„Wir streiken!“ (Ton Steine Scherben)

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Aus aktuellen Anlässen, auch wenn die Zielrichtung und die Definitionen von Teilhabe oder Verantwortung oder Wunschdenken dieser Tage anders ausgerichtet sein mag denn dunnemals, hier als kleine Solidaritätsadresse eines Rentners die Scherben in Ihrer wunderbaren Roh- und Direktheit. Die Qualität eines Getriebes zeigt sich erst, wenn der Sand darinnen knirschen darf. Und ein Text oder Streik ist so lang wie er ist. Inklusive Wiederholung.

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Wir streiken

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Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

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Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

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Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

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Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

Maschinenstopp

Streik bis zum Sieg

Wir werden kämpfen

Und uns gehört die Fabrik

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Wir streiken

Wir streiken

Wir streiken

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„ … im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.“ (Franz Kafka)

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Am Rande des ErzWeg Süd bei Freienseen / Juni 2020 / maskenfreie Zone damals

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Papierhäuser

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Als Architekten gegen den Kontrollverlust

Errichten wir Papierhäuser

In der Hoffnung die Lungen des Wolfes schwächeln heute Nacht

Lustige Schweinchen die wir waren

Recken wir die Nasen

Gen die vom Wind gepeitschten Himmel

Angekokelte Papierschnitzel rieseln auf uns nieder stets zu laut

Die geduldige Schwarte schwitzend Feuer fängt

Und wenn der Bauer die Weide betritt

Die Eimer schwenkend rechtens wie linker Arm

Das Kraftfutter immer noch überschwappt auf die fruchtbaren Äcker

Grunzend wir ihn mürrisch an:

„Machen Sie sauber! Gründlich!“

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(anläßlich franz kafka 100’sten schrieb die schriftstellerin teresa präauer in der sz angeregt durch „auf der galerie“ vom weinen ohne es zu wissen und ob so etwas gebe / denke ja / kann man sich auch ein haus aus papiertaschentüchern errichten, frage ich dann / denke ja / im deutschland dieser tage ganz gewiß / deswegen nennt man – zumindest wir boomer – das papiertaschentuch immer noch tempo / mach also hinne, schicksal)

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„Wir ließen unsere Welten unter den Namen ICH und WIR gegeneinander antreten.“ (Brigitte Reimann)

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Sprechende Strassenschilder / Hoyerswerda / Sommer 2019

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Sibirien statt der Adria

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Die Väter aus der Kälte zurück

Zitternd vor den Weibern

Die aufräumten

Die Söhne frisierten ihre Mofas

Kamm in der Gesäßtasche

Während die Töchter Schäferhunde kraulen konnten

Sie wären in der Lage gewesen zurück zu beißen

Gas aber zu geben

Wie der Opa

Sieg und kein Heil

Die Urenkel

Schlecht frisiert dieser Tage

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(seltsam ist es dieser tage diesen in teilen fast schon euphorischen bericht zu lesen, da eine hoffnung nach sibirien reiste auf der suche nach erlösung vom ICH und der sehnsucht nach dem WIR / das folgende zitat auch von brigitte reimann: „man kann sich keine private welt schaffen, säuberlich getrennt von der, die uns umgibt.“/ weiß nicht mehr welche welt heute geburtstag haben könnte.)

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„In jedem Menschen wohnen zwei Wölfe. Ein guter und ein schlechter. Es kommt darauf an, welchen man füttert.“ (Jonathan Glazer)

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Ein alter Reim heute zur Wiedervorlage in den Zeiten der entschwindenden Zwischentöne. Kein direkter aktueller Anlass im privaten, eher ein generelles Unwohlsein. Und dass ich manchmal unseren „ach so drögen und langweiligen“ Kanzler durchaus zu schätzen weiß. Da ist man aber im Diskurs ganz schnell mal ante portas. Mehr zweifeln. Weniger verzweifeln. Vielleicht. Gebt uns die einfache Welt zurück? Kann mich nicht an eine solche Welt erinnern. Was für ein Kraftakt, ein Leben lang so vieles zu ignorieren zu müssen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Solange einfach nur lalalala.

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mein arschlochteil besuchte mich heut‘ nacht

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gestern nacht traf ich es mein arschlochteil gestern nacht sprach ich mit ihnen meinen dämonen streng doch stets gütig erscheinen wollend verwies ich sie an ihre angestammten plätze ich wußte gar nicht wo die sind redete ihnen ins gewissen da ich hoffte sie hätten eines doch sie grinsten mich an feist bohrten mir ihre stinkefinger in die nase und ließen mich wissen wer ich denn wäre der sich erlaube gefühlen vorschriften zu machen ich schickte sie in die verbannung sie lachten auf einem bein stünde ich nur noch dann und fiele um ohne sie wie dumm und so in ihrer begleitung könne ich wenigstens noch vorwärts humpeln

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als ich in den anbrechenden tag schritt merke ich wie ich das eine bein etwas hinter mir herzog nach dem zweiten kaffee begannen wir mit den friedensverhandlungen

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(januar 2022)

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„Hope I die before I get old“ (The Who)

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Links ging es zur Unteren Sonne / Konstanz / März 2022

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Who’s next?

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Mit gesunder Bandscheibe kokett

Im durchgeschwitzten Bett

Auf Schlaf verzichten einstens gerne

Heute leuchten noch die Sterne

Der Insomnia

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Hänge runter kugeln

Lachen wie ein Pferd

Das Wissen statt zu googeln

Du warst mir so viel wert

Jetzt bist Du nicht mehr da

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Ponto Schleyer hätte hätte

Man kriegt sie alle

In diesem Falle

Hängt nur noch eine Klette

Im leeren Empörungsschrank

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Alle reden vom Wetter

It’s getting better and better

Verlorene Generationen

Die in Bücherkisten wohnen

Lange Reise leerer Tank

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Shinigami nimmt sich Zeit

Sei allzeit bereit

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(gießen heute / putin hat wieder mal eine rede gehalten / der panzerkreuzer hessen schlägt zurück / macron sucht sein sturmgewehr / immer noch sucht das umland nach parkplätzen / man findet eine granate in kreuzberg / muß man die RAF reaktivieren? / banken auszurauben sei kein verbrechen / sagte brecht)

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Bald eine bessere Welt. Zum Mitnehmen. / Oder: Vivil sind wir eigentlich?

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An einem der letzten Tage unserer auferstandenen Republik war ich dabei / Januar 2024

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In selbigen untergegangenen Jahren

Als ein Mann kehrte er heim

Nach Zigarre Kurzem Bier und miesem Witz

Schlechten Gewissens und reflexhaft ein Vivil

Einwarf wieviel kostet mein Leben noch

Vivil gilt es zu verbergen

Und wer soll das bezahlen

Die Gattin kriegt dafür Haushaltsgeld

Schnell noch ein Zeichen setzen

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Dieser Tage auf den Plätzen versetzen WIR

Zeichen setzen welche Zeichen und wer ist WIR

Ganz GI hasst die AfD

Schön wär’s gerne und morgen dann

FCK AfD oder FCK PTN

Wie jetzt, FC Kölle oder die alten scheintoten Lauterer

Dachte ich

Die Frosteinlagen im Schuh

Als ich hörte solidarisch latschend zu

Jedoch junge Römer ihr

Auch heute in der Nähe der zu penetrierenden After der Despoten

Kriechen ukrainische Soldaten durch gefrorenen Schlamm

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Die Lokführer – Minderheit beendet den Streik zwei Minuten vor der Zeit

Ein Volk jubelt welches sich mit veröffentlichter Öffentlichkeit verwechselt

Wir reden wieder miteinander

Der Pendler pendelt zwischen zwei nicht vorhandenen Überzeugungen

Drohnen zählen von oben unsere Selbstvergewisserung auf den Plätzen

In Hauptsätzen

Neben der Auflistung deutscher Niederlagen

Glimmen auf in Relativsätzen die verdienten Siege der Nachbarn

IKEA

Hot Dogs

Croque Monsieur

Die auch mal was erfanden

Wir aber

Mercedes, Krauss- Maffei, Nürnberger Trichter und Werthers Kaubonbons

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Es naht der Karneval die Fassenacht oder fast im Net

Der nächste Kommentar

Gerne zynisch

Oder

It’s gonna take a lotta love to change the way things are

Oder

Hyperpolitik während wir Verteilungspolkas in die Tasten stampfen

Oder

Ab morgen nehme ich mir vor auch mal zu kurz

Zu kommen und zu Tieren

Gut zu bleiben

Fütter die Spatzen

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Neben der Bäckerei des Vertrauens fast täglich

Zwei Russinnen Ukrainerinnen schöne bebrillte Frauen

Zeuginnen der letzten Tage Jahwe der Weltuntergang nah

Der Ständer Erwachet Erwachet neben ihrem

Von Passanten unbehelligt friedlichem Geplapper

Und da darüber steht zu lesen:

Bald eine bessere Welt. Zum Mitnehmen.

Oder

Bald eine Bessere. Welt zum Mitnehmen!

Oder

Bald Eine! Bessere Welt zum Mitnehmen!

Noch mehr Zeichen?

Kann man. Setzen!

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Für Sahra bleibt ein Abschiedslied von Meister Bob

Oder der

Sagt ein Fisch zum anderen: „Du nervst!“

Sagt der: „Ich bin ein Stör!“

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Manchmal denke ich zurück an Nächte voller mieser Witze

Aber großer Lebensfreude

Besser verwirrt bleiben

Zeichne mir ein

Ein Tier kein Schaf

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Vom Alleinsein mit dem eigenen Bild

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Vor oder hinter Gießen / Mal wieder Hochwasser / Irgendwann

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Nachklapp zu Carsten Gansels „Ich bin so gierig nach Leben!“

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Tauwetter nannte man die kurzen Phasen, in denen denkende Menschen der Hoffnung erlagen der Sozialismus ostdeutscher Machart könne sich eine Maske der Freundlichkeit und der Horizonterweiterung überstülpen und diese etwas länger auf den moralinsauren dogmatischen Besserwisserfratzen sitzen zu lassen. Im Westen konsumierte man derweilen masturbativ Revolutionsromantik. Großbürgerkinder killten amerikanische Soldaten und Kleinbürgerkinder applaudierten, des altdeutschen Papa’s Scheck in der Hand. Mama gab’s Trinkgeld bei.

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Immer wieder drehte sich dann die böse Welt andersrum. In wessen Richtung aber? Wessen Richtung ist die Welt? Dann schreibt einer , der unbedingt weiter glauben wollte, als mal wieder ostdeutsche Hoffnung sich verkrümelte: „Sie blieben ihrer alten Überzeugung in gewisser Weise treu, aber das Zutrauen in ihre gemeinsame Kraft war dahin. Sie kämpften noch immer gegen die Karrieristen, fast noch erbitterter sogar, weil diese das Rennen gemacht hatten; aber sie selbst verstanden sich nicht länger als Neuerer, als Pioniere. Lose verbundene Einzelkämpfer, die sie nunmehr waren, deuteten sie ihr Los und ihre Rolle in moralischen statt wie früher in politischen Kategorien.“ (Wolfgang Engler)

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Viel später rückblickend schrieb Herta Müller: „Je eigentlicher, je zuverlässiger Widerstand war, um so mehr war er nichts anderes als eine moralische Geste. Es begann im eigenen Schädel, im Alleinsein mit seinem eigenen Bild. Er kam aus dem Festhalten an moralischen Vorstellungen von sich selbst. Aus dem Bedürfnis, trotz aller lebenslästigen Konsequenzen anständig zu bleiben.“

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Was der Westlinke nie begriffen hat: Es gibt einen kleinen aber wichtigen Unterschied zwischen den Berufsverboten der 70er und Bautzen, Bukarest, Prag oder Hohenschönhausen. Wir möchteten so gerne ein Held sein in warmer Stub‘. Heldinnen gab es da schon. Man schrieb sie anders nur.

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Und was war das gestern in Gießen? Zwischen 13000 und 15000. Sagte die Bullerei (Verzeihung! Reflex! Macht jung! Hihi!), welche ja in der Vergangenheit gerne die Teilnehmerzahlen ungeliebter Demos nach unten korrigiert hatte. Es war arschkalt, aber (Verzeihung! Schmonzette!) ein bisserl warm ums postrevolutionäre Herzelein. Die Mischung macht’s. Lediglich Präzenz zeigen tut schon gut. Und die Jung’schen brüllen die Parolen der gescheiterten Großvatermütter. Auch gut.

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Österreich macht mal wieder Angst. Erst Braunau. Dann Fußball. Dann Handball. Und jetzt Thüringen. Die zwei Sachsen folgen. Aber (Verzeihung!) alle Verbieterei ist kontraproduktiv.

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Schön war‘s gestern, als der nicht enden wollende Zug sich durch den heiligen Seltersweg schob und der Wochenendshopper sich an die Wände gedrückt fühlte oder gar drinnen bleiben musste, glotzend. Man hätte rufen wollen (Verzeihung natürlich!): „Lieb‘ Umland lass das Glotzen, lass das Konsumieren sein, bekämpfe Deine Langeweile und reih Dich ohne Beute ein!“

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Ein guter Strom, der da gestern an mir und anderen vorbeifloss, während ich eine Teilstrecke mitlief.

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In Zeiten leerer Auslagen voll Hoffnung

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Torgau (Sachsen) / Aufgegebenes Ladengeschäft / Sommer 2023

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In den Zeiten leerer Auslagen voller Hoffnung

Den Krieg den Hunger die Schuld

Noch im Profil der abgelatschten Stiefel klebend

In den Sand der Lausitz getreten

Schrieb der junge Schichtarbeiter Volker Braun

Kohlenstaubverschmiert

In seinem ersten Lyrikband

„Provokation für mich“

Den folgenden Reim nieder:

Kommt uns nicht mit Fertigem! / Wir brauchen Halbfabrikate / Weg mit dem faden Braten – her mit dem Wald und dem Messer! / Hier herrscht das Experiment und keine steife Routine. / Hier schreit eure Wünsche aus: Empfang beim Leben.

Heute spiegelt sich vor vollen Schaufenstern

Nicht als verlorene Wut

Auf die dahineilenden Zeiger

Die sich weigern rückwärts zu laufen

Revolutionen finden auf dem Sofa

Statt

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(Hoyerswerda / Sommer 2023)

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Wühle mich in den ersten nervig „positiven“ Tagen des Jahres durch ein großartiges Buch, welches mich ungemein erfreut in diesen Tagen der GROSSEN ANSPRÜCHE und des kleinen mutes zu VERÄNDERUNGEN.

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Auf Brigitte Reimann war ich erst gestoßen – typisch Mann, obwohl mir DDR–Literatur, vor allem Franz Fühmann, immer sehr nah war, blieb doch der größere Teil meiner Familie im Osten – als ich 2019 in Hoyerswerda für meine Gundermann–Abende recherchierte und sofort in Bann gezogen war von dieser Schriftstellerin. Da macht es jemand sich nicht einfach. Mit sich. Mit der Welt. Carsten Gansels Werk hat die Faszination vertieft. Ich lerne viel Neues über die Verfasstheit des Landes, welches meine Mutter mit mir im Bauch 1956 verließ. Es stellen sich über und über neue Fragen. Und die Verunsicherungen schleichen um alle Ecken. Es kippeln und wackeln die Erinnerungen, Einordnungen, Wertungen. Machen Platz für Neues. Gut.

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