„Wenn das Herz denken könnte, stünde es still!“ (aus Sophokles / König Ödipus)

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März 2012 / Nordzypern / Oberhalb von Tatlisu / Kaputtes Kreuz vor zerstörter Kirche lehnt sich an

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Gelegentlich

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Gelegentlich mal sind wir schlauer

Gelegentlich ertragen wir die Schauer

So wütend sie auch seien

Üben wenn es geht Verzeihen

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Gelegentlich klagt man moralversauert

Da Leben stets zu lange dauert

Weil es verzichtet letzte Hoffnung zu gießen

Aber nicht auf das Elfmeterschießen

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Mit altem Freund bei frühen Promillen

Man spricht erst über seine neuesten Pillen

Bevor man sich zum Thema schleicht

Das Halbfinale wär´ erreicht

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Das Herz ein wilder Lügenwicht

Das wollt‘ ich doch und krieg es nicht

Man denkt und hadert durch die Nacht

Zeus Buddha Jahwe es wird gelacht

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Zu Hause wartet das Geschirr

Die Spüle zwinkert zu nur mir

Die Hände feucht das Wasser schäumt

Gelegentlich wird nichts versäumt

Gelegentlich

Ich deck‘ den Tisch

Und denk an Dich

Gelegentlich

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(gießen heute / lob gelegentlich auch mal alten verwirrungen / selbst wenn die einen großen sinnlosen haufen geld kosteten und vielleicht noch tun es / bvb im halbfinale / nicht schlecht / fußball macht mal wieder freude dieser tage / das erste gemüse wird angezüchtet / mal zu kalt / mal zu warm / aprilleben rules ok)

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„Ich guck einfach so lange in den Spiegel, bis ich mir mein Leben glaube!“ (Alexander Scheer in Gundermann)

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München / Juni 2016 / Foto: A. Haas

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Lebensflüsse

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Meine Wege waren oft meine Marotten

Keine Wege jedoch und keine Straßen mit Ziel

An deren Rändern lediglich den Daumen rausgestreckt

Und eingestiegen die Wegweiser nicht lesend

Selten wahrgenommen das Gesicht der Piloten

Bewegung nur Bewegung einfordernd

Den Pistolenlauf Vergangenheit im Rücken

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Hastig Genossin haben wir versucht

Den Genuss

Die Strassen rollten unter unseren Füßen rückwärts

Auf der Suche nach dem Ufer des nächsten Flusses

Um dort zu verweilen

Und der Bewegung zuzusehen

Die uns durch die Finger rinnt

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So viel

So wenig

Nie genug

Strudelte das Wasser ins Meer

Die verheißungsvollen Strassen blieben uns

Sanduhren niemals umgedreht

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(gießen heute / kalter wind bricht das genick des absurden vorsommers der letzten tage / morgen dann nochmal der verschwundene text von gestern)

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„Das gehört dann wohl zum Leben dazu!“ (Sagte Wolfgang Schäuble zu seinem Verleger 2 Tage vor seinem Tod)

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„Altes Haus“ / Sami / Kefalonia / Juni 2023

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Du bist es (Rio Reiser)

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Du bist der Sturm, der Drang, die Enge

Der Donner und die letzte Flut

Du bist der Neid, der Suff, die Menge

Das Wunder und das ruhige Blut

Du bist das Meer, der Wind, die Stille

Die Trauer und mein Untergang

Du bist der Schmerz, das Herz, der Wille

Das Ende und sein Neuanfang

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Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

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Du bist die Angst, die Scham, die Reue

Der Jammer und die nackte Not

Du bist der Hass, die Wut, die Treue

Die Sterne und das Morgenrot

Du bist der Zorn, der Stolz, das Ende

Der Hammer und der Schlag ans Kinn

Du bist der Tritt, der Spaß, die Hände

Das Reden und sein Widersinn

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Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

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Du bist die Sucht, der Müll, die Tonne

Die Hölle und der Pferdefuß

Du bist die Nacht, das Eis, die Sonne

Die Rose und der Abschiedskuss

Du bist der Geist, das Fleisch, das Schlaue

Der Teufel und das ewige Licht

Du bist das Nichts, die Schrift, das Blaue

Der Engel und das As, das sticht

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Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter durch das All

Und du rollst mit der Sonne

Dem Mond und den Sternen

Weiter

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(vor kurzem wegen zweier sehr schöner radioreportagen wieder an meister rio erinnert worden / mit und ohne scherben / mein alter genosse der gesinnung und mancher selbstverbrennung / war meine erfüllendste arbeit / maßlose dezenz / dezente maßlosigkeit / gerne mal durch die wand)

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„Mach mal das grosse Licht an!“ (Wie Torsten Sträter seine Mutter zitiert)

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Hamburg / Hafenkneipe / September 2021

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Dimmergedanken

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Es muss doch einfach möglich sein

Wenn das Wünschen

Es muss doch einfach möglich

Mach das grosse Licht bitte aus

Wenn ich versuche mich zu erinnern

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Es muss doch gestern möglich sein werden

Wenn die Wünsche einfrieren

Und wir vergessen könnten

Wo ist der Lichtschalter

Freundliches Zwielicht

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Es muss doch morgen möglich gewesen sein

Ohne Selbstvergewisserung

Es muß doch einfach nur

Möglich

Werden gestern

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(gießen heute / hübsche fotos von macrons bizeps allenthalben / hau den lukas für eitle / morgen wird nagelsmann dessen bodentruppen besiegen wollen / darf deutschland weiterkiffen / das gesetz wird wohl gelagert werden müssen / da wir über keine tiefkühltruhe verfügen in unserem bescheidenen haushalt wird es schwierig / vor allem mit dem einfrieren von dem und diesem und den kriegen / osterlämmer muss man eh frisch verbraten / goethe – the show must go on – auf dem sterbebett fordert mehr licht / weniger vielleicht / dunkel wird es von allein)

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„Ich benehme mich ganz natürlich, ich sage nur, was ich denke, und tue, was ich sage. Das ist so normal, dass es andere anormal finden.“ (B. Reimann)

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Türkei / Nordzypern / Tatlisu / Main Street / März 2012

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Die Schildkröte und die Aprikosen

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Ein Mädchen saß am Hafen

Und blickte auf den Kai

Die Liebe tat noch schlafen

Sie käme dann vorbei

Jedoch gewiss nicht morgen

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Am Rand des Hafens ein leeres Cafè

Im Herz der Maid geschmolz’ner Schnee

Gebrüll und manches Nadelöhr

Bringt sie um den Verstand

Sehr wenig Geld und massig Sorgen

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Schildkröten haben sehr viel Zeit

Und fressen gerne Löwenzahn

Ihr Smutje kocht in Panama

Und sitzt auch morgen auf dem Kahn

Vielleicht dann vor Hawaii

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Aus sieben Aprikosen

Die rochen feist wie wilde Rosen

Braut‘ er für sie Schnaps

Und lässt die Buddel schwimmen

Sie wird bewacht von einem Hai

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Die Flaschenpost trotz hoher Wellen

Schwamm pflichtbewusst trotz mancher Dellen

Fernes Ufer fand sie nicht

Die Ebbe stark der Hai zu schwach

Der Smutje musste kochen die Maid sie blieb wach

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Der alte Betreiber des Cafès am Hafen

Hat lang schon aufgehört zu schlafen

Er seit Jahren heiß begehrt die Maid

Und in rechter Hand den Tee

Und links ein Kilo neuen Schnee

Trat er an ihren Tisch

Das wollt sie nich‘

Ich hatte eigentlich

Was anderes

Bestellt

Sie spricht

Ganz ohne Reim

Doch klar

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Ein Taxi bremst

Der Fahrer winkt

Die Maid von ihrem Hochsitz sinkt

Hinaus noch heute

In die Welt

Ab morgen wird es teurer

Immerhin ein Minicar

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Man fand vor Pellworm einen Hai

Gefüllt mit Aprikosen

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(fundstück / nordseestrand / buddelschiff / wo? / zwischen einst und gestern)

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„Es sind die Zeiten nicht zum Schlafen da!“ (Dieter „Maschine“ Birr)

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Damals als der Schlaf überraschend heftig nach uns gegriffen hatte im sehr warmen Frühling 2020

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Zeiten und Weiten

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Frage mich nicht

Meine Hand neben ihrem Knie

Was ich heute besser wüsste

Da ich wieder so handelte

Wie vor Deiner Frage

Wo steht unser Geräteschuppen

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Sperrstunde

Den Zapfenstreich mitträllernd

Den Rechen hinter mir herziehend

Wo nochmal war die Weitsprunggrube

Was klopfte der Specht

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In der Art eines Zen-Meisters

Rechte ich den Sand

Und grub aus den Absprungbalken

Man darf übertreten

Oder schreibt man

Ich rächte sich

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(gießen heute / vor vier jahren der erste lockdown / man nahm es gelassen / fast schon erfreut / christian streich hört bald auf / was für eine absurde nachricht / obwohl vorhersehbar / wann stirbt dylan / wann aber endlich lese ich davon, daß man wladimir trump kein staatsbegräbnis zugesteht / morgen mehr zur maschine die heute 80 und rostock / und oben am revers sogar noch der pin der deutsch-russischen freundschaft / weiterhin rund um die verluste rumtippen)

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„Da sind wir nun und leben im Abspann am Ende des Filmes.“ (Sheila Heiti)

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Wolziger See / Wolzig / Wolziger Hauptstrasse / Brandenburg / Juli 2014

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In den Sonnenuntergang reiten

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Nun da wir feststellen müssen

Blumenblätter zupfend

Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich

Was uns täglich verlässt

Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich

Weil es uns verlassen muss

Es liebt mich es liebt mich nicht es liebt mich

Sind wir die Ersten und Lautesten

An den Rändern der ausgehobenen Gräber

Die beklagen was zu unseren kalten Füßen nun ruhen mag

Da wir einst den Tod wünschten verächtlich

Wissend wie wir stets glaubten

Den müden Leichnamen dort unten

Nun aber klopfen wir uns hagestolz an die Brust

Wir wären die ersten Zeugen einer Apokalypse

Häschen in der Grube

Am Ende der Welten

Heute den Kaffee ausnahmsweise mit Zucker

Drei Teelöffel

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(gießen heute / über verluste lesen weiter / gar nicht mal vom tod / die etlichen verluste legen sich übereinander wie zwanzig tortenböden / während man den letzten, den obersten zu verschlingen sucht, stößt einem der unterste auf / schon wieder? / wäre die frage / sodbrennen des schicksals? / wäre eine antwort)

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„Ich kann niemanden, der einmal tief in meinem Herzen war, hassen! Warum auch? Keine Zeit dafür!“ (Erika Pluhar)

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Aachen / Oktober 2023

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Der Schauspieler

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Es hatte geregnet und es war neblig und strenger Frost

Und die Sonne schien als die Türe ins Schloss

Gefallen tu mir bitte einen Gefallen

Umschluss heute nicht

Die Zellentüre stand offen gen Flucht

Ohne Verzicht

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Zur Feier dieses Tages

Wankte er ins vorläufige Hotelzimmer

Handschuhe und Lesebrille vergessen

Unterwegs und der Brustkorb

Eng und enger durch diese hohle Gasse wird

Sie

Nicht mehr kommen geschweige denn

Aber Schweigen

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Heimkehr unter alte Decken

Der Kühlschrank steht offen leer

Draußen rumpeln Müllfahrer ihre Weckrufe ins Morgengrau

Freudig frustriert

An seiner Seite die welche tiefer schläft

Unter dem Kopfkissen

Seine Pistolen

Angedacht

Ständig müd‘

Nie erschöpft seine Gefallsucht

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(giessener varianten verschiedener positionen / heute und gestern schon scheint die sonne / frühe narzissen / vielleicht zu früh / reimen als selfie / tuchel trägt heute einen spezialschuh / kann mann machen / nach dem zeh bricht das herz)

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