„Das Leben ist einfach, einfach zu schwer. Es wäre so einfach, wenn es einfacher wär!“ (Till Lindemann)

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Süddeutschland / Engener Steig / Grüne Weihnacht / 2014 oder 2022

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In Sachen Übertitelung: auch ein Arschloch oder wie ich gerne sage: ein Vixfrosch kann ab und an Gehaltvolles äußern. Mein RA Gewehr bei Fuß.

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Saß eben visavis des stillgelegten Riesenrads von Gießen. Tageslektüre. Es bewegte sich das Riesenrad, welches nun nicht mehr leuchten darf. Man sucht wohl den Fehler. Das verletzte Kind sei dem Krankenhaus entronnen. Jubiliert das Stadtmarketing. Ich kann nur hoffen, man findet ihn nicht, den Fehler. Warum Städte vermarkten? Verschont besser die Städte vor kompletter Verwahrlosung. Und das sind eben nicht die Säufer und Junkies und Durchgedrehten und die hoffnungslos verlorenen Migranten, die vor allem dazu beitragen. Es sind die manischen Konsumenten. Ab in den Wald.

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Adventstraum

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Wie ich jüngst vor dem Parkhaus stand

Die Schranke fest geschlossen

Nach Weihnachtsmarkt stand uns der Sinn

Und draußen hat’s gegossen

Aus der Vorstadt reisten wir

An mit Freude groß

4ter Advent und 15 Grad

Was ist da draußen los

Auf dem Rücksitz weint die Tochter

Der Bube starrt auf’s Telefon

Der Gatte auf dem Nebensitz

„Das hast du nun davon!“

Er hätte gerne ferngesehen

Wintersport bis in die Nacht

Dazu das ein‘ und andre Bier

Weil ihm dies Freude macht

Ich krallte mich am Lenkrad fest

Atmete voller Inbrunst ein

Auch Maria mit dem Kind im Bauch

Stand vor verschlossner Tür allein

Dacht‘ ich

Als es an meine Scheibe klopfte

Und ich wachte auf

Wie gut daß wir zu Haus‘ geblieben

So machten wir uns auf

Zu einem Spaziergang durch den Wald

Freuet euch

Weihnacht ist bald

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(Gießen gestern / heute Schneeregen / leises Rieseln / Dylan singt dazu / Flake übernimmt)

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„Wo ein Abschied ist, ist noch lange kein Tod.“ (Trude Herr)

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Südstadt / Kölle / Früher mal / Aber nicht ganz so früher

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Kölsch huh Zäng ussenander

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Düster alle Himmel

Klagen jauchzen in die Höh‘

Was erlaube Wetter

Dieser Tage Schnee

Weihnachtsmarkt und Depression

Im Glühwein liegt die Kraft

Doch ich hab’s, oh Weltenlohn

Zur Frühbuchung geschafft

Bye Bye my Love

Ach Welt

Wie et Euch jefällt

Mir fallen alle aav

Vom Glauben immer schon

Und Widde widde wit

Pippi Langstrumpfs Adorno der träumet mit

Und dann dä Ernst do isser doch

Bloch und blöcher immer noch

Noch einen lupfen aus den Denkorganen

Die Jugend verweigert dem Geruch der alten Fahnen

Ihre Ehrerbietung

Wat Verräter

Und müssen trotzdem sterben

Bloß später als

Die lebend toten Väter

Die niemand will beerben

Man redet übers Wetter

Iss better

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ERSTER TOTENGRÄBER (gräbt und singt)

In jungen Tagen ich lieben tät,
Das dünkte mir so süß.
Die Zeit – oh – zu verbringen – ah – früh und spät,
Behagte mir – ah – nichts wie dies.

HAMLET
Hat dieser Kerl kein Gefühl von seinem Geschäft? Er gräbt ein Grab und singt dazu.

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(William Shakespeare)

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„Ich hoffe bloß, ich lerne jemanden kennen, der mich so liebt, wie ich sein möchte!“ (Sven Glückspilz zu Hägar)

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Fahrweg / Ehemalige Grenze zwischen der DDR und Tschechien / Juni 2020

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Das ist ein Nachruf. Sentimental. Früher und von dem noch früherem Früher schreibend. Voller nebliger – oder sagt man nebulöser ? – Erinnerungen. Inklusive noch heute spürbar entspannter Kopfschmerzen.

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Las gestern die Todesanzeige von Carmelo Parise, dem unvergessenen Padrone des Burghof zu Gießen. Auf dem Weg ins Trübe fallen links und rechts tagtäglich die alten Haltepunkte, Anker und Kurzzeitheimaten in den Orkus. Unvermeidlich. Nicht darüber jammern. Davon erzählen.

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2001 kam ich nach Gießen. Eine fürchterlich zermürbende Trennung zwischen Köln, Mainz und Wiesbaden war der Anlaß. Ich saß in Mainz in einem Nachtlokal mit dem designierten Schauspielchef des hiesigen Stadttheaters. Getränke. Viele. Willst Du mit nach Gießen? Kann ich mit nach Gießen? Weiß nicht mehr. Was tun? Ich stieg kurz darauf hier aus dem Zug, gespaltenes Herzelein, sprach noch was vor, pro forma und ging dann in den Wienerwald ein paar Häuser weiter! Verträge wurden gemacht. Wochen später saß ich Rotz und Wasser heulend im Botanischen Garten. Pures Entsetzen in solch einem auf mehreren Ebenen wüst verwüsteten Ort landen zu müssen. Ich rief die Gegangene an und brüllte entgrenzt ins besoffene Telefon: „Du bist schuld, daß ich jetzt ein Hesse bin!“ Dann machte ich über Jahre hinweg meinen Frieden. Gelang mir gar. Gelegentlich.

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Der Friedensstifter der ersten Stunden und Monate war der Burghof. Endlich Probenende. Nur die Schulstrasse, in der ich eben auch eine Wohnung bezogen hatte, überqueren. Buena sera. Und dann bis drei Uhr morgens gerne. Auch wenn um 10 Uhr am nächsten Morgen die Probebühne rief. War nicht weiter schlimm, da meist das halbe bis vollständige Ensemble plus Regie, Chef und anderen Abteilungen zugegen war. Hart im Nehmen gegen sich selbst. Wüste Diskussionen. Herrlich sinnfreie Dispute. Beleidigte Bühnenwürste. Pathos. Tränen. Ich reise ab. Ganz schlechte Witze. Die letzte Schnapsrunde des ältesten Kollegen. Pflichtprogramm. Padrone Parise aus den Rippen geleiert. Donna Filomena senkte dann den Daumen. Ich weiß, sentimentaler Scheiß, war aber ab und an so. Genauso.

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Eines der ersten Erlebnisse. Jener 11. September. Eine Abendprobe ist komplett unmöglich. Geschlossen in den Burghof. Unter Schock. Wir arbeiteten an einer Komödie. Der Regisseur, von dem ich einiges für meine späteren Arbeiten übernommen hatte, sagte unvergessen: „Wie kann man in solchen Zeiten Komödien inszenieren?“ Oder ein anderer Lehrmeister und Regisseur der ersten Tage unterbrach – starker Raucher – die Probe. „Ach! Wir hauen uns doch nur Binsen um die Ohren! Wechseln wir die Straßenseite!“ Das konnte dann schon auch mal 12 Uhr mittags gewesen sein. Manchmal gelang es dann sogar gar im sanften Tagesdrümmeln einen Ausweg aus einer festgefahrenen Probensituation zu finden. Das alte (weiße?) Erinnerungsrauschen. Ich weiß. Aber frei von den unnötigen Seminaren.

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Es gab damals die sogenannte Feierpolizei. Ein, zwei Kollegen an vorderster Front waren meist dabei und der damalige Schauspielchef. Gelegentlich griff mich doch die Verantwortung oder die Textmenge des nächsten Tages am Schlafittchen und man stand früher auf vom Tisch oder mied gar die Überquerung der Straße. Heute nur mal! Prompt darauf: „Aha! Man schwächelt!“ Ab und an standen nach Toresschluss ein paar Hartgesottene unter meinem Balkon in der Schulstrasse. „Lugi? Ab ins Domizil!“

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Epilog. Ich mochte das Gießen von vor 23 Jahren, obwohl anfangs recht verzweifelt, lieber. Viel lieber. Weniger Schminke. Weniger Großmann- und Großfrausucht. Leerer. Einsamer. Mehr eigenen Charakter besitzend. Keine Events. Dafür Begegnungen. Und am Sonntag die leeren Strassen. Dann blätterte ich die Seiten vor der Todesanzeige um. Lese Zeitungen gerne von hinten her. Aha? Ein Professor der THM – eine Zeitlang mein Nachbar – will Gießen beleben. Da gehe doch noch was. Ja wo laufen sie denn? Weia!

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Mille Grazie Carmelo Parise! Sincere condoglianze, cara Donna Filomena!

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„Männer mit weißer Hautfarbe sind Geister von Toten, die ihr Ende nicht finden, leben nicht mehr und sind noch nicht tot.“ (Thomas Brasch / Kargo)

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Im Zug / Fensterblick / Zwischen Leipzig und Hoyerswerda / Das Wo ist vergessen / Juni ’23

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Am 3. November 2001, vor 23 durch die Zeitachse davon gejagten Jahren, starb Thomas Brasch. Auf vielfältige Art und in vielen Zusammenhängen mir eine aufploppende Projektionsfläche und Identifikationsfigur.

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„Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber

wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber

die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber

die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber

wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber

wo ich sterbe, da will ich nicht hin:

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“

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(Thomas Brasch / Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu entkommen)

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Im Sommer 1980 hat mir meine damalige Geliebte dieses Buch geschenkt. Mit gereimter Widmung. Wo ist das Buch? Ich habe es – glaube ich – im Rahmen meiner Arbeit an der „Tankstelle für Verlierer“ – irgendwohin verliehen. Manches kehrt nie mehr zurück. Ich erinnere mich, wie ich mich durch diesen wilden Wust versuchte durchzulesen. Viel begriff ich nicht. Was ich aber begriff: wie wuchtig die Heimatlosigkeit, das Atmen ohne Wurzeln, die verlassen, das blinde Tasten namens Wut in diesen Texten. Damals befremdete mich das. Inzwischen ist es Bestandteil meiner Sicht auf das Außen. Obiges Gedicht war Motto meiner Gundermann–Arbeit.

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„Wieviele sind wir eigentlich noch.

Der dort an der Kreuzung stand,

war das nicht von uns einer.

Jetzt trägt er eine Brille ohne Rand.

Wir hätten ihn fast nicht erkannt.

Wieviele sind wir eigentlich noch

War das nicht der mit der Jimi-Hendrix-Schallplatte.

Jetzt soll er Ingenieur sein.

Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte.

Wir sind die Aufgeregten. Er ist der Satte.

Wer sind wir eigentlich noch.

Wollen wir gehen. Was wollen wir finden.

Welchen Namen hat dieses Loch,

in dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.“

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(Brasch / DDR-Lyrikreihe Poesiealbum)

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Kurz nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 verschob sich auch Brasch mit seiner Geliebten Katharina Thalbach in den Westen. Ließ sich auf eigenen Antrag hin verschieben. Wer bereut was und wann? Das Wortungetüm namens Ausreiseantrag. 1980, eben in Köln auf der Schauspielschule angefangen, sah ich im Schauspiel Köln Flimms Inszenierung des „Käthchen von Heilbronn“. Die junge Thalbach eine Explosion der Darstellungskunst. Tief beeindruckt. Damals verstummte Brasch eine längere Zeit lang, zumindest öffentlich, und besoff und bedröhnte sich, wenig beeindruckt vom „Versprechen West“. Der Grenzgang, das Faszinosum Euphorie, war mir nie fremd gewesen. Früher noch mit etwas mehr Glitzern versehen. Heute gelegentlich erschreckend banal mit dem eigenen Untergang jonglierend. Nie vergessen werde ich den Schluß des Theaterabend zu Kölle. Die Rückwand der Bühne öffnete sich, man sieht die nächtliche Krebsgasse. Kalt zieht und sieht es in den Zuschauerraum hinein. Draußen stehen die Schauspieler und glotzen zurück. Ein Poem von Brasch?

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„Und wenn wir nicht am Leben sind

dann sterben wir noch heute.

Die Liebe stirbt, du lebst, mein Kind

Die Mädchen werden Bräute

Ach, wenn ihr mich gestorben habt,

lebt ihr mich weiter heute,

gemeinsam wird ein Land begrabt

und einsam sind die Leute.“

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(Brasch / Gedichtsammlung: Die nennen es Schrei)

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Der ewige Riß. Laut oder leise. Wie einst der Vorhang im Tempel zu Jerusalem. Die Welten werden weiterhin Pharisäer beheimaten, denen eine gezielte Beerdigung ihres Landes am Schrumpelhirn vorbeigeht. Man setzt lieber fremdes Eigentum am Roulettetisch namens Leben denn den eigenen Arsch. Brasch ging, wie man heute so gerne schwafelt „All in“. Das mochte ich stets und mag es noch, wissend um die Risiken. Und sie auch gerne negierend. Wissend negieren? Geht das? Vor den Vätern sterbend als Sohn, der man ewig bleiben muß, wenn kein Vater? Dann Gott? Anderer Vater?

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„DAS FÜRCHTEN NICHT UND NICHT DAS WÜNSCHEN

darf mir abhanden kommen, auch mein täglich sterben nicht

das seellos süchtig sein auf keinen fall

nur hirnlos reimen wie ein wicht muß beendet werden

da ist ein gott und setzt sich zwischen alle stühle

er sieht genauso aus wie ich mich fühle“

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(Brasch kurz vor seinem Tod 2001)

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Und nun welches Lied? Ich kann nicht begründen warum, glaube aber es passt. Verdammt. Neat übersetzt: sauber. War auch einmal ein höchschtes Lob. „Und wie isches? Sauber!“ Beachten Sie den Bassisten links im Bild!

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„Father, why are all the women weeping? They are weeping for their men! Then why are all the men there weeping? They are weeping back at them!“ (Nick Cave / Weeping Song)

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Konstanzer Bucht / November oder Dezember 2019

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Am Ende der Kontrollen oder ein Heimatgedicht (keine Gebrauchslyrik)

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Bei dem Versuch fallende Blätter zu fangen

Brach ich mir den Zeigefinger

Der Wind hatte kein Einsehen mit meiner blinden Not

Trieb das Laub vor mir her grinsend meine Wut entfachend

Und ich schlug gegen die schorfige Rinde des alten Baumes

Mit aller Wucht die ich zu erinnern suchte zittriger

Wer hatte mir erzählt man könne die Fallenden mit Tränenflüssigkeit

Wieder binden an die morschen Äste

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(Gießen / Draußen trudeln die bunten Blätter freudig erregt / Unkontrollierbar / Grinsen mich an / Froh drüber, keine Kolumne schreiben zu müssen in der Laubbläser oder der Lebkuchenpraecox vorkommen / Herbst nix für Weicheier)

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„Das Gesicht eines Menschen lügt nicht; es ist die einzige Landkarte, auf der alle Regionen verzeichnet sind, die wir einmal bewohnt haben.“ (Luis Sepúlveda)

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Konstanz / Im März 2022

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In den letzten Tagen konnte man relativ gehaltvoll in die Glotze gucken. Herrhausen. Kati Witt. Auf Wiedersehen, Genosse Lenin. Und. Und. Und.

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Beeindruckend aber und selten solch eine Qualität gesehen in diesen Tagen: die Verfilmung von Christian Barons Roman „Ein Mann seiner Klasse“.

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Ich durfte Christian Baron vor zwei Jahren kurz kennenlernen. Ich hatte, kurzzeitig Lokalbetrachter, über seine Lesung zu berichten. Danach ein Bier getrunken in geselliger Runde. Später hier im Blog noch was nachbereitet.

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Man versieht Filme heute gerne öfters mit „Triggerwarnungen“. Eine Retraumatisierung scheint ständig ‚ante portas‘ zu lauern. Loriot? ‚Pappa‘?

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Vergleiche sind vermintes Gelände. Dennoch: In diesem Film gab es Momente, die mir, da in meinem Vater ebenso ungezählte Dämonen tobten, zwischen die Rippen fuhren. Messer. Würgen. Schläge. Schreie. Ohnmacht. Wie damit umgehen? Am nächsten Tag spazieren gehen. Drüber reden. Ohne Dramatisierung. Ohne Vergessen. Mit Mitgefühl. Es gab sie eben auch, die guten Tage. Welche Waagschale gewinnt? Es geht nicht um einen Sieg.

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Noch gewichtiger aber die anschließende Doku, welche davon berichtet, wie Baron seine alte Heimat wieder besucht. Heißer Sommer. Kein Fritz-Walter-Wetter. In seinen Händen hält er ein Tablet und sieht sich vor laufender Kamera Szenen aus der Verfilmung seiner Erinnerungen an. Messer. Würgen. Schläge. Schreie. Ohnmacht. Wie damit umgehen? Und sein Gesicht ist nicht nur eine Landkarte, sondern ein Atlas. Danke dafür.

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Man kann von Dingen schreiben. Man kann davon lesen. Wenn man daraus laufende Bilder baut oder bauen lässt, die Geschichten sichtbar werden: einige Erinnerungstonnen mehr. Deshalb – kurze Rückkehr in den eigenen Bauchnabel – ist der Zustand des Regisseurs nach Premieren stets prekär.

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Ich Prolet! Du Prolet! Aus dem Ehrentitel wurde irgendwann eine Beschimpfung. Der überdrehte Stolz von Barons Vater, als er der Familie geschenkte Lebensmittel vom Teller seiner Kinder in die Mülltonne schiebt, das ist die schlimmste Erinnerung. Der schreckliche, der so ohnmächtige Stolz. Da ist mir mein hilflos lauter Vater am lautesten erschienen. Ich wiederhole mich. Vergleiche sind vermintes Gelände. Grab. Kein Grabstein.

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Fremde Ohnmacht. Eigene Ohnmacht. Ohnmacht nicht weiterreichen.

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„Es ist schon komisch, wie sehr die meisten Menschen die Toten lieben. Wenn du erstmal tot bist, hast du dein Lebtag ausgesorgt.“ (Jimi Hendrix)

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Frühe Nacht / Blick über den See / 20. September 2024 / Foto: A. Haas

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Über Überlingen gegenüber / Heimatlied 1

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Als meine Frau aus dem Fenster blickte und drüben

Über dem westwärts zeigenden Finger

Des alten Sees dem gletschergefurchten

Eben noch im letzten Hell hatten wir den Teufelstisch

Nicht gefunden

Über steil verregnete Wege nach unten

Ausschau haltend

Links und rechts

Behauptete ich wie es meine Art

Den roten Mond in unerwarteter Größe

Den sie die

Meine Frau

Erblickt hatte

Nicht als einen roten Mond zu sehen

Es handele sich um das Observatorium das drüben

Über Überlingen gegenüber scheine durch die Nächte

Damals schon und immerdar

Was ich wissend stets von hinten her

Eitle Gewißheiten

Bis die vermeintliche Sternwarte rutschte in die höheren Himmel

Strahlend und schwindend an Größe

Und ich erkannte wie der rote Mond sich wenige Minuten nur

Sekunden wohl gesetzt hatte vor meinem Auge

Auf die Kirchturmspitze am Ufer

Drüben über dem See

Über den wir blickten

Als Ausblick in zukünftige Welten

Aber

Jetzt da die Nacht uns beehrte

Ein Trugbild meines dröhnenden

Wissensgepolter

Ein ewiges Beginnen

Blieb und der unruhige Schlaf

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(Burghof Wallhausen / Ende September 2024)

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„Es gibt aber auch Winde, die man vergebens in einem Nachschlagewerk sucht: der Gegenwind, der auf Wiedervereinigung hofft und nicht weiß, dass entgegengesetzte Winde, die aufeinandertreffen, den Wirbelwind auslösen.“ (Hanns Cibulka / Dichter aus Gotha)

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Heute morgen auf einem Schreibtisch in einem Büro zu Gießen

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Gestern ein überraschendes Treffen von Menschen aus meinen sozialen Umgebungen erlebt. Menschen, die sich nicht alle untereinander kannten und dennoch nach kürzester Zeit seltsame Querverbindungen feststellen durften. Hat meine oft despektierliche Sicht auf Heimat aus den Fugen geruckelt. Heute nachdenken drüber. Morgen mehr. Solange ein Reim.

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Wenn die Kuchen die Tomaten verfluchen

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Es lagen fünf Tomaten alle rot und rund

Neben dem Zitronenkuchen in frühster Morgenstund‘

Es protestiert vernehmlich unser Kuchen

Tomaten ihr, was habt ihr hier zu suchen

In meinem Frühstückskasten

Hier ist kein Platz zu rasten

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Da Tomaten kaum mehr erröten können

Dem Kuchen so sein lautes Wüten gönnen

Und weil halt im Kasten war kein Brot

Und so die Not

Den Versuch gebiert

Und weil der meistens nur verliert

Was sonst noch möglich ist

Wenn er Korinthenkacker ist

Das riefen die Tomaten

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Der Kuchen schwieg

Stellte aber ächzend sich drauf ein

Irgendwann werd‘ ich geteilter Kuchen sein

Und zittert vor dem Messer

Umsonst wahrscheinlich

Besser noch ein Teilchen

Denn letzter Krümel

Warte, warte nur ein Weilchen

*

(gießen / eben / morgen dann der erklärtext dazu)

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Solange noch ein Lied.

……

……