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Vor etwa einem Jahr kaufte ich mir die Gesammelten Gedichte von Thomas Brasch. „Die nennen das Schrei“. Ein Backstein von Buch. Mit Anhängen über 1000 Seiten. Davon weit mehr als die Hälfte Gedichte aus dem Nachlaß. Ein Nachttischwerk und immer gern Begleiter. Drei Beispiele. Danke Suhrkamp.
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WO SCHLAGT IHR EURE ZELTE AUF
sagt, wo
wo begrabt ihr euer Herz,
und hört ihr –
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Die leisen Wellen
ich höre sie nicht
die schönen Träume
ich träume sie nicht
gekettet an Qual der Gedanken
allein mit dem Schlagen des Herzens
bin ich
Und wo sind die Wellen,
die schlagen für mich
an einsame Ufer
wo sind meine Träume
die ziellos erwärmen
die kühlen und klagenden Lieder.
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Gegangen das alles,
verstorben die Winde,
gelieben ein Zelt,
allein und zerstört,
im Winde gebrochen
und stumm ist die Welt.
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LIED
Gibt es ein Lied,
das alle singen können,
das alle hier befriedigt,
Es müßt‘ ein Lied sein
Sauber und auch schmutzig
In hohen und in tiefen Tönen
Gemischt aus Dur und Moll
Mal lustig und mal traurig,
vielleicht auch manchmal beides gleich.
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Es müßt‘ in Höhen schwingen können
So unbeschwert wie Drachen,
die im Herbst
voll Freude
die Sonne hier verdunkeln.
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Doch müßt‘ es auch die Tiefen suchen
Die ich am Abend spür‘
Und müßte plätschern wie der Fluß
Und rauschen wie das Meer.
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Glaubt ihr,
es gibt solch Lied,
das alle aus dem Herzen
ohne rot zu werden
einer Lüge
singen können.
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Und wer das Lied kennt,
sag‘ es mir,
denn ich hab es
bis heute
nicht gefunden.
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DIE AUGEN DER ANDEREN SEHEN MICH
Meine Augen sehen die anderen
Ich sehe mich nicht.
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Für ihn bin ich der Arrogante
für den der manchmal Amüsante
für sie bin ich Gewicht, das rhytmisch zuckt
für ihn der Mann, der gegen alles muckt
was bin Ich?
Im Spiegel sieht mich einer an
Zwei Augen, Nase, Mund
Die Beine seh ich, Arme auch
Die Schultern manchmal und den Bauch
Doch was ist das, was Feuer haßt
Und was ist das, was diese liebt?
Was ist es denn, was sie loben?
Sind es Gedanken, die den Kopf durchzucken
Durch meinen Mund sie an der Seele jucken?
Was sie da hören, bin nicht ich,
kein Satz zeigt doch das Chaos der Gedanken
nichts, was ich zeige, zeigt Ideen, die Stimmungen durchranken
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In ihren Augen bin ich nicht.
Ich bin nicht, was der eine haßt
Und bin nicht, was sie sagt im Bett
Ich bin nicht mutig, klug und nett
Ich bin nicht dort in ihren Köpfen
Ich bin in mir allein
Die Augen, die nach innen sehen, sind leer
Wo bin ich nur, wo, was und wer?
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Tja. Die nicht endenwollende, selten von Findeerfolgen begleitete, Suche. Auf der Flucht vor der unerträglich kurzatmig stupiden Unwirtlichkeit da draußen, findet man sein Innen nicht weniger unbehaust vor. Die drei obigen Reime schrieb der Mitzwanziger Brasch in den frühen sechziger Jahren. In der DDR. Bin ich gescheiter weiter dieser traurigen Tage? Noch ein Tag. Eben der.
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Ritter Runkel von Rübenstein einst erlaubte sich diese Bemerkung mal: „Zähne kostet es zumeist, wenn ein Hund auf Eisen beißt!“
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