Im Jahre 1986 fiel im Gefolge von Jim Jarmushs “Down by law” Tom Waits, mit gehöriger Verzögerung, auch in Deutschland in die geneigten Ohren. Zu dieser Zeit pendelte ich zwischen Köln, Düsseldorf, St. Gallen, Münster und Basel jungschauspielernd. Viele Nächte in stets pünktlichen Zügen verdöst. Und egal wo ich ausstieg, in den Wohnungen oder Kneipen, lief die 80er Jahre Trilogie Swordfishtrombones, Rain Dogs und Frank Wild Years in Heavy Rotation. Und überall erzählte man sich die Mär vom trinkenden, einsamen Streuner aus LA. Dabei hatte der 1980 seine Frau Kathleen Brennan kennengelernt und den Whiskey in die Ecke gestellt. The Piano wasn’t drinking anymore.
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In Köln aber feiert bis 1993 Gerd Köster und das Klavier dat immer noch jesoffe hätt, den Barden mit dem kleinen Hut. Der kleine Hut blieb mir irgendwann.
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Die Welt war traurig und wunderschön. Damals. Schon immer. Und blieb sie auch dann fürderhin. Mal so oder eben so.
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Roberto: It is a sad and beautiful world!
Zack: Yeah, it’s a sad and beautiful world, pal. Eh, buzz off.
Roberto: Ah, thank you! Buzz off-a to you, too.
Zack: Buzz off!
Roberto: Ah, buzz off. Buzz off? Buzz off? It’s – it’s a sad and beautiful world. Buzz off. [writes it down in a pocket notebook]
Roberto: Buzz – off. Good evening, buzz off to everybody. Oh, thank you. Buzz off to you too. Oh, it’s a pleasure. Thank you.
Zack: [takes a swig of beer, starts singing] O-we, now, now, it’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world, It’s a sad and beautiful world …
(Dialog / Down by law / Roberto Benigni / Tom Waits)
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Heute wird er 75 Jahre alt der Mann, den ich in den letzten Jahren etwas aus den Augen und Ohren verloren habe. Bereiten wir ihm zu Ehren einen Hasen zu. An den alten Lagerfeuern. And then we all scream-a for icecream-a.
Am 3. November 2001, vor 23 durch die Zeitachse davon gejagten Jahren, starb Thomas Brasch. Auf vielfältige Art und in vielen Zusammenhängen mir eine aufploppende Projektionsfläche und Identifikationsfigur.
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„Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.“
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(Thomas Brasch / Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu entkommen)
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Im Sommer 1980 hat mir meine damalige Geliebte dieses Buch geschenkt. Mit gereimter Widmung. Wo ist das Buch? Ich habe es – glaube ich – im Rahmen meiner Arbeit an der „Tankstelle für Verlierer“ – irgendwohin verliehen. Manches kehrt nie mehr zurück. Ich erinnere mich, wie ich mich durch diesen wilden Wust versuchte durchzulesen. Viel begriff ich nicht. Was ich aber begriff: wie wuchtig die Heimatlosigkeit, das Atmen ohne Wurzeln, die verlassen, das blinde Tasten namens Wut in diesen Texten. Damals befremdete mich das. Inzwischen ist es Bestandteil meiner Sicht auf das Außen. Obiges Gedicht war Motto meiner Gundermann–Arbeit.
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„Wieviele sind wir eigentlich noch.
Der dort an der Kreuzung stand,
war das nicht von uns einer.
Jetzt trägt er eine Brille ohne Rand.
Wir hätten ihn fast nicht erkannt.
Wieviele sind wir eigentlich noch
War das nicht der mit der Jimi-Hendrix-Schallplatte.
Jetzt soll er Ingenieur sein.
Jetzt trägt er einen Anzug und Krawatte.
Wir sind die Aufgeregten. Er ist der Satte.
Wer sind wir eigentlich noch.
Wollen wir gehen. Was wollen wir finden.
Welchen Namen hat dieses Loch,
in dem wir, einer nach dem andern, verschwinden.“
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(Brasch / DDR-Lyrikreihe Poesiealbum)
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Kurz nach der Biermann-Ausbürgerung 1976 verschob sich auch Brasch mit seiner Geliebten Katharina Thalbach in den Westen. Ließ sich auf eigenen Antrag hin verschieben. Wer bereut was und wann? Das Wortungetüm namens Ausreiseantrag. 1980, eben in Köln auf der Schauspielschule angefangen, sah ich im Schauspiel Köln Flimms Inszenierung des „Käthchen von Heilbronn“. Die junge Thalbach eine Explosion der Darstellungskunst. Tief beeindruckt. Damals verstummte Brasch eine längere Zeit lang, zumindest öffentlich, und besoff und bedröhnte sich, wenig beeindruckt vom „Versprechen West“. Der Grenzgang, das Faszinosum Euphorie, war mir nie fremd gewesen. Früher noch mit etwas mehr Glitzern versehen. Heute gelegentlich erschreckend banal mit dem eigenen Untergang jonglierend. Nie vergessen werde ich den Schluß des Theaterabend zu Kölle. Die Rückwand der Bühne öffnete sich, man sieht die nächtliche Krebsgasse. Kalt zieht und sieht es in den Zuschauerraum hinein. Draußen stehen die Schauspieler und glotzen zurück. Ein Poem von Brasch?
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„Und wenn wir nicht am Leben sind
dann sterben wir noch heute.
Die Liebe stirbt, du lebst, mein Kind
Die Mädchen werden Bräute
Ach, wenn ihr mich gestorben habt,
lebt ihr mich weiter heute,
gemeinsam wird ein Land begrabt
und einsam sind die Leute.“
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(Brasch / Gedichtsammlung: Die nennen es Schrei)
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Der ewige Riß. Laut oder leise. Wie einst der Vorhang im Tempel zu Jerusalem. Die Welten werden weiterhin Pharisäer beheimaten, denen eine gezielte Beerdigung ihres Landes am Schrumpelhirn vorbeigeht. Man setzt lieber fremdes Eigentum am Roulettetisch namens Leben denn den eigenen Arsch. Brasch ging, wie man heute so gerne schwafelt „All in“. Das mochte ich stets und mag es noch, wissend um die Risiken. Und sie auch gerne negierend. Wissend negieren? Geht das? Vor den Vätern sterbend als Sohn, der man ewig bleiben muß, wenn kein Vater? Dann Gott? Anderer Vater?
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„DAS FÜRCHTEN NICHT UND NICHT DAS WÜNSCHEN
darf mir abhanden kommen, auch mein täglich sterben nicht
das seellos süchtig sein auf keinen fall
nur hirnlos reimen wie ein wicht muß beendet werden
da ist ein gott und setzt sich zwischen alle stühle
er sieht genauso aus wie ich mich fühle“
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(Brasch kurz vor seinem Tod 2001)
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Und nun welches Lied? Ich kann nicht begründen warum, glaube aber es passt. Verdammt. Neat übersetzt: sauber. War auch einmal ein höchschtes Lob. „Und wie isches? Sauber!“ Beachten Sie den Bassisten links im Bild!
Am Ende der Kontrollen oder ein Heimatgedicht (keine Gebrauchslyrik)
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Bei dem Versuch fallende Blätter zu fangen
Brach ich mir den Zeigefinger
Der Wind hatte kein Einsehen mit meiner blinden Not
Trieb das Laub vor mir her grinsend meine Wut entfachend
Und ich schlug gegen die schorfige Rinde des alten Baumes
Mit aller Wucht die ich zu erinnern suchte zittriger
Wer hatte mir erzählt man könne die Fallenden mit Tränenflüssigkeit
Wieder binden an die morschen Äste
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(Gießen / Draußen trudeln die bunten Blätter freudig erregt / Unkontrollierbar / Grinsen mich an / Froh drüber, keine Kolumne schreiben zu müssen in der Laubbläser oder der Lebkuchenpraecox vorkommen / Herbst nix für Weicheier)
welche wohltat gärende brennesseln auf feuchtem herbstboden
die letzten schmeißfliegen schwirren erfreut heran
hier stinkt es erbaulich
auf den gehsteigen der städte zertrümmerte stühle
zum mitnehmen keck bezettelt
feiern die faulheit und die flucht
vor dem denken davor bis
leere kühlschränke tanzen auf den verstopften kreuzungen
und kratzen sich die bauchnäbel wund
die nächte sind zu laut
um einsam zu bleiben
mach dich winterfest
es wird etwas länger dauern
bis du dich wieder hinsetzen darfst
so müde
von deiner ewigen müdigkeit
alter genosse
in den tagen nicht endenwollender
sonnenfinsternisse
und dann ernten kannst was du
einst ausgebracht
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(gestern gedacht / heute getippt)
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PS: Nachträglicher Nachdank meinem wunderbaren Deutschlehrer, der uns mit Ernst Jandl bekanntmachte in den Siebzigern, zu trotzen der denkenden und schreibenden Voreiligkeit. Eine Lehre, welche selbstredend in mancher Sache den ejaculatio praecox meinerseits nicht immer verhindern konnte. Das Gemüse scheint länger nachzudenken, um dann gut zu schmecken.
Erklärtext machen? Schrieb ich ja gestern von. Ok! Weil ja auch Saskia Ricarda Lindner stets die Wahlergebnisse mit dem gesichert durchdachten Floskelsatz „Wir müssen unsere Politik besser erklären!“ erklären, sehe ich mich heute auch in der Lage zu erklären, was hier manchmal so steht und sogar, wenn man es nicht liest, es nicht versteht. In kleinen Dosen jedoch.
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Mangy? Mangy ist Englisch (Ach nee? Gruß vom Säzzer) und wäre zu übersetzen mit räudig oder schäbig oder von der Krätze befallen.
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Der Reim zum gestrigen Tag. Leider bisserl traurig auch. Begegnungen.
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Als wir begannen Straßenseiten zu wechseln in Sackgassen abbiegend
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Mit meiner Angst ich schlendern ging
An einem kühlen Morgen
Der Sinn stand mir nach Einsamkeit
Besingend meine Sorgen
Statt Heiterkeit nur Darmverschluss
Die Backen eingefallen
Der Sensenmann klopft an die Tür
Und ich kann nur noch lallen
Meine Lieder schenk‘ ich noch
Dem eigenen Gehörgang
Weil mir die Welt zum Rätsel ward
Wen darf man da belangen
Das Schwert zu schwingen lernt ich nie
Doch triller gern den Abgesang
Und schlender weiter
Aber tät es gerne heiter
Am liebsten ohne Angst und Bang
Nun denn
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Schon wieder dieses Morgen
Schon wieder neue Sorgen
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Fick die Waldfee
Mein guter Freund
Und atme ein und aus
Das Leben wirft dich
So oder so
Zum Fenster raus
Von jeder deiner Straßenseiten
Zu früh vielleicht
Oder bei Zeiten
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(gießen heute / über den tod und die nicht mögliche vermeidung nachdenkend wie immer / warum bin ich nicht pastor geworden / starke und wärmere winde draußen / die letzten tomaten geerntet / alles gut / das war die binse zum tag)
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Texte und Lieder auf Autobiographisches zu reduzieren? Kann man machen. Meint der Dylan sich selbst, wenn er singt? Zweifel ich mal. Schlendern. Flanieren. Zufälle. Die Bücher nicht zu Ende lesen muss erlaubt bleiben.
Der Zwickauer Daum und der Ulmer Hoeneß waren lange ein Traumpaar gewollt oder inszenierter deutscher Missverständnisse, bevor sie selber davon wussten. Der getriebene Daum zieht sich ab und an ein Näschen rein. Der nicht weniger getriebene Hoeneß verschiebt Millionen, Milliarden. Der dicke Schwoab sägt dem rheinischen Sachsen im entscheidenden Moment das Stuhlbein ab. Wenn sich Alkoholiker über Drogennutzer echauffieren. Tun sie gerne mal. Daum floh gen USA, kehrte dann zurück. Hoeneß saß ein in Bayern und ist auch wieder da inzwischen. Man redet von Versöhnung. Wieviel Feudel braucht man, um all die Krokodilstränen aufzuwischen?
* In den späten 80ern war ich regelmäßig in Müngersdorf zu Gast. Der Tünn. Litti. Icke. Brüder Allofs. Flemming Poulsen. An der Seitenlinie der Irrwisch. Die entscheidenden Niederlagen? Gegen Waldhof Mannheim. Darmstadt. Unterhaching. Roland Wohlfahrt schießt drei Hütten zu Müngersdorf und mir fällt das Kölsch aus der Hand. Wohlfahrt? Wiederhole mich: Wohlfahrt?
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Kein Trainer war so oft ein umjubelter Zweiter. Sogar ob der Schäl Sick von Istanbul. Weit vor Leverkusen. Meine Sympathien? Sind klar verteilt.
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Sobald jemand dem Ulmer in den Vorgarten pinkelt, pinkelte – Not? Verzweiflung? Die Beulen am Kopp nach dem Rennen gegen schwäbische Mauern? Wut? – holte der, lange vor Einführung des Doppelwumms, die Bazooka raus. Die Gewinnenwollenmüsser jubeln dazu. Wie es hieß im alten Süden: „Der hält sich wohl für dä Käß!“ Oder: „Dicken Eiern hinterher zu laufen, macht dir kein Omelett in deine kalte Pfanne.“ Wer hat das gesagt?
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Wir standen gerne in der Südstadt am Zochweg rum und man bejubelte den Daum, der neben dem Dreijestirn schmiss die Kamelle runter. Vielleicht ist das die Qualität des ersten FC Kölle, dat die nie mehr Meister werden. Wollen? Aber die Hoffnung stets fiere donn. Xavi Alonso hat Leverkusen vom ewigen Fluch erlöst. Das durfte der Daum mit ins Grab nehmen. Schön.
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Ceterum censeo: Es ist natürlich vollkommen sinnfrei barfuß über Scherben oder glimmende Kohlen zu gehen. So den Turbokapitalismus überwinden wollen? Weia! Manchmal sollte man dies jedoch versuchen. Da die Not rief! Nun die beste aller Torhymnen. Sinnfrei! Do stonn mr all parat! Kölle Alaaf!
(gießen / plötzlicher herbsteinbruch / osten? / westen? / jammerwessis? / besserossis? / um mich herum schrillt die welt seit tagen etwas zu laut)
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PS: Gibt es eigentlich ein sprechenderes Bild für den Zustand der deutschen Seelen als die in Dresden eingestürzte Brücke? Das Ufer zu wechseln ist also nur noch unter Lebensgefahr möglich und sowieso nicht mehr erwünscht.