Von dem steten Menetekeln statt sich vor den Konsequenzen mal zu ekeln / Fangen wir wieder an zu rauchen 13

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Schwangau / 16. Juni 2022

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Da haut sich ein Gletscher ins Tal, weil er in den letzten Tagen das erste Mal in seinem gewiß mehr als 50000 Jahren altem Leben 10 grad Celsius PLUS erleiden mußte. Und nimmt ein paar Bergsteiger*innen (Verzeihung! Ich verzichte auch auf meinen Vortrag morgen an der Uni Sowieso!) mit in die Hölle. Da soll es ja noch wärmer sein als hier oben. Obwohl? Sicher dat?

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Hörte eben davon in den Nachrichten im Radio, während ich spülte. Das Wasser kommt so warm aus der Leitung, daß mein Wasserkocher binnen kürzester Zeit abschaltet. Na also, tu klagendes Germania, die finsteren Wolken über unserem Geldbeutelhimmeln, so schlimm können sie gar nicht sein. Ach, vergaß ich fast: dann noch mein Lieblingsspruch am Ende der Nachrichten. Konzentration: „AUCH DEUTSCHE UNTER DEN OPFERN!“ Die Opfer der Deutschen sind meist entschieden leiser.

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Weniger als fünf Minuten duschen? Weia! Abu Ghreb ante portas!

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Befürworte die Wiedereinführung des Prangers. Auf den wesentlichen Flughäfen des Landes werden die Nasen, welche nicht in der Lage waren die Dinger rechtzeitig zu Ende zu bauen und die Bösewichte, die für das „Chaos“ dieses Sommers zuständig sind, an die guten mittelalterlichem Schimpfpfähle gekettet und wir Selbstgerechten dürfen ihnen die ausgestreckten Zeigefinger ins rechte oder wahlweise linke Augen stechen. Das ist wahre Demokratie.

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Gibt es Flughäfen, die von einer Gletscherschmelze bedroht sein könnten? Die Suche nach den Schuldigen sei hiermit eröffnet.

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RAUCHPAUSE / Teil 13

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Wenn ich hier so stehe, möchte ich mich gar nicht mehr sehen. Nicht nur lange Unterhosen, ich glaube irgendjemand hat mir auch einen Morgenmantel übergestreift und ich habe es gar nicht bemerkt. Herr Marlboro sucht sein Pferd. Da bist Du kein Altbundeskanzler. „In allen Theatern herrscht Rauchverbot. Nicht für mich. Ich bin Teil der Inszenierung.“ Sagt der und gibt seiner Loki Feuer. Vom Schulhofheld zum Hinterhoffeigling. Große Karriere.

Nach einer Woche auf meinem AB die Stimme von Gitti. „Ruf uns mal an. Hansi und ich wir müssen Dich unbedingt sprechen. Es geht um das Aquarium.“ Das war vielleicht ein Treffen. Das erinnerte mich an die Abrüstungsverhandlungen Anfang der 80er. Rechts Reagan, links Breschnew, in der Mitte ein langer Tisch mit Kaffeekannen und Wasserflaschen sowie 10 Brötchen. Kalter Krieg und kalter Braten. Meist redete Gitti. „Also erst mal, wir haben uns verlobt.“  Meine Gesichtshaut erstarrt zur Maske. Bei Gitti kurzes Aufblitzen des Lächelns. Hansi nickt. Knetet sich den Handrücken und tritt mir unter dem Tisch auf den Fuß vor lauter Aufregung. Gitti: „Schau nicht so konsterniert. Ein ganz normaler Vorgang auf dem Weg zum Erwachsenwerden. Zum Eigentlichen: Hansi ist ja noch ein bißchen labil. Und leider umgeben von verantwortungslosen „Freunden“, die nichts dabei finden, einem Rekonvaleszenten Alkohol und Nikotin einzuflößen.“ „Wie meinen?“ „Laß mich bitte ausreden, auch wenn ich nur eine Frau bin. Also ich habe gekündigt in der Klinik.“ Hansi: „Ja, der Job hat sie am Ende echt fertig gemacht.“ Gitti: „Du Mausebär, laß mich mal machen. Du mußt dich noch schonen.“ Mausebär? Ok. Wenn es der Wahrheitsfindung dient. Gitti: „Wir haben uns mal was überlegt wegen dem „Wind und Wasser“ „Wie, was? Wind und Wasser?“ „Der neue Name von der Kneipe. Auf chinesisch heißt das Feng-Shui. Wind und Wasser eben.“ Hansi: „Im Wasser lebt ja das Aquarium noch fort.“ Blödes Gekicher. Gitti weiter: „Mausebär, bitte. Also im Feng-Shui ist man bemüht durch richtiges Handeln und Betrachten der Dinge die Geister der Luft und des Wassers sinnbringend und positiv zu vereinen, um heilende Energie freizusetzen. Also Ihr habt, sag ich mal so, bis jetzt nur die Flüssigkeitsseite betrachtet, und das sehr exzessiv, und die Geister der Luft habt ihr tagtäglich mit Qualm gefoltert. Das spürt doch jeder, daß da kein Qi drinnen fließen kann. Und dem wollen wir ein Ende setzen. Wir wollen das „Wind und Wasser“ zur ganzheitlichen Kneipe machen. Was meinst Du, warum der Hansi eigentlich damals kollabiert ist? Unterversorgung mit Qi.“ „Ne, eher Überversorgung mit Grappa und Schwarzer Krauser. Und zu viel betrunkener Verkehr mit viel zu jungen Mädels.“ Scheiße. Wieder hatte ich es nicht geschafft mich zu beherrschen. Aber dieses immer im Nachhinein Bescheid zu wissen. Als hätte ich mein vorheriges Leben nur im Fernsehen angeschaut. Geht mir gehörig auf den Sack. Da neige ich zur Verwundung. Ich wurde etwas lauter. „Hansi, tut mir leid, aber das ist gequirlte Kacke mit Schlagsahne. Wir sind hier keine Krankenhauskantine. Sondern sozusagen ein Zuliefererbetrieb.“  Gitti: „Mausebär, wir gehen. Mich wundert, daß du es neben so einem herzlosen Monster überhaupt so lange ausgehalten hast. Du hörst von uns.“ Knall. Peng. Tür zu.

Ich würde ja gerne mal wissen, wie Mausebär auf Chinesisch heißt. Und ich würde gern mal wissen, wie Kälte auf Chinesisch heißt. Und warum da keiner mehr rauskommt. Aber bis ich die Geschichte zu Ende erzählt habe, halte ich durch. (holt einige seiner Zettel aus der Tasche, legt sie in den Aschenbecher, zündet sie an und wärmt sich daran die Hände) Worte können auch warm machen.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Rückkehr der Situationisten / Mit Essen spielt man nicht / Tod der Grinsekatze

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Tambach – Dietharz (Thüringen) / 5. Oktober 2011

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Ein junger Mann, vierundzwanzig Jahre alt, steht an der Kasse des Louvre. Paris. Er möchte die Mona Lisa sehen. Er bewundere ihr zeitloses Lächeln. Sagt er. Überzeugend. Er gibt an, er könne nicht mehr laufen, er leide unter multipler Sklerose und anderen schweren bewegungseindämmenden Krankheiten. Er seufzt. Schwer. Die verständnisvolle Kassiererin stellt ihm, nach telefonischer Rücksprache mit der stellvertretenden Museumsleitung, einen Rollstuhl zur Verfügung. Er ist nicht Alexander Zverev. Oder doch?

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Korrektur: der junge Mann ist eine junge Frau. Zumindest optisch. Eine Langhaarperücke macht ihn zur Frau. Unter der Perücke lagert der junge Mann Wurfgeschosse. Madeleines? Puddingteilchen? Eine Schwarzwälder – Kirschtorte? Donauwellen? Gefüllte Krapfen? Windbeutel? Pralinen?

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Das junge Wesen wird im Rollstuhl vor Leonardo da Vincis gemalten Smashhit gerollt. Er greift unter seine Perücke und feuert die Backwaren mit aller Wucht gegen das Gemälde. Er schreit: „Denkt an die Erde! Es gibt Menschen, die dabei sind die Erde zu zerstören! Hört auf zu grinsen!“ Man stürzt sich auf ihn und führt ihn ab. Er schreit weiter. Keiner hört ihm zu.

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Die Grinsekatze Mona Lisa ist unter dickem Plexiglas verborgen und geschützt. Ihr silberäugig schielendes Grinsen, welches kein Lächeln ist und seltsamerweise von großen Teilen der Menschheit als Ausdruck gelebten Optimismus interpretiert wird, nimmt keinen Schaden. Schade.

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Ist dies die Rückkehr der Phantasie? Gar der Situationisten? Die Rückkehr eines Teufels namens Fritz, der einst den Vizepräsidenten der USA mit Pudding attackierte und ein verklemmtes Land in hocherigierte Konvulsionen versetzte? Provokation jenseits der Benzinpreise?

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Meine liebste Meldung seit Ewigkeiten. Natürlich wird der junge Mann polizeilich und medial zum psychisch instabilen Depp erklärt. Meine Sympathie hat er. Wer den Grinsekatzen und Grinsekatern dieser Welt entschlossen entgegentritt, kann nicht nur blöd sein. Ganz im Gegenteil.

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Unter der Leichendecke der Buchstaben weiteratmen / E viva Remontada

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Manchmal sind mir die Worte alle zuviel. Die ganzen Worte, die ich täglich inhaliere. Oder auskotze. Im Park liegen lasse. Einer Liebsten unter die Matratze schiebe. Einem Nervtöter auf die Stirn küsse. Diese Buchstaben, die Tag und Nacht auf mich einprügeln und die ich mit beidhändiger Rückhand übers Netz in die andere Spielhälfte der Welt „dengele“, eine Stille nicht ertragen könnend. Wie ein Kind vor mich her plappernd. Wie ein seniler Tourettist geräuschvoll ausatmend alle scheinwichtigen Gedanken.

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Las gestern ein sehr schönes Interview mit Armin Müller – Stahl. Er sprach davon – er pendelt zwischen der Ostsee und den Vereinigten Staaten und so falle ihm so etwas eher auf – wie sich seine Sprache, die nun mal die deutsche ist, ständig verändert, neue seltsame Worte in Mode kommen, plötzlich aufgeladen mit Bedeutung und daß dies manchmal Schmerzen bereiten könne. „Nachvollziehen“ zum Beispiel nennt er. Das Wort sei doch scheußlich. Schön. Kann ich wiederum nachvollziehen.

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„Wörter bleiben stumm und friedlich / obschon ihr Inhalt weggeflogen / Schlagen um jedoch wie Wetter / werden bös, gemein, brutal, verlogen. / Kommen aus dem Hinterhalt / schleichen, loben, lügen, richten. / Doch was sie in Wahrheit wollen, ist dich und deine Kunst vernichten.“

(A. Müller -Stahl)

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Gestern hat Toni Kroos ein Interview abgebrochen. Schön zu sehen, wie er die Hände vor sein Gesicht hält, (ge)sichtlich unter den Worten des slomkaesk gescheiten ZDF – Reporters leidend. Weil der Frager nicht kapierte, wie wichtig die „Remontada“ ist. Das Zurückkommen. Nicht die herbei phantasierte Überlegenheit kann sein Dein Ziel. Ich mochte den Trainer der alten und weniger offensiv frisierten Männer aus Spanien, der ohne Zähnefletschen und berufsjugendlicher Kappe seine Kicker gelassen ins Ziel coachte. Und sehr viel weniger Worte benutzte. Danach dann sogar.

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Manchmal düngen die Worte den Acker, oft lassen sie alles was dort wuchs oder noch wachsen wollte, verdorren. Jedoch: Wird Schweigen jemals mein Gemüse sein? Gehe jetzt mal im Gedankenschrank nachschauen.

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Armin Müller – Stahl hat im Alter den Worten abgeschworen. Er malt. Nachdenkenswert. Denke an einen alten Regisseur von mir, der es ähnlich entschied. Geh zurück in Dein Buch. Lies es und vernähe Deine Lippen.

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Postschreibum und Nachklapp vom 30. Mai 20Zwei:

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Habe eben im Hinterhof ein paar junge Pflänzlein, die meiner Ehefrau am Herzen liegen, gewässert. Das Wochenende war zwar ordentlich kühl – Was erlaube Wetter? – nach eher durchgeknallt warmen Eisheiligen – Was erlaube Wetter revisited? – aber Wasser brauchen die Kleinen trotzdem. Fährt auf den Nachbarhof unseres Hinterhofs ein eine Nachbarin. Gesprächsthema 1 natürlich das Wetter. Also wie kalt das wieder sei. Und daß man trotzdem gießen müsse. In Gießen. Sie wäre heute morgen in die Praxis gekommen und man hätte die Heizung andrehen müssen. Ich ja auch am Schreibtisch, erwidere ich und sowieso den Dings friert es ja im dicksten Winterrock. Sagte ich dann auch noch. Gießend in Gießen. Aber jetzt ist morgen oder übermorgen Juni und ich heize noch. War ihre Antwort. Sagte ich dann unbedarft: Solange die Russen uns noch Gas liefern, geht das doch alles noch. Die Nachbarin schaut mich an als sei ich Gerharda Putin oder Wladimir Merkel in Personalunion, dreht sich auf dem Absatz um und iss weg. Vielleicht ist es das, was Toni Kroos in Sachen Deutschland meinte in diesem „Feldgespräch“.

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Postscriptum due: Las ich heute. Die Mikrofonhalter nennen dieses After – Work – Stalking wirklich Field – Interview. Nachgespräche auf den Schlachtfeldern? „Sagen Sie mal, hatten Sie den Gegner gleich im Visier? Oder hatten Sie erwartet, daß die Lieferung der schweren Abwehrwaffen schon stattgefunden hatte?“ „Ich bin eigentlich nur froh, überlebt zu haben!“ „Haben Sie da kein schlechtes Gewissen? Der Gegner hatte doch die besseren Haubitzen!“ Freue mich schon wieder auf das Tagesheute. Selbstredend gegeben highgeheelt und in nachhaltigen Designerklamotten. Und nun zum Sport.

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Und vergib‘ uns uns’re Schuld, da wir doch auf den Anderen weisen. Amen!

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Konstanz / wo über der Unteren Sonne die Gespräche verteilt wurden / 11. März 2022

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Es klingelt an der Haustür. Ich öffne, obwohl noch im Nachtgewand, etwas verkatert und mit subakutem Rückenschmerz. Ein bebrillter Glatzkopf hält mir einen Ausweis unter die Nase.

„Moin. Sie wünschen?“

„Ich bin Ihr Erhebungsbeauftragter!“

„Schön! Und was wollen Sie?“

„Wissen wie es Ihnen geht!“

„Geht so! Geht es etwas konkreter?“

„Was war gestern?“

„Ich trank Wein, pflanzte Bohnen, fuhr Fahrrad und schlief dann ein.“

„Sonst nix?“

„Doch, ich mußte noch einen Schuldschein entgegennehmen. Nix besonderes. Tut man ja jeden Tag. So als Mensch oder Menschine.“

„Also sind Sie ein Mensch. Darf ich das schon mal in meine Erhebung eintragen?“

„Wenn es der Wahrheitsfindung dient!“

„Und was machen Sie heute so?“

„Ich schnüre ein Entlastungspaket!“

„Und was ist da drinnen?“

„Nüscht oder nur das, was der Empfänger da drinnen zu sehen in der Lage ist. No Expectations!

„Schönes Lied!“

„Find ich auch! Wollen Sie reinkommen? Hab‘ noch was Wein!“

„Glaube nicht. Ich habe mich, denke ich eben, beim Erheben etwas verhoben. Ohne mich zu loben. Jetzt. Ich muß mal vergessen, was ich eh nie begriffen hab‘! Manchmal ist man doch gehetzt!“

„Sie können aber jederzeit wieder vorbeischauen!“

„Mache ich! Tschööö!“

Die Tür fällt ins Schloß, ich mache das Bett, trinke den Restwein vom Vorabend und gehe zur Akupunktur. Ein weiterer Tag geht. Weiter!

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Ich liebe die Tage nach Wahlen. Egal wo und wie. Der Ausgang ist mir meist wurscht. (Stimmt natürlich nicht. Aber heute will ich mal wieder kokett sein!) Jedoch die GROSSE NACHBEREITUNG, da habe ich einfach Spaß dran. Erst die ritualisierten Elefanten -, Goldhamster – oder Kreuzotterrunden. Mit den wild vorwärts stürmenden Fragen der – den Rücken überstreckt – naja, das ist nicht gesund – Frager und Fragistinnen. Herrliche Scheingefechte. An den Montagen dann die Lektüre des Papiers und die erneuten Hinterherdenkereien schauen. Die ausgestreckten Zeigefinger prangen allenthalben. Das üblich obsolete Politikerbashing, welches vor allem die Verlierer in die Ringecke quatschen soll. Um dann den Gewinnern die Schuhe zu polieren. Aber mit einer farblich anderen Schuhvixe. So simmer halt, wir Wählermenschen … Verzeihung … Staatswürger … so ein Blödsinn auch: STAATSBÜRGER. Den ausgestreckten Zeigefinger aber brauchen wir. Morgens bohrt man sich ja auch gerne mal in der Nase rum.

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Die Menschen in diesem Land verzichten zunehmend auf die Ränder. Können wir uns nicht mehr leisten! So isses. Oder? Man kuschelt sich in die Mitte. Angstvoll. Sollte ich meinen Block … sorry … Blog schließen? Frag ich mich. Oder Dich. Oder jene auch noch.

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Weit über vierzig Prozent nutzten ihr Wahlrecht nicht vorgestern. Ist alles so schön bunt hier. Kann mich gar nicht entscheiden. Ist alles so schön bunt hier. Da ist doch die Eine dööfer als der Andere. Und die Benzinpreise.  Ich find‘ mich da nicht wieder.  Ich bin denen allen nicht grün. Jetzt wähl‘ ich halt mal die. Solange Krieg ist, gibt es auch kein Tempolimit. Die haben anderes zu tun. Nächstes Jahr im Merz sieht dann alles wieder ganz anders aus. Was weiß ich denn?

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Immer noch mein Mantra: Auch der Wähler ist ein Depp. Vor allem, wenn er nicht wählt. Der Depp.

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Immer noch mein Lieblingsaufkleber auf dem Flaschencontainer, wo ich eben das Leergut, welches der Erhebungsbeauftragter*in nicht mit mir leeren wollte, entsorgte:

Olaf Scholz ist nur Kanzler, weil der wahre Olaf schmolz!

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Ich glaube, die Ränder wollten eigentlich schon immer Mittelpunkt sein. Ich liebe Rio. Schauen Sie selbst. Morgen mehr über eine wieder neu entdeckte Liebe.

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Am beschste: Machsch de Fernseher aus, schausch de Tabelle nit an, bringt eh alles nix. Spielsch! Übsch! (C. Streich)

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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die flucht in den frühling

brach er ab

die kleine lauchzwiebel

hing geknickt und von einer

gnadenlosen sonne geprügelt

windschief über der krume

nicht zu viel gießen

dachte er noch

als er die dritte kanne über das halbtote

gewächslein zart

gekippt hatte

man könne auch ersaufen in der

trockenheit

fiel es ihm auf die feuchten schuhe

denke nicht an das gericht

an die pfanne

an die vollendung

weit vor der ernte

morgen anders

gießen

sachter verbrennen

üben

es ist kein spiel

das man nicht erlernen

könnte oder

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Erwachte heute Morgen aus einem seltsamen Traum. Lief durch ein altes Theater. Überall wurde gearbeitet. Hektisch. Es wirkte ein bisserl wie Aufräumarbeiten nach einem Überfall, Krieg. Viel Schwarz, viel Verkohltes. Alle Türen waren zugestellt mit Sperrmüll. Zum Mitnehmen. Zum Verschenken. Viele neue Türen auch noch. War da was? Ich kannte mich nicht mehr aus. Wurde angesprochen: Als sie noch hier waren, war es aufgeräumter. Ich verneinte und stieg über einen Sperrmüllberg. Ein letzter Raum. Kaum beleuchtet. In lumpigen Kostümen – Motto: der morbide Chic – lagen alte Kollegen von mir erschöpft auf den Boden. Keine Regie in der Nähe. Es war kalt. Ich fragte: Ist das jetzt so eine Art Hauptprobe? Habt Ihr die schon gehabt? Ein geschätzter Kollege, mit dem ich viel gestritten habe, bis wir uns endlich „liebten“, antwortete: Ja. Hauptprobe. Wir haben morgen Premiere: am 3. Mai. Ich erwachte sehr verwirrt und flach ATMEND. Aber atmend immerhin noch.

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Jetzt ist es weit nach Mittag und dieser Traum läuft mir immer noch hinterher und beißt mir in die Waden. Ich schiebe die Steuererklärung vor mir her.

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Es wird Zeit – Eintracht Frankfurt hin oder her, liebe Hessen – mal ein richtiges Langgedicht auf Christian Streich zu verfassen. Auch die Rente muß man üben. Hoffentlich spielerisch wie Christian Streich. Jedoch: Der übt jetzt auch das Verlieren. Tja! Scheinsouveränität rules ok!

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Den Frühling auf den Wangen, den Winter im Herzen (Georg Büchner)

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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Den Frühling auf den Wangen

den Winter im Herzen

brachen wir auf

leugnend unsere übereilte Flucht

Als wir stolperten

lachten wir auf laut und zu schrill

als wollten wir spielen mit dem

Schmerz

Wir zogen uns

mutig kichernd wie einst auf dem Bolzplatz

die Kiesel mit Pinzetten

aus den schrundigen Knien

liefen weiter

mehr wissend von der Vergeblichkeit

nicht dies nein nicht dies

Schweige bitte

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Als ich vor der Mauer stand

mich umdrehte in Panik

blickte ich in voll aufgeblendete Scheinwerfer

Ich schrie auf

unter Wasser schwerer Traum

Das Licht implodierte

Es blieb nicht als ein funkelndes Katzenauge

welches reflektierte die Glut des Eisbrockens

der wuchs in mir unaufhörlich

Ein Passant lobte mich ob meiner gesunden

Gesichtsfarbe

Wenigstens auf meine Wangen ist

Verlaß

Mich aber nicht

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Ein Traum endet mit dem Erwachen

Manchmal

Ich schlug die Augen auf

Spatzen pickten die Brotkrumen des gestrigen Tages

von meinem Fensterbrett fordernd

Die Tauben verscheuchte ich

vom Dach

und streckte die Hand aus dem Fenster

Hagelkörner fielen

aus einem stahlblauen Himmel

Eisheilige

die wir waren

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(gießen / türmchen / 11. mai 2022 / grauburgunder)

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Das war die Anregung:

GOUVERNANTE. Denken Sie nicht an den Menschen!

LENA. Er war so alt unter seinen blonden Locken. Den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen! Das ist traurig. Der müde Leib findet sein Schlafkissen überall, doch wenn der Geist müd ist, wo soll er ruhen? Es kommt mir ein entsetzlicher Gedanke: ich glaube, es gibt Menschen, die unglücklich sind, unheilbar, bloß weil sie sind.

(Leonce und Lena / 2. Akt / 3.Szene)

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Und das noch:

„Es wäre schrecklich, wenn Russland siegt, aber womöglich noch schrecklicher, wenn es verliert!“ (Jens Stoltenberg)

Ich weiß: Zweifel rettet keine Menschenleben. Aber erlaubt sollte er bleiben.

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Weismann und Rotgesicht revisited / Just another Desert Blues to be sung

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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Wenn wir uns in den wüsten treffen

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Wenn wir uns in den wüsten treffen

Ich gepeinigt vom fußpilz

Du gequält von filzläusen

Wenn wir uns die badelatschen um die ohren hauen

Und sprechen von überhöhten rezeptgebühren

Da wir gestern noch träumten

Oder lagen in beheizten schützengräben

Statt zu feuern in den badezimmerspiegel

Heilige eide aber in den maihimmel singend

Die einzuhalten wir niemals fähig werden sein

Oder gar wollten dies

Wenn der wüste sand um unsere knöchel tanzt

Der schwanz des skorpions sich reckt

Und in geliehenen gamaschen wir

Wieder die wildgänse durch die nacht rauschen lassen

Mit schrillem schrei nach norden

Links zwo drei vier

Links zwo drei vier

Stillgestanden

Steht der esel der uns im galopp verloren

Stoisch neben einem kaktus

Und nagt an den stacheln

Dahinter sei das wasser gespeichert

Sagte man ihm

Hätten wir vielleicht auch zugehört

Dürsteten wir weniger

Die schlimmsten väter sind die

Die keine sind

Die krippe scheint leer dieser tage

Der ochse dreht sich am spieß

Der esel tröstet die joseflose marie

Die rollenden dornbüsche kreuzen unsere wege

Zwölf uhr mittags

Und keine helden in sicht

Die hauptstrassen nicht leer

Sondern voller

Toter

Utopien

Gedanken

Wünsche

Hoffnungen

Menschen

Kinder

Menschenskind

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(gießen / vor zwanzig Minuten / heute)

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Ich weiß nicht warum, aber gestern nachdem ich Putin, dieses morbide Steinzeitreptil, neben seinem Wachsfigurenkabinett sitzen sah in der Tagesschau, in den leeren Himmel starrend, wo sie ihre mächtigen Flieger erwartet hatten, Zeichen des Sieges in den Äther zu schreiben, mußte ich an meinen verehrten Theaterleitstern George Tabori und seine Theaterfassung von „Weismann und Rotgesicht“ denken, wo ein alter Jud‘ und ein zum Indianer umgemodelter Cowboydarsteller – wohl auch ein Jud‘ – sich permanent ihre eigenen Leiden um die Ohren hauten. Wer hat denn wohl noch mehr gelitten? Conclusio: Nur ich habe mehr gelitten als ich. Gelle! Wie sehr ich diesen bösen Humor angesichts aller eigenen besungenen Leiden und Schmerzen, die meistens die der Anderen sind, doch vermisse. Leider auch visavis des eigenen Badezimmerspiegels. Also den Humor. Die Schmerzen weniger. Irgendwo in den alten Pappkartons muß es noch rumliegen das Werk. Erst mal suchen. Dann vielleicht finden. Wird bald hier zitiert. Und beim Tippen der Worte oben hörte ich dieses Lied. Warum? Rongwrong oder I look into my little black book. I’m old before my time. I feel that i’m growing out of this world. Dann noch die „düsteren – sompre reptiles – Reptilien“. Die alle Zeitläufte überleben. Aber hören Sie selbst!

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Ich weiß nicht mehr, wann es denn nun war, daß wir einschliefen linksherum?

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Konstanz / hinter der Hinteren Sonne / 11. März 2022

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Ich weiß nicht mehr wann es war, daß wir einschliefen

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Ich weiß nicht mehr wann es war, daß wir einschliefen

Noch nicht mal mehr mag ich mich erinnern daran

Ob, der Du Sibiriens Weiten bewässerst,

ob Du es noch weißt

War das Sofa im Gästezimmer unseres preiswerten

Wissens

Oh Matratze

Geteert oder gefedert mit der Moral

Dort wo wir alles ahnten schlafend hellwach

Die warmen Socken an den frierenden Füßen

Die nicht laufen wollten irgendwohin

Die nur kaufen wollten

Erlösung

Das Lieben ist aber und darf nicht sein nur

Arbeit am Erlaß

Nach Canossa lassen wir gehen andere

Täter

Tätärätä

Und opfern unsere Schuld im Namen

Fremder Herren

Und nennen sie

Vergangenheit

Gebissen in unsere Kissen

Oder

Wir vergaß(t)en wann wir einschliefen

Aufwachgarantien

Kann man sich nicht als eine App

Runterladen

Jeder Mensch ist mal alleine

Alte Lieder sind die Lieder

Die den neuen Liedern folgen

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(gießen / 9. mai 2022 / tag der frage, wer wenn denn nun wen befreite von was)

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Heraus, heraus zum zweiten Mal … ähem …  zweiten Mai in diesen Tagen, schwarze Männer und gelbe Frauen!

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Erklär mir, Liebe

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Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind,

dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan,

dein Herz hat anderswo zu tun,

dein Mund verleibt sich neue Sprachen ein,

das Zittergras im Land nimmt überhand,

Sternblumen bläst der Sommer an und aus,

von Flocken blind erhebst du dein Gesicht,

du lachst und weinst und gehst an dir zu Grund‘,

was soll dir noch geschehen –

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Erklär mir, Liebe!

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Der Pfau, in feierlichem Staunen, schlägt sein Rad,

die Taube schlägt den Federkragen hoch,

vom Gurren überfüllt, dehnt sich die Luft,

der Ent‘rich schreit, vom wilden Honig nimmt

das ganze Land, auch im gesetzten Park

hat jedes Beet ein goldner Staub umsäumt.

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Der Fisch errötet, überholt den Schwarm

und stürzt durch Grotten ins Korallenbett.

Zur Silbersandmusik tanzt scheu der Skorpion.

Der Käfer riecht die Herrlichste von weit;

Hätt‘ ich nur seinen Sinn, ich fühlte auch,

daß Flügel unter ihrem Panzer schimmern,

und nähm‘ den Weg zum fernen Erdbeerstrauch!

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Erklär mir, Liebe!

*

Wasser weiß zu reden,

die Welle nimmt die Welle an der Hand,

im Weinberg schwillt die Traube, springt und fällt.

So arglos tritt die Schnecke aus dem Haus!

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Ein Stein weiß einen andern zu erweichen!

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Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann:

sollt ich die kurze schauerliche Zeit

nur mit Gedanken Umgang haben und allein

nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun?

Muß einer denken? Wird er nicht vermißt?

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Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn …

Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander

durch jedes Feuer gehen.

Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.

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(Ingeborg Bachmann)

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Seltsame rote Fahnen gestern auf der 1. Mai – Demo. Die Angst davor wohl war es seinem eigenen gescheiterten Lebensentwurf – wie man so hübsch im Pott sacht – ein Ei drüber braten zu müssen. Der Krieg stellt immer diese eine böse Frage: ist da wer, den Du mehr liebst als dich selbst? Dann wird gelogen oder rumgeeiert, daß sich die Balken noch nicht mal mehr biegen können, sondern splittern.

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Was das mit einem Liebesgedicht einer Selbstmörderin zu tun hat? Erklär mir, Liebe.

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Mit Holzsplittern kann man müheloser ein neues Feuer entfachen als mit einem dicken Balken. Erklär mir, Liebe.

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Und alle hauen sich dieser Tage medial das beheizte Sofa um die Ohren, auf dem wir alle noch sitzen dürfen. Die einen mit, die anderen ohne „schwere“ Waffen. Kann man das heimatliche Sofa eigentlich mitnehmen, wenn man auf Abenteuerurlaub gen Kiew fährt? Und wer bezahlt den Frieder auf dem Sozius der stracken Zimmermännin? MannOmann. Zurück zum Scheitern.

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Die, die wir immer schon wußten Bescheid, werden auch nicht mehr jünger 

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Aus der FAZ vom 28. April 2022 / Titelseite / Unser alter Genosse Schröder gießt / 1993

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Also saßen wir heute in der Kneipe.

„Und den habe ich damals gewählt!“

„Ich auch!“

„Wenn ich das gewußt hätte!“

„1998?“

„Der hat während seines Interviews mit der NY – Times 3 Flaschen Wein gesoffen!“

„Wer sagt das?“

„Stand in der Zeitung!“

„Warst Du nüchtern damals, als Du den gewählt hast?“

„Sonst wäre der Kohl doch heute noch Kanzler!“

„Oder trotzdem tot!“

„Aber, was der jetzt so treibt!“

„Lebst Du Dein Leben noch nach vorne oder auch schon seit Jahren als Rückwärtsschwimmer?“

„Was ist denn noch morgen?“

„Heraus zum ersten Mai!“

„Soll regnen. Bei etwa 12 Grad!“

„Mist. Gehen wir halt einen trinken. Kommt der Gerd auch?“

„Vielleicht. Boris ist verhindert.“

„Weiß ich. Aber war schon cool damals.

„Boah. Und den hab ich gewählt!“

„Jeder Mensch ist mal alleine!“

„In der Wahlkabine?“

„Nicht nur. Sondern auch!“

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