In der Nacht ist der Mensch nicht gern alleine (Marika Rökk)

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mein arschlochteil besuchte mich heut‘ nacht

gestern nacht traf ich es

mein arschlochteil

gestern nacht sprach ich mit

ihnen

meinen dämonen

streng doch stets gütig

erscheinen wollend

verwies ich sie an ihre

angestammten plätze

ich wußte gar nicht wo die sind

redete ihnen ins gewissen

da ich hoffte sie hätten eines

doch sie grinsten mich an feist

bohrten mir ihre stinkefinger

in die nase

und ließen mich wissen

wer ich denn wäre

der sich erlaube

gefühlen vorschriften zu machen

ich schickte sie in die verbannung

sie lachten

auf einem bein stünde ich

nur noch dann und fiele um ohne sie

wie dumm

und so in ihrer begleitung

könne ich wenigstens noch

vorwärts humpeln

*

als ich in den anbrechenden tag

schritt merke ich wie ich

das eine bein etwas hinter mir

herzog

nach dem zweiten kaffee

begannen wir mit den

friedensverhandlungen

*

(vorgestern)

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Werden müssen, was man flieht – ist es unabwendbar? (Franz Fühmann)

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Der Wahrheit nachsinnen; viel Schmerz (Zitat Georg Trakl)

Ich hatte gedacht unsere Verbindung enger sei sie.

So eng, daß wir in der Lage wären Sieg und Niederlage zu teilen.

Mit diesen Gedanken erwachte ich.

Mir träumte ich läge im Meer,

warm. Das Meer zog sich langsam

zurück. Ebbe und legte

frei gigantische Felsformationen. Scharfkantig,

bewohnt von giftigen Seeigeln.

Noch vor Stunden schwammen und

Tollten wir arglos über diesen

Abgründen. Ich griff nach einem Buch,

um wieder in den Schlaf zu finden,

zu einer Zeit, in der sie

wahrscheinlich erst zu Bett geht.

Ich las von der Versuchung

Bei halben Wahrheiten stehenzubleiben,

daß wir meist jene mißbrauchen,

die uns am meisten lieben,

vom Verlangen sich stets einen

schmalen Ausschlupf offenzuhalten,

um nicht vor der Scham eines Geständnisses

zu kapitulieren, seine „kleinen

ergötzlichen Lügen“ zu hätscheln

und um jeglicher Pein einer

Konsequenz zu entgehen sich den

„angenehmen Irrtum“ zu erlauben,

Kurzum den Qualen und Zumutungen

Einer kompletteren Wahrheit auszuweichen.

Ohnmacht klumpte sich zusammen in mir.

Der Schlaf rannte davon mit wedeldem Arm‘.

Ich versuchte ihm zu folgen in sinnloser Raserei,

sprang auf, eilte ins Bad und bohrte meine

Faust in den Spiegel.

Splitter für Splitter zog ich aus

Meiner blutenden Hand das

Reine Lamm, welches sie war in mir.

Ein Geschirrtuch befleckt mit geronnen Blut

umwickelt meine Erinnerung

und mit zufallenden Lidern

lege ich mich in die dahinschmelzende

Wahrheit Schnee.

„Wir tun uns selber und einander weh.

Aber wir sollten es dann wenigstens ehrlich meinen!“,

rief mir das Buch noch hinterher.

Ich wolle es versuchen, antwortete ich noch.

Aus der Nacht kein Echo.

Wie eine Drohne blickte ich hinab auf das Gewusel Welt

Und es schauderte mich vor der

Kalten, eisklaren, nüchternen

Objektivität, diesem brüllenden Ausdruck

Einer Hoffnungslosigkeit

Dann machte ich mich auf den Weg.

Wohin weiß ich nicht.

Oder nicht mehr.

Vielleicht noch nicht.

Ich lief in die untergehende Sonne.

Ich würde mich erst wieder umdrehen,

wenn ich mir vergeben konnte.

Dann wurde aus dem Westen der Osten

Und ich lief auf sie zu.

Langsam, sehr langsam.

Hinein in ihr Schweigen.

(gießen / im januar 2022)

*

„Und das es so gewöhnlich ist, daß man es nur bemerkt, wenn es einen selber trifft, doch dann mitten ins Herz.“ (Franz Fühmann)

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Eine Sprache der Liebe suchend

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eine sprache der liebe

ausufernd

sich selbst genug

eine sprache der liebe fordernd

den eigenen atem abschnürend

eine sprache der liebe

die alles auf eine zahl setzt

die die freiheit fordert

aufzugeben alles

für ein bloßes versprechen

*

hilflos sitzen wir

vor dem eigenen verstummen

den stammelversuchen zu erklären

diese sprache

greifen in die regale und halten

in den händen ratgeber wohlfeile

stellvertretersprache

*

In fremden räumen

die ich mein eigen nannte

saß ich

füllte die luft

mit meinem verlangen

das ich hatte gesammelt

in jener fremde

die ich niemals wieder fand

tanzend um die eigene achse

derwisch

*

papierschiffchen gefaltet

die lippen gespitzt

der föhn fällt knarzend auf den see

die haare kräuseln sich

gegen die wellen

ein zärtliches fingerschnipsen

da lang

hinaus dein kurs

noch winke ich ihm nach

dem schiffchen wohlgesinnt

dann verschwindet es

hinter der erdkrümmung

in den gelben seiten blättere ich

bestattungsunternehmen

liebestod

flache steine flitschen über das wasser

*

(gießen / im januar 2022 / nachts )

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Ein Teil der Heimkehr

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Der pirat ging an land

Fluchend schmiß er sein glasauge

An die wand

Spuckte in sein glas rum

Schnallte sein holzbein ab

Spaltete es mit seinem krummsäbel

Entfachte damit ein herdfeuer

Und kochte im kupferkessel

Offene flamme

Seine alten hoffnungen aus

Verschlang die brühe

Und pisste sie am nächsten morgen

In die schäumende see

Das meer würde er fortan meiden

Das war ihm klar

(gießen / 10. Jan. 2022 / quantum)

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„Ich glaube, daß wir alle ein Ich haben, einen Charakter, an dem wir nichts ändern können (außer Lügen darüber zu verbreiten)“

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Ich schrieb unten schon von Rückkehr. Die Rückkehr von einer Reise in eine Gegend, von deren Existenz man nichts mehr ahnte, man diese Ländereien auch nie mehr betreten wollte. Die Reise war eine schmerzhafte, aber sie hinterließ einiges an Worten.

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für oder über / wer weiß das schon

gib mir meine kugeln zurück

sie haben dich zu boden gestreckt

gib mir meine kugeln zurück

ich will es nicht gewesen sein

ich weise die schuld von mir

gib mir meine kugeln zurück

der lauf ist noch warm

aus dem ich schoß

der lauf der auf dich gerichtet

war

gib mir meine kugeln zurück

da ich zu feige bin gegen mich

zu richten

das gewehr

gib mir meine kugeln zurück

und du wirst aufstehen und

grinsend an mir vorbei

schreiten

in jenes vergangene leben

welches uns entglitt

gib mir meine kugeln zurück

gott spielen wollte ich nicht

wenn dann gott sein

gib mir meine kugeln zurück

und ich werde mein gewehr

niederlegen dort an der biegung

des flußes wo ich mein herz

vergrub vor langer zeit

die erde darüber bepflanzen

mit rankendem gestrüpp

duftend

von bienenschwärmen umsummt

gib mir meine kugeln zurück

und ich sterbe an deiner statt

(Im ICE nach HH am 28.12.21)

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Als ich dies schrieb im Speisewagen, viel zu frühen Wein trinkend, schien draußen, irgendwo zwischen Göttingen und Hannover, die Sonne und es regnete gleichzeitig. Las heute morgen bei Richard Ford in seinem vor allem für ältere Herren sehr empfehlenswerten Buch „Frank“, daß ein solches Wetter bedeutete, daß der Teufel gerade seine Frau schlage. Soweit ich mich erinnere, gab es keinen das Unheil auflösenden Regenbogen. Die Überschrift ist ebenso ein Zitat aus jenem Buch, welches ich, wieder zu Hause, mit Erkenntnisfreude lese.

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Kälte, Nebel; geliebter Norden / Anfangen? Oder: Aufhören? (Franz Fühmann)

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Obige Worte sind die letzten von Franz Fühmanns Reisetagebuch „Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens“. Eine Reise zu einem Schriftstellerkongreß in Ungarn, die zu einer Reflexion wird, geführt in faszinierender Offenheit, eine Reflexion über das eigene Schaffen und Wirken, eine Reise in die finstere Ursprünge der beiden deutschen Staaten, die aber nie mit dem Zeigefinger auf andere weist, sondern immer die eigene Verstrickung, die eigene Schuld sucht und dann auch sehr schmerzhaft findet.

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Franz Fühmann wäre heute 100 Jahre geworden. Ein Dichter, der mir immer wichtig war. Ich hatte in diesem Blog schon darüber geschrieben.

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Hier einige wunderbare Beiträge anläßlich seines Geburtstages auf den Seiten von mdr Kultur. Ich empfehle wie der Autor selbst aus den „22 Tagen“ liest. Und das Märchen auch.

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Seinen Grabstein oben fotographierte ich an einem gnadenlos heißen Julitag im Sommer 2014 und hinterließ einen Zweig.

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„Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie!“ (Herbert Achternbusch)

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Rückkehr in meinen Blog. War lange weg. War ziemlich weg. War weit weg. Langsam kehre ich zurück. Davon später mehr. Jetzt – das häuft sich ja mit der Sterberei in letzter Zeit – der Tod als Anlaß des Wiedereinstiegs. Herbert Achterbusch ist verstorben.

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Das war eine Art von Erweckungserlebnis, als ich mit einem guten Freund – weiß nicht mehr genau wer es war – im größten Kino von Konschtanz 1977 oder so „Die Atlantikschwimmer“ von Herbert Achternbusch anschaute. Nicht nur wegen obigen Spruchs, den man inzwischen sogar auf Kaffeebechern und T – Shirts lesen darf, leider meist ohne das kleine Wörtchen „zwar“. Kurz darauf schaffte ich mir die ersten drei Bände der gesammelten Werke von Herbert Achternbusch an. Gab es damals bei Bertelsmann. War Deutschland gar mal eine Kulturnation?

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So kündet der Autor und Regisseur und Darsteller den Film im Inhaltsverzeichnis (!!!) von Band 3 an:

Die Atlantikschwimmer

Zwei Freunde sind allgemein lebensmüde. Sie trösten sich im Tierpark, sie trösten sich im Gasthaus. Da geht es um Liebe, Macht und Geld. Als Heinz das Gewehr auf die Brust gesetzt wird, fällt ihm das Kaufhaus Mixvix ein, daß mit 100000 Mark Schwimmer und Nichtschwimmer zur Atlantiküberquerung lockt. Herbert, Bademeister, bringt seinem Freund, der Briefträger ist, das Schwimmen bei. Eine Schwimmlehrerin schaltet sich ein, die eine große Ähnlichkeit mit Herberts verstorbener Mutter hat. Als sie bei Heinz‘ Atlantikstart Herbert darauf aufmerksam macht (sie trägt ein Kleid seiner Mutter), daß er einen zweiten Schuh seiner Mutter nie mehr finden wird, dreht er durch, wird aus Muttersehnsucht Atlantikschwimmer und gibt von nun an seltsame Gedichtchen von sich, die auf Gartenerlebnisse mit der Mutter verweisen. Atlantikschwimmer werden immer zuerst in einem Binnengewässer zu Wasser gelassen. Sie stoßen auf den Angler Alois, der Heinz von früher kennt. Er hat eine mannigfache Klopapierproduktion, gewinnt Heinz zum Mitarbeiter, seine Rollen mit Herberts Gedichtchen attraktiver zu machen. Herbert, dem Wasser entzogen, zieht jetzt selber die Mutterkleider an und dichtet sich in einen Unsterblichkeitswahn. Er soll im Ausland getestet werden, auf Teneriffa. Er überlebt den Sprung aus einem fahrenden Auto, will aber von diesen beiden Freunden nicht mehr wissen und strebt dem Atlantik zu, findet einen betrunkenen Verehrer, den er zur Nachahmung ermuntert: „Du hast zwar keine Chance, aber nutze sie!“ und schwimmt hinaus. Das letzte Bild: in der Wasserwüste sein kleiner Kopf.

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Ein sehr schönes Zitat noch von Achternbusch: „Die Zärtlichkeit muß so groß sein wie ein Elefant, sonst nehme ich sie gar nicht an!“ Und nun auf zur Querung des Atlantiks.

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