Gießen / Botanischer Garten / Palmsonntag / Foto: A. Haas
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Lob des Alltäglichen / Versuchsanordnung
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Statt sich zu versaufen
Vor lauter Warten
Auf himmlische Chöre und Lobpreisungen
Mag es ausreichend werden nach dem Zähne putzen
Den Tag zu begrüßen
Nicht als Feind
Und die Klinke nicht zu verwechseln
Mit dem Schloß
Hoffen wir
Ohne Gewähr
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(gießen heute / eben hagelgewitter / ostern vor den türen / weihnachtsgeschenke eines alten freundes gelesen in den letzten maladen aua-tagen zwischen wartezimmern, ergo- und anderen therapeuten / eine entdeckung / danke bester thomas / der franke sagt dann: passt scho / in diesem sinne: siehe unten)
Waschwand vor einer der vielen beeindruckenden und besuchten Moscheen / Istanbul / März 2012
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Die halbierte Pommesgabel und andere Scheinreligiösigkeiten
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Warum den Finger richten in die Höh‘
Statt das Haupt senken
Auch wenn Hand und Fuß gewaschen vor dem Gebet
Oder der pralle Klingelbeutel
Eine Wahrhaftigkeit besingen soll
Die Götter tanzen nicht auf der Agora
Lediglich die Götzen sind es
Und die Heimatlosen
Ein Glauben atmet hinter der
Ikonostase erstmal
Durch und
Hält sei Gosch
Gott scheißt auf große Geste
Mein bekennender Zweifel
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(gießen vor ostern / immer noch beten wir die lächerlichkeiten an / pastor reichelt gegen imam rüdiger / real ramadan gegen dfb kreuzabnahme / am wochenende dann bayern gegen borussia / leiser leben plus lauter schweigen vielleicht / zwiebelschalen sammeln / eier färben / ab und an den bart abnehmen / und die hostien in den whiskey der feinde tunken / notfalls chai)
(gießen heute / hübsche fotos von macrons bizeps allenthalben / hau den lukas für eitle / morgen wird nagelsmann dessen bodentruppen besiegen wollen / darf deutschland weiterkiffen / das gesetz wird wohl gelagert werden müssen / da wir über keine tiefkühltruhe verfügen in unserem bescheidenen haushalt wird es schwierig / vor allem mit dem einfrieren von dem und diesem und den kriegen / osterlämmer muss man eh frisch verbraten / goethe – the show must go on – auf dem sterbebett fordert mehr licht / weniger vielleicht / dunkel wird es von allein)
Wo ich doch seit Tagen bei den Verlusten verweile. Quatsch. Eben nicht nur. Beim Nachdenken – Danke Herr Daniel Schreiber – über das Verorten all der allgegenwärtigen Verluste halt au. Wann man geht. Wann man bleibt. Wann man auch mal die Schnauze hält. Hat was welche Bedeutung. Was blase ich auf. An die Klinken welcher Türen mag ich nicht fassen. Alles ein großes Fass, was jetzt nun mal aufgemacht. Und: Wie geht man? Die rechte Zeit. Die Würde. Die Distanz zur eigenen Scheinriesigkeit. Oder Scheinheiligkeit. Oder Langweiligkeit. Oder aus dem aufgemachten Fass wird irgendwann ein Schnapsglaserl. Und dann trauern. Über was. Aber.
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Christian Streich lief mir stets über meine Wege. Oder eher die Verbindungen zu ihm. Viele Arbeiten in Freiburg. Mein fernnaher Bruder ist Vereinsmitglied und Dauergast beim SC Freiburg. Der Bruder meiner ersten fehlgeschlagenen Liebe wohnt dort. Lebt er. Lebt sie. Der Trainer Vornamensvetter. So eine Art Fußball – Dylan. Für mich. Schrieb ich mal auf meiner alten Theaterseite. Siehe unten. Viel Wäsche die noch trocknen will.
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(gießen im november 2019) Werd ich des jemals schaffe ein Regisseur zu si wie der Streich ein Trainer isch? Selles sagt der einfach so, nachdem er am Bodde liegt: „Ich hab ihn gsehe, er isch halt ein emotionaler und wilder Spieler. Ich kenne ihn von seiner Zeit in Basel, des isch net weit von uns weg, da habe ich ihn oft gsehe. Dann kommt er also, aber er kam so schnell. Der Ball isch an mir vorbeigrollt und dann hat er mich, bumm, über de‘ Hufe grannt. Dann sind leider natürlich alle Spieler aufgesprunge, aber ich bin sofort wieder hoch, weil ich ja keinen Bock auf des ganze Theater hab‘. David isch danach au zu mir komme, er hat sich entschuldigt. Er sagte: ‚Ich hab gedacht, du bisch ein bissle stabiler.‘ Aber er isch ein junger Büffel und ich bin 54. Das darf er natürlich net mache, ich komm‘ ja gar nimme weg bei dem Tempo. Des isch natürlich scheiße. Au‘ für Frankfurt. Er isch wild, alle von Frankfurt sind wild. Aber wenn se net so wild wäre, dann hätte se au net so viel Erfolg. Ich hab viele persönliche Schwächen. Aber eine Schwäche, die ich net hab, isch, dass ich nachtragend bin. Die Sache isch erledigt. Thema erledigt. Weiter geht’s, zum Fußball gehören halt au‘ Emotionen. Ich bin scho so lang aufm Kickplatz, so isch der Fußball au‘. Aber es isch alles gut, des isch keine Story wert. Ich hab wirklich keinen Bock auf des ganze Zeug. Es isch alles gut, die Schulter hat gehalte, ich bin ja au‘ stabil, ich dehne mich ja immer. Wenn mich einer umhaut, isch es net glei gesagt, daß ich sofort verletzt bin. Ich weiß net, wie es am Montag isch, vielleicht hab ich ja ein Schleudertrauma. Aber fertig, Fußball, ab. Thema erledigt, in Ruhe lassen.“ Ich lieg au grad am Bodde rum. Heilandzack. Und Bock uff des ganze Theater hann i au nit me, isch aber au gut, etz mach ich erscht mal Premiere. Die Sache isch erledigt. Und die Schwäche vom Streich wege derer ganze Nachgetragerei, die henn i au nit.
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Seit längerem steht auf meiner Ideenliste für diesen Blog: ein Christian-Streich-Poem. Seit seinem angekündigten Abschied ist es nun eine Steilvorlage. Druck. Quatsch. „Runterfahre! Fertig! Nit noch blöd rumschwätze!“ Aber es kommt. Das Poem. Der Titel steht. „Frohnis!“ Vielleicht wird es auch nur ein Blues. Eine Strophe kurze Minuten gesungen.
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Bin jetzt in Sachen badischer Dialekt ja au kei Dummerle, aber Frohnis henn i noch nie ghört. Mein Lieblingswort isch des ab heut. Und so kling Frohnis, wenn des dä Kies singe tut. Der könnt au mol uffhöre. Wer kann des scho?
Damals als der Schlaf überraschend heftig nach uns gegriffen hatte im sehr warmen Frühling 2020
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Zeiten und Weiten
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Frage mich nicht
Meine Hand neben ihrem Knie
Was ich heute besser wüsste
Da ich wieder so handelte
Wie vor Deiner Frage
Wo steht unser Geräteschuppen
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Sperrstunde
Den Zapfenstreich mitträllernd
Den Rechen hinter mir herziehend
Wo nochmal war die Weitsprunggrube
Was klopfte der Specht
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In der Art eines Zen-Meisters
Rechte ich den Sand
Und grub aus den Absprungbalken
Man darf übertreten
Oder schreibt man
Ich rächte sich
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(gießen heute / vor vier jahren der erste lockdown / man nahm es gelassen / fast schon erfreut / christian streich hört bald auf / was für eine absurde nachricht / obwohl vorhersehbar / wann stirbt dylan / wann aber endlich lese ich davon, daß man wladimir trump kein staatsbegräbnis zugesteht / morgen mehr zur maschine die heute 80 und rostock / und oben am revers sogar noch der pin der deutsch-russischen freundschaft / weiterhin rund um die verluste rumtippen)
Wolziger See / Wolzig / Wolziger Hauptstrasse / Brandenburg / Juli 2014
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In den Sonnenuntergang reiten
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Nun da wir feststellen müssen
Blumenblätter zupfend
Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich
Was uns täglich verlässt
Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich
Weil es uns verlassen muss
Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich
Sind wir die Ersten und Lautesten
An den Rändern der ausgehobenen Gräber
Die beklagen was zu unseren kalten Füßen nun ruhen mag
Da wir einst den Tod wünschten verächtlich
Wissend wie wir stets glaubten
Den müden Leichnamen dort unten
Nun aber klopfen wir uns hagestolz an die Brust
Wir wären die ersten Zeugen einer Apokalypse
Häschen in der Grube
Am Ende der Welten
Heute den Kaffee ausnahmsweise mit Zucker
Drei Teelöffel
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(gießen heute / über verluste lesen weiter / gar nicht mal vom tod / die etlichen verluste legen sich übereinander wie zwanzig tortenböden / während man den letzten, den obersten zu verschlingen sucht, stößt einem der unterste auf / schon wieder? / wäre die frage / sodbrennen des schicksals? / wäre eine antwort)
Zwei Fischer fahren raus um zu arbeiten trotz der Ebbe / Pellworm / Mai 2017
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Kommen und Gehen
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Ein Kommen ist es und ein Gehen
Trotz des Gehens welches das Kommen seit einiger Zeit
In die dritte Liga geschickt hat
Absteiger und trotzdem weiter
Gehen spielend
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Das Verlustieren keinesfalls der tägliche Verlust
Das Gehen kein Weg nur das weg
Oder eine Wegwegnahme
Stürzten zuerst ein die Wände
Oder die allzu optimistischen Stützpfeiler
Frage ich mich als Gast jener Party auf Zeit
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Einmal auf der Gästeliste gestanden
Machte ich aus dem Glück einen Anspruch
Man vermeidet Warteschlangen
Wer immer allein ist wird verrückt
Obwohl er es eh schon ist
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In mancher Nacht verliere ich den
Glauben dass nach der Ebbe wieder Flut
Und so das Vorbei zur Ewigkeit gerinnt
Die Lava älterer Freuden
Schwarz rau und bröckelnd den Hang hinab
Geflossen und schön anzusehen
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(gießen heute / nagelsmann gibt den mutigen / ich drücke die daumen / in dänemark darf man auf silbermöwen schießen / da bin ich nich für / wer auf sein fischbrötchen nicht aufpassen mag soll sich weißwürste kaufen / sagte schon genosse mahler / weiterhin jedoch bin ich für radikale taubenentfernung in limburg und auch anderswo / nach einen schönen buch über das saufen nun ein neues buch des selben schreiber auf dem nachttisch / über die verluste und das ein oder andere zurück auf null / gerne hatte rio da einst hingeschaut / ich muß aufpassen die worte nicht mehr zu lieben als menschen / schlaumeierle grüsst)
Aus aktuellen Anlässen, auch wenn die Zielrichtung und die Definitionen von Teilhabe oder Verantwortung oder Wunschdenken dieser Tage anders ausgerichtet sein mag denn dunnemals, hier als kleine Solidaritätsadresse eines Rentners die Scherben in Ihrer wunderbaren Roh- und Direktheit. Die Qualität eines Getriebes zeigt sich erst, wenn der Sand darinnen knirschen darf. Und ein Text oder Streik ist so lang wie er ist. Inklusive Wiederholung.