„I’m alone here. / With emptiness. / Eagles. / And snow.“ (Deep Purple)

…..

Nonnenhorn / Oktober 2022 / Foto: A. Haas

…..

Neverlusen in Mittenwald

*

Im verschneiten Landschulheim

Mittenwald Februar neunzehnhundertzweiundsiebzig

Auf dem Weg von der JH Ganghofer zur Kaserne Edelweiß

Das tote Reich der Vorfahren noch schwer im Rucksack

Streckte das erste Mal eine Klassenkameradin ihre Zunge

In seinen Hals die nicht

Die Auserwählte war

*

Ossi der Metzgersohn der

Wenige Jahre später nur wie sein Vater

Sich den Strick um den Hals legte

Trennte die Knutscher ein Heft in der Hand

POP aus der benachbarten Schweiz

Verwackelte Bilder einer brennenden Spielbank

Unten am anderen See bei Genf

Lugi do schau des isch es

Der Junge schmiss seine mitgeführte MC

Neben den Weg in den Schnee

Und durfte an Ossis Zigarette ziehen

Ihm ward schlecht

*

Im Waschraum zwanzig Waschbecken in Reih und Glied

Ajona zwischen den Borsten kratzte an den Zähnen

Vor angelaufenen Spiegeln

Wo isch Deine T. Rex–Kassette Lugi

Da hätte der Junge gerne geantwortet

Ich werde mich nicht mehr auffressen lassen

Von denen die da so gross mit spitzen Zähnen

Und langen Zungen

Und Neverlusen ab heute

Auch wenn finstere Rauchwolken über dem See aufsteigen müssen

Sie werden es sowieso

*

Er war schon mal in Mittenwald gewesen früher

Auf Hochzeitsreise

Knappe sieben Monate alt

*

Die erste Frage nach der Heimkehr des

Vaters dem ein Jahr noch blieb

Hast du geraucht

Nein

Geknutscht

Pause und nein

So lernt man das sinnlose Lügen

*

(gießen heute / zeitung lesen / fünfzig jahre da da da / da da da da / da da da dada / das eigentliche lied auf der scheibe die wenig später mein kleiner bruder nach hause brachte / er hatte sie einem klassenkameraden aus der tasche geklaut / ein anderes / höre unten / die erinnerungen werden tag für tag milder)

…..

…..

„The Thrill is gone!“ (B.B.King)

…..

Ersatz für eine gute alte Kifferbank / Bodanrück / August ’20 / In der Tüte unten links Herr Mahler

…..

Narrenbehandlung

*

Wenn es mich nicht mehr juckt

Man sich lediglich ab und an kratzt

An den stillgelegten Testikeln

Die gepresst werden von gepackten Koffern

Auf denen ich ausharre laut singend

Alle Aufbrüche vermeidend

Aber die Moralhitparaden hoch und

Runter buchstabierend auf der Suche

Nach den Verletzbarkeiten und ich

Ein Stellvertreter meiner Schäden

Profund und blind jubelnd bleibe

Opfer meiner Narben

*

Letzte Nacht viele Hunderte

Mit Tüten in der Hand

In den Wiegen immer noch schaukelnd

Mutlos befreit

Durch eine Vergangenheit geadelt

Breit leider nicht die Brust

April April

Man legt sich selber rein

Freudlos

Ins gemachte Bett

*

(gießen / heute lese ich bei der physiotherapie auf einem plakat narrenbehandlung statt narbenbehandlung / uli hoeness hatte unlängst sich öffentlich über fliegende punkteraubende tennisbälle beschwert / dann musste er sehen im stadion: für euren scheiß-fußball seid ihr doch selbst verantwortlich, uli / selbst das kiffen ist inzwischen eine langweilige und verantwortungsfreie veranstaltung / den walldorf-schülern und den moral-pianisten sei dank / regnet es noch oder schon wieder in saarbrücken / wurscht / alle lüste flachen sich halt mal ab / in würde hoffentlich / auf alten bänke sitzen später neue)

…..

…..

„Ich bin voller Dankbarkeit und voller Frohnis, dass ich das alles erleben durfte.“ (Christian Streich)

…..

…..

Wo ich doch seit Tagen bei den Verlusten verweile. Quatsch. Eben nicht nur. Beim Nachdenken – Danke Herr Daniel Schreiber – über das Verorten all der allgegenwärtigen Verluste halt au. Wann man geht. Wann man bleibt. Wann man auch mal die Schnauze hält. Hat was welche Bedeutung. Was blase ich auf. An die Klinken welcher Türen mag ich nicht fassen. Alles ein großes Fass, was jetzt nun mal aufgemacht. Und: Wie geht man? Die rechte Zeit. Die Würde. Die Distanz zur eigenen Scheinriesigkeit. Oder Scheinheiligkeit. Oder Langweiligkeit. Oder aus dem aufgemachten Fass wird irgendwann ein Schnapsglaserl. Und dann trauern. Über was. Aber.

*

Christian Streich lief mir stets über meine Wege. Oder eher die Verbindungen zu ihm. Viele Arbeiten in Freiburg. Mein fernnaher Bruder ist Vereinsmitglied und Dauergast beim SC Freiburg. Der Bruder meiner ersten fehlgeschlagenen Liebe wohnt dort. Lebt er. Lebt sie. Der Trainer Vornamensvetter. So eine Art Fußball – Dylan. Für mich. Schrieb ich mal auf meiner alten Theaterseite. Siehe unten. Viel Wäsche die noch trocknen will.

*

(gießen im november 2019) Werd ich des jemals schaffe ein Regisseur zu si wie der Streich ein Trainer isch? Selles sagt der einfach so, nachdem er am Bodde liegt: „Ich hab ihn gsehe, er isch halt ein emotionaler und wilder Spieler. Ich kenne ihn von seiner Zeit in Basel, des isch net weit von uns weg, da habe ich ihn oft gsehe. Dann kommt er also, aber er kam so schnell. Der Ball isch an mir vorbeigrollt und dann hat er mich, bumm, über de‘ Hufe grannt. Dann sind leider natürlich alle Spieler aufgesprunge, aber ich bin sofort wieder hoch, weil ich ja keinen Bock auf des ganze Theater hab‘. David isch danach au zu mir komme, er hat sich entschuldigt. Er sagte: ‚Ich hab gedacht, du bisch ein bissle stabiler.‘ Aber er isch ein junger Büffel und ich bin 54. Das darf er natürlich net mache, ich komm‘ ja gar nimme weg bei dem Tempo. Des isch natürlich scheiße. Au‘ für Frankfurt. Er isch wild, alle von Frankfurt sind wild. Aber wenn se net so wild wäre, dann hätte se au net so viel Erfolg. Ich hab viele persönliche Schwächen. Aber eine Schwäche, die ich net hab, isch, dass ich nachtragend bin. Die Sache isch erledigt. Thema erledigt. Weiter geht’s, zum Fußball gehören halt au‘ Emotionen. Ich bin scho so lang aufm Kickplatz, so isch der Fußball au‘. Aber es isch alles gut, des isch keine Story wert. Ich hab wirklich keinen Bock auf des ganze Zeug. Es isch alles gut, die Schulter hat gehalte, ich bin ja au‘ stabil, ich dehne mich ja immer. Wenn mich einer umhaut, isch es net glei gesagt, daß ich sofort verletzt bin. Ich weiß net, wie es am Montag isch, vielleicht hab ich ja ein Schleudertrauma. Aber fertig, Fußball, ab. Thema erledigt, in Ruhe lassen.“ Ich lieg au grad am Bodde rum. Heilandzack. Und Bock uff des ganze Theater hann i au nit me, isch aber au gut, etz mach ich erscht mal Premiere. Die Sache isch erledigt. Und die Schwäche vom Streich wege derer ganze Nachgetragerei, die henn i au nit.

*

Seit längerem steht auf meiner Ideenliste für diesen Blog: ein Christian-Streich-Poem. Seit seinem angekündigten Abschied ist es nun eine Steilvorlage. Druck. Quatsch. „Runterfahre! Fertig! Nit noch blöd rumschwätze!“ Aber es kommt. Das Poem. Der Titel steht. „Frohnis!“ Vielleicht wird es auch nur ein Blues. Eine Strophe kurze Minuten gesungen.

*

Bin jetzt in Sachen badischer Dialekt ja au kei Dummerle, aber Frohnis henn i noch nie ghört. Mein Lieblingswort isch des ab heut. Und so kling Frohnis, wenn des dä Kies singe tut. Der könnt au mol uffhöre. Wer kann des scho?

…..

…..

„Ich glaube sowieso, dass es im Leben immer möglich sein muss, wegzugehen.“ (Sandra Hüller)

……

Graffiti am Rande eines Wanderweges bei Tambach-Dietharz / Thüringen / Mitte Oktober 2021

……

Brief des erschlagenen Abel an seinen Mörder Kain

*

Wie Dein Kartoffelfeuer gen Himmel fingerte

Das hastig zusammengeklaubte Kraut brannte in der Hoffnung,

Auf das Podest im Herzen des Schöpfers Deiner Eltern

– Papa Rippe wie wir ihn in leichteren Tagen nannten –

Zu klettern, bekränzt, vorbeigezogen am lästigen Fleiß

Des Bruders

Dessen Hände noch blutig vom stundenlangen Schächten,

Vom Ausweiden, Häuten,

Vor Stunden Du noch neben der Blutwanne gestanden

Gebeten hast um ein gutes Stück des besten Opferkalbes

Zu braten es und zu verzehren neben den Kartoffeln

Die lagerten vor Deiner Hütte eben geerntet

Obwohl der Bauch schon bedenklich

Schliffen Deine Rachephantasien schon die Axt

Da nebenan der hager Getriebene das Holz sammelte

Es zerteilte, Reisig stapelte und Dir

Dem freudig Schlingenden

Opferholz vor Deine Feuerstelle trug

Brüderlich teilend wie stets von Dir gefordert

*

Als ich auf dem Acker

Papa Rippe hatte mir kurz freundlich zugezwinkert

Dir, was ich bedauerte, lediglich signalisiert hatte

Dass er wichtigeres zu tun habe

Als unser beider Eitelkeit zu befriedigen

Da der Menschen Zeit doch eben erst begonnen

Da unsere Opferfeuer brannten verwirrt fordernd

Ich, mein Gesicht zerschmettert vom Stein Deiner Zuneigung

Hinauf blickte und der Vater nichts mehr war

Denn ein Nebel, der sich senkte auf das blutgetränkte Feld,

Kühlte ich und ab und schwor allen meinen möglichen Schulden ab und sie also lud

Auf meine Schultern

Da glomm noch mein Schaf lichterloh

Es stanken zum Himmel seine Reste

Papa Rippe schwieg

*

Es waren gewiss nicht die Engel

Welche mit hart gegen die Steine stechender Klinge

Ausgruben meine Grabstätte

Doch da ich lag tiefer nun

Und die Erdkrumen der Erinnerung

Rieselten hinab, Blutungen stillend,

Auf meine blinden Augen

Schlief ich ein als Einzelkind

Und dankte ab den Götzen der Verbundenheit

*

(gießen / erster weihnachtsfeiertag 2023)

…..

(wo ist kate? / und jetzt auch noch camilla krank / man sucht nach revolte-rentnern in alten bauwagen-elendesquartieren / findet sie nicht / hat jemand deren hunde gesehen rund um das ostkreuz? / schreiberlinge suchen in friedrichshain nach spuren von sandra hüller / oder war es doch friedrichsroda? / allenthalben geifereifer / check your age at the door, um quincy jones zu zitieren / und: höhepunkt eines weiteren müde freudigen tages: bob dylan ist ein mensch: so schreibt das feuilleton der SZ / putin hast du das gehört? ab oder an?)

…..

Von der Sinnhaftigkeit versunkener Currywürste im Leben eines Rentners

…..

Meersburg am Bodensee / Januar 2024

…..

Mit „Hömma hier getz!“ im Sinne Helge Schneiders mag man diese Blogschwurbelei beginnen. Wobei et umme Ernsthaftigkeiten gehen tut. Der Alltag eines Rentners ist erst ja mal vor allem viel Leere, aber da noch wat Schwung in Stand- und Schussbein rumliegt: man nimmt sich zusammen und jeder Atemzug ist ja von Bedeutung, auch wenn selbige im rasanten Tempo verlustig geht. Haben wir ja begriffen. Oder auch nicht.

*

Man tut Dinge. Radio hören. Fragen Sie mich nicht welchen Sender. Man verliert seinen Ruf schneller als man über den Seltersweg strolcht im Rahmen der Sinnhaftigkeit. Beweg‘ Dich bitte auch ab und zu mal, sprach die Gattin, die noch im Erwerbsleben. Bis zum nächsten Wein ist es, Dionysos sei es gepfiffen, nicht so weit. Dazu später, zurück zum Radio.

*

Die Neuigkeit, die aufhorchen ließ heute in der Früh‘: in Hannover ließen sich Schutzleute – Darf man das noch sagen? – mittels Currywurst nicht gerade bestechen, aber dazu bewegen, mal weg zu sehen. Hannover? Hillu, die unserem Bundes-Gerd diese Köstlichkeit einst verboten hatte? Scheidung folgte auf den Fuß. Vollstes Verständnis. Meine Ausbildung zum Mimen in Kölle ohne Currywurst angesichts der Finanzlage schlichtweg unmöglich. Einzige Alternative die Rievkooche-Bud vor dem Kölner Bahnhof. Die schwammen in wahren Pools von Fett. Die Rievkooche. Wohlstand?

*

Jeder, aber zumindest jeder dritten bis vierten Ausbildung, folgte im reichen Germanien der 70 / 80er eine damit verbundene Tätigkeit. Ich war irgendwann in Tübingen engagiert. Näher am Geburtssee als an den Genusstempeln in Sachen Currywurst. War schön, jedoch: wir spielten viele Abstecher (Nichtkundige bitte googeln: Abstecher Theater!) und vor der Vorstellung durchstreiften wir, einige in NRW sozialisiert, die Ortschaften des Südwestens auf der Suche nach? Eben. Wir verfassten darauf das viertdünnste Buch der alten BRD. Nach den bundesdeutschen Beiträgen zum Humor, altlinks gelungenen Revolten, den Meisterschaften des S04, punkteten wir mit „Die besten Currywürste südlich des Mains!“ Hömma, die hauen Dir die komplette Wurst auffem Teller und dann muß Du die auch noch selber schneiden tun. Glaub ich dat? Seit Ewigkeiten arbeite ich an dem Werk: „Darf man Brezeln nördlich von Heilbronn verkaufen, geschweige denn backen?“

*

Dann saß ich im Café. Der Spaziergang war kürzer als angeordnet worden war, aber – Entschuldigung! – es stürmte heute wie wild. Eben! Wenn da ein Ast auf meinen noch mitdenkenden Schädel? Genau! Las die zwei hiesigen Lokalgazetten, die sich inzwischen etwa 70% der Beiträge teilen tun müssen! Zwischenruf: Denkt an die Bäume und lasst es sein! Aber zwei Perlen, die des Rentners Leere füllten, durfte ich dann doch beäugen tun. Die Prognosen. Sarahs BSW in Umfragen bei 3%. Unter Anmerkungen stand noch: Fehlertoleranz bei 2,5%. Gen unten wie oben. Oskar: gehe schon mal auf den Markt. Rentner kochen ja gerne. Falls noch eine Frau in Herdweite.

*

Und: ich bin ein entschiedener Befürworter des Limburger Modells in Sachen Taubenhege. Denn in den Innereien der toten Tauben lasen die alten Römer von der Zukunft, keiner Gegenwart und kaum von einer Vergangenheit. Eh egal. Und gebraten haben sie die Viecher auch, bevor die Viecher dem Germanen späterer Tage ins Maul geflogen waren. Meinen Kaffeesatz benötige ich zum Düngen meines Gemüses.

*

Und, ich find‘ ja heut‘ kein End‘, eben den TV-Apparat angemacht. Vielleicht ist ja Wintersport. Die wahre Sinnhaftigkeit des Rentnerdaseins. Und was machen die da „Volle Kanne“? Vier Jahre Covid. Gedenksendung. Die Covidelei, der deutsche que(e)rdenkende Verkehrversuch. Was uns denn alle verbindet, wenn gestorben werden muss? Oder was die Geplagten dann alle trennte im gewiss lauteren Schmerz? Lamentatio pensionario? Der Sinn haftet an den Rändern der eigenen Vergewisserung. Vielleicht!

*

Auf zur letzten oder ersten Currywurst. Erinnerung 1982: Eben war es Kohl, der neue Helmut, der traurigerweise der neue Schmidt geworden war, wir spielten in Köln Theater, mit des Sängers leider später verstorbenen wunderbaren Frau saßen wir in der Küche der Regisseurin und erzählten uns in Dauerschleife schlechte Witze. Und lachten. Die besten Witze erzählte – Hömma hier getz! – der junge Bochumer, der fünf Monate älter denn ich und eine ganze Nacht uns durchlachen ließ. Und dann hatte man Appetit auf: andere Würste auch.

…..

…..

For sentimental reasons / Erzähle Treue

…..

Hoyerswerda / Früher Sommer 2023

…..

Und so pinselten sie unter die Füße der eifrigen

Einkäufer ein Meme

Nachdenkasphalt

Wohin gehen die Tage

Wenn sie vorübergehen

Stand da zwischen den Schweizern

Die kaufgierig fluten seit Jahrzehnten die aufgesuchte alte Heimat

Die abhängig

Wer liest was schon unter vollem Einkaufsbeutel

Als ich stehenblieb und bemerkte und ich mich fragte

In meiner schlauen Manteltasche ein Zitat

Das Spiel, das wir Gesellschaft nennen ist zu einer Schlägerei geworden

Patient Gesellschaft Klient Familie

Stets und wieder das Karussell an den Ketten

Dreht und dreht sich

Die Erinnerungen minütlich alt und älter als

Der tote Kaiser angeleimten Armes über Mexikos Rasen schlich

Als der Mann dessen Namen auf meiner pubertierenden Zunge verging

Eine ewige Sonne herbeisehnend

Gigi Riva

Oder rombo di tuono

Das Donnergrollen tauften sie ihn wie ich las eben

An – ausgerechnet – Schnellinger vorbeirauschte

Ausgerechnet Schnellinger

Stahlblonde deutsche Sehnsucht nach Arkadien

Schiffe versenken Admiral Dönitz C 7

Verlierer sind wir alle allemal

Wenn uns die Tage verlassen

Wohin auch immer hin

*

Nachklapp: Was ich nicht wusste, dass eben jener Luigi „Gigi“ Riva als Kicker auf Sardinien gelandet war, die Insel dann nie mehr verließ und mit dem Inselclub Cagliari Calcio sogar im Jahre 1970 Meister wurde. For sentimental reasons. Die Erzählung Treue.

…..

…..

Let me please introduce myself!

…..

Im Zug zwischen Leipzig und Hoyerswerda / Juni 2023

…..

Der Gedankenwolf

*

Der Gedankenwolf spielt nicht

Gedankengolf

Ein „Hole in one“ ihm scheißegal

Da heult er nö

Und drischt sein Queue

Ratz fatz

In den auf dem Tische liegenden Bälle –

Satz für Satz dann nagt er was über

Und nicht schon eingelocht

Reißt und rupft

Auch planlos drüber

Ohne Weisung ohne Oben

Denken heißt für ihn auch toben

Jenseits von Planken die leiten

Sollen

Fremd ihm alles Wollen

Manikürt nur seine Pranken

Und am Ende seines Nagens

Fragen Fragen’s gerne nach

Neuen Fragen

Und sieht auch wirklich keiner zu

Klagt er zum Mond

Über den Wipfeln

Und all den Gipfeln

In aller Ruh‘

Dann schläft er ein

Ein neuer Tag

Die nächste Frag‘

*

Aus aktuellem Anlass: Als es 1970 in Mexiko gegen Italien in die Verlängerung ging, schickte mein Vater mich ins Bett. Die Schule. So habe ich Franz Beckenbauer mit seinem an den Oberkörper gebunden rechten Arm verpasst. Und ich war schon über 13!!! Man bedenke dies mal heutzutage. Von der „heldenhaften“ Niederlage erfuhr ich beim Frühstück. Kann aber an dieser Stelle glaubhaft versichern, dass ich davon kein Trauma oder andere bleibenden Schäden davongetragen habe. Glück gehabt.

…..

Wo ist die Zeit? / Countdown JFK One

…..

…..

Jetzt wird es schwierig mit dem Erinnern. Läuft wahrscheinlich auf eine Behauptung hinaus. Aber ein paar Teile könnten oder sollten dann doch so geschehen. John Fitzgerald Kennedy wurde erschossen vor 60 Jahren. Mittags. Also bei uns am Bodensee spät abends. Am nächsten Morgen – mein Vater hörte das Radio in der Frühe – die Nachricht. Vielleicht Schulbrot eingepackt und Ranzen auf den Rücken und los. In der Straße parallel über unserer Straße – wir die Werkssiedlung in der Bücklestrasse (sic!) – die neuangelegte Straße mit den Neubauten. Da wohnten die, wo ein bisserl mehr Geld. Oder bei Telefunken arbeiteten. Mein Klassenkamerad Ulli wohnte dort. In der Moosstraße (sic!). Den holte ich öfters mal ab. Die hatten eine Badewanne. Und er eine Märklineisenbahn. Fette Anlage. Papa war Ingeniör. Ulli sah im Prinzip aus wie Dicki Hoppenstedt. Mein Kampfname auf dem Schulhof war Spargeltarzan. Tut nichts zur Sache, aber ist schmückendes Beiwerk. Pat und Patachon. Also klingelte ich wie gehabt scheu. „Komm der Ulli runter?“ Keine zwei Schritte gelaufen, wir im Gleichklang: „Die haben den Kennedy erschossen!“ Wir waren grade mal 7 Jahre alt, an Ostern des Jahres eingeschult und hatten doch, das erinnere ich, so ein Gefühl von: Die Welt dreht sich mal eben in eine andere und falsche Richtung. Das hatten wir wohl gerochen. So wie die Großen sprachen mit gesenkter Stimme den ganzen Tag über. Und jetzt hoffe ich nicht, daß meine Erinnerung mich komplett bescheißt, aber es war ein seltsam warmer Tag. Ein Novembertag am Bodensee, der fast schon nach kurzen Hosen roch. Das sind die Bilder, die noch über sind.

*

Natürlich noch das Berliner Zitat, welches meinen Vater, wie viele seiner Generation, beeindruckte und dieses Bonmot, vom Land, das man nicht fragen solle, was es für einen leiste, sondern man selbst könne auch mal schauen und so. Bei meinem Vater, Erinnerung bitte sei gnädig, klang das natürlich immer so, als suche er eine Rechtfertigung für seine traurige Laufbahn als junger Soldat in Diensten des Dritten Reiches. Ich weiß es nicht und werde es auch nicht schlaumeiernd wissen wollen. Für die Beantwortung von Schuldfragen stehe ich nicht zur Verfügung.

*

Ein paar Tage später mit meiner Mutter beim Frisör. Also meine Mutter beim Frisör. Ecke Wollmatingerstrasse, Ecke Taborweg. Oder Ecke Enzianweg? Weiß nicht mehr, warum sie mich da immer mitschleifte, aber es war so. Während sie unter der Trockenhaube, habe ich in die QUICK geschaut. Ein Fotostrecke. Jack Ruby erschießt Lee Oswald in den Gängen eines Knastes oder so. In Schwarzweiß. Ich erinnere mich noch recht genau an dieses in der Luft vibrierende Empörungsgefühl. Wer hat geschossen? Warum, wie kommt der da rein? Ist das alles wahr oder was auch immer?

*

Vor ein paar Jahren hat Bob Dylan davon gesungen. Sein mit Abstand längster Song. Erinnerungen. Oder eher Einordnungen. Sich sortieren.

…..

…..

Oh, it’s a long, long while / From May to December / But the days grow short / When you reach September / 06

…..

Red Beach bei Matala / Kreta / September 2009

…..

Back to school. Also, ich war der Lugi. Dann gab es noch den Micki, den Uli, den Siggi, die Pedie, den Winnie, den Andi, die Andi, die Geli, den Olli, sogar einen Jürgi, Klausi auch und den Zimmi (war ausnahmsweise Lehrer) und never forget Albi! Die WG – Band bestand aus Yogi, Jacki, Robbie und Tommi! Die Hansis nannten sich oft Johnny. Sind das noch Namen? Möglicherweise waren es die Zeiten oder diese süddeutsche Sucht nach der Selbstverniedlichung. Möge man mich bitte! Ich bin doch so lieb! Man schleicht sich geschmeidig aus der Verantwortung. Nur so eine Behauptung!

*

Jetzt, nach den Dekaden der Klinsis, Jogis und Ollis, diesen lähmenden Dekaden, die sich nicht zwischen Selbstüberhöhung und der damit einhergehenden Selbstverzwergung entscheiden konnten, hat es Hansi erwischt. Endlich, mag ich gerne aufseufzen. Wohl zu spät. Ein Rudi übernimmt. Nach 2000 scho wieder. Wenn es auch nur Stunden sind.

*

Peinlicherweise erreichte mich die Nachricht der seit 2018 überfälligen Demission des hoffentlich letzten Mitglieds des vermeintlichen Gescheitletraineradels aus BW in dem Moment als die Korbleger Weltmeister wurden. (Kurzer Gedanke: Noch nicht mal respektvoll kommunizieren kann der DFB. ) Und der Trainer ist Kanadier und heißt Herbert statt Herbie. Dann wäre er ja wiederum ein Käfer. Gut so! Wunschbundesanweiser ist bekanntlich Kloppo. Isch aber auch ein Schwoab! Wird er nun ab 2024 zum Kloppi? Oder wird es der Julian Nägeli?

*

Wenn man ein Haus über Jahrzehnte vor sich her und hin verrotten lässt, ist irgendwann selbst der Abriß keine Option mehr. Auch wenn es am Strand steht. Die dort anlegenden Boote holt keiner mehr ab. Warten wir zu lange?

*

Nachklapp 11.9.: Ferndiagnosen sind fragwürdig. Sah ich aber in letzter Zeit Hansi F’s Augen in die Kameras oder ins Nirvana blicken, meinte ich in den Spiegel zu schauen. Ein schwarzer Hund von beträchtlicher Größe saß da mit auf der Trainerbank oder in der Pressekonferenz. Wenn der einst geschätzte Umarmer die ehemals gerne Umarmten nicht mehr umarmen darf und keinen Plan B hat, wenn die Harmonie einstürzt und das Vertrauen diffundiert, wird es böse für alle Beteiligten. Ich weiß, wovon ich spreche. Eine Seele reibt sich wund und wunder. Überkommene Führungsmodelle funktionieren nicht mehr bei den allgegenwärtigen Egoshootern. Oder vielleicht nur noch die ganz, ganz, ganz alten. Stillgestanden! Wegtreten!

*

Und sprechen wir weiter und öfters von den schwarzen Hunden. Heute im Sportteil der FAZ ein beeindruckendes Foto. Seitenlinie. Thomas Müller wird eingewechselt. Wie er seinen alten Weggefährten dabei anblickt. Er weiß vom bevorstehenden Ende und dem Tanz des schwarzen Hundes. Kein Trost mehr möglich. Man versucht es dennoch. Schon wieder symphatisch.

…..

…..

„Mir müsse nit g’winne. Was mir müsse, isch sterbe!“ (Christian Samuel Streich)

…..

Konstanz / August 2020

…..

Als ich Ende der Siebziger die Heimat verließ, um erst in den USA und dann in Köln die Schauspielerei zu erlernen, wurde ich bei meiner regelmäßigen Heimkehr eher nicht gefragt, was ich denn da drüben oder oben so den ganzen Tag über treibe oder lerne, sondern wann man mich denn nun im Fernseher sehen könne. Noch besser allerdings die ernstgemeinte (?) Frage: „Und, wann wirst Du jetzt berühmt?“ Leider kannte ich damals Christian Streich noch nicht. Sonst hätte ich antworten können. Siehe oben.

*

Seit Ewigkeiten will ich hier ein Poem für oder über Christian Streich verfassen. Mir fällt aber nix Entsprechendes ein oder wenn, verwerfe ich es sofort. Siehe oben.

*

Las heute bei Patti Smith, daß ihr guter Freund und Begleiter Sam Shepard ein großer Beckett – Verehrer war und mußte an Streich denken. Er reinkarniert für mich gerne als ein Beckett der fliegenden Bälle, nicht nur wegen seiner vielfältigen Variationen des so gerne und inflationär von anderen zitierten Beckett – Wortes vom Scheitern. Siehe oben.

*

Wenn Streich am Spielfeldrand steht und man zusehen kann wie das Geschehen auf dem Spielfeld durch seinen Körper dringt, aus seinen Augen wieder heraus springt und seine Hakennase becketthaft die Luft zerhackt und nicht die fuchtelnden Arme, wenn er einen kleinen Himmelsstürmer nach dem Spiel trösten will, um ihn dann zu beschimpfen und die Genugtuung über den Sieg ihn schier zerreißt, während das Mitleid ihn schniefen lässt, dann denke ich: siehe oben.

*

Wer selbst im Moment eines gefühlten Triumphes vom Selbstzweifel durchrüttelt wird – manche sagen dies sei Wesensmerkmal der Badischen – dem höre und sehe ich gerne zu. Auch wenn ich es manchmal nit kapier. Siehe oben.

*

Freiburg und die Championsleague? Auch da wohl: siehe oben.

*

Als Leadsänger einer Heavy – Metal – Combo könnt i mir der Streich scho au vorstelle. `S G’sicht defür hätt er. Und wahrscheinlich au de schwarze Hund dehomm. Siehe oben. Und auch unten.

….

….