„Mir müsse nit g’winne. Was mir müsse, isch sterbe!“ (Christian Samuel Streich)

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Konstanz / August 2020

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Als ich Ende der Siebziger die Heimat verließ, um erst in den USA und dann in Köln die Schauspielerei zu erlernen, wurde ich bei meiner regelmäßigen Heimkehr eher nicht gefragt, was ich denn da drüben oder oben so den ganzen Tag über treibe oder lerne, sondern wann man mich denn nun im Fernseher sehen könne. Noch besser allerdings die ernstgemeinte (?) Frage: „Und, wann wirst Du jetzt berühmt?“ Leider kannte ich damals Christian Streich noch nicht. Sonst hätte ich antworten können. Siehe oben.

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Seit Ewigkeiten will ich hier ein Poem für oder über Christian Streich verfassen. Mir fällt aber nix Entsprechendes ein oder wenn, verwerfe ich es sofort. Siehe oben.

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Las heute bei Patti Smith, daß ihr guter Freund und Begleiter Sam Shepard ein großer Beckett – Verehrer war und mußte an Streich denken. Er reinkarniert für mich gerne als ein Beckett der fliegenden Bälle, nicht nur wegen seiner vielfältigen Variationen des so gerne und inflationär von anderen zitierten Beckett – Wortes vom Scheitern. Siehe oben.

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Wenn Streich am Spielfeldrand steht und man zusehen kann wie das Geschehen auf dem Spielfeld durch seinen Körper dringt, aus seinen Augen wieder heraus springt und seine Hakennase becketthaft die Luft zerhackt und nicht die fuchtelnden Arme, wenn er einen kleinen Himmelsstürmer nach dem Spiel trösten will, um ihn dann zu beschimpfen und die Genugtuung über den Sieg ihn schier zerreißt, während das Mitleid ihn schniefen lässt, dann denke ich: siehe oben.

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Wer selbst im Moment eines gefühlten Triumphes vom Selbstzweifel durchrüttelt wird – manche sagen dies sei Wesensmerkmal der Badischen – dem höre und sehe ich gerne zu. Auch wenn ich es manchmal nit kapier. Siehe oben.

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Freiburg und die Championsleague? Auch da wohl: siehe oben.

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Als Leadsänger einer Heavy – Metal – Combo könnt i mir der Streich scho au vorstelle. `S G’sicht defür hätt er. Und wahrscheinlich au de schwarze Hund dehomm. Siehe oben. Und auch unten.

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Genossen! Die kunstseidene Republik

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Papa Lenin schaut sich um / Keine Revolution nirgends / Sovestk / 30. August 2021

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Der gestrige Artikel übers Altern und die Jugend treibt mich immer noch um. Hallo Googlia! Was bedeutet Anciennität?  

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„Anciennität ist die Rangordnung, die sich aufgrund der Zugehörigkeitsdauer zu einem Gremium oder einer Gruppe bzw. aufgrund des Dienstalters ergibt, im Gegensatz zur Seniorität, die auf dem tatsächlichen Alter basiert. Die Bezeichnung Anciennität entstammt einem Beförderungsprinzip, wonach Offizieren Beförderungen aufgrund ihres Dienstalters zustanden. Auf diese Weise wurde Konkurrenz vermieden und der Corpsgeist gestärkt.“

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Also einfach nur lang genug dabei sein? Kann das ausreichen? (Weshalb denke ich jetzt an Gießen?) Gegenthese und Erfahrungswert: Immer wächst eigene Dummheit schneller als die der Anderen. Vor allen wenn im eigenen Biotop(f) verfangen. Mitgliedschaft schützt vor Torheit nicht. War doch so?

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Conclusio: Niemals ungefragt Radschlägern. Und wenn keiner dich nach dem Weg fragt, ist es angenehm. Lügen vermeidet man gerne schweigend.

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Aber ach auch dies bleibt immer. Jeder wäre so gerne ein ‚Glanz‘ in unserer kunstseidenen Republik. Demnach sprach gestern Olli Scholz … Quatsch … Olaf Kahn in eine verlorene Nacht. Man achte auf Robert Effenbeck unten rechts am Katzentisch, gefangen im Stupor seiner Besserwisserei scheinglänzelnd, selbst wenn die Sicherung durchgebrannt. Der entspannte Abend aber bleibt uns allen. Immer und ewig so leuchtelt er matt und satt.

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Vielleicht doch mehr Seniorität wagen?

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Die Kopie, das Kopieren und et Kopping

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Sohn und Papa schauen Revolution / Damals

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„Wohin ginge ich, wenn ich gehen könnte, was wäre ich, wenn ich sein könnte, was sagte ich, wenn ich eine Stimme hätte, wer spricht so und nennt sich ich? Einfach antworten, jemand möge einfach antworten. Es ist derselbe Unbekannte wie immer, der einzige, für den ich existiere, in der Höhle meiner Inexistenz, seiner, unserer, das ist eine einfache Antwort. Denkend wird er mich nicht finden, aber was kann er machen, lebendig und ratlos, ja, lebendig, was er auch sagen mag. Mich vergessen, mich ignorieren, ja, es wäre das Klügste, er kennt sich aus.“ (Samuel Beckett / Texte um nichts / 1950)

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Heute Morgen las ich in der FAZ, die ich nicht geklaut oder gefunden oder geschnorrt, sondern für umgerechnet „SIEBEN MACK“ gekauft habe, einen erhellenden Artikel von Claudius Seidl. Er schrieb von der Abschaffung des Alters und warum die unendliche Verlängerung der Jugend keine gute Nachricht sei, weil sei keiner mehr alt, wäre auch keiner mehr jung. Dummerweise hatte ich mich dazu entschieden meine zwei Toasts mit Bio – Emmentaler, was Dreckszeugs aus dem REWE war, die ich dem Turbokapitalismus trotzend aus Not dort erstanden hatte, geizig wie ich manchmal bin, von den Stones mit „Get Yer Ya – Ya’s Out“ beschallen zu lassen. Mir wurde folglich etwas plümerant. (Versuchen Sie bitte nicht, lieber Autor, mit abgelegten Begriffen einen Hauch von Reife in Ihr Geschreibsel zu tippen. Heute mal ohne erhobene Faust: Der Säzzer!)

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Mein Hirn begann zu schmerzen oder wie der Kölsche saat: ech kreite ne ordentlich präsente Kopping. Ich betrat das Badezimmer, blickte in den Spiegel risslos (oder rißlos?) und empfing … ähem … empfand nichts als Pein. Hätte ich einen Sohn, den ich nicht habe, wie blickte er auf mich? Rauf oder runter? Auf den Rentner im Gewand eines die Kopie kopierenden Juniormitglieds der Stones? Ich nestelte in meiner Jeans rum – Oh Gott! In meinem Kleiderschrank hängen bis an die zehn kaum genutzte Anzüge! – und suchte den Mitgliedsausweis, der mir ständigen Zutritt zur Hybris meiner Besserwissergeneration verschafft, ihn zu entsorgen. Fand aber nur ein Reclamheft mit Widmung. „Lies das nicht. Deine Mama!“ Es war der Werther. Weg damit. Heute ist postösterliches Altpapier. Den Ausweis, ihn fand ich nicht, und dachte an Mama und Papa einst und dann an Hosea Dutschke. Es geht immer noch etwas düsterer. Ich stellte mich also an. In der Schlange in Richtung Tod.

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Hömma hier. Sizze anne Bierbank, sizze anne Bierbank. Wennet im Eichenholz schallt über dich, wird der letzte Nagel inne Ruhetruhe gekloppt, welche man dir mit inne Erdgrube gegeben hat. Dann isset auch gut. Kannse mit der Zeit gegangen sein. Fott iss fott und dann tut dich deine Katze klolos die Wohnung zuscheißen, wennse dat nich mit die deine Nachlassigkeiten reinigenden Weibers geregelt hass. Dein Helge iss dich am Grüßen mit Verlaub.

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Huch! Was war das jetzt? Ich wußte gar nicht, daß meine Zahnbürste sprechen kann, kam mir in den leeren Sinn und ich schlurfte zurück in die Küche. Kalter Kaffee. Heißer Käse. Bröckelnder Toast. Ein Glas Rotwein. Und las ein bisserl von Claudius Seidl weiter.

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„Der Mensch, der seiner Sechzigjährigkeit zum Trotz, heute in den Spiegel schaut und keinen Hauch von Anciennität und Seniorenwürde sehen kann, hat also nicht das Alter neu erfunden, nur die Jugend, die er gedehnt hat bis an die Grenze des Möglichen.“

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Und dachte: Seniorenwürde. Bedenkenswert. Das andere Wort war mir neu. Muß ich noch googeln. Deshalb jetzt Schluß.

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Helge bei uns auffem Hinterhof / Karfreitach 2023 / später gabbet Rotwein

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Vom Verlieren und dem Wiederfinden

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Eisenbahngleis / Alte Rheinbrücke / Konstanz / März letzten Jahres

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Ein Nachklapp in Sachen „Der Riß“. Der Text von Hannes Wader zum gestrigen Lied von Hannes Wader.

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Erinnerung

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Ich erinnere mich zurück / Bis in mein drittes Lebensjahr /Da schickte mir mein Vater / Der in Norwegen war / Als Soldat um die Weihnachtszeit / Eine Eisenbahn aus Holz /Sie wurde meine Liebe und / Ich spielte voller Stolz

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Mit der Lok, aus deren Schornstein / Dicke, weiße Watte quoll / Lud sie jeden Tag mit Kohle / Sand und andern Gütern voll / Wenn ich des Nachts, die Lok im Arm /Auf meinem Kissen schlief / Geschah es oft, dass ich im Traum / Nach meinem Vater rief

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Dass er trotzdem niemals kam / Konnte ich noch nicht verstehen / Und so fasste ich den Plan / Zu ihm nach Norwegen zu gehen

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Ja vielleicht, sind wir Menschen / Nur dazu geboren / Um ruhelos zu suchen bis zum Schluss / Auch ich habe / Irgendwann einmal etwas verloren / Was mir fehlt und was ich wiederfinden muss

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Es war im Januar/ Zog ich mich mühsam selber an / Die Luft war kalt und klar / Ich koppelte die Wagen an / Im ersten Morgenrot / Im einen lag ein Apfel und im andern ein Stück Brot

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Doch ich kam nur langsam vorwärts / Denn die Straße war verschneit / Schon fast Nachmittag / Und der Weg nach Norwegen noch weit / Mir gefror der Rotz am Ärmel / Und da stand ich winzig klein / Fing an zu weinen / Schlief dann bald im Straßengraben ein

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Der Briefträger / Der durch Zufall dort vorüber kam / War es, der mich fand / Mich halb erfroren mit nach Hause nahm

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Ja vielleicht, sind wir Menschen / Nur dazu geboren / Um ruhelos zu suchen bis zum Schluss / Auch ich habe / Irgendwann einmal etwas verloren / Was mir fehlt und was ich wiederfinden muss

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Frühjahr 45 war der Krieg dann endlich aus / Doch statt Vater kam ein Onkel Eduard nach Haus / Das war Vaters Bruder / Und ich weiß es noch genau / Wie er ankam, den Soldatenmantel / Abgerissen – grau

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Aber ich, so sagte Mutter später / Stürzte mich auf ihn / Onkel „Papa“, Onkel „Papa“ / Habe ich immer nur geschrien / Am nächsten Tag als ich mit ihm / In Omas Küche saß / Sprach er nicht ein Wort mit mir / Sondern schimpfte auf den Fraß

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Und vor Hass auf seine Mutter / Warf er, warum weiß ich nicht / Ihr den vollen Teller / Mit dem heißen Grünkohl ins Gesicht

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Ja vielleicht, sind wir Menschen / Nur dazu geboren / Um ruhelos zu suchen bis zum Schluss / Auch ich habe / Irgendwann einmal etwas verloren / Was mir fehlt und was ich wiederfinden muss

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Oft habe ich gebettelt / Um ein bisschen Liebe / Wie ein Hund / Doch stattdessen schlug mein Onkel mich / Und meistens ohne Grund / Manchmal nahm er die Trompete / Machte sich zum Ausgehen fein / Meist in lauen Vollmond-Nächten / Und man konnte sicher sein / Dass im Dorfe jeder lauschte / Und die Fenster offen ließ / Wenn er dann vom Berg herunter / Traurig schöne Lieder blies

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Vorher ging er in die Kneipe / Und dort soff er sich in Wut / Verprügelte die Gäste / Wenn er, dann im eignen Blut / Morgens vor der Haustür lag, hatte / Er noch Kraft genug, dass er mit der / Blutbesudelten Trompete nach mir schlug

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Ja vielleicht, sind wir Menschen / Nur dazu geboren / Um ruhelos zu suchen bis zum Schluss / Auch ich habe / Irgendwann einmal etwas verloren / Was mir fehlt und was ich wiederfinden muss

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Meine Eisenbahn aus Holz war längst zertrümmert / Und verbrannt. Und auch Norwegen erschien mir so / Wie jedes and’re Land / Und auch Vater kam nach Hause / Ein Jahr später, irgendwann / Als er sagte wie er aussah / Ich erinn’re mich nicht dran

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Fand auch später, als ich größer wurde / Nie mehr diesen Ton / Nun ihr wisst schon was ich meine / Dies Verhältnis Vater – Sohn / Mein Gefühl für ihn / Das hatte schon ein anderer verbraucht / Wie ein Feuer ausgeblasen / Das dennoch ewig weiter raucht

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Doch ein Funke von Vertrauen / Ist noch da und irgendwann / Will ich glauben, kommt ein Wind / Und bläst das Feuer wieder an

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Ja vielleicht, sind wir Menschen / Nur dazu geboren / Um ruhelos zu suchen bis zum Schluss / Auch ich habe / Irgendwann einmal etwas verloren / Was mir fehlt und was ich wiederfinden muss

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La da da

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Danke schön dafür. Und, ach ja, die Hauptstadt von Kanada ist Ottawa.

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Wie heißt noch Kanadas Hauptstadt?

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Stillgelegter Tennisplatz / Konstanz / letztes Jahr im März

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„Alles, was wir über die Welt wissen, ist Erinnerung. Montreal ist die Hauptstadt Kanadas. Im Winter fällt Schnee. Wie fühlt es sich an, verliebt zu sein? Alles, was wir über uns selbst wissen, ist ebenfalls Erinnerung. Woher komme ich? Wer bin ich?“

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Obiges las ich heute beim Frühstück in der ZEIT. (Dossier / Bastian Berbner / Die Erinnerung täuscht). Lesenswerter Artikel. Ein schönes Motto für das, was ich vorhabe. Aufzuschreiben (an anderer Stelle) was da war, sein sollte, hätte sein können, müssen gar, wie ich ab und an meinte, was dem Vergessen überantwortet, obwohl es nie geschah und wenn dann vollkommen anders, aber wirkte ins Folgende, die Mythen der persönlichen Tausend und eine – Nächte, was blieb, jetzt ist oder auch schon wieder ein Gestern ist und das auch morgen. Hiermit enden mal die Vorüberlegungen zum „Der Riss / Eine Erinnerungsreise (gebucht). “ Also ist nun kein Grund mehr vorhanden, um sich vor der wirklichen Arbeit zu drücken.

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Wie heißt nochmal die Hauptstadt von Kanada?

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Man muß sich bücken gelegentlich

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Scheidegger Wasserfälle / Vorarlberg / Österreich / Oktober 2022

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Nichts fällt vom Himmel, sangen die Altvorderen. Aber manches liegt in der Gegend rum. Ob seit gestern oder schon immer, das ist weitgehend wurscht. Denke ich. Bücken muß man sich auf jeden Fall. Echt? Tja das Haupt zu senken, wir haben es verlernt. Ein Gebet, wohin auch immer gerichtet, ist keine Forderung. Auch der Handkuß fordert einen leicht gekrümmten Rücken. Liebe? Bücken muß man sich dann schon. Man kann aber auch vorbeigehen. Rede man nicht von längst untergegangenen Pflichten. Verpflichtung überlebt trotzdem. Habe eben im Magazin der gestrigen SZ einen schönen Text übers Glauben und Bücken gelesen. Hier ein frei zugänglicher Text vom Autor. Ich mag es Worte zu lesen, die sich bücken können. Was aber wenn der Pfarrer Messwein verschüttet? Sollte man sich da … ?

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Die Lichter flackern. Wandeln im finsteren Tale. Aus den 100 qm – Wohnungen schallen Hilfeschreie. „Macht den Mantafahrer zum Kanzler!“ Endlich. Die Pumpen erwärmen die Herzen nur noch am Fenster „Öffentlichkeit“. Ach, wie so trügerisch sind all die Gesänge vom ewigen Glücke, ausgeatmet mit stolz gerecktem Kinn. Den Berg besteigen mit gutem Schuhwerk? Der Schnürsenkel fordert Bindung. Bücken muß man sich dann schon. Wo aber weilt Mutti Merkel?

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Oft habe ich Geschichten aufgelesen, darauf in Jackentaschen, Kuverts, Kellerregalen oder Gedankenschränke verstaut. Dann sind sie weg und ich finde sie nicht mehr. Liegen aber irgendwo rum. Schon wieder Bücken? Und wer pflückt uns jetzt bitte den Spargel?

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Auch heute regnet es. Gott sei Dank. Wo wir gerade dabei sind: ich mag die leicht verdutzten Gesichter, wenn ich mit einem süddeutschen Grüß Gott ein Ladengeschäft betrete. Kein bewußter Vorgang, eher ein genetischer Defekt. Verbales Bücken. Schön, wenn ein Gegenüber Gleiches erwidert. Fühlt man sich wie ein Japaner. Koshi o kagameru. Klingt doch gleich viel schlanker. Jetzt ist der letzte Gedanke untern Schreibtisch gefallen. Muß ich mich … ?

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Kintsugi revisited statt Ankommen?

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Istanbul / Ende März 2012

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Erstes Sammeln von Rissen. Die Kladde füllt sich. Vor manchem Riss stehe ich mit „Abstand“ (Wie ich dieses Wort aus gewissen Mündern hasste!) kopfschüttelnd. Nach fast genau Jahresfrist. Trotzdem den Finger reinstecken vorsichtig ins alte, leicht schimmelige Marmeladenglas. Kann man noch was rausschmecken? Als die Erinnerungsfilmchen laufen lernten. Kintsugi ist ja eine nette Idee, aber letztlich füllt das nur Regale und verstaubt. Andererseits: so ein glänzend gülden prangender Altriss? Kann man vergangenes und in alten Speichern gammelndes Weh an – und rechtzeitig wieder abschalten? Mal sehen. Nichts entsorgen im Plumpsklo Verdrängung. Trotzdem ein Nichts nicht aufblasen. Gratwanderungen.

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Und jedoch immer mal wieder durch den Zeitriß springen und ein paar Runden Tagträumen. Ankommen? Morgen. Oder danach. Notieren.

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That’s how the light gets in, Leonard?

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Sonnenuntergang an der Schlei / 19. Februar 2023

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Da gäbe es diesen Riss. Diesen Riss in jedem Ding. In jedem Gegenstand. Wahrscheinlich ist auch ein Mensch lediglich ein Gegenstand. Vor den letzten Dingen. Ein Gegenstand, der atmen kann zwar, mehr jedoch kaum. Und dieser Riss ermöglicht dem Licht einzudringen. Welches Licht? Erkenntnis? Göttlich? Ängste lindernd? „Mama? Kannst Du die Türe ein bißchen auflassen, damit ich einschlafen kann?“ Oder das Wachstum ermöglichend? Leonard Cohen singt davon. Auch von den ärgerlicheren Rissen? „Entschuldigung! Deine Hose ist gerissen. Am Arsch!“

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Die Ambivalenz. Ein Wort, welches ich, vor allem bei der Theaterarbeit, gerne im Munde führe. Eindeutigkeiten haben mich schon immer erschreckt. Vor allem, wenn diese von mir im Brustton der momentanen Erregung in die Welt gespuckt werden. „So isses doch!“ Nein, eben nicht. Wie einer meiner Regievorbilder – ewiger Leibzischer – gerne rief: „Du musst nei in die Ombiwalens, nei!“ Da sei der Riss, da isser. Notwendig. Wie immer er auch entstand. Zu hoher Innendruck, der ein Gehäuse sprengte. Schläge von außen. Vielleicht sogar bewußt provoziert. Materialermüdung. Baufehler. Der Möglichkeiten viele. Gewiß nur, zieht es nach rechts und links, nach oben und unten gleichzeitig und mit gerecht verteilter Kraft in jede Himmelsrichtung, ist er nicht zu vermeiden, der Riß. Dann trete ein, oh Licht.

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Oh ihr Küchenpsychologen! Oh Spiegelbild! Oh ihr Moralreiszwecken! Es ist ein Abheften, Einordnen, Bewerten in – vor allem unserer kleinen, gerne zu Erkenntnishaftigkeit aufgeblasenen – Wohlstandswelt, daß es einem grauset. Als habe man Thoreau gänzlich falsch verstanden, der da mal schrieb: „Es kommt nicht darauf an, was man betrachtet, nur darauf, was man sieht!“ Als diente, alles was uns ins Auge fällt, lediglich dazu alte Irrtümer in den Äther zu posaunen zum Zwecke allgefälliger Selbstvergewisserung. Nach wohlfeiler Einordnung in bewährte Gedankenschränke selbstredend. Mit sich selbst redend, selbstredend. Und, hübsches Zitat noch von ‚Michl Hol Das Becks‘: „Der Erbmakel der Männer ist die Verallgemeinerung!“ Nicht albern werden. Doch, eben.

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Wird mann eines Risses ansichtig oder habhaft, greift mann gerne zu Nadel und Faden, nee besser zum Kraftkleber oder gleich zum Schweißgerät. Und wundert sich, wenn es dunkel bleibt. Drinnen. Der Riss aber schmerzt weiter vor sich hin. Manchmal ein ganzes langes oder kürzeres Leben. Und wenn nicht, ist er trotzdem da. Der Herr von Riss. Unter Nähten. Gut so. Manchmal gemahnt der Riss die eigenen Selbstgerechtigkeiten daran, daß die eigenen Eltern auch Eltern hatten. Zum Beispiel.

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Zwischen Tür und Engeln. Warten ist die wahre Zeit. Ein Leben unter Zügen. Bretter, die nichts bedeuten, weil sie nur Bretter sind. Drei Seelen, ach, sind mir zu wenig. Und dann fiel ich ab. Als ich ein letztes Blatt riss vom Kalender, brannte die Sicherung nicht durch. Es blieb hell.

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Vor ein paar Tagen hatten sich zwei Junkies auf unseren Hinterhof verzogen. Auf die Frage, was sie da auf fremdem Gelände suchen, antwortete mit schwerer Zunge die Frau: „Da draußen ist es so laut. Wir brauchen mal ein bißchen Ruhe!“ Wieso habe ich sie vom Hof gejagt?

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Auf der Schleibrücke Lindaunis – Rieseby / 19. Februar 2023

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