Aus aktuellen Anlässen, auch wenn die Zielrichtung und die Definitionen von Teilhabe oder Verantwortung oder Wunschdenken dieser Tage anders ausgerichtet sein mag denn dunnemals, hier als kleine Solidaritätsadresse eines Rentners die Scherben in Ihrer wunderbaren Roh- und Direktheit. Die Qualität eines Getriebes zeigt sich erst, wenn der Sand darinnen knirschen darf. Und ein Text oder Streik ist so lang wie er ist. Inklusive Wiederholung.
In der Hoffnung die Lungen des Wolfes schwächeln heute Nacht
Lustige Schweinchen die wir waren
Recken wir die Nasen
Gen die vom Wind gepeitschten Himmel
Angekokelte Papierschnitzel rieseln auf uns nieder stets zu laut
Die geduldige Schwarte schwitzend Feuer fängt
Und wenn der Bauer die Weide betritt
Die Eimer schwenkend rechtens wie linker Arm
Das Kraftfutter immer noch überschwappt auf die fruchtbaren Äcker
Grunzend wir ihn mürrisch an:
„Machen Sie sauber! Gründlich!“
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(anläßlich franz kafka 100’sten schrieb die schriftstellerin teresa präauer in der sz angeregt durch „auf der galerie“ vom weinen ohne es zu wissen und ob so etwas gebe / denke ja / kann man sich auch ein haus aus papiertaschentüchern errichten, frage ich dann / denke ja / im deutschland dieser tage ganz gewiß / deswegen nennt man – zumindest wir boomer – das papiertaschentuch immer noch tempo / mach also hinne, schicksal)
(seltsam ist es dieser tage diesen in teilen fast schon euphorischen bericht zu lesen, da eine hoffnung nach sibirien reiste auf der suche nach erlösung vom ICH und der sehnsucht nach dem WIR / das folgende zitat auch von brigitte reimann: „man kann sich keine private welt schaffen, säuberlich getrennt von der, die uns umgibt.“/ weiß nicht mehr welche welt heute geburtstag haben könnte.)
Ein alter Reim heute zur Wiedervorlage in den Zeiten der entschwindenden Zwischentöne. Kein direkter aktueller Anlass im privaten, eher ein generelles Unwohlsein. Und dass ich manchmal unseren „ach so drögen und langweiligen“ Kanzler durchaus zu schätzen weiß. Da ist man aber im Diskurs ganz schnell mal ante portas. Mehr zweifeln. Weniger verzweifeln. Vielleicht. Gebt uns die einfache Welt zurück? Kann mich nicht an eine solche Welt erinnern. Was für ein Kraftakt, ein Leben lang so vieles zu ignorieren zu müssen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.Solange einfach nur lalalala.
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mein arschlochteil besuchte mich heut‘ nacht
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gestern nacht traf ich es mein arschlochteil gestern nacht sprach ich mit ihnen meinen dämonen streng doch stets gütig erscheinen wollend verwies ich sie an ihre angestammten plätze ich wußte gar nicht wo die sind redete ihnen ins gewissen da ich hoffte sie hätten eines doch sie grinsten mich an feist bohrten mir ihre stinkefinger in die nase und ließen mich wissen wer ich denn wäre der sich erlaube gefühlen vorschriften zu machen ich schickte sie in die verbannung sie lachten auf einem bein stünde ich nur noch dann und fiele um ohne sie wie dumm und so in ihrer begleitung könne ich wenigstens noch vorwärts humpeln
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als ich in den anbrechenden tag schritt merke ich wie ich das eine bein etwas hinter mir herzog nach dem zweiten kaffee begannen wir mit den friedensverhandlungen
(gießen heute / putin hat wieder mal eine rede gehalten / der panzerkreuzer hessen schlägt zurück / macron sucht sein sturmgewehr / immer noch sucht das umland nach parkplätzen / man findet eine granate in kreuzberg / muß man die RAF reaktivieren? / banken auszurauben sei kein verbrechen / sagte brecht)
Nachklapp zu Carsten Gansels „Ich bin so gierig nach Leben!“
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Tauwetter nannte man die kurzen Phasen, in denen denkende Menschen der Hoffnung erlagen der Sozialismus ostdeutscher Machart könne sich eine Maske der Freundlichkeit und der Horizonterweiterung überstülpen und diese etwas länger auf den moralinsauren dogmatischen Besserwisserfratzen sitzen zu lassen. Im Westen konsumierte man derweilen masturbativ Revolutionsromantik. Großbürgerkinder killten amerikanische Soldaten und Kleinbürgerkinder applaudierten, des altdeutschen Papa’s Scheck in der Hand. Mama gab’s Trinkgeld bei.
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Immer wieder drehte sich dann die böse Welt andersrum. In wessen Richtung aber? Wessen Richtung ist die Welt? Dann schreibt einer , der unbedingt weiter glauben wollte, als mal wieder ostdeutsche Hoffnung sich verkrümelte: „Sie blieben ihrer alten Überzeugung in gewisser Weise treu, aber das Zutrauen in ihre gemeinsame Kraft war dahin. Sie kämpften noch immer gegen die Karrieristen, fast noch erbitterter sogar, weil diese das Rennen gemacht hatten; aber sie selbst verstanden sich nicht länger als Neuerer, als Pioniere. Lose verbundene Einzelkämpfer, die sie nunmehr waren, deuteten sie ihr Los und ihre Rolle in moralischen statt wie früher in politischen Kategorien.“ (Wolfgang Engler)
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Viel später rückblickend schrieb Herta Müller: „Je eigentlicher, je zuverlässiger Widerstand war, um so mehr war er nichts anderes als eine moralische Geste. Es begann im eigenen Schädel, im Alleinsein mit seinem eigenen Bild. Er kam aus dem Festhalten an moralischen Vorstellungen von sich selbst. Aus dem Bedürfnis, trotz aller lebenslästigen Konsequenzen anständig zu bleiben.“
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Was der Westlinke nie begriffen hat: Es gibt einen kleinen aber wichtigen Unterschied zwischen den Berufsverboten der 70er und Bautzen, Bukarest, Prag oder Hohenschönhausen. Wir möchteten so gerne ein Held sein in warmer Stub‘. Heldinnen gab es da schon. Man schrieb sie anders nur.
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Und was war das gestern in Gießen? Zwischen 13000 und 15000. Sagte die Bullerei (Verzeihung! Reflex! Macht jung! Hihi!), welche ja in der Vergangenheit gerne die Teilnehmerzahlen ungeliebter Demos nach unten korrigiert hatte. Es war arschkalt, aber (Verzeihung! Schmonzette!) ein bisserl warm ums postrevolutionäre Herzelein. Die Mischung macht’s. Lediglich Präzenz zeigen tut schon gut. Und die Jung’schen brüllen die Parolen der gescheiterten Großvatermütter. Auch gut.
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Österreich macht mal wieder Angst. Erst Braunau. Dann Fußball. Dann Handball. Und jetzt Thüringen. Die zwei Sachsen folgen. Aber (Verzeihung!) alle Verbieterei ist kontraproduktiv.
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Schön war‘s gestern, als der nicht enden wollende Zug sich durch den heiligen Seltersweg schob und der Wochenendshopper sich an die Wände gedrückt fühlte oder gar drinnen bleiben musste, glotzend. Man hätte rufen wollen (Verzeihung natürlich!): „Lieb‘ Umland lass das Glotzen, lass das Konsumieren sein, bekämpfe Deine Langeweile und reih Dich ohne Beute ein!“
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Ein guter Strom, der da gestern an mir und anderen vorbeifloss, während ich eine Teilstrecke mitlief.
Kommt uns nicht mit Fertigem! / Wir brauchen Halbfabrikate / Weg mit dem faden Braten – her mit dem Wald und dem Messer! / Hier herrscht das Experiment und keine steife Routine. / Hier schreit eure Wünsche aus: Empfang beim Leben.
Heute spiegelt sich vor vollen Schaufenstern
Nicht als verlorene Wut
Auf die dahineilenden Zeiger
Die sich weigern rückwärts zu laufen
Revolutionen finden auf dem Sofa
Statt
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(Hoyerswerda / Sommer 2023)
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Wühle mich in den ersten nervig „positiven“ Tagen des Jahres durch ein großartiges Buch, welches mich ungemein erfreut in diesen Tagen der GROSSEN ANSPRÜCHE und des kleinen mutes zu VERÄNDERUNGEN.
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Auf Brigitte Reimann war ich erst gestoßen – typisch Mann, obwohl mir DDR–Literatur, vor allem Franz Fühmann, immer sehr nah war, blieb doch der größere Teil meiner Familie im Osten – als ich 2019 in Hoyerswerda für meine Gundermann–Abende recherchierte und sofort in Bann gezogen war von dieser Schriftstellerin. Da macht es jemand sich nicht einfach. Mit sich. Mit der Welt. Carsten Gansels Werk hat die Faszination vertieft. Ich lerne viel Neues über die Verfasstheit des Landes, welches meine Mutter mit mir im Bauch 1956 verließ. Es stellen sich über und über neue Fragen. Und die Verunsicherungen schleichen um alle Ecken. Es kippeln und wackeln die Erinnerungen, Einordnungen, Wertungen. Machen Platz für Neues. Gut.