“It’s a sad and beautiful world.” (Zack)

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An der Lahn bei Naunheim / Lockdown / Mai 2020

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Im Jahre 1986 fiel im Gefolge von Jim Jarmushs “Down by law” Tom Waits, mit gehöriger Verzögerung, auch in Deutschland in die geneigten Ohren. Zu dieser Zeit pendelte ich zwischen Köln, Düsseldorf, St. Gallen, Münster und Basel jungschauspielernd. Viele Nächte in stets pünktlichen Zügen verdöst. Und egal wo ich ausstieg, in den Wohnungen oder Kneipen, lief die 80er Jahre Trilogie Swordfishtrombones, Rain Dogs und Frank Wild Years in Heavy Rotation. Und überall erzählte man sich die Mär vom trinkenden, einsamen Streuner aus LA. Dabei hatte der 1980 seine Frau Kathleen Brennan kennengelernt und den Whiskey in die Ecke gestellt. The Piano wasn’t drinking anymore.

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In Köln aber feiert bis 1993 Gerd Köster und das Klavier dat immer noch jesoffe hätt, den Barden mit dem kleinen Hut. Der kleine Hut blieb mir irgendwann.

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Die Welt war traurig und wunderschön. Damals. Schon immer. Und blieb sie auch dann fürderhin. Mal so oder eben so.

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 Roberto: It is a sad and beautiful world!

 Zack: Yeah, it’s a sad and beautiful world, pal. Eh, buzz off.

 Roberto: Ah, thank you! Buzz off-a to you, too.

 Zack: Buzz off!

Roberto: Ah, buzz off. Buzz off? Buzz off? It’s – it’s a sad and beautiful world. Buzz off. [writes it  down in a pocket notebook]

Roberto: Buzz – off. Good evening, buzz off to everybody. Oh, thank you. Buzz off to you too. Oh, it’s a pleasure. Thank you.

 Zack: [takes a swig of beer, starts singing] O-we, now, now, it’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world …

(Dialog / Down by law / Roberto Benigni / Tom Waits)

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Heute wird er 75 Jahre alt der Mann, den ich in den letzten Jahren etwas aus den Augen und Ohren verloren habe. Bereiten wir ihm zu Ehren einen Hasen zu. An den alten Lagerfeuern. And then we all scream-a for icecream-a.

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„Ich hoffe bloß, ich lerne jemanden kennen, der mich so liebt, wie ich sein möchte!“ (Sven Glückspilz zu Hägar)

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Fahrweg / Ehemalige Grenze zwischen der DDR und Tschechien / Juni 2020

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Das ist ein Nachruf. Sentimental. Früher und von dem noch früherem Früher schreibend. Voller nebliger – oder sagt man nebulöser ? – Erinnerungen. Inklusive noch heute spürbar entspannter Kopfschmerzen.

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Las gestern die Todesanzeige von Carmelo Parise, dem unvergessenen Padrone des Burghof zu Gießen. Auf dem Weg ins Trübe fallen links und rechts tagtäglich die alten Haltepunkte, Anker und Kurzzeitheimaten in den Orkus. Unvermeidlich. Nicht darüber jammern. Davon erzählen.

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2001 kam ich nach Gießen. Eine fürchterlich zermürbende Trennung zwischen Köln, Mainz und Wiesbaden war der Anlaß. Ich saß in Mainz in einem Nachtlokal mit dem designierten Schauspielchef des hiesigen Stadttheaters. Getränke. Viele. Willst Du mit nach Gießen? Kann ich mit nach Gießen? Weiß nicht mehr. Was tun? Ich stieg kurz darauf hier aus dem Zug, gespaltenes Herzelein, sprach noch was vor, pro forma und ging dann in den Wienerwald ein paar Häuser weiter! Verträge wurden gemacht. Wochen später saß ich Rotz und Wasser heulend im Botanischen Garten. Pures Entsetzen in solch einem auf mehreren Ebenen wüst verwüsteten Ort landen zu müssen. Ich rief die Gegangene an und brüllte entgrenzt ins besoffene Telefon: „Du bist schuld, daß ich jetzt ein Hesse bin!“ Dann machte ich über Jahre hinweg meinen Frieden. Gelang mir gar. Gelegentlich.

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Der Friedensstifter der ersten Stunden und Monate war der Burghof. Endlich Probenende. Nur die Schulstrasse, in der ich eben auch eine Wohnung bezogen hatte, überqueren. Buena sera. Und dann bis drei Uhr morgens gerne. Auch wenn um 10 Uhr am nächsten Morgen die Probebühne rief. War nicht weiter schlimm, da meist das halbe bis vollständige Ensemble plus Regie, Chef und anderen Abteilungen zugegen war. Hart im Nehmen gegen sich selbst. Wüste Diskussionen. Herrlich sinnfreie Dispute. Beleidigte Bühnenwürste. Pathos. Tränen. Ich reise ab. Ganz schlechte Witze. Die letzte Schnapsrunde des ältesten Kollegen. Pflichtprogramm. Padrone Parise aus den Rippen geleiert. Donna Filomena senkte dann den Daumen. Ich weiß, sentimentaler Scheiß, war aber ab und an so. Genauso.

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Eines der ersten Erlebnisse. Jener 11. September. Eine Abendprobe ist komplett unmöglich. Geschlossen in den Burghof. Unter Schock. Wir arbeiteten an einer Komödie. Der Regisseur, von dem ich einiges für meine späteren Arbeiten übernommen hatte, sagte unvergessen: „Wie kann man in solchen Zeiten Komödien inszenieren?“ Oder ein anderer Lehrmeister und Regisseur der ersten Tage unterbrach – starker Raucher – die Probe. „Ach! Wir hauen uns doch nur Binsen um die Ohren! Wechseln wir die Straßenseite!“ Das konnte dann schon auch mal 12 Uhr mittags gewesen sein. Manchmal gelang es dann sogar gar im sanften Tagesdrümmeln einen Ausweg aus einer festgefahrenen Probensituation zu finden. Das alte (weiße?) Erinnerungsrauschen. Ich weiß. Aber frei von den unnötigen Seminaren.

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Es gab damals die sogenannte Feierpolizei. Ein, zwei Kollegen an vorderster Front waren meist dabei und der damalige Schauspielchef. Gelegentlich griff mich doch die Verantwortung oder die Textmenge des nächsten Tages am Schlafittchen und man stand früher auf vom Tisch oder mied gar die Überquerung der Straße. Heute nur mal! Prompt darauf: „Aha! Man schwächelt!“ Ab und an standen nach Toresschluss ein paar Hartgesottene unter meinem Balkon in der Schulstrasse. „Lugi? Ab ins Domizil!“

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Epilog. Ich mochte das Gießen von vor 23 Jahren, obwohl anfangs recht verzweifelt, lieber. Viel lieber. Weniger Schminke. Weniger Großmann- und Großfrausucht. Leerer. Einsamer. Mehr eigenen Charakter besitzend. Keine Events. Dafür Begegnungen. Und am Sonntag die leeren Strassen. Dann blätterte ich die Seiten vor der Todesanzeige um. Lese Zeitungen gerne von hinten her. Aha? Ein Professor der THM – eine Zeitlang mein Nachbar – will Gießen beleben. Da gehe doch noch was. Ja wo laufen sie denn? Weia!

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Mille Grazie Carmelo Parise! Sincere condoglianze, cara Donna Filomena!

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Dr Prinz säät Tschö, ävver he iss nit fott! Oder warum Poldi nach Gießen kütt!

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Eine mystische Begegnung unlängst in der Schulstrasse zu Gießen / 10. Oktober 2024

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Da lief ich also dieser Tage die Schulstrasse runter, die Straße in der ich meine erste Wohnung hier bezogen hatte. Und dr Prinz grüßte mich, jener Prinz der ordentlich Mitverantwortung dafür trägt, daß ich in dieser Stadtsimulation namens Gießen immer noch lebe. Jetzt kütt er also mal vorbei nach bald zwanzig Jahren. Will er nach dem Rechten schauen?

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Remember the legendary Summer of TwoOOSix! Er startete durch mit einem verzweifelten Flankenlauf eines der ersten stärker pigmentierten Nationalkicker und ein Schweizer rettete daraufhin die nächsten Wochen und Polen hatte mal wieder verloren. Es war der 14. Juni, der Geburtstag meiner jetzigen Gattin, was ich damals natürlich noch nicht wußte, da ich mich eben über eine ausgelassene polnische Chance laut geärgert hatte und der Nebentisch mich als – dies ist nicht gelogen – „Vaterlandsverräter“ beschimpfte. Ab diesen Abend wurde schwarzrotgold aufgewimpelt. Schland ward wieder auferstanden. Die AfD noch nicht gegründet.

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Ich wußte in den überhitzten Tagen nur: ich mußte das Stadttheater Gießen verlassen. Ich war Ensemblesprecher gewesen, Großmaul und unbequem. Das ist in DDR-affinen Gebilden, auch wenn sie von einer Dame aus der Schweiz geleitet werden, nicht gerne gesehen. Ich spielte meine letzten Vorstellungen. Im Menschenfeind war ich so eine Art von Molierepunk. Szenenappläuse. Abgänge abfeiern. Und WM gucken. Dann Bier trinken.

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Am 24.6. – dies wiederum der Geburtstag meiner Mutter – saß ich früh nachmittags u.a. mit meiner wunderbaren Kollegin Petra Soltau und der gesamten Abteilung Tanz im Türmchen. 30 Grad. Am Nebentisch oberkörperfreie Engländer. Verbrüderungsszenen. Petra ist mit einem Briten verheiratet. Keine 15 Minuten gekickt und unser aller Prinz hat den Schweden zwei Hütten ins Billy-Regal genagelt. Euphorie. Die Engländer immer freigiebiger und die Hirne wurden angenehm weich. Abpfiff. Vor dem Lokal hockte der Polsterer des Stadttheaters, neben ihm eine Frau. Eine wunderbare Frau. Abtasten. Vage Verabredungen. Ich mußte nochmal ins Theater. Danach mit ihr in einer anderen Kneipe Fußball geguckt. Mexiko gegen Argentinien. Der Rest ist Geschichte und seit jenem Tag auch Alltag.

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Kurzer Einschub in Sachen zweite Karriere nach der Pöhlerei. Zahnleiste Kloppo? Der düst und düst jetzt im Brauseschritt und kann fliegen. Nun gut.

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Zurück. Dr Prinz iss also Schuld. Jetzt will er irgendwann in der Schulstrasse Schabefleisch verkaufen lassen. Genau das hat der Kulturmetropole ja noch gefehlt. Mehr Döner macht Gießen noch schöner. Die Stadtreinigung bleibt weiter heiter. Ich freue mich, daß er kütt: Dr Prinz. Statt der Zahnleiste.

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Der Sohn unserer Nachbarn heißt Leopold. Ein kleines, charmantes, aber kokettes Monster, der seine Mutter am Nasenring durch seine Kindheit führt. Sie ruft ihn gerne Poldi. Ich mag den Bengel. Noch enne Prinz he.

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Heute Abend verabschiedet sich dr Prinz von Kölle um zurückzukehren.

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PS: Dieser Beitrag wurde nicht unter der Mitwirkung von KI erstellt. Es war ein Lauffener Schwarzriesling. Morgen werde ich ein 68er. Die Contenance schläft.

„Ich bin nur ’n armer Hund, aber bin ich wirklich von der Leine los?“ (‚Gundi‘)

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Irgendwo in Thüringen / Früh los in den Nebel hinein / Später Sonne / 9. Oktober 2021

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Und Lots Weib drückte die Taste FORWARD

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Und da die einen den Hals verdreht

Auf der alten Schaukel schwingen zurück

Höher das geht doch noch höher

Angefeuert und unterlegt mit einem Beat aus dem geplünderten

Plattenschrank älterer Geschwister

Und jetzt spring spring doch du du

Feigling ist mancher vor jeglicher Zuversicht

Das unendbare Kobaltblau jenes einen Sommers

Beschreien wollend

Dem ewigen Pflaumenbaum nachschmecken

Unter dem der eingeschlafene Hund jaulend den Blues

Halte mich noch einmal so

Wie du mich niemals

Aber ich es doch erinnere

Da dann holt Lots Weib

Eine erfahrene Braut etlicher Sehnsüchte

Ihren Kassettenrekorder aus der Umhängetasche

Den sie unablässig besprochen von den Stunden einst

In Sodom und Gomera

Und drückte fast entschlossen

Die Taste VORWÄRTS

Geht ab

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(gießen / heute / es regnet und regnet und regnet / erkältet / nachsinnen / gefährdete tage sind solche tage / in den gassen trifft man auf die klageweiber)

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„Das Gesicht eines Menschen lügt nicht; es ist die einzige Landkarte, auf der alle Regionen verzeichnet sind, die wir einmal bewohnt haben.“ (Luis Sepúlveda)

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Konstanz / Im März 2022

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In den letzten Tagen konnte man relativ gehaltvoll in die Glotze gucken. Herrhausen. Kati Witt. Auf Wiedersehen, Genosse Lenin. Und. Und. Und.

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Beeindruckend aber und selten solch eine Qualität gesehen in diesen Tagen: die Verfilmung von Christian Barons Roman „Ein Mann seiner Klasse“.

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Ich durfte Christian Baron vor zwei Jahren kurz kennenlernen. Ich hatte, kurzzeitig Lokalbetrachter, über seine Lesung zu berichten. Danach ein Bier getrunken in geselliger Runde. Später hier im Blog noch was nachbereitet.

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Man versieht Filme heute gerne öfters mit „Triggerwarnungen“. Eine Retraumatisierung scheint ständig ‚ante portas‘ zu lauern. Loriot? ‚Pappa‘?

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Vergleiche sind vermintes Gelände. Dennoch: In diesem Film gab es Momente, die mir, da in meinem Vater ebenso ungezählte Dämonen tobten, zwischen die Rippen fuhren. Messer. Würgen. Schläge. Schreie. Ohnmacht. Wie damit umgehen? Am nächsten Tag spazieren gehen. Drüber reden. Ohne Dramatisierung. Ohne Vergessen. Mit Mitgefühl. Es gab sie eben auch, die guten Tage. Welche Waagschale gewinnt? Es geht nicht um einen Sieg.

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Noch gewichtiger aber die anschließende Doku, welche davon berichtet, wie Baron seine alte Heimat wieder besucht. Heißer Sommer. Kein Fritz-Walter-Wetter. In seinen Händen hält er ein Tablet und sieht sich vor laufender Kamera Szenen aus der Verfilmung seiner Erinnerungen an. Messer. Würgen. Schläge. Schreie. Ohnmacht. Wie damit umgehen? Und sein Gesicht ist nicht nur eine Landkarte, sondern ein Atlas. Danke dafür.

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Man kann von Dingen schreiben. Man kann davon lesen. Wenn man daraus laufende Bilder baut oder bauen lässt, die Geschichten sichtbar werden: einige Erinnerungstonnen mehr. Deshalb – kurze Rückkehr in den eigenen Bauchnabel – ist der Zustand des Regisseurs nach Premieren stets prekär.

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Ich Prolet! Du Prolet! Aus dem Ehrentitel wurde irgendwann eine Beschimpfung. Der überdrehte Stolz von Barons Vater, als er der Familie geschenkte Lebensmittel vom Teller seiner Kinder in die Mülltonne schiebt, das ist die schlimmste Erinnerung. Der schreckliche, der so ohnmächtige Stolz. Da ist mir mein hilflos lauter Vater am lautesten erschienen. Ich wiederhole mich. Vergleiche sind vermintes Gelände. Grab. Kein Grabstein.

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Fremde Ohnmacht. Eigene Ohnmacht. Ohnmacht nicht weiterreichen.

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„The hollow horn plays wasted words, proves to warn, that he not busy being born is busy dying.“ (Bob Dylan)

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Doppelter Bob / „True Dylan“ von Sam Shepard / Inszenierung im Herbst 2013 / TiL Gießen

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Heute Nacht war ich mal bewusst wach. Sonst gerne meistens ungefragt. Das ist anstrengend, aber halt das Alter und seine schmerzlichen Rechnungen. Ich schaute TV. Das Duell der Vizekandidaten überm Teich. Und gleichzeitig war Jimmy Carter 100 Jahre alt geworden. Ein Grund ein bisserl in die Tasten zu seufzen und im eigenen Bauchnabel rumzupuhlen.

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Einen sehr großen Teil des Jahres 1979 verbrachte ich in den Staaten. Zwei Monate Schauspielschule. Woyzeck über dem Teich. Schrieb unlängst davon. Vieles von dem, was seit etlichen Jahren hier auch Alltag wurde, erlebte ich dort, staunend und kopfschüttelnd, ein erstes Mal. Horden von Adipösen. Das Schimpansengrinsen hinter den Bedientresen, welches dir mit einem „Can I help you?“ ins Gesicht springt. Der inflationäre Gebrauch des Wörtchens „Ich“. Das schreckliche „You’re welcome!“ Heute: GÄRNÄ! Das Entschwinden der Fähigkeit zuzuhören. Monologe und gefletschte weißgestrahlte Zahnleisten. TV rund um die Uhr. Dauerbeschallung in gigantischen Einkaufstempeln. Die Malls, das Glück in den Regalen und Bällebad. Die Tanke ist 24/7. Man kann also Zuckersäfte und Sixpacks und dreitausendvierhundert verschiedene Chipssorten neben den Joint legen.

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Präsident war damals Jimmy Carter. Ich trampte nach der Schauspielschule zwei Monate kreuz und quer durchs Land. Unfassbar viele Begegnungen. Viel Verächtliches. „He’s just a peanutfarmer.“ Das hat ihm wohl auch der damals etwas präpotente Helmut Schmidt – „Ain’t your chancellor a communist?“ (irgendwo in den Südstaaten) – vermittelt, der natürlich wusste wie die Welt funktioniert. Und die Wirtschaft. Also die Welt. Einst.

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In den Tagen meines Hitchhikens schlief ich unten Brücken, in Wäldern, auf Baustellen oder einfach gar nicht. Wurde eingeladen in Villen, Hütten, Mobile homes und miese Motels inklusive Belästigung. Der Dollar war innerhalb weniger Jahre vom Wechselkurs rund um die 4 DM auf 1,80 runtergeschlittert. Die Amis nagten ihre Knochen Vietnam und Watergate ab. Alkohol, Gas (Benzin) und Weed kosteten wenig bis nichts. Jahre später, der Nachfolger des unsäglichen Nixon war – der gute alte immer stets hysterische Unruhestifter Iran wollte die Geiseln nicht freigeben – vom noch unsäglicherem Cowboypräsident und Zweittarzan benachfolgt worden – las ich von Carters musikalischen Lieben. Es war eine gute Zeit. Die Krise.

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Bob Dylan war mir damals eher fern. Allman Brothers. Johnny Winter. Ich suchte das Blut der Indianer auf den Highways klebend in memoriam Jim Morrison. Jack Keroucs lange Strassen waren aber lediglich nur noch eine postpubertäre Behauptung. Aber in Ferlinghettis Buchladen im Northend hauchte mich ein paar Stunden eine Ahnung an. Von der Ekstase. Es war vielleicht die beste Zeit. Die sich geflissentlich widersprechende Illusion.

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Die Menschheit schreit dieser Tage immer schneller, lauter auf. Das Vernichten des Gegenüber scheint wieder Spaß zu machen. Carter ließ sich von Andy Warhol porträtieren. Viele Farben in einem Gesicht sind möglich.

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Letzte Nacht? Ein Gescheitle gegen einen Teddybären. Zwei Werbetafeln. Etikettenschwindel. Who cares? Sollte ich demnächst wiedergeboren werden müssen, dann bitte als Erdnussfarmer. Oder blöd ginsender Jack.

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„Wir klemmen die Zeiger fest / Heiner Kondschak ist gestern gestorben“

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Liebe Randgruppen-Gemeinde, Wegbegleiter und aufmerksame Beobachter,

wir konnten es nicht fassen, als wir letzte Nacht die Nachricht über seinem Tod infolge eines Herzinfarktes von seiner Frau Anne per SMS erhielten. Noch letzte Woche waren wir am 6. August zu seinem 69. Geburtstag bei ihm in einem kleinen Dorf in der Nähe von Tübingen zu Gast.

Am folgenden Tag haben wir gemeinsam draußen vor der großen Scheune gefrühstückt. Er viel weniger als wir. Andreas Rogge, gelegentlicher Dudelsackspieler bei der Randgruppencombo und weltweit geschätzter Pipermaker, hatte extra Bio-Brote vorbeigebracht.

Dabei haben wir auch über das letzte Konzert der Randgruppencombo im Festsaal Kreuzberg vom Dezember 2022 gesprochen und versprochen, es endlich auf 2CD eventuell plus einer möglichen DVD mit Impressionen und vielen Interviews zu veröffentlichen. Nun wird dies zu einem besonderen Vermächtnis.

Heiner, Du fehlst schon jetzt!

Die BuschFunker in Trauer

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Gestern wurde mir vom Buschfunk obige Todesanzeige zugesandt. Ohne Heiner Kondschak, den ich schon in den frühen Neunzigern am LTT in Tübingen kennenlernte als einen beeindruckenden Menschen und Musiker und und und, wären meine zwei ergiebigsten Theaterarbeiten „Rio Reiser / Kaiser von Deutschland“ sowie „Gundermanns Tankstelle der Verdammten“ so nicht möglich geworden. Heiners Name war bei Buschfunk der Türöffner schlechthin. Dafür tieftrauriger und ewiger Dank.

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Are you in the garden of eden or alone?

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Konstanzer Trichter / „Schmugglerbucht“ / Irgendwann zwischen Herbst 1978 und Winter 2024

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Wer am längsten auf der Tanzfläche bleibt! / Bist du froh und zufrieden?

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Douglas Lloyd „Doug“ Ingle ist verstorben. Da fallen die Erinnerungen aus dem Herzen wie der Regen dieser Tage aus dem Maienhimmel. Viel mehr als nur In A Gadda Da Vida. Jedoch, wer diesen Song, gerne unter Zuhilfenahme rezeptfreier Dopingmittel, die kompletten 17 Minuten auf der Tanzfläche durchhielt, gehörte zu den Geweihten. In der damaligen „Katakombe“ (kurz d‘ Kombe) gelang mir dies das eine oder andere Mal. Ausdruckstanz würde man es heutzutage nennen. Ein Mitglied der schlagenden Jungrocker, die das Tanzlokal einst beehrten, um die „Hippies“ und „Terrorischte“ ein bisserl zu erschrecken, sagte mal zu mir, ob jetzt ernst gemeint oder nicht, wieso ich nicht gleich zum Theater ginge. Habe ich ja dann gemacht. Das dauerte zwar entschieden länger als 17 Minuten, fühlte sich aber oft genau so an, wie in diesen unendlichen Minuten nach dem Drumsolo, welches wir alle auswendig buchstabieren konnten. Am End‘ war man fix und foxi.

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Das immer von großem Drama erfüllte Timbre von Doug Ingles Gesang berührte mich ab dem ersten Hören. Wie man heute so sagt: Gänsehaut. Heute noch. Vor allem wenn er vom anderen Geschlecht sang. Oder mich mit einem meiner Lieblingssongs unvermittelt anbrüllte und mich fragte, ob ich glücklich sei. Was sollte ich da antworten? Beschwerdefrei glücklich war ich nie in meinem Leben. Der geerbte Schwarze Hund lief stets neben mir kläffend. Wenn es mir besser ging, vielleicht ein paar Meter hinter mir. Schwanzwedelnd wie ein folgsamer Gatte. Es dauert Jahre, Jahrzehnte bis ich den Gefährten als Schwarzen Hund erkannte. Glück ist vielleicht die Abwesenheit von Insomnia und Schulden. Wenn ich mich glücklich gab, war ich meist zu laut, zu überdreht, zu bedröhnt, viel zu selbstbesoffen.

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1978 in Freiburg schrie das Glück nur so aus mir raus. Ich hatte eine junge, sehr junge Frau kennengelernt. Ich 21, sie 16 und schon in den Armen des Teufels H durch das Leben tanzend. Nie wieder hat mich eine „Frau“ dermaßen in der Gegend rumgeschickt. Besorg das. Färb dir die Haare. Sing nicht so. Nachts strolchte ich vor Aufregung zitternd durch Freiburg. Klaute für sie Rosen aus Vorgärten, einen Bierkasten aus dem Supermarkt, ein Fahrrad und Zigaretten überall. Und in meinen Kopf in Dauerschleife ein euphorisches Lied. Tage später schmiß ich auf ihren Wunsch Mister H ins Clo, spülte ihn runter. Wir trampten nach Amsterdam. Paris. Sie hielt den Daumen hoch. Ich mußte ins Gebüsch. Die Autos hielten ohne groß zu überlegen und sie redete mich auf den Beifahrersitz und uns so durch Deutschland, Osnabrück, Holland, Frankreich. Immer wenn es dir schlecht geht, sagte sie noch in Amsterdam, singst du vor dich hin. Sie hatte recht.

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Wieder in Freiburg, ich hatte alten Konschtanzer Freunden versprochen zu dritt nach Marokko zu hitchhiken, räumte ich etwas überhastet den Platz an ihrer Seite. Mister H freute sich nach mehrwöchiger Abwesenheit und übernahm wieder das Regiment. Ich hatte die Reiseroute geplant und ihr die Postämter einiger Halteorte aufgeschrieben. Dort könne sie im Notfall Briefe hinsenden. Poste restante. Obwohl wir auf dem Hinweg sehr langsam vorankamen, keine Post auf Nachfrage in den vereinbarten Postämtern. Es war eine seltsame Reise. Eine eigene Geschichte wert. Zurück in Freiburg. Alles klebrig. Bitter. Hast du keine Post gekriegt? Nein. Arschloch! Aber ich hab‘ doch. Fass mich nicht an. Sing mir ein Lied. Und dann fuhren wir beide ganz weit weg. Sie mit dem Teufel nach Berlin und wurde ein Stück des Berliner Untergrunds. Ich brach mein Studium der Literatur und Politik ab, ich war extra wegen uns von Konstanz nach Freiburg gewechselt, und ging wenig später auf die Schauspielschule. Erst in den USA und dann in Köln.

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Ich war dabei meine Sachen zu packen, da rief mich ein guter Freund an, bei dem ich zeitweise gemeldet war in Freiburg, er habe einen Packen Briefe entgegengenommen für mich. Briefe. Briefe die zurückgesandt. Aus Avignon. Barcelona. Malaga. Algeciras. Tanger. Marrakesch. Hilfeschreie. Malende Tintenfüllerschrift. Riesige violette Buchstabenkringel. Und nach Monaten noch waren die Reste des unvermeidlich heftigen Patschulis zu riechen, mit dem die Briefe besprüht wurden. Blieb die Luftspiegelung.

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Alle paar Jahre haben wir mal miteinander telefoniert. Aus heiterem oder düsterem Himmel. Sie sang mir ihre neuesten Lieder in den Hörer. Hielt mir – clean – inzwischen Vorträge über Nüchternheit und daß der Alkohol auch ein mieser Teufel. Fast hätte ich meine Kölner Schauspielausbildung abgebrochen und wäre gen Berlin gepilgert. Später wurde sie eine Zen-Nonne und ihr Leben ward in Teilen verfilmt. Da war ich dann schon in Gießen. Mittelhessen war nie das gewesen, was ich wollte. Aber es ist auch gut so. Geworden. Sehr sogar. Gelegentlich. Auch die nächsten langen 17 Minuten. Durchhaltern und sich dabei freuen. Lebt sie noch? Altersfragen.

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