„Don’t dwell on what has passed away / Or what is yet to be!“ (Leonard Cohen)

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Hoyerswerda / In Gundermanns Schaltzentrale in der Kulturfabrik / 9. Juli 2019

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Es treibt mich um. Das letzte Wochenende. Es wird mich noch länger umtreiben und hat mich schon davor rumgetrieben. Vor sich her. Wie lange wohl schon?

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2022 war ich dabei etliche Koordinaten, die mich halbwegs sicher durch mein bisheriges Leben geführt hatten, zu verlieren. Um ehrlich zu sein, hatte ich Ende 2021 meine seelische Roadmap vollkommen sinnentleert selbst in die Luft gejagt. Ich war von der Richtigkeit meines emotionalen Handelns voll und ganz überzeugt. Hand in Hand mit Genosse Grauburgunder. An meiner Seite war man glücklicherweise – nach meiner reumütigen Heimreise – sehr stark. Jedoch benötigte ich Hilfe. Hilfe in der Not. Der Riss, durch den kein Licht eindrang, sondern nur schwarze Suppe und mich zu spalten drohte, nahm mir gelegentlich den Atem.

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Also saß ich unterm Dach des Instituts in Gießen – Jahre davor hatte ich ein Theaterstück über den Namensgeber zusammengestückelt – nun auf der anderen Seite. Nicht wissend, eher irrend. In einem Nebensatz in einer der knapp zehn Sitzungen sagte die Frau, die mich „betreute“ – sie kam aus der Ukraine – „Wissen Sie, die allererste Heimat, die Heimat der Eltern, Großeltern, selbst wenn man dort nicht mehr aufgewachsen ist, hat viel Kraft in einem!“

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Las ich heute im gestern erwähnten Buch von Ines Geipel, die den Exil-Philosophen und Prager Juden zitiert: „Das geheimnisvolle Heimatgefühl fesselt an Menschen und Dinge. Beide sind in dieses Geheimnis gebadet. Geheimnisvolle Codes, in denen man lebt wie in ausgelatschten Schuhen. Die aber, die gehen, können qua Status nicht anders als den Finger in die Heimatwunde zu legen. Ihr Weggehen sagt: Nichts ist einfach so!“

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Natürlich rührt mich der Blick auf den Bodensee an. Natürlich gibt es dort Menschen, wichtige Menschen. Meine Familie wohnt dort. Aber, schon öfters schrieb ich hier darüber, stehe ich zum Beispiel in Hoyerswerda und fühle ich mehr Heimat als in Dingelsdorf mit Blick auf Überlingen. Das macht die Beheimateten natürlich wütend. Auf mich. Nicht auf ihr Bleiben.

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Wahlen in Baden-Württemberg nehme ich nur peripher wahr. Kretschmanns Wahl ist für mich kein Brustlöser. Da wo die dicke Kohle tanzt, auch wenn sie grün, fluche in gerne in der Sprache der Eingeborenen. Dies wiederum erbost meine liebste Frau, die den See vorbehaltlos lieben kann. Als Hessin.

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Die letzten Wochen ließen mich also nach- und vordenken und zweifeln und verzweifeln und trotzdem hegte ich eine seltsame, schwer zu begründende Nachsicht ob der schmerzlichen Entscheidungen der Menschen dort. Und ihren mehr verzweifelt als peinlichen Liedern. Bescheuert natürlich. Am Bodensee wußte man stets besser Bescheid.

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Halt! Auf Zynismen fortan verzichten.

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Meine Mutter, aufgewachsen und ausgebildet in der DDR, mit mir im Bauch und meinem schon lange toten Vater damals an den See gezogen, hatte sich im Laufe ihres Lebens, gut verankert in der sogenannten Konzilstadt, versucht den dortigen Dialekt zuzulegen. Zumindest Bruchstücke. Es klang in meinen Ohren fürchterlich und peinsam. Ich hatte wenigstens die Chance in der Schule hörend zu lernen, wie mr halt als e Konschtanzer Frichtle schwätze tut. Ich war nie ein solches Tierchen. Habe mich gut angepasst. So wird man aber schneller zum Verräter, als man einen eigenen Dialekt erlernen kann, wenn man später auf dem Bahnsteig steht.

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Bevor ich jetzt aber auch noch anfange über meinen Wohnort Gießen nachzusinnen, gehe ich besser mal in die Küche, spüle, kaufe dann ein und haue ein fettes Fleischstück in die Pfanne. Dazu Mais und Kartoffeln aus Eigenanbau. Eben noch die öffentlich- selbstgerechtliche Kurve gekriegt.

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Es wird nicht so einfach bleiben, wie es eh nie war. Außer man stellt das Nachdenken ein. Ruft’s Großmaul in mir. Master Cohen! Bitte übernehmen!

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