Als junger Mann war ich bekennender Italo – Western – Gucker. Je einsamer und ambivalenter die Heroen, die meist und Gott sei Dank nicht nur gute Menschen waren, umso lieber waren sie mir. Besonders fasziniert war ich, wenn Meister Leone die gesamte Leinwand mit den funkelnden Augen der Protagonisten füllte. Mal so gucken können, dachte der Schauspielstudent. Aber sie haben es letztlich alle von Irini Pappas gelernt, den durchdringenden Blick. „Wo ist meine Ziege?“ Auch davon träumte der junge Mann: einmal der Pappas den Schirm reichen zu dürfen. Jetzt ist sie verstorben. Ich wusste gar nicht, dass sie auch so faszinierend sang.
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Während ich dies schreibe, klingelt das Telefon. Ein Freund, mit dem ich seit fast zwanzig Jahren regelmäßig zusammengearbeitet und manchen samstäglichen Grappa auf die Welt und zuletzt auf „Uns Uwe“ geleert habe, ist – viele spürten es eigentlich schon seit Wochen, dass es vor der Türe steht – heute gestorben. Man kann sich darauf nicht vorbereiten. Jedes Mal steht die Welt kurz still. Vor ein paar Wochen feierten wir seinen 70. Geburtstag beim Urgriechen hier vor Ort. Es war ein schöner Abschied.
Gestern war ein guter Tag. Es regnete ohne Unterlaß. Ausnahmen bestätigen die Regel. Siehe unten. Der Volksmund, welcher meist ein Medienmaul oder ein Instagrammschnütchen ist dieser Tage, spricht dann von Wetter, welches depressiv mache. Ich denke diese leicht am Rande der Hysterie hin und her taumelden Sonnenanbeter sind dem Schwarzen Hund noch nie begegnet. Sie haben vielleicht ihre im Rahmen des unermüdlichen Strebens nach Erfolgen und allumfassender Heiterkeit abgebrannte Kerze ins Schaufenster gestellt. Der Schwarze Hund aber schweigt gerne im Regen. Zumindest meiner.
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Seit ein, zwei Wochen verkauft ein Berliner hier auf dem Wochenmarkt Suppen, also richtige Suppen. Aus seiner Gulaschkanone schöpft er Linsen- und Bohnensuppe mit Einlage (Bockwurst selbstredend!) sowie Gulaschsuppe und – Fanfarenstoß! – Nierengulasch. Ein Mensch! Wie ich mir im Nieselregen dieses vorzüglich inkorrekte und köstliche Gericht schmecken ließ, belauschte ich am Stand gegenüber das Gespräch zweier älterer Damen. „Iss ja schön, dass es mal regnet, aber so ein Wetter braucht doch kein Mensch!“ „Also da haben Sie vollkommen recht!“ Ich wünschte den beiden auf der Stelle die Gnade der Wiedergeburt, aber bitte als Baum.
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Im Stadtpark wurden unlängst zwei Bäume zu „Memory Trees“ ernannt. Man kann dort gedenken der Menschen „die ihr Leben durch Suizid beendet haben“. Ich fragte mich, ob das Wort Selbstmord inzwischen auch indiziert ist. Ist der Selbstmörder demnach so eine Art Indianer? Im Gegensatz zu diesem aber kannte er den Schmerz. Ich stellte einen kleinen Blumentopf neben einen der Bäume, in Gedenken an meinen Vater, der vor bald fünfzig Jahren nicht mehr in der Lage gewesen war gegen seinen mir immer noch unbekannten Schmerz anzugehen.
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In den letzten Wochen hörte / las / vernahm ich immer wieder von Männern, die nun Rente und damit einhergehenden Bedeutungsverlust sprich stützendes Feedback durch Arbeit und das Außen durchleben müssen und so naturgemäß ihren lange verdrängten Schwarzen Hund häufiger auf dem müd gewordenen Schoß sitzen haben, dass der Vater, hätte er sie geliebt / umarmt / gefördert / verstanden / gestillt (Sorry! Der musste sein!), das ALLES GANZ ANDERS geworden wäre. Na ja! Erinnere mich an einen meiner Schauspiellehrer. Ein großer, wuchtiger, stets gut gelaunter Schwarzer. Ich solchen Fällen, wir machten damals viel Psychodrama (hieß wirklich so das Fach!), pflegte er mit einem breiten Grinsen zu sagen: „Oh you and your German fathers. Don’t complain. Commit and try to do it better.“
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Als ich den Blumentopf abstellte gestern, hörte es kurz auf zu regnen und ich sah ein Stückerl vom Himmel.
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(Gießen, 15. September 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Nun, dies war für unser Land keine Glückspost, diese Neue Post. Sie ist von der Welt gegangen, die Frau mit Herz, die Frau im Spiegel, sie die verkörperte wie keine andere, so singen sie dieser Tage und auch nachts, das Echo der Frau, eine Frau aktuell schon immer. Nun werden wir aufschlagen Das Neue Blatt und blicken in eine Neue Welt. Unser Land hat zwar keine Königin, aber die Zeitschriften dazu. Immerhin. Und kein Land zieht sich professioneller den Mantel „Der Anderen Trauer“ über, wie das uns’rige.
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Der neue König war mir immer sympathisch. Vielleicht wegen gemeinsamer Ohrengröße, aber vor allem als die ganze Welt unter der Führung der BRD die Prinzessin der öffentlichen Schmerzen bejammerte. Und ob ich der Sohn dieser Mutter sein mochte, in diesem System, in dieser „Firma“? Dann lieber mit den Pflanzen sprechen. Das tue ich im Übrigen auch. Tomaten & co freuen sich darüber. Gott bewahre den König. Vielleicht fängt er mal an zu sparen. Bei Burgerking gibt es preiswerte Pappkronen. Und from Buckingham Palace to Windsor Castle sind es keine 45 minutes with the Royal Pedelecs. And Fish & Chips twice a week? Hold on, Charles!
Ist selbstredend Schwachsinn die Überschrift. Müsste eher heißen „Wenn der Schwarze Hund mit seinem Rentner!“ oder treffen sich zwei Schwarze Hunde. Sagt der eine: „Na endlich in Rente?“ Antwortet der andere: „Jetzt fängt die Arbeit erst richtig an!“
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Der Übergang zum Nichtstun ist voller Stolperdrähte, Fallgruben und Tretminen. Horror vacui. Es liegt, dass wusste schon Aristoteles, in der Natur des Menschen, der letztlich och nix anderes als ein kleines Stückchen Natur ist, in seiner schlotternden Angst vor der Leere jeden leeren Raum mit irgendetwas füllen zu müssen und ist das Füllmaterial noch so sinnbefreit und / oder extrem gesundheitsschädigend, körperlich wie seelisch. Für sich und gerne auch für das Gegenüber. Horror ruhestandis.
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In Konstanz am Bodensee, wo ich aufwuchs, gab und gibt es die Seestraße. Wie der Name schon sagt eine sehr schöne Promenade entlang des sogenannten Konstanzer Trichters, Blick rüber zum Säntis und eine Wohngegend schon immer der – wie man einstens sagte – Gutsituierten. Die ein oder andere extrem großzügige Wohnung durfte ich über Klassenkameraden auch mal von innen betrachten, inklusive Balkon mit See – und Alpenblick bis Österreich.
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Bevor der sogenannte „shared space“ erfunden wurde, prominierten dort Fußgänger und radelten, dies rücksichtsvoll, obwohl meist Schüler (Wer fuhr in den Sechzigern bis Siebzigern schon Fahrrad als Erwachsener und verkleidete sich auch noch dafür?) Weiße Linien gab es nicht. Man umkurvte einander. Doch manchem Rentner, den inneren Zeigefinger noch am Abzug seines WKII – Sturmgewehrs, passte dies nicht und so landete der schwungvoll ausgetreckte Spazierstock in den Speichen eines Jungradler und der dann in den Rabatten, die die Seestraße schmückten. Nun gut, der Wahrheit die Ehre, mancher Jungspund hatte die Augen im Strassenverkehr nicht wirklich offen, galt es doch die letzte Folge von EWG auszuwerten („Scheiße, ich musste schon um halb neun ins Bett!“ „Echt? Da wurde es doch erst interessant!“) und auch die letzte, erst samstägliche, dann auf Sonntag verlegte, Ausgabe von Bonanza bedurfte genauer Analyse. Und natürlich die Neue in der Parallelklasse. Weshalb ich das hier niedertippe? Letzte Woche als ich meinen Rentenausweis aus dem Briefkasten holte und nachsann, was das jetzt bedeutet RENTNER – Liest sich vorwärts und rückwarts gleich, fiel mir plötzlich auf! – dachte ich an die Seestrasse und gelobte niemals ein solchiger Rentner zu werden. Jedoch man ist nicht davor gefeit. Einige Mitglieder meiner Generation, die einst in den Rabatten lagen, schwingen schon Spazierstöcke durch die Luft. Gerne in Begleitung ihres Schwarzen Hundes. Man muss stets aufpassen sich selbst nicht rechts zu überholen. Und ich legte das Gelübde ab, nur einmal am Tag das kleine böse Wörtchen FRÜHER zu gebrauchen. Besser noch nur einmal pro Woche.
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Seit Tagen habe ich das Gefühl der Schwarze Hund ist bei mir ausgezogen. Aber auch dies ist völliger Blödsinn. Mit dem Schwarzen Hund ist’s wie mit dem Krieg: Er schläft nur. Tut aber trotzdem gut die Pause.
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(Gießen, 8. September 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Man ist ja in manchem Verteiler. Wie man da reinkommt? Keine Ahnung oder selber schuld. Manchmal hast du Nachrichten in der Mehlbüchse, da „schlackert“ man mit den Ohren. Schlackern? Gibt es dieses Wort noch? Gestern lud mich der immer noch existierende DDR – Verehrungsklub Gießen ein mit ihnen am 1.9. gegen alle Kriege auf dieser Welt zu demonstrieren. Echt? Vor dreiundachtzig Jahren hat Hitler Polen überfallen. Putin führt selbstredend dieser Tage nur einen Verteidigungskrieg. Mein Gott! So schnell kann ich mich gar nicht mehr schämen, daß ich nicht rot werde, denke ich an die gute alte und vor sich hin modernde Linke, die tot.
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(Gießen / 21.08.2022 / es regnet immer noch nicht)
In den letzten Tagen sprachen wir wenig miteinander, der Schwarze Hund und ich. Mir war sein Zerren und Zuppeln irgendwann eins zu viel geworden. Ich dachte darüber nach ihn Oliver oder Kahni oder gar Titani zu nennen. „Weiter! Immer weiter!“ Nee. Eben nicht. Die ständige Ruhelosigkeit, die Suche nach einem nächsten Kick, der eh nur – meine Güte, ich werde bald 66 – eine laues Lüftlein ist, eine Art von Erinnerungskaraoke. Kann man nicht einfach wie ein in Würde gealterter Grieche sein inneres Komboloi kreisen lassen und aufs Meer schauen? Oder so fürchterlich das auch gelegentlich ist: auf die Lahn gucken und ab und zu reinspucken? Auch Zwangsheimat ist eine Art von Heimat, die zu ertragen und zu akzeptieren dem Seelenfrieden zuträglich ist. Frage nach bei den Flüchtlingen aller Couleur und Herkunft.
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Dachte heute darüber nach, warum Schlagzeuger gerne mal vor den übrigen Bandmitgliedern sterben. Vielleicht hat es damit zu tun, daß sie ihr ganzes Leben lang einen riesigen Sack voll Wut in ihr Instrument geklopft haben, ganzkörperlich. Das mag müde machen. Aber vielleicht befreit es auch und man sagt sich: ok, war gut so. Und Tschüß.
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Also heute nochmal etwas vom bleiernen Zeppelin – Sollte ich den Schwarzen Hund nicht so nennen? – und bei den nächsten Malen oben Schlagzeugsoli. Und die nicht unter 5 Minuten. So trommelt er auf mich ein. Gelegentlich. Der Schwarze und ruhelose Hund. Am steten Schmerz und dem Regen – der leider auszusterben scheint – mag ich dieser Tage nicht mehr riechen. Und so muss ich zu Hause bleiben. Nixe ramble on. Gelle!
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(Gießen, 18. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)
Ich höre gerne Radio. Aber warum brüllen sie mich alle an dieser Tage, während Vater Rhein sich auf wenige Zentimeter Pegel zurückzieht, die hysterischen Mikrophonbesprecher und legen mir die neuesten, meist dreißig Jahre alten Sommerhits ans überhitzte Herz? Und dann jubeln sich die Werbungssprecherinnen – es sind halt die hochgetunten weiblichen Quietschestimmen – mir entgegen, daß wir jetzt endlich wieder alle feiern dürfen. Mit Billigbier. Tönnieskotletts. Und WAAACKEN! Und man möge endlich wieder die Harley aus der Garage ziehen. Selbst wenn du die nicht besitzt. Aber die Straßen wären trocken. Die Stadt sei ein Fest. Die Stadt nun fest in fremden Hälsen. YEEEAH! Der Oberbürgermeister trippelt erregt vor dem Photoapparat der für Billiggeld arbeitenden Schreibhilfe hin und her und freut sich wie Bolle, daß seine verarmte Gemeinde jetzt wieder leben täten darf. Sacht er so. Und die Rentner spüren ihre maladen Körper nur noch in chlorgetränkten Bassins. Die Hartgesottenen unter ihnen springen in verseuchte Flüsse. Weil früher auch schon immer Sommer war. Den Sommer nochmal spüren. Jetzt oder früher? Jetzt. Wie früher. Weia!
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Wir brauchten früher jede große Reise
Wir wurden braun auf Kreta und auf Kos
Doch heute sind die Weißen rot Verbrannte
Denn hier wird man die eig’ne Haut schnell los
Ja, früher gab’s noch Regen und den leise
Das Freibad war im Mai geöffnet auf Verdacht
Ich saß bis in die Nacht in meiner Kneipe
Habe über die Verbissenen gelacht
Die als Riesenquallen lagen rum an Stränden
Und jeder Schutzmann ließ die Mütze auf
Und Du, Felix Germania
Du sauf
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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Regenfall von Juni bis September
Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘
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Und wie wir da wir noch permanente Tiefs begrüßten
Die Regenschirmverkäufer waren froh
Da gab es auch mal fünfzehn Grad im Schatten
Und mit Pullover war es uns noch warm
Die Sonne verbarg sich auch mal hinter Wolken
Da brauchte man die Klimaanlage nicht
Das Schaf war einst noch froh, daß es nicht doof war
Wir lebten nicht in Mali sondern hier vor Ort
Wer niemals fror, der machte dann halt FKK
Doch heut‘, heut‘ summen alle Wespen laut im Chor
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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Regenfall von Juni bis September
Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘
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Der Winter war der Reinfall des Jahrhunderts
Nur über tausend Meter gab es Schnee
Mein Milchmann sagt: „Dies‘ Klima hier wen wundert’s“
Denn Schuld daran ist nur die FDP
Ich find‘, das geht ein bisschen arg zu weit
Doch bald ist wieder – Hosianna – Urlaubszeit
Und wer von uns denkt da nicht dauernd dran
Weil wer beschränkt ist halt und auch nicht anders kann
Trotz allem, glaub‘ ich unbeirrt
Dass unser Wetter besser wird
Nur wann und diese Frage geht uns alle an
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Wann wird’s mal wieder richtig Sommer
Ein Sommer, wie er früher einmal war?
Ja, mit Regenfall von Juni bis September
Und nicht so krank und so hysterisch, wie die letzten Jahr‘
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Wäre ich doch in der Lage einen wirksamen Regentanz auf unsere trockenen Böden zu hüpfen!