Nachricht aus dem Nachlösewagen 15

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Ach ja. Das Paket. Letzte Woche. Vielleicht. Letzter Monat. Letztes Jahr. Vor meiner Geburt. Sogar. Mir ist warm. Drinnen. Draußen das Paket. Ich will mich heute nicht bewegen. Ein Paket vor Deinem Fenster ist aber eine Herausforderung. Ein Vorwurf. Eine Möglichkeit. Ein Ruf aus der Wildnis Existenz. Reiß dich zusammen. Reiszwecke. Zum Zwecke sich zusammen. Reißen. Get the parcel, stupid. Also stehe ich auf. Wo ist das Buch, welches mir von den Knien rutschte. Draußen nun. Die Formel am Rande meines Triebwagens. Merk ich mir. Muß. Wieder rein. Mit zugestellter Post.

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Also. Das Paket. Jetzt auf meinen Knien. Ich bin drinnen. Sagt das Paket. Öffne mich. Ich bin kein Messermann. Aber mein Opinel begleitet stets die Gürtelschlaufe. Ritsch. Ratsch. Ich packe. Aus. Aus. Es ist aus. Ich packe aus. Das Paket ist eine Art Matrjoscha. Schicht für Schicht. Zwiebelschale an Zwiebelschale. Papiere. Zeitungen. Hefte. Gedanken. Geschwurbel. Notizen. Toilettenpapier. Gefärbt. Unten. Am Grunde. In einem kühlen Grunde. Sie hat mir Treu versprochen. Ich werd‘ als Spielmann reisen. Ich möcht‘ als Reiter fliegen. Ich weiß nicht was ich will. Eigentlich sollte der Schienenbus endlich. Die kleinste der Babuschkas ist ein Reclamheft. Hatte ich diesen Text mal gelernt. Auswendig. Inwendig. Weiss Du noch. Was weiß ich schon.

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Noch immer das alte Geliebel!
Du bist kein Kaiser; du bist eine Zwiebel.
Jetzt will ich dich einmal schälen, mein Peer!
Es hilft dir nichts, stöhnst du auch noch so sehr.
Da liegt die äußre, zerfetzte Schicht; –
Der Gescheiterte, der um sein Leben ficht.
Die Passagierhaut hier, dünn wie ein Sieb, –
Hat doch im Geschmack von Peer Gynt einen Hieb.
Hier ist das Goldgräber-Ich; – fahr hin!
Der Saft ist weg, – war je einer drin.
Dies Dickfell hier, mit dem Zipfel für zwei, –
Ist der Pelzjäger an der Hudsonsbai.
Dies gleicht einer Krone hier; – hat sich was –!
Dem geben wir ohne weitres den Paß.
Hier der Altertumsforscher, kurz aber kräftig,
Und hier der Prophete, frisch und vollsäftig.
Er stinkt von Lügen, wie’s in der Schrift heißt;
Ein Duft, der ein ehrlich Mannsaug‘ wie Gift beißt.
Dies Blatt hier, das weichlich am Finger klebt,
Ist der Herr, der herrlich und in Freuden gelebt.
Das nächste scheint krank. Es hat schwarze Schwielen; –
Schwarz kann auf Neger wie Pfaffen zielen.
Das hört ja nicht auf! Immer Schicht noch um Schicht!
Kommt denn der Kern nun nicht endlich ans Licht?!
Bis zum innersten Innern, – da schau‘ mir einer! –
Bloß Häute, – nur immer kleiner und kleiner. –
Die Natur ist witzig!

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Jo, iss denn scho wied’r Spielzeitpaus …

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Bar „Zum mol einscht ausgestiegenem Freak*inle“ / Sarakiniko / Ithaka / 6. Juni 2023

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… wie das früher halt so war? Jetzt ist nun mal Rente. Alte Rituale bleiben aber. So hier, wurde eben entschieden, bis zum Ende der Bühnenlosigkeit, die bei mir schon länger anhält, ein therapeutischer Labberstop, der gut tue.

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Sah gestern, verstrohwitwert, eine sehr gute Dokumentation aus dem Jahre 2012 über die Rolling Stones. „Crossfire Hurricane“. Ein paar schöne Zitate aufgeschnappt. Rückwartsblickend und vorwärtsgeschaut.

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„Es gibt einen Riesenunterschied zwischen Schauspielerei und es wirklich zu genießen!“ (Mick Jagger)

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„Laß Dir eine gute Story nicht von der Wahrheit kaputt machen!“ (Keith Richards)

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„Wir können keine zweite Platte mit Coverversionen rausbringen. So geht es nicht weiter.“ (Brian Jones)

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„Man kann sich an das Gefühl unverwundbar zu sein gewöhnen. Vor allem wenn man es nicht ist!“ (Bill Wyman)

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„Wir machen Musik!“ (Charlie Watts)

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Wo die alten Seelenverkäufer mit den Namen einer Geliebten getauft wurden, kannst du auch mal einen (hoffentlich) verregneten Sommer verbringen. Zu Hause. Millionen Meilen entfernt von dir. Bis September übernehmen die Genossen mit Hinterm Hof ist Reimen vor Ort. Oder so.

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Die Jahresabschlusswünsche 2022/23

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Lindau / Hafen / Oktober 2022

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Halt das Maul Kassandra

Endlich einmal dein loses Maul halte

Hatten sie geschrien

Wütend

Die Weissagerin geknebelt

An den Mastbaum geklebt

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Das Schiff blieb im Hafen

Die Berge im Dunst

Acht Segel gerefft

Zerschnitten mit trotzigem Messer

Stupor

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Einen letzten Glühwein noch

Aber wir werden schreiten über den See dann

So jubelte man sich träge zu

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(Gießen / Ende Dezember ’22)

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Schauen wir mal, wer oder was sich im nächsten Jahr bewegt und / oder rollt. Allen die hier reingucken sei gewünscht eine friedliche Weihnacht und ein gutes neues Jahr. Bis 2023. Jetzt muß ich an den Herd: der Rotkohl.

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Auch Musik ist eine Pause / kein Zitat

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Weiß jetzt gar nicht, welche Art von Tränen über dieses Konzert zu vergießen wären. Sind es Sentimentalitäten, die sich als Schmerzen tarnen wollen oder eine Art von Scham, die man altersbedingt unter den Erinnerungen an die alten, ach so wilden Tänze abheftet? Da hält der Richards die Hand vom Mick. Nach „It`s only Rock’n‘ Roll“. Dann zelebrieren sie „Tumbling Dice“. Meine erste Stones – Single. Nix begriffen damals. „Frauen denken sie schmecken nach was, aber sie wollen mich nur vernichten.“ Was ein wunderbarer Blödsinn. Und dann lese ich – Spiegel oder war es doch die BILD? / Who tells the difference? – daß Niedecken auf seinem ersten und bis zum letzten Auto immer die Zunge der Steine am Heck kleben hatte.  Was wollen sagen alte graue Mann zu uns? Mit 78 hüpfen wie ein beflügelter Rammler übers Parkett? Ich weiß es nicht. Jedoch: Spotify ist nicht die Alternative. Nee. Bestimmt nicht. Und eigentlich wollte ich nur nochmal kurz an diesen wunderbaren Trommler denken. Da bricht man gerne ein Schweigeversprechen. Watts the Fuck?

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Mit lieben Grüßen an die Kollegen, die immer noch verzweifelt versuchen Band 3 des Kapitals zu Ende zu schustern. Oder war es doch der Faust? Oder lediglich ein weiterer selbstverliebter Jupp Eichendorff? Vielleicht ist das Prinzip der Knitternasen da oben gar kein so schlechtes. Ähem, ist Ronny Wood eigentlich nicht der Jüngste im Verbund? Haarfärbemittel verbieten!

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Auch die Pause gehört zur Musik / Zitat

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Hier kehrt nun wieder Ruhe ein. (Zitat oben ist von Stefan Zweig entliehen.) Nicht das mir nichts mehr einfiele, eher im Gegenteil, aber gelegentlich sollte man die Füße länger stillhalten im Öffentlichen und in der Stube still sitzen, nun da der Herbst usw und sofort.

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Hauptgrund aber, das erste Mal nach knapp zwei Jahren – damals die Gundermann – Premiere und meine letzte Arbeit am örtlichen Theaterbau – werde ich wieder in meinem Hauptberuf als Regisseur arbeiten dürfen. Zwei Arbeiten oben an der Förde bis kurz vor Weihnachten. Endlich ans Meer und mal wieder länger absteigen von mittelhessischen Karussellen.

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Ob es noch geht? Die Vorbereitungen fallen mir dieser Tage sehr schwer. Die Selbstverständlichkeiten alter Tage scheinen perdu. Und nichts ist mir unangenehmer als ständige Wiederbekäung meiner selbst. Vermeiden lässt es sich dennoch sehr schwer. Dies sollte aber vermieden werden. Nun denn!

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Also dann bis nächstes Jahr!

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PS: Eine kleine Tastenruhe erspart mir auch Kommentare zu bevorstehenden Wahlergebnissen. Jedoch: in der Hinterhand lauert hinterhältig mein Freund Archibald Mahler plus Gefährte. Wohlsein! Stößchen! Und Gesundheit auch!

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Ein kleines Überbrückungslied!

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Zum Tode von Mikis Theodorakis

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Eine der schönsten Filmszenen, die jemals gedreht wurde. Eine der schönsten Filmmusiken überhaupt. Und ein großer Kämpfer war er auch.

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Tanzen? Hast Du tanzen gesagt? Also los, mein Junge! Zusammen! Fangen wir an! Oppa! (Sorbas lacht) Nochmal. Upp! (Sorbas lacht) Jetzt. Herzlich willkommen. Boss! Ich habe soviel zu erzählen. Niemals habe ich einen Mann mehr geliebt als Dich. Hey Boss, hast Du jemals etwas schöner zusammenkrachen sehen. (Sorbas lacht, dann auch Basil) Du kannst also auch lachen. Du lachst. (Beide lachen) Und vor allem die Mönche. Nicht blieb übrig, nichts. (Sie tanzen)

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Sie machen halt leider keine Fußballspieler mehr wie einstens Gerd Müller

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Fußball war mal eine ganz einfache Geschichte. Der Junge saß mit Vater und Bruder auf dem Sofa und schaute in den zur WM 1966 angeschafften Fernsehapparat. Schwarz – weiß, schnörkellos wie die Trikots der Nationalmannschaft. Das war möglich weil die Spiele, sogar die Endspiele, meist zwischen 14 und 16 Uhr angepfiffen wurden und so der Junge ordentlich spätestens um 20h, plus rausgeschundenen 30 Minuten Lesezeit, in der Heia liegen konnte. Aus dem Lautsprecher knarzte gelassen die Stimme von Ernst Huberty oder Heribert Faßbender oder dem großen Rudi Michel. Wie ein Sufi – Tänzer auf dem Weg zur Versenkung wiederholten die Kommentatoren die Namen der auf dem grauen Rasen umherlaufenden Spieler. Kein selbstverliebtes Abfeiern vermeintlicher Emotion, keine in der Mittelstufe stehen gebliebene billige Ironie, kein Ablesen von Datenbanken, kein Hurz der vermeintlichen Experten. Der Betrachter durfte selber hinschauen. Der Vater war ein Anhänger – der Fan war Gott sei Dank noch nicht erfunden – der Bayern aus München. Da mußte der Junge dagegenhalten und entschied sich nach dem legendären 2:1 gegen Liverpool für Stan Libuda und also die Schwarz – Gelben aus Dortmund. Gelegentlich bemerkte dann der Vater: „Na ja, kein Schlechter der Libuda, aber dem kleinen dicken Müller kann er nicht das Wasser reichen!“ „Und was ist mit Emma? Und Sigi Held!“ „Hab ich eben doch schon gesagt!“ Und natürlich, was den Jungen ärgern mußte, hatte der Alte recht. Und vor allem deswegen saß man entspannt auf dem Sofa, weil alle wußten, selbst in der 85. Minute – die Nachspielzeitorgien von heute gab es damals noch nicht – mag es noch so eng sein, noch so anstrengend, der Gerd Müller schießt noch sein Tor. Oder besser noch: DAS TOR!! Und so geschah es dann auch. Fast immer.

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Das Finale von München unter der Leitung eines anderen Hochgeschätzten, dem Mann mit der Mütze, sah der Junge alleine. Heimlich rauchend. Der Vater war inzwischen tot. Gerd Müller sollte sein letztes Tor schießen für das damals vom angehenden Abiturienten überhaupt nicht geschätzte Vaterland. Doch hat er sich trotzdem gefreut wie Bolle. Dies gelang dem nun Erwachsenen weder 1990 (gar nicht gesehen!), geschweige denn 2014 (Sorry Baden!). Also frei nach Kinky Friedman: They ain’t making Müllers like Gerd anymore. Und keiner jubelte nach Toren wie er. Ehrliche Freude!

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PS vom 20.08.2021: Las in den letzten 24 Stunden am Stück das wunderbare Buch von Hans Woller „Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam“. Es ist nicht nur die Erzählung vom genialen, schweigsamen und freundlichen Landei, dessen Tore Weltkulturerbe wurden, sondern verhandelt auch die tragischen Verstrickungen eines sturen, nachtragenden, eifersüchtigen und traurigen Saufkopps. Die Rollen, die der Kaiser Franzl und vor allem der Lifestyle – Maoist Breitner einnahmen in jenen – auch von mir gelegentlich – glorifizierten Tagen: Uff! Und nicht zu vergessen die Ambivalenzen des Großen Uli H. Vor allen Dingen, wenn man noch deren in der letzten Woche in Dauerschleife gesendeten Anekdötchen über Müller im Ohr hat. Mögen mehr Historiker vom Pöhlen schreiben und nicht nur die Auftragsschreiber und zu Autismus neigende Fans.

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Nachklapp eig’ne Sach‘ / Fremder Reim

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Hatte letzten Sonntag eine sehr schöne Lesung hier vor Ort. Mit Texten des eigentlich verschwundenen aber noch aktuellen Wolfgang Borchert. Hundert wäre er geworden dieses Jahr. Theoretisch. Ich mag ja eigentlich keine Jubiläen und Jahrestage, aber das war es wert. Fast vergessene Texte die immer noch abrufbar sind. Und seine Lyrik kannte ich bisher noch nicht.

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Was bleibt aktuell an Borchert? Die Lernfähigkeit der Menschen versus die Verdrängungsmeisterschaft? Das dicke Grinsen der Krisengewinner versus die Ohnmacht der Abgehängten? Die laut tönenden Schuldigensucher versus die Übernahme von Verantwortung? Der fette Ranzen versus das Hungerödem? Die alten Fragen versus das alte Schweigen? Denke wohl ja!

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Hier ein Gedicht von Wolfgang Borchert, welches ich gestern nicht vorlas, welches aber von kompetenter Stelle vermisst wurde. Das Nachklappen.

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Das graurotgrüne Großstadtlied

Rote Münder, die aus grauen Schatten glühn,

girren einen süßen Schwindel.

Und der Mond grinst goldiggrün

durch das Nebelbündel.

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Graue Straßen, rote Dächer,

mittendrin mal grün ein Licht.

Heimwärts gröhlt ein später Zecher

mit verknittertem Gesicht.

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Grauer Stein und rotes Blut –

morgen früh ist alles gut.

Morgen weht ein grünes Blatt

über einer grauen Stadt.

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Es regnet und regnet all dieser Tage. Also immer dann, wenn ich vor die Haustüre trete. Ich hatte vor ein paar Tagen den Regen ja noch gelobt. In Maßen selbstredend. Dürfte ich wählen zwischen ertrinken hier oder verbrennen dort, tja watt? Die Natur reagiert zur Zeit weltweit wie ein schlecht gelauntes Rodeopferd. Wirft uns einfach ab. Noch ein Gedicht.

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Regen

Der Regen geht als eine alte Frau

mit stiller Trauer durch das Land.

Ihr Haar ist feucht, ihr Mantel grau,

und manchmal hebt sie ihre Hand

und klopft verzagt an Fensterscheiben,

wo die Gardinen heimlich flüstern.

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Das Mädchen muß im Hause bleiben

und ist doch grade heut so lebenslüstern!

Da packt der Wind die Alte bei den Haaren,

und ihre Tränen werden wilde Kleckse.

Verwegen läßt sie ihre Röcke fahren

und tanzt gespensterhaft wie eine Hexe!

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Heute scheinen mir die Städte nicht mehr grau, sondern in hysterisch bunten Farbtöpfen ersoffen. Die Blätter eines nächsten Morgen sind schon länger welk geworden. Die Hoffnung färbt sie nimmer mehr grün. Die Zecher aber gröhlen weiter. Gott sei’s gedankt. Mögen auch manche Rentner müde protestieren. Morgen früh ist alles gut. Verknittert.

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