Wieder die Monochromatisierung der Welt monochromes Erinnern setzen?

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Blick auf Frankfurt / Dezember 2023

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Seitdem ich hier wohne, wurde mir immer wieder von zu oder neben Gießen Aufgewachsenen, Gestrandteten, Lokalideologen oder Gazettenschreibern Peter Kurzeck ans Herz und in den Bücherschrank gelegt. Ich fremdelte. Nichts gegen ein exzessiv manisches Erinnern einzuwenden, aber aus jedem Stolpern, Holpern, sei es zu Staufenberg, Gießen, Paris oder dem Rest von Frankfurt, aus jedem abbessinischen Herrenschneider, jedem hier oder dort genossenen Käse jeglicher Herkunft, dem Opel Admiral und jedem nicht so fest wie erwartet angenähten Knopf am alten Mantel die Welt erzählen zu wollen? Muß man mögen. War mir nicht vergönnt. ABER:

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Zum letzten Geburtstag hat mir die Gattin das letzte(?), posthum veröffentliche, Buch von Kurzeck geschenkt. Ich hatte vor Jahresfrist Teilchen davon vorgelesen. Ich muß sagen: es war mir eine erkennende Freude. Vielleicht hat es was mit der Zeit zu tun, in der der Roman angesiedelt ist. 1977. Der deutsche Herbst. Ich studierte pro forma in Konschtanz Politik und Geschichte. Gelegentlich hielt der damalige Generalbundesanwalt Rebmann da oben auf dem Berg vor der Stadt Vorlesungen ab. Hubschrauber kreisten über dem Gelände, welches weitläufig abgesperrt wurde und bebrillte Anzugträger mit Beulen in den Jackentaschen fluteten die Hörsääle und manchmal wurde man abgetastet. War man genauso dämlich stolz drauf wie der damals dauertrunkene Autor Kurzeck an den Grenzen zwischen Germania und Frankonia. Im Audimax hatte doch gestern noch Herbert Achternbusch gelesen. Whiskybewaffnet.

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Vielleicht hat es was mit einem Namen zu tun. Sybille. Meine erste Gattin, die mir im Rückblick eine Vermeidbarkeit bleibt ewig. Schlau immer später und immer zu spät. Jedoch: der Schriftsteller erzählt davon Schriftsteller werden zu wollen und trotz allem Gejammer – auf jeder zehnten Seite – über die Abwesenheit von Geld, während er sich Tag und Nacht durch Kneipen hangelte und sich kokett volllaufen lässt: ich mag ihm folgen.

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Viele Freunde und Weggefährten gewährten ihm Unterkunft, Asyl, Schreibtische, Schränke voller Alkoholica und Plattenspieler und Kassettenrecorder. Und dann schreibt er manisch vor sich hin und hört dabei sein Lied. Fremde Kassette. Natürlich hundertmal hintereinander. Emotionaler Sparfuchs. Muß man mögen. Letzte Woche mochte ich es.

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Was ich begriffen habe. Schau ich aus dem Fenster, sehe ich wie der Welt systematisch die Farben entzogen werden. Gießen ist bunt? Lächerlich. Je lauter Vielfalt und bunte Fahnen schwenken beschrieen wird, um so grauer und uniformierter gebärdet sich die Welt. Besuchen Sie morgen einfach einen Weihnachtsmarkt. Vielleicht ist das der Kunstgriff Kurzecks, der der schon vor Jahrzehnten eingetretenen Abschaffung der Lebensfarben eine monochrome Erzählung in Dauerschleife entgegensetzt. Kann man tun.

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Keine Erwartungen. Und untiges Lied erwähnt er auch gerne in diesem Buch. Die ewige Liebe? Blödsinn. Durchhalten. Versus Dauerschleife.

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“Es geht darum die Getreidepreise in den Versmaßen zu erkennen.” (H. Detering zitiert einen alten Lehrmeister)

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Karlsbrücke / Prag / Ende Oktober 2012

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Dieser Tage hat mir ein ehemaliger, damals wichtiger, Wegbegleiter einen Hörtip weitergeleitet. Dafür sei großer Dank. Die 40 Minuten lohnen sich. Sehr, wie ich meine. Also anhören erst, dann weiterlesen. Gelle.

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Heinrich Detering, ein praktizierender Katholik, der bei den Grünen aus, dann bei den LINKEN eintritt, über Dylan, Goethe, die Sprache der Rechten und Okölogie und und und arbeitet und auch noch dichtet. Und all dies zwar in extrem professoraler Schnellspreche und -denke, aber komplett dünkelfrei. Besser kann man die Freiheit zum Denken kaum definieren.

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Via Bob Dylan war mir Herr Detering seit einigen Jahren ein treuer Begleiter. Seit ich gelernt hatte halbwegs gehaltvoll zu denken, war mir stets die Frage wichtiger als die Antwort, die Ambivalenz näher als die viel besungene Haltung und der Zweifel hatte stets Vorfahrt vor dem großen “SO IST ES DOCH!”. Ob dies mir in all den mäandernen Gesprächen, Streits und Beleidigtheiten auch, immer gelungen? Eher nicht. Mögen aber andere beurteilen. Den Stimmen aus der Unterwelt höre ich weiterhin gerne zu. Jedes Mysterium zu entschlüsseln hüpfe oder hinke ich nicht auf dieser Welt herum. Wahrscheinlich landete ich so über kurz oder länger bei Bob Dylan.

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Auch mir wurde selten langweilig mit Herrn Zimmermann. Langweilig ward es mir nur, wenn mir, wissend um meine enge Beziehung zum Werk Dylans, ein Gegenüber glaubte erklären zu müssen, wer Dylan „wirklich“ ist. Und überhaupt. Und so. Und das der Blues aber anders. Ist. Und generell. Was der Bauer nicht kennt, aber halt belehrt. Vor vollen Tellern wir verhungerten.

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“Our revels now are ended. These our actors, as I foretold you, were all spirits, and are melted into air, into thin air.” (Tempest / Shakespeare)

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Und so endet unser Sehnen, unser Schwelgen, einem abgespielten Schauspiel gleich, wie ich Dir schon damals versuchte zu sagen, als Geistertanz und verwirbelt sich in die Lüfte, die dünnsten Lüfte.

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When we said good-bye, love

What had we to gain?

When I gave you my love

Was it all – in – vain -?

(Dylan / Shakespeare / Prospero / Der Wind / Die Hoffnung / Karl Marx?)

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„Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!“ (Dante Alighieri)

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Gießen / Küche / Leere Gläser / Frisch gespült / Links kommt raus – noch – Musik / Oktober ’24

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Es gab oder gibt noch in einer Illustrierten eine Kolumne namens „Was macht eigentlich …?“ Eben las ich in der Illustrierten, wo diese Kolumne nicht erscheint, ein Interview mit Martin Schulz. Martin Schulz. 2017. Ich hatte damals in meinen letzten überzeugt sozialdemokratischen Wählerjahren ein Hauch von Hoffnung, daß Angela „Jabba the Hutt“ Merkel, deren alternativfreie Unbeweglichkeit Verantwortung trägt für einige Verwerfungen und Frakturen dieser Tage, Ost oder West, abgelöst werden könnte. Groko go home! Erst Hype. Daraufhin ein beispielloser Absturz, den ich nicht wirklich begriffen habe. Denken Wähler auch weiter als bis zum eigenen Carport in den Vorstädten? Schulz wird befragt zum Rückzug von Kevin Kühnert. Die Hölle Politik? Mein damaliger Nachbar war eine Zeitlang Pressesprecher der von Parteigenossen und einigen Medien und despektierlich als Lügilanti hingerichteten Beinaheministerpräsidentin von Hessen. Keine Experimente hatten geschrien die hinteren Bänke. Wir sprachen gerne und kontrovers befreundet über den Rückblick von Schulz auf diesen fatalen Wahlkampf, den Markus Feldkirchen begleitet und emphatisch beschrieben hatte. Von jenen, die an den Spielfeldrändern am lautesten brüllen. Und wann man alle Hoffnung fahren lässt. Will Sahra lieber als aufgeblasene Linienrichterin enden? Mit dem VAR Oskar im Saarland? Es ist zu befürchten. Besserwissen in den Ecken, statt sich mit Fehlern anzustecken, was ein Handeln stets mit sich bringt.

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Gestern Nacht im Netz. Insomnia. Wie soll man diesen vollkommen absurden Satz überhaupt seiner Tastatur anvertrauen. Achtung, Achtung: hier spricht die Verständnislosigkeit: THOMAS GOTTSCHALK HAT EIN BUCH GESCHRIEBEN. Noch ein dummdreist jammernder Rentner. Selbst wenn er gelegentlich in der Beobachtung masturbativer Wokeness nahe am Punkt. Wer aber dem ausgetretenen Lagerfeuer der abgesoffenen Nation ständig eine Plattform verleiht, wo der Oberfranke, in dessen Sendungen Großkünstler wie Smokie und Scorpions auftraten, davon faseln lässt, daß Jimi Hendrix gleich nach dem Geheimrat Bildungspflicht sei. Charon bitte fahre ihn über den Phlegeton ins Land, wo dumm schmort im eigenen Saft.

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Dante taumelt, gestützt von seinem Urururururvorgänger Vergil hinab in Luzifers Reich. Arbeitet sich gewissenhaft durch die neun verschiedenen Höllengrade. Vorbei an Gewälttätigen, Diktatoren, Mördern und ganz unten dann, wo der eingefrorene Luzifer zwischen den Eisblöcken thront, die Betrüger. Zauberer. Schmeichler. Geschäftsleute. Und die Verräter. Judas. Brutus. Cassius. Wenn es zu heftig wird mit dem Hinschauen, fällt der Schreiber in Ohnmacht. „Und ich sank hin wie der, den Schlaf befällt!“ Ganz unten angekommen gewährt man Dante und Vergil den Ausgang. Den Läuterungsberg ersteigen und gut iss. Deshalb eine Komödie. So Gott will.

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Letzte Lagerfeuer wurden nicht nur in Wounded Knee ausgetreten. Die Frakturen, nicht heilen wollende, könnende Brüche, gerne entzündet, Wohlstandssepsis, neurodermitisches Denken sind Bestandteil unserer Alltage. Der eigene Bauchnabel ist keine Lösung. Und schon gar nicht es sich selbstverliebt in fremden Bauchnäbeln gemütlich machen. Seine eigenen Augenringe mit fremdem Leid aufhübschen. Die eigene Hölle, genug zu tun.

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Mein guter Freund aus Nürnberg gab mir für die Rückfahrt nach Dylan ein großartiges Buch in die Hand. Habe mich ja in den letzten Monaten, Jahren oft genug mit Bekannten hier vor Ort gezankt in Sachen Ost / West und den Arroganzen rechts wie links. Viel Erkenntnis und Empfehlung. Wie stets zu spät. Davon später wohl mehr im Angesicht des Zerberus. Die nächsten Wahlen lauern. Und am Ende Alkmene nur: ACH! Oder mit Fragezeichen?

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„Ich darf mich jetzt nicht selber übertreiben.“ (Werner Hansch / Schalke 04 gewinnt den UEFA-Cup im Jahre 1997)

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Kühe über Albertschwende im Vorarlberg ein Selfie nachstellend am 7. Oktober 2022

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Gedenktage streunen durch unsere Lebenskalender. Die einen streichen sie dick an. Die anderen ignorieren sie geflissentlich. Manchen Gedenktagen macht die Geschichte einen dicken Strich durch die Sentimentalitäten. Die Hamas der untergegangenen DDR, die gefeiert hätte hätte hätte ihren 75ten heute. Die Ausrufung der Republik 1918 verbrennt 1939 mit den Synagogen, um den 9. November mit dem verwirrt erlaubten Mauerübertritt 1989 wieder zu heilen. Scheinbar. 1848 waren, dieses Datum zum ewig deutschen zu machen, die letzten Reste einer Märzrevolution erschossen worden. Wovon heute noch die Bürgersöhne singen. Mit Schmiss oder mit Adorno.

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Dialog / erst Sie / dann Er / ein paar Zeilen aus ‚Flugasche‘ von Monika Maron:

„Besteht nicht unser ganzer Sinn darin, daß wir uns gegenseitig raushalten aus unserer Wut, du mich und ich dich? Wenigstens für einen Menschen der sein, der man sein will, wenn man es schon nicht für alle schafft?“

„Das wäre schön! Ich befürchte nur, die Versuchung, gerade den Angreifbarsten und Wehrlosesten zu wählen, ist zu groß. Es verringert den Aufwand, es bereitet sogar Lust, verstehst du, ich finde es so schlimm wie du. Aber es ist so, bei den meisten ist es so.“

„Bei dir auch?“

„Es kommt vor. Mach schnell, sonst kommen wir zu spät!

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Meine Frau hat mir dieses Buch unlängst weitergereicht. Ich lese es mit 40 Jahren Verspätung, aber mit Freude, wissend, daß wir immer zu spät und niemals ankommen werden. Streunende Hunde bleiben, wenn wir wollen.

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Immer wieder und verwirrter Tag für Tag, lausche ich all den Gesängen und Texten, die behaupten der Krieg würde uns, dir, mir, denen, jenen und allen anderen von außen angetragen, aufgedrängt, wo doch ein kurzer Blick hinab in unsere Eingeweide ausreichen kann. Ein ewiges Waffenlager.

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„Man sähe manches nicht mehr, sagte Hodriwitzka, wenn man jeden Tag den gleichen Weg ginge.“ (Monika Maron)

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Schloss Friedenstein / Gotha / Thüringen / Deutschland / Anfang Oktober 2021

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Anfang 1992 war ich das erste Mal in Magdeburg. Ich war Ensemblemitglied des LTT Tübingen. Die Magdeburger Kammerspiele waren das damalige ‚Freundschaftstheater‘. Falls man es so nennen darf. Unterwegs mit dem Intendanten, der öfters in der DDR gearbeitet hatte, und mit einem Fühmann-Text. Ein Solo. Ich weiß gar nicht mehr, ob wir eine Vorstellung hingekriegt haben. Es waren jene Tage, da die anfängliche Euphorie des Zusammenwachsens schon in sich zusammengebrochen war und die Hoffnung auf die blühenden Landschaften im Wesentlichen sich auf Marlboroschirme vor gut frequentierten Trinkhallen reduziert hatte. Nicht auf Theaterbesuche. Jedoch: Lübzer Pils war stets erhältlich. Die Zigaretten hatten zollfreie polnische Banderolen. Billigware. Was tun? Ich wollte mir den hiesigen Dom anschauen. Ging runter an die Elbe. Es roch schweflig. Gelbliche Schaumteppiche trieben vorbei. Die Chemie am Oberlauf war noch nicht stillgelegt. Tschechien schickte seine giftigen Grüße. Alte Genossen.

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Ein paar Monate später waren wir wieder vor Ort. Mit Ensemble. Ich spielte den eingebildet‘ Kranken. Moliere. Noch keine rechten Hotels. Umgebaute Parteischulen. Jugendheime. Recht frugale Unterbringung. Meine murrenden Kollegen. Lübzer war immer noch billig und tröstete sie über die fehlenden Komfortzonen hinweg. Ich floh an die Elbe. Konzentrieren. Den Jammerwessis entkommen. Kein Schaum. Das Flusswasser roch fast nach Wasser. Neben mir am Geländer ein Bürger der Stadt. Die Elbe da unten. Ich teile ihm meine Beobachtung mit. „Nu! Dafür bin ich ohne Arbeit!“ Sagte er.

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Habe das in den letzten Tagen hier oft erwähnte Buch von Ines Geipel zu Ende gelesen. Anstrengend, anregend, überraschend, irritierend teils. Ich weiß es nicht. So ist auch der Text montiert. Die Verzweiflung erinnert sich an alten Jubel und mag das Hoffen nicht aufgeben, welches dem kurzen Glück innewohnte. Sucht also, muss suchen, fast baggert schon, in Tiefen, Untiefen, trägt Halden ab, die sich im nächsten Moment wieder auftürmen, wissende Ratlosigkeit, händeringend. Wortberge. Wortschöpfungen. Ines Geipel ist an der „Busch“ seit langem auch als Professorin für Verskunst tätig. Verskunst! Man müsste dieses Wort noch zwanzigmal in steter Wiederholung hier hin tippen. Ein Verskunstbuch? Das liest man nicht so einfach weg. Neige selber gerne dazu Sprachlosigkeit mit den spekulativen Wortverkleisterungen für mich bisserl greifbar zu machen. Was gelernt.

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Geipels Hoffnung auf den letzten Seiten der Erzählung? Ihre neueste Schauspielschulklasse. Die Mischungen. Querverbindungen. Alles wissen zu wollen und dann wie der Ochs vor’m Berg stehen bleiben. Zusammen? Zusammen! Danach hilft nur die Fleißarbeit. Getriebene Gelassenheit.

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Was mich berührt. Die Mutter. Der Vater. Dresden. Meine Mutter. Dresden. Thüringen. Ihr Vater. IM. Mein Großvater. SS. Die Kriegskinder. Jahrgang 1935. All die Spielarten trüber Erinnerungssuppen. Lose Enden, die keine Schnürsenkel sind. Die nie werden können zur Verschlusssache. Kind! Sieh! So bindet man eine Schleife! Wer zuerst die Schleife gebunden, ist der Erste auf dem Schulhof. Die Geschichte fliegt rückwärts, wenn sie sich nach vorne bewegen will. Was tun? Es lohnt sich stets die Suche, ohne ein altes Ziel seiner Suche vorzeitig mit Ergebnissen beeindrucken zu wollen.

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Welches Lied heute hier? Einfach mal Mainstream. Zwei Brüder brauchen neues Geld und machen einen auf Wiedervereinigung. War einst der Soundtrack zu meiner ersten Ehe. Folgte eine flotte Scheidung. Brauchte lediglich 18 Monate von der intensiv fotografierten Euphorie der ersten Tage bis zur Erzählung ewiger Zerknirschung. Wann war das? Damals.

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Ein Brüderchen sagte dann über das andere Bruderlein: „Er ist ein Mann mit einer Gabel in einer Welt voller Suppe!“ Kann man machen. Oder?

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„Aber wer will dem Menschen sagen, was nach ihm kommen wird unter der Sonne?“ (Heilige Schrift / Prediger 6, 12)

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Vorgipfel / bei Pfronten im Allgäu / 14. Juni 2022

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Hoffe der Sommer endet in Bälde. 30 Grad im September machen mich traurig und mürbe. Warum nicht nur noch Milde, ein blasseres, müderes Licht? Die Kühle? Ein Frösteln? Das Abschiedswinken eines Septembers, der seine Vorgänger nicht übertreffen muss und eigene Geschichten erzählt?

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Heute von leichter Hoffnung. Es gab (und gibt sie hoffentlich noch) milde, sich der Lautsprecherei enthaltende Politiker. Eigentlich erst als Dichter entdeckt, diesen polnischen Sachsen, der in Thüringen studierte. Ilmenau.

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Gipfel 2

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Das ist dein Gipfel, höher gelangst du nicht mehr. Die Sonne, die den Zenit erreicht hat, wandert nur langsam. Unmerklich schwinden die Tage.

Du möchtest ausruhn, möchtest von deinen enttäuschten Hoffnungen abstehn, die du dennoch nicht aufgeben kannst, von all den Erfüllungen, die schal werden, wenn sie vorbeigehen. Du möchtest hier warten: Monate, Jahre, bis der Abstieg beginnt.

Aber du täuschst dich: Es ist nur ein Vorgipfel. Ein Kind kommt, und du musst aufstehn. Eine neue Pflicht fällt dir zu, und du entziehst dich nicht.

Keine Symmetrie kennt dein Leben. Und du siehst es den Wegen nicht einmal am Abendlicht an, daß es Heimwege sind.

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(aus: Uwe Grüning / Laubgehölz im November)

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Vielleicht mal so? Mehr Dichtende in die Parlamente, denen ihre Sterblichkeit bewusst und sie so den Wählern nicht ewiges Leben und Reichtum versprechen müssen. Menschen, die bereit, wenn nötig, zu gehen, Platzhalter für die, die ihnen folgen werden, wenn die wollen. Diener. Politik und Leben können nicht sein, werden und bleiben ein ewiger Rachefeldzug der vermeintlich Zukurzgekommenen. Da fröstelt es mir. Höret den Rio. Das ist ein Trostlied. Träume ich? Träume wütig als weider.

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„Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt!“ (Hassan I Sabbah aka Der Alte Vom Berg)

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Mariengrotte / Burgruine Falkenstein / bei Pfronten im Allgäu / 14. Juni 2022

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Altern heißt meist Rückfahrkarten kaufen. Ob man da wieder ankommt, wo und wie man sich einst wähnte, sei dahingestellt. Die Einen sagen so. Die Anderen sagen so.

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Ante scriptum: Was macht eigentlich Thomas Tuchel?

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Bin eben wieder bei einem Helden der Adoleszenz gelandet. WSB. Für die Drogen der Vergangenheit fehlt mir inzwischen der Mut. Es bleibt nur noch der schale Suff der Gegenwart.

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WSB schrieb, was ich eben lese: „Wessen Stimme? Hör zu. Zerschneide und vertausche auf jede mögliche Art. Lese laut. Ich kann nicht wählen, aber hören. Denk nicht darüber nach. Theoretisier nicht.“

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Ich möchte besser nicht zu den Alten auf den Bergen gehören, die hinabblicken, obwohl schon längst beim Abstieg angekommen, die herabwürdigen und vermeintlichen Überblick über gelebte Jahre als Erkenntnis verkaufen. Ein paar Meter nach oben sind immer noch möglich. Den Schlußstrich zu ziehen liegt in des Anderen Hand.

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Siehe ganz oben.

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WSB schreibt weiter: „Du wolltest Hilfe. Hier ist sie. Nimm sie dir. Und denk immer dran. ‚Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.‘ Die letzten Worte von Hassan I Sabbah, der Alte Vom Berg.“

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Gebet 1

Götter

Bitte

Macht aber nicht zu schnell

Daß meine Zunge folge meinen Augen

Jetzt

Daß meine Zunge nicht besinge

Was meine Augen niemals sahen

Nur mein abgeschaltetes Herz imaginierte

Und zwang mich zur Furcht vor der Zeit

Jetztzeit

Ebenzeit

Gesternzeit

Keinzeit

Gleichzeitig

Schenkt mir den unermesslichen Luxus der Fähigkeit

Zu warten von unten nach

Oben

Herabzusteigen

Von den Hügeln der Selbstermächtigung

Auf denen die Feldherren

Einst von uns gehasst

(heute / gewidmet dem inneren feind)

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WSB hatte an Allen Ginsberg geschrieben. Und das noch: „schau hin .. schau hin .. schau hin.“

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Ab morgen fühlen … Blödsinn … füllen sich die Tage mit sinnfreier Kickerei. Ei! Der Gottesdienste sind viele.

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(eben / sonne / ziemlich kühl für die jahreszeit / verzeihung / der mußte noch)

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„Die Zisterzienser sagen, dass man sich nicht seiner Verzweiflung hingeben darf. Das nehme ich mir sehr zu Herzen.“ (Karl-Markus Gauß)

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Gießen / Botanischer Garten / Palmsonntag / Foto: A. Haas

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Lob des Alltäglichen / Versuchsanordnung

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Statt sich zu versaufen

Vor lauter Warten

Auf himmlische Chöre und Lobpreisungen

Mag es ausreichend werden nach dem Zähne putzen

Den Tag zu begrüßen

Nicht als Feind

Und die Klinke nicht zu verwechseln

Mit dem Schloß

Hoffen wir

Ohne Gewähr

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(gießen heute / eben hagelgewitter / ostern vor den türen / weihnachtsgeschenke eines alten freundes gelesen in den letzten maladen aua-tagen zwischen wartezimmern, ergo- und anderen therapeuten / eine entdeckung / danke bester thomas / der franke sagt dann: passt scho / in diesem sinne: siehe unten)

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