Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 8

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Und dann mußten sie den Blumenladen schließen / Gießen / vor ein paar Monaten

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Ich mache grad die Steuer. Seit Wochen mache ich grad die Steuer. Einst machte ich die Steuer an einem, bestenfalls zwei Tagen. Analog. Papier. Bleistift. Wenn es klemmte: Telefon. „Guten Tag, Herr Lugerth!“

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Jetzt stehe ich vor dem Portal. Ich kann da schon rein. Absurde, angeblich sichere Zahlen und Zeichen und Codes und was weiß ich nicht alles, machen mir den Weg frei. Ich werde traurig vor diesen Zeiten und schlag nach bei Franz Kafka. Da steht man dann davor.

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Es ist das Gesetz. Möchtest Du aber das Gesetz überleben: Bleibe ehrlich.

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Morgen werde ich erwachen, zu früh wie immer, an den Schreibtisch humpeln und mache Steuer. Sitze gebeugt über analogem Papier, das ich bis spätestens nächste Woche digitalisieren muß. Der Sachbearbeiter (m w div) kann das nicht. Warum die Finanzämter ihr Portal nach dem Vogel nennen, der seinen Lebensinhalt durch den Klau von Silberbesteck bestreitet?

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Ich zahle und zahlte gerne meinen Obolus an die Gesellschaft, im Gegensatz zu vielen alten Freunden, die ihr Geld auf deutschen Autobahnen verdienten, Lebensunterhalt erhandelnd, aber alle Steuer für ein Marterinstrument der Freiheitsdiebe hielten und davon ausgingen, daß der Herr im Himmel nachts die Pisten baut für lau und ihre Freiheiten. Kann man machen. War mir stets fremd.

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Gerne hätte ich es halt wieder einfach. Analog. Bleistift. Telefon. „Guten Tag, Herr Lugerth.“ Viele raten mir: geh doch zum Berater. Aber lieber vor dem Portal verzweifeln, statt Schmeißfliegen mit Honig zu füttern, um ein paar Pfennige zu sparen auf Kosten des Restes.

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Die Hüfte schmerzt. Diesen Tag und den nächsten Tag. Kurze Pausen nur. Alltag. Wunsch? Wieder in einem System ehrlich bleiben können dürfen.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann mit guter Kinderstube gräbt niemals andern eine Grube, weil, das ist halt der Lauf der Welt, er meistens selbst in diese fällt!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 7

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Kommt das Schiff oder legt es ab? / Bodensee im Juni 2025

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Ex-Vize Robert geht. Der einst kuschelbärige Prediger der Bescheidenheit kann nicht anders als dies etwas zu laut zu tun. Wohin aber will er denn nun? Zweizimmerkemenate? Als Bürgergeldjunkie enden? Muß er in eine WG mit Annalena Dior? In der prekären Kleinstadt NY-City? Kriegt der Dorian Grey der selbstverordneten Grandiosität unterwegs eine Idee in Sachen „Neues Buch“? Warum ich Politiker wurde, obwohl Politik nur für böse Menschen aus dem Sauerland oder vom Tegernsee geeignet ist? Die schlechter aussehen als meine Wuschelbärigkeit? Wobei Annalena auch mal gerne vor dem Spiegel steht. Wäre ich lieber eine Dame?

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Der Fronge Margus aus Nemberch fresst net nur dra im Weckla sondern ach mal neun. Soviel hätte der Miro als Clubbererbewecher gern auf der Habenseite. Aber da iss nur a Null. Hat Annalena die Kinder schon eingeschult in NY? Frogn über Frogn. (BS: Coaudor wor Loddar M! Basst scho!)

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Ich gehöre zu einer Alterskohorte, die fürchterlich drauf stolz war in Zeiten gut funktionierender Sozialsysteme in einer sehr wohlhabenden BRD belehrend in die Welt hinaus zu husten. An den Rändern war es damals noch nicht so kalt wie heutzutage. Jetzt huscht das, was wir einst Plebs nannten, an die von uns laut besetzten Rändern und brüllt da rum. Und wir würden lieber halbwegs gut berentet gerne unsere Ruhe haben in einer stabilen MITTE. Bittääää! Unsere neuen Lieblingsnummern? 110 und 112! Welches Schiff wird kommen? Dieses kaum noch!

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Wenn die Träume platzten wie der Luftballon, den man einst auf der Kirmes erbettelt hatte von Mama, obwohl der böse Papi gewarnt hatte, man also das Softeis, welches die Länge der eigenen Zunge überstieg, in den Kirmeskies fallenließ? Da begann wohl die hektische Suche unser sich arg intensiv empfindenden Generation nach den Schuldigen.

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Ich denke, es ist hohe Zeit vom Kinderkarussel des ewig gekränkten und beleidigten Gescheitle auf die Achterbahn namens Realitäten zu wechseln. Auch wenn es dem maladen Rücken nicht mehr wirklich guttut. What goes up must come down. Reiten wir auf dem Pony, welches wir selber anmalten einst und lassen die noch böseren Schwiegerleut drehen am Spinnrad.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann aus gutem Holz ist nur auf seine Taten stolz!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 6

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Eben noch junge Gespenster auf Untersee und Reichenau von einer Schweizer Anhöhe aus blickend

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Times fades away und wie die Gespenster mit der Zeit milder gestimmt

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Manchmal muß man Binsenweisheiten verbraten. Obwohl manchmal maßlos untertrieben ist. 95% aller Äußerungen jedweder Art von 97% Prozent aller Zweibeiner jeglicher Coleur sind nichts als das Wieder- und Weiterkäuen von Binsen. So ein ehemaliger, vor nun 11 Jahren leider verstorbener, Regisseur von mir einstens. Recht hatte er.

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Hier die erste Binse. Die subjektive Zeit im Alter rast. Und übertriebener Aktivismus hält sie nicht auf. Als ich eben die Mülltonnen reinholte, eine der Hausmannpflichten, die meinem Rentneralltag etwas Struktur verleihen, radelte ein ehemaliger Nachbar vorbei. So alle halbe Jahr‘ schaut er oder seine Frau in der alten Neighborhood vorbei. Und natürlich sprachen wir über die dahinfließende Zeit. Ich erzählte, daß vorgestern unser aktueller Nachbarbub eingeschult wurde. (Mein Gott, was für ein aufgeblasenes Bohei Eltern und Großeltern da heutzutage veranstalten! Gruselig!) Wir erinnerten uns wie vor einiger Zeit, sprich also gestern noch, seine zwei Mädels mit dem anderen Nachbarbub den selben Weg zur Schule tapperten, den der sich heftig (noch nur hoffentlich) dagegen sträubende Bube nun seit gestern auf sich nehmen muß aka sollen sollte. Binse 2: extreme Mutterfixierung. Klammeraffereien. Mama! Da werden neue Gespenster gezüchtet. Ist zuviel Liebe wirklich so viel „besser“ als gar keine Dingens! (Zumindest subjektiv nicht ‚empfundene‘ Dings? Was ist eigentlich Liebe? Außer ein Totschlagargument? Verzeihung, ein bisserl Häme muß ab und an!) Wir hatten uns gefreut über das zufällige Begegnen, verabredeten uns lose, wohl wissend, daß es wieder nicht klappen würde. So isses halt. Time wird dahinfaden. Pfiff das Lied.

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Jetzt höre ich eine meiner drei Lieblingsscheiben, die ich auf die besagte einsame Insel mitnehmen würde. Oder mir in den Sarg legen lasse. (Ich möchte nicht als anonyme Asche im Wald landen. Gottesacker muß schon sein. Und ein paar verlogene Grabrednersätze bitte auch. Könnte ich auch selber tippen.) Ich kuckelte ein bißchen rum und, hör einer an, mein Lieblingssong auf meiner lieben Platte wurde live am 11. Februar 1973 aufgenommen. Ist mir tatsächlich erst heute aufgefallen. Hier die Lyrics.

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Journey through the past

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When the winter rains come pourin‘ down

On that new home of mine

Will you think of me and wonder if I’m fine?

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Will your restless heart come back to mine

On a journey through the past?

Will I still be in your eyes and on your mind?

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Now I’m goin‘ back to Canada

On a journey through the past

And I won’t be back ‚til February comes

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„I will stay with you, if you’ll stay with me“

Said the fiddler to the drunk

And we’ll keep the tab on a journey through the past

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When the winter rains come pourin‘ down

On that new home of mine

Will I still be in your eyes and on your mind?

Will I still be in your eyes and on your mind?

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Jener verschneite Februartag hat das Leben unserer Familie auf allen Ebenen, horizontal und vertikal, beeinflußt, durcheinandergebracht, ganz neu oder noch älter ausgerichtet, egal ob man hinschauen wollte oder nicht, mit sofortiger Wirkung oder schleichend in der Langzeitversion und dafür umso fieser. Und mich letztlich dazu aufgefordert die alte Heimat zu verlassen. Der „Alte“ machte sich vom Familienacker. Darf man das? Verbale Empörungsrituale.

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Aber auch die hartnäckigsten Gespenster können im Alter eine gewisse Milde an den Tag legen. Ist das nun eine Binse? Vielleicht ist er wirklich zurück nach Kanada, wo er wohl mal glücklich gewesen war. Nach dem Krieg. Nun ein mildes und Bäume fällendes Gespenst? Lumberjack. Mit wem spricht der Sänger? Mit sich selbst? Oder dem Gegenüber? Ich habe es noch nicht herausgefunden. Will es auch gar nicht. Singe das Lied.

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer müde ist, kriecht unters Segel – das ist ’ne gute Ritterregel!“

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 5

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Gießen / vorletztes Wochenende

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Unlängst stand ich vor einem „legendären“ Pavillon vor Ort. Weil diese Stadt, wie jedes Leben, sich gerne an die Reste, die man freudvoll noch erinnert, klammern mag. Und die dann oft im Superlativ etikettiert. Dachte könnte da ein nettes Photo (Ich klammeraffe mich an die alte Rechtschreibung!) machen für diesen Block. Hinter den leeren Scheiben lauert möglicherweise ein restliches Funkeln. Wertvolle Erinnerungen. Ich habe hier unseren Hochzeitsstrauß gekauft. Und meiner Mutter sehr oft Muttertagssträußle gefleuropt. Und das wunderbare Paar, welches den Laden betrieb? Aber wie mer sieht, sicht mer nix. Nur in meinem Rücken Menschen. In Bewegung. Was mache mer jetzt? Schreib ich einen Roim.

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Elche Kritiker Narzissten

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Elche Kritiker Narzissten

Sitzen oft in kleinen Kisten

Wo sie nicht nur einst vermissten

Liebe allumfassend ja

Von Papa Tante und Mama

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Der Frühling geht der Sommer bald

Der Herbst noch wartet dann wird’s kalt

Was es schon seit Jahren war

Mein Leben war nie wunderbar

Ich lebe zwar der Sorgen bloß

Mein Konto und die Wohnung groß

Doch Geister Zecken und Lemuren

Ach mein Leben voller Spuren

Narben darben voll der Bauch

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Der Kritiker den Elch beschimpft

Weil der sich viel zu spät geimpft

Der Elch dem Kritiker den Vorhalt macht

Er habe will zu spät bedacht

Man sei doch ein und ganz der Gleiche

So wie der Therapeut sacht zum Kliente

Du hast doch nix nicht mal niente

Und jetzt mein Leid tu akzeptiere

bevor ich die Geduld verliere

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Und der Narziss in seiner Kist‘

Den Zeigefinger gen Himmel hißt

Und blökt zum Ende des Gedicht‘

Keiner keiner liebt mich nicht

Also mach ich’s selber mir

Herr Doktor schnell noch ein Klistier

Da will mich was verlassen

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Dann schmiert man sich ein Butterbrot

Und salzt es isst es und der Kot

Am Ende Deiner Lebensmühle

Wo Herr im Himmel bist Du bitte

Doch der sagt

Spüle

All Deine Geisterchen hinab

Es wird ein lustig‘ Rauschen

Dein endend‘ Leben wirst Du nicht tauschen

Gegen Illusionen und selbstverordnet‘ Grandiosem

Zu spät doch übe Gnade

Besser iss gewiß

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Für einen Ritter ist die Rache so wertvoll wie ein fetter Drache!“

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Gestern war ich noch länger auf dem Stadtfest. Alles ein bisserl hysterisch massenhaftig. Wie es halt iss. Die malade Hüfte war aufsässig. Man trifft sich. Geht sich auch gerne mal aus dem Weg. Zu lange in dieser Stadt. Den einen Tag eben. Aber am Schluß – mir ist das Hessische immer noch ein humorlos und gewöhnungsbedürftiger Dialekt – das Folgende mochte ich dann doch. Weil es halt passte. Und manche Geister auch überleben sollen.

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 4

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Weingut Haltnau / Meersburg visavis Konstanz / Im Gespräch mit alten Zeiten im Juni 2025

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Ist es denn nun an der höchsten Zeit der traurigen und übermüdet aufgedrehten Stadt zu entfliehen? Stadtfest ante portas in Mittelmaßhessen. Gewiß gab es Zeiten, da ich diesem Wochenende gerne fernblieb. Bitter Lemon minded und diversen Lautstärken nicht freundlich gesinnt. Inzwischen im meist ereignislosen Alltag vor mich hin kraulend, dachte ich, bleib ich hier und gehe raus heut‘. Und der Zufall, den ich gerne als Gescheitle zur Coinzidenz aufblase, servierte mir folgendes. Eine Frankfurter Jungrockerkombo eröffnet den Tanz. Der Bandleader heißt Chris Luger. Und seine richtigen Leut‘. Was soll ich da noch machen?

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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Wer müde ist, kriecht unters Segel – das ist ’ne gute Ritterregel!“

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Müde ist in Ordnung. Garstig nicht. Bitter eh nicht. Schöner Song. Neide man den Anderen nicht die Freud‘, die zu empfinden man nicht mehr in der Lage ist. Oder? Und nur noch den schon seit langem Verstorbenen seine Nächstenliebereste bekunden? Ehrliche Umarmungen sind nicht so einfach. Schönes Lied.

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Melankomie, Morälchen, Ritterregeln 3

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„Ich habe Deinen Namen eingezeichnet in meine Hände. Und damit halte ich ihn fest.“

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Gibt es tatsächlich so etwas wie eine kontrollierte Offensive? Gibt es so was wie einen milden Zorn? Existiert möglicherweise eine Art von Berechtigung Grenzen anderer erkenntniserweiternd überschreiten zu dürfen? Sind Zornesfalten Ausdruck einer ewigen Suche nach … ja was auch immer.

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Kurz nach unserem 50 Jahre Abiturtreffen am Bodensee erreichte mich die Nachricht, daß ein prägender und viel Platz einnehmender unserer Lehrer verstorben ist. Er hatte, damals gerade Mitte 30, die Verdrängung eines Tankers, wenn er durch die Reihen unserer Klasse pflügte. Laut. Übergriffig, würde man heute sagen. Selbstverliebt. In solchen Fällen wird dann schnell gewertet. Daumen runter. Oder vielleicht doch Daumen hoch? So auch in unserer alten Klasse. Ich schrieb in diesem Zusammenhang eine Mail an eine mir liebe Klassenkameradin.

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„G. war tatsächlich eine höchst ambivalente Gestalt. Während er mir meine Eins in Geschichte geklaut hatte und mir dafür eine ideologische Drei verpasste, weil ich stets aus der Sicht des historischen Materialismus (Dumm und überheblich halt als Jungmaoist!) geschichtliche Ereignisse eingeordnete, hat er jedoch, traf er meine Mutter später in der Stadt, von mir stets in den höchsten Tönen geschwärmt. Jahre später, ich war schon längst am Theater, traf ich ihn bei meinen KN-Aufenthalten einige Male in alten Thermalbecken am Jakob. Und da suhlten wir uns in der Rentnerbrühe und er erzählte mir, von Badehose zu Badehose, er habe zu Hause einige Aufsätze von mir aufbewahrt. Seltsamer Vogel. Zerrissen. Als Bub hatte ich auch seinen Vater kennengelernt. Mein Schulweg führte an deren Haus vorbei. Der Alte war ein Patriarch ältester Machart. Aber G‘s Frau war eine Seele. Nach der Geschichte mit meinem Vater war Sie mir öfters eine echte Hilfe. Großes Herz. Und – wie so viele Frauen – mit der Fähigkeit diesen Kerle zu ertragen und zu lieben.“

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Etwa vier Monate nach dem Selbstmord meines Vaters im Jahre 1973 organisierte selbiger G. mit anderen Lehrkräften einen zehntägigen Kulturausflug nach Burgund. Inklusive Weingüter. Meine Mutter konnte sich das nicht leisten für mich. Aber G. hat mitgekriegt wie ich in den Seilen hing und hat sich dafür eingesetzt, daß der Bub subventioniert wird. Seine Frau hat uns begleitet auf der Reise. Und ein gütiges Auge auf mich geworfen, der ich ein bisserl zu überdreht in die Normalität zurückkehren wollte. Während ihr Gatte versuchte ein etwas zu lautes und strenges Regime inklusive Wissenserwerbsverpflichtung auf uns niederregnen zu lassen.

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Gestern hat mir mein Bruder ein Foto von G’s Grab geschickt. Nun liegt er neben seiner Frau. Auf Ihrem Grabstein steht: „Ich habe Deinen Namen eingezeichnet in meine Hände. Und damit halte ich ihn fest.“ Daneben der Vorname von G. Zorn und Sanftheit. Liebe und Wut. Denen, die allzu schnell urteilen wollen, kein eigenes Urteil hinterherschicken.

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 Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Ein Rittersmann von Schrot und Korn kennt sich selber nicht im Zorn!“

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Während der Burgundreise saßen die üblichen Bengel natürlich in der letzten Busreihe. Einer hatte einen Kassettenrekorder dabei und einen großen Beutel voller Batterien. (Ein Jahr später ist leider auch er selbstständig von dieser Welt gegangen.) Und wir hörten in heftiger Umdrehung diese Platte. Nee. Wir hörten eine Kompaktkassette.

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Boote im Walde mit Blick auf den See

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Klausenhorn bei Wallhausen neben Dingelsdorf hinter Konstanz im Juni 2025

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Hier herrschte nun einige Zeit ein Schweigen im Walde. Viele Gründe. Hitze oder zu viel Regen. Eine neue Hüfte muß in den Körper rein. Baldigst. Gedankenfreiheit im Hirn. Die Seite mußte auf einen neuen Server verfrachtet werden. Was nun funktioniert. Da sei dem Schwager herzlichst gedankt. Also blieben die Boote im Wald und nicht auf dem See. Ob sie demnächst wieder in den Wind geschickt werden, das weiß ich noch nicht. Schweigen hat gewiß seinen Reiz und ist notwendig, aber die Eitelkeit ist ein Pferd, welches zu Ende geritten werden muß.

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Was sagt dazu nun Ritter Runkel von Rübenstein? „Ein Ritter meide Schiff und Segel, heißt eine alte Ritterregel.“

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Und hier bitte: Bob Dylan beim Bullitreffen 2025. Grüße an den See.

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Mr OZZY, what went on in your Head?

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Nun ist die letzte schwarze Messe gesungen

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Er taumelte und torkelte in einem Reich zwischen der Realität und einer Freakshow namens Popindustrie: Zum Tod von Ozzy Osbourne, dem Miterfinder tonnenschwerer Musik.

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Das Ende war klar, und das Ende schien immer nah, doch dann hat es sich ein paar Jahrzehnte Zeit gelassen, dieses Ende, was einem wieder einmal vor Augen führt, dass man wirklich von nichts eine Ahnung hat. Aber jetzt war es dann doch so weit: Vierzehn Tage nachdem die Geldgier seiner Mitmenschen den Selbstdarsteller John Osbourne noch einmal auf eine Bühne gezwungen hat, bewegungsunfähig auf einem schwarzen Thron geparkt, daheim in Birmingham, ist Ozzy im Alter von 76 Jahren gestorben und damit dem ganzen Trubel um seine Person entkommen, außer sein Management lässt ihn jetzt plastifizieren und als moderne Mumie um die Welt reisen, wie gesagt, man kann es sich nicht vorstellen, was in diesen Köpfen so vorgeht.

Es fällt einem schon schwer zu glauben, was man als Ozzys Zeitgenosse hat miterleben dürfen oder müssen: Es war wohl 1970, als ich mir von einem Schulkameraden das titellose Debüt von Black Sabbath auslieh, nicht ahnend, was eine schwarze Messe war, was Satanismus und dass der Sänger, dessen Stimme am ehesten dem Schleifgeräusch einer Flex ähnelte, dies ebenso wenig wusste. So tasteten sich Popstar und Popfan in trauter Ahnungslosigkeit in die mal finster, mal gülden erscheinende Zukunft, und damit haben wir eigentlich auch schon den Seelengrund der Musik von Black Sabbath und von Ozzy Osbourne berührt: Dies war und ist Musik für junge, weiße Männer – für „lads“, wie das in Großbritannien heißt –, die ohne gutbürgerliches Urvertrauen durch ihr Leben torkeln und taumeln, durch eine zähe, sie ständig nach unten ziehende Klebmasse namens Realität, deren Regeln und Gesetzmäßigkeiten alle anderen zu verstehen scheinen, nur man selbst nicht.

1970 hieß das weder Heavy Metal noch Stoner Rock, und Black Sabbath, die sich davon Erfolg versprachen, die anderen Jungs in eine Art akustische Geisterbahn zu locken, lieferten den idealtypischen Soundtrack zu genanntem Teenager-Ennui, darunter Kracher wie „Paranoid“ oder das Antikriegslied „War Pigs“. Warum das funktionierte und wie lang das funktionieren würde, das wusste der einst kleinkriminelle Ozzy so wenig wie seine Mitgeiseln in dieser Freakshow namens Popindustrie, und diese Verlorenheit ist es, die keiner so unverstellt nach außen kommunizieren konnte wie Ozzy Osbourne. Darum liebten wir ihn, wenn er aus Versehen einer auf die Bühne geworfenen toten Fledermaus den Kopf abgebissen hat, wenn er jede Droge ausprobierte, die ein Hobbychemiker sich hat einfallen lassen, wir liebten ihn mit Black Sabbath und als Solokünstler, als Star einer Realityshow im Musikfernsehen oder als zitternden Tatterich, der sich irgendwie durch die Show, die ja immer weitergehen muss, hindurchwurstelt, selbst am meisten überrascht, dass man immer noch da war nach all den Schicksalsschlägen und selbst verschuldeten Zerstörungsversuchen am eigenen Leib.

Legendär sein Grund, eine Entzugsklinik nach wenigen Tagen wieder zu verlassen: Er habe keine Lust, selber sein Bett zu machen. Diesen Job, neben tausend anderen, übernahm 1982 Ozzys zweite Frau Sharon, die als Tochter eines überlebensgroßen Londoner Gangsters und Musik-Promoters durch eine vermutlich harte Schule in Sachen Selbstbehauptung gegangen ist und nun aus dem Häuflein Ozzy-Elend einen der erfolgreichsten Solokünstler der Achtzigerjahre formte, obwohl ihm gerade sein neuer Gitarrist durch einen Freak-Flugzeugabsturz abhandengekommen war, die in den Neunzigern ihren eigenen Metal-Sommer-Tournee-Zirkus ins Leben rief, die in den Nullerjahren gut geschminkte Miene zum Reality-TV-Spektakel machte und den immer hinfälligeren Ozzy samt den eher kompliziert geratenen Kindern im Wortsinn wie im richtigen Leben gemanagt hat bis hin zu den immer wieder stattfindenden „letzten Konzerten“.

Und sollten Sie bis hierhin gelesen haben, ohne eine einzige Platte von Black Sabbath zu besitzen, so rate ich zum „Reunion“-Album von 1998, auf dem sich die verfeindeten Kumpels von einst zu einer entschlackten Mega-Stadionrock-Form hochjazzen, dass man glauben möchte, diese tonnenschwere Musik würde gerade jetzt erst neu erfunden. In diesem Moment der Euphorie wie Traurigkeit sei auch an zwei Dinge erinnert, die man vielleicht überhaupt nicht mit Ozzy Osbourne in Zusammenhang bringen kann oder will.

Da ist zum einen eine, wie man heute sagt, queere Komponente, die in dieser pickligen, schwitzenden, testosterongesteuerten und von ständigen Erektionen geplagten Jungsmusik zumindest überrascht, vielleicht auch erst heute als solche gelesen werden kann: So tragen schon 1970 Feen hohe Stiefel und tanzen ekstatisch mit einem Zwerg, heimlich beobachtet von Ozzy himself, und wie Ozzy sich auf dem Cover seines Solodebüts „Blizzard of Ozz“ von 1980 räkelt, geschminkt und lasziv gekleidet in seiner pummeligen, leicht buckligen Nichtschönheit, das erzählt von einer seltsamen Bodypositivity und auch sexuellen Neugier, welche die eine oder andere Masterarbeit lohnen könnte.

In Richtung akademische Anerkennung des Werks von John „Ozzy“ Osbourne weist auch die seit Jahrzehnten ungebrochene Beschäftigung renommierter Intellektuellen-Bands aus dem Bereich Punk und Indie. Seien es Pere Ubu, die Smashing Pumpkins oder Mountain Goats – der Einfluss von Ozzy und/oder Black Sabbath auf bestimmte Sound-Vorstellungen und Grundgestimmtheiten gehört ebenfalls gesichtet und benannt. Vor der Arbeit aber das Vergnügen: Black Sabbath hören, laut mitsingen bei „Mr. Crowley“, diesem irgendwie unschuldigen Toren und Miterfinder der lautesten Musik auf diesem Planeten die letzte, dann die allerletzte, dann die allerallerletzte Ehre zu erweisen, soll jetzt unsere vornehmste Aufgabe sein.“

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(Dank an Karl Bruckmaier / FAZ vom 24.Juli 2025)

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