus einem Dialog eine Party machen. Partys dauern eine Nacht. Dialoge könnten langfristigere Perspektiven haben. Und sind die besten Karten wirklich die guten Karten?

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„Wir“ wurden seltsam sozialisiert. In den Siebzigern. Ganz schlimm in den Achtzigern. Konfrontiert mit dem massiven Schweigen der Eltern und Großeltern, denen wir erst jetzt im Alter einen gewissen Respekt oder zumindest Verständnis entgegenbringen können, entschieden wir uns – Pendel hin und Pendel her – dafür jede noch so unwesentliche Belanglosigkeit dem Gegenüber vor die Latzhose zu knallen. Natürlich emotional. Betroffenheit nannte man das. Was nichts mit Empathie zu tun hat. Die schweigt. Oder handelt. Generation Laberrhabera wir aber.

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Beim Schreiben fällt es mir eben ein, woher das Zitat. Hier! Ein Buch übers belastende Schweigen der Eltern. Und wie man dann die Vorwurfsebene verlässt und handelt. Und beginnt eine Suche. Ich las es gerne und mit großem Gewinn. Der genauere Zusammenhang des Zitats entfiel mir aber.

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Vielleicht ist ein Schweigen zu respektieren. Ab und an. Mir fällt das oft sehr schwer. Obwohl ich selbst ein überzeugter Schweiger bin. (Entschuldigung! Das ist kein bemühter Gießen – Witz!) Nicht jede Betrachtung aber mündet in Erkenntnis und Conclusio. Liegt eher im unteren Promillebereich. Außer vermeintlich in unserer Alterskohorte. Do simmer dabei, dat is prima oder janz schlimm. Dat wisse mr stante pede. Ich glaube wir sind zu schnell gewesen. Stets. Und noch. Unsere empathischen Feuerlöscher liegen vergessen im Keller. Wer hat die Schlüssel eigentlich? Sind sie verloren?

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Alternative? Öffentlich hinter einem geschlossenen Vorhang agieren? Möglicherweise schätze ich deshalb meinen Meister Zimmerman. Siehe unten. Besser sich nicht selbst aller Überraschung entledigen. Vor der Zeit.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 10

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Glockentürmchen der Kapelle des Heiligen Paulus / bei Pessada / Kefolonia / 3. Juni 2023

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Egal wohin wir gehen, es ist immer woanders.

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Hier mal ein paar Großbuchstaben: LANGE GALT ES ALS GESICHERT. Weiter im Text oder eher halt Pustekuchen. Man sagte immer, Paulus der Apostel sei auf Malta gestrandet, was lange als gesichert galt. Denkmal dann. Touristen und Pilger folgten. Irgendwann ist einer verbissen, glaubt nicht ans das LANGE GALT ES ALS GESICHERT, hängt sich rein und erzählt eine andere Geschichte. So wehten wieder die Winde andersrum. Wie bei Odysseus. Und man landet an ferneren Stränden. Ich liebe die Zufälle. Auch wenn diese gerne Schmerzen in der Hinterhand bereithalten.

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Der Historiker Heinz Warnecke hat bei seinen Nachforschungen rausgefunden, daß der kirchengründende Fels und Apostel doch wohl eher auf Kefalonia gelandet war. Wie auch der Vielgereiste. Jetzt ist Warnecke Ehrenbürger des Eilands. Die Anwohner in Stolz selbstredend. Mal schau‘n wann der nächste Wind den Jesusjünger und auch den Irrfahrer wieder woanders hinweht. Paulus bleibt im Sturm. So auch wir. Sogar ich. Und das Du eh! Singe mir, oh Muse. Selbst wenn Du das Schweigen bevorzugst.

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Wir besuchten diese alte Kapelle nördlich von Pessada. Unter dem kleinen Gotteshaus vermutet man Reste einer frühkirchlichen Kirche, welche dem Apostolou Pavlou geweiht. Der zweite, dritte, vierte Überbau steht bis auf an zwei, drei, vier besondere Ehren – oder Namenstagen leer. Dann versammelt man sich vor diesem griechischen – vor vielen Kirchen errichteten – Glockentürmchen. Sieht immer ein bisserl aus wie bei Sergio Leone. Und – siehe oben – hinten an unserem Hausberg der wunderbaren Tage wurden Winde zusammengebraut. Wohin sie wehen mögen den nächsten Reisenden? Fragt die Götter! Sie werden Euch nicht antworten.

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Hängen zwei Glocken nebeneinander, nie in dem gleichen Ton sind sie gegossen. Aus der Dissonanz ergibt sich das gemeinsame Singen. Der Gleichklang ist ein veraltetes Modell. Falls es ihn je gab. Wird gerne mit Gleichschritt verwechselt. Lechts wie rinks. Die Risse sind feine. Diese feinsten Risse können aber selbst den Dicken Pitter im Kölner Dom sprengen. Jeder Schlag des Klöppels oder des unruhigen Gewissens birgt Gefahr. Keiner ist gefeit. Und sonst ist sowieso nichts in Sicherheit.

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Merke gerade beim Tippen, daß ich in meinem nächsten Leben wohl Prediger werden sollte. Aber dann so richtig alttestamentarisch. Wie Meister Dylan. Conclusio: Klage nicht die Winde an. Die wehen.

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Peter sagte: „Und es war Sommer.“ / 07

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„Schule des Homer“ / bei Stavros / Ithaka / 7. Juni 2023

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Das WIR ist wirrer denn je.

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„Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes, welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung, vieler Menschen Städte geseh‘n und Sitte gelernt hat, und auf dem Meere so viel unnennbare Leiden erduldet, seine Seele zu retten und seiner Freunde Zurückkunft.“

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Mit 10 Jahren war ich wohl noch lernfähiger oder – bereiter wie dieser Tage. Die üblichen Alterserscheinungen halt. Am Ende der Quarta – entsprach auf einer höheren Bildungsanstalt einer 7. Klasse – wurde ich auf Grund großen Engagements im Deutsch – und Geschichtsunterricht mit einem Buchgeschenk ausgezeichnet. Gustav Schwabs unsterbliches „Die Sagen des klassischen Altertums“. Ein Wunder. Mehrfach verschlang ich die Geschichten, Mythen und Göttersagen. Besonders angetan hatte es mir natürlich die Odyssee. 10 lange Jahre irrte der Held kreuz und quer übers Mittelmeer bis ihn die Götter aus ihren undurchsichtigen Ränkespielen entließen und der Gott der Winde Aeolus den Weitgereisten an die Gestade seiner Heimatinsel Ithaka warf.

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Schon als Bub war mir einleuchtend, daß da jemand nicht für sich und den Nachruhm seine Abenteuer durchleidet, die oft genug herzliche Irrtümer und Dummheiten waren, sondern Homers Erzählung so eine Art Stellvertretersaga war, die sich an ein WIR richtete. Lese Menschenkind und verstehe. Im Schicksal des Heroen spiegelt sich die Welt und ihre Mühsal, also auch Du. Es bedarf keiner besonderen Betonung, daß Bob Dylan seine Dankesrede in Sachen Nobelpreis mit einem Zitat aus der Ilias begann. “Sing in me, oh Muse, and through me tell the story.”

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Also saß ich unlängst auf Ithaka unter einem uralten Olivenbaum, rechts und links davon ein paar spärliche steinerne Reste, die darauf hindeuten, daß hier vielleicht der Palast des Odysseus gestanden haben könnte. Könnte wohlgemerkt, bis zu 3 Weiler auf der Insel beanspruchen Heimat des Helden gewesen zu sein und vor einigen Jahre hat ein Altertumsforscher sogar rausgefunden, daß der Palast eigentlich auf der Halbinsel Paliki stand, welche ein wunderschöner und wild abgelegener Teil von Kefalonia ist. Da nicht nur Gott, sondern auch die Götter inzwischen tot sind, kann man die auch nicht mehr fragen. Es war ein glücklicher Moment, jedoch spürte ich auch eine ungeheure Müdigkeit in mir.

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Zurück zum WIR, welches seit einiger Zeit, auch angesichts toter Götter schrumpelt und ächzt und reduziert bleibt auf Heldengesänge auf ein angeblich allmächtiges Ego. Verbindende Erzählungen tun Not.

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Mein ganz persönlicher Held aber war Argos, der alte Jagdhund und vielleicht gar Schwarze Hund des Vielgereisten, der seinen Herrn erkannte, der unter einem alten Olivenbaum saß, er erkannte ihn, obwohl er schon im Sterben lag, räudig und vom Ungeziefer eines langen Lebens und Wartens zerfressen. Nach zwanzig Jahren, Odysseus zehn Jahre vor Troja und die zehnjährige Irrfahrt durchwartend, erkannte er den geliebten Herrn, wedelte dies kundzutun einmal mit dem Schwanz und ließ sich dann von Charon in den Hades rudern. Falls es einen Hundehades gibt. Eine wunderbare Treue, zu der man selber oft nicht fähig und erst in Zeiten der Anfechtungen und Krisen erkennt, was eine solche Treue wert ist. Sollte ich jemals sterben und ich werde dies nicht verhindern, auch wenn es noch etliche Jahre dauern mag, man spiele dieses Lied. Mann braucht keine Worte, wenn mann mal sehr müde ist.

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