Erklärtext machen? Schrieb ich ja gestern von. Ok! Weil ja auch Saskia Ricarda Lindner stets die Wahlergebnisse mit dem gesichert durchdachten Floskelsatz „Wir müssen unsere Politik besser erklären!“ erklären, sehe ich mich heute auch in der Lage zu erklären, was hier manchmal so steht und sogar, wenn man es nicht liest, es nicht versteht. In kleinen Dosen jedoch.
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Mangy? Mangy ist Englisch (Ach nee? Gruß vom Säzzer) und wäre zu übersetzen mit räudig oder schäbig oder von der Krätze befallen.
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Der Reim zum gestrigen Tag. Leider bisserl traurig auch. Begegnungen.
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Als wir begannen Straßenseiten zu wechseln in Sackgassen abbiegend
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Mit meiner Angst ich schlendern ging
An einem kühlen Morgen
Der Sinn stand mir nach Einsamkeit
Besingend meine Sorgen
Statt Heiterkeit nur Darmverschluss
Die Backen eingefallen
Der Sensenmann klopft an die Tür
Und ich kann nur noch lallen
Meine Lieder schenk‘ ich noch
Dem eigenen Gehörgang
Weil mir die Welt zum Rätsel ward
Wen darf man da belangen
Das Schwert zu schwingen lernt ich nie
Doch triller gern den Abgesang
Und schlender weiter
Aber tät es gerne heiter
Am liebsten ohne Angst und Bang
Nun denn
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Schon wieder dieses Morgen
Schon wieder neue Sorgen
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Fick die Waldfee
Mein guter Freund
Und atme ein und aus
Das Leben wirft dich
So oder so
Zum Fenster raus
Von jeder deiner Straßenseiten
Zu früh vielleicht
Oder bei Zeiten
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(gießen heute / über den tod und die nicht mögliche vermeidung nachdenkend wie immer / warum bin ich nicht pastor geworden / starke und wärmere winde draußen / die letzten tomaten geerntet / alles gut / das war die binse zum tag)
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Texte und Lieder auf Autobiographisches zu reduzieren? Kann man machen. Meint der Dylan sich selbst, wenn er singt? Zweifel ich mal. Schlendern. Flanieren. Zufälle. Die Bücher nicht zu Ende lesen muss erlaubt bleiben.
Der Zwickauer Daum und der Ulmer Hoeneß waren lange ein Traumpaar gewollt oder inszenierter deutscher Missverständnisse, bevor sie selber davon wussten. Der getriebene Daum zieht sich ab und an ein Näschen rein. Der nicht weniger getriebene Hoeneß verschiebt Millionen, Milliarden. Der dicke Schwoab sägt dem rheinischen Sachsen im entscheidenden Moment das Stuhlbein ab. Wenn sich Alkoholiker über Drogennutzer echauffieren. Tun sie gerne mal. Daum floh gen USA, kehrte dann zurück. Hoeneß saß ein in Bayern und ist auch wieder da inzwischen. Man redet von Versöhnung. Wieviel Feudel braucht man, um all die Krokodilstränen aufzuwischen?
* In den späten 80ern war ich regelmäßig in Müngersdorf zu Gast. Der Tünn. Litti. Icke. Brüder Allofs. Flemming Poulsen. An der Seitenlinie der Irrwisch. Die entscheidenden Niederlagen? Gegen Waldhof Mannheim. Darmstadt. Unterhaching. Roland Wohlfahrt schießt drei Hütten zu Müngersdorf und mir fällt das Kölsch aus der Hand. Wohlfahrt? Wiederhole mich: Wohlfahrt?
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Kein Trainer war so oft ein umjubelter Zweiter. Sogar ob der Schäl Sick von Istanbul. Weit vor Leverkusen. Meine Sympathien? Sind klar verteilt.
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Sobald jemand dem Ulmer in den Vorgarten pinkelt, pinkelte – Not? Verzweiflung? Die Beulen am Kopp nach dem Rennen gegen schwäbische Mauern? Wut? – holte der, lange vor Einführung des Doppelwumms, die Bazooka raus. Die Gewinnenwollenmüsser jubeln dazu. Wie es hieß im alten Süden: „Der hält sich wohl für dä Käß!“ Oder: „Dicken Eiern hinterher zu laufen, macht dir kein Omelett in deine kalte Pfanne.“ Wer hat das gesagt?
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Wir standen gerne in der Südstadt am Zochweg rum und man bejubelte den Daum, der neben dem Dreijestirn schmiss die Kamelle runter. Vielleicht ist das die Qualität des ersten FC Kölle, dat die nie mehr Meister werden. Wollen? Aber die Hoffnung stets fiere donn. Xavi Alonso hat Leverkusen vom ewigen Fluch erlöst. Das durfte der Daum mit ins Grab nehmen. Schön.
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Ceterum censeo: Es ist natürlich vollkommen sinnfrei barfuß über Scherben oder glimmende Kohlen zu gehen. So den Turbokapitalismus überwinden wollen? Weia! Manchmal sollte man dies jedoch versuchen. Da die Not rief! Nun die beste aller Torhymnen. Sinnfrei! Do stonn mr all parat! Kölle Alaaf!
(gießen / plötzlicher herbsteinbruch / osten? / westen? / jammerwessis? / besserossis? / um mich herum schrillt die welt seit tagen etwas zu laut)
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PS: Gibt es eigentlich ein sprechenderes Bild für den Zustand der deutschen Seelen als die in Dresden eingestürzte Brücke? Das Ufer zu wechseln ist also nur noch unter Lebensgefahr möglich und sowieso nicht mehr erwünscht.
Schwermut statt Depression. Als bekennender Romantiker Lebenslust und Verzweiflung in den morgendlichen Kaffee rühren. Jeden Tag aufs Neue. Den Humor auch den vermeintlichen Gegnern gestatten. Möglicherweise.
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Las eben, dass Caspar David Friedrich lange Zeit etliche seiner Bilder nach Weimar senden ließ. Der ewige Geheimrat hat sie aber noch nicht mal ausgepackt und unbesehen zurückgesandt. Da er angeblich wusste, dass das Romantische die Welt nicht fassen kann. Welche Welt? Wessen Welt ist die Welt? Derweilen stand er – sein Rücken am Arsch, dauerblau – an seinem Stehpult und schrieb sich getrieben und sehr laut in die Almanache aller ihm nachfolgenden Deutschländer. Sehr schönes Interview.
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Die Schwermut
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Gewaltig bist du dunkler Mund
Im Innern, aus Herbstgewölk
Geformte Gestalt,
Goldner Abendstille;
Ein grünlich dämmernder Bergstrom
In zerbrochner Föhren
Schattenbezirk;
Ein Dorf,
Das fromm in braunen Bildern abstirbt.
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Da springen die schwarzen Pferde
Auf nebliger Weide.
Ihr Soldaten!
Vom Hügel, wo sterbend die Sonne rollt
Stürzt das lachende Blut —
Unter Eichen
Sprachlos! O grollende Schwermut
Des Heers; ein strahlender Helm
Sank klirrend von purpurner Stirne.
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Herbstesnacht so kühle kommt,
Erglänzt mit Sternen
Über zerbrochenem Männergebein
Die stille Mönchin.
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(Georg Trakl)
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Der Krieg kann einem das Schweigen beibringen. Oder die Geschwätzigkeit. Der Schwarze Hund ist nur eine der vielen Varianten des Kriegs. Und gerne Auslöser der letzten Gefechte. Und der sie auch über das Verfallsdatum hinaus am Leben erhält. Die Schwarzen Hunde des Gegenübers füttern den eigenen Schwarzen Hund. Macht Angst. Oder blau. Nur ein Bild. Singend.
Anfang September 2017 stand ich im Grenzland-Theater in Sovetsk auf der Bühne und sang u.a. „Halt Dich an Deiner Liebe fest!“ und ein paar Songs von Elvis. Was genau, habe ich vergessen. Nicht vergessen aber ist das begeisterte Publikum, welches – es lebe das Klischee – schön sentimental nah an russischen Wässerchen gebaut war und schunkelte und jubilierte. Die gab es danach in rauhen Mengen, die Wässerchen, wobei unsere Übersetzerin uns schon beim Empfangswässerschen am Vorabend gesagt hatte: „Verglichen mit sowjetischen Zeiten wird kaum noch getrunken hier!“ Na dann, nastrowje. Jetzt, wo ich es hinschreibe, vermute ich, dass ich mich wiederhole. Nicht zu vermeiden. Kurz vor 68. Mein nächster Geburtstag.
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Auch wenn ich mich wiederhole, es war eine seltsame Reise. Ich hatte mich gefreut wie Bolle, befeuert auch von alten Klischees. Deutsch-Russische Freundschaft. Seele. Literatur. Wässerchen. Der Große Vaterländische Krieg, der unseren heutigen Wohlstand erst ermöglichte. Rosa- bis knallrot gefärbte Erzählungen meiner Verwandten oder später dann Kollegen in der DDR oder ihren Resten nach 1989. Inklusive der Wut. Subkutan. Das Morbide, das mich als Schwarzen Hund schon immer anzog. Utopie. Träumerei. Die Erinnerung an die jugendliche Verteidigung roter Kugeln.
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Das Mulmige? Das, was ich sah, war nicht morbid mit Charme, sondern einfach kaputt und großräumig verschimmelt. Auf der Fahrt zum Theater wurde uns eingeschärft – Wässerchen hin oder her – auf jeden Fall auf politische Einlassungen aller Art zu verzichten. Den damals noch engen Freund und Erwärmer unserer Ärsche in den deutschen Wintern Putin am besten überhaupt nicht zu erwähnen. Nach dem Auftritt trafen sich die zwei Ensembles sehr intensiv, ich sang dann noch mit dem schwäbischen Theaterdirektor, gut bewässert, „Auf dr schwäbsche Eisebahne“ und als ich trunken ins Hotel fliehen wollte, lief plötzlich jemand neben mir her und lieferte mich ab. Im Hotel. Gerne hätte ich noch ein wenig auf die Memel geblickt und nachgedacht. Oder wäre reingefallen.
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Natürlich habe ich nach Rückkehr stolz von dem Aufenthalt überall herumerzählt. Bisserl geschönt. Man muss ja nicht alles verraten, was einem quer im Halse hängt. Und im Rückblick ist man eh schlau wie der Fuchs, der rote Gefährte. Auch wenn er die Gans nicht gestohlen hat.
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Was war das noch mit den roten Kugeln? Nur noch diese roten Kugeln? Nun gut. Wenn man sich einmal verstrickt hat, hilft es nicht mal rechts, mal links eine neue Masche fallen zu lassen. Fast jeder erlebt über kurz oder lang eh sein blaues Wunder. Was nicht weiter verwunderlich ist.
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Den unten nannte man den russischen Bob Dylan. Hinweis von Maxim Biller. Danke dafür.
Es treibt mich um. Das letzte Wochenende. Es wird mich noch länger umtreiben und hat mich schon davor rumgetrieben. Vor sich her. Wie lange wohl schon?
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2022 war ich dabei etliche Koordinaten, die mich halbwegs sicher durch mein bisheriges Leben geführt hatten, zu verlieren. Um ehrlich zu sein, hatte ich Ende 2021 meine seelische Roadmap vollkommen sinnentleert selbst in die Luft gejagt. Ich war von der Richtigkeit meines emotionalen Handelns voll und ganz überzeugt. Hand in Hand mit Genosse Grauburgunder. An meiner Seite war man glücklicherweise – nach meiner reumütigen Heimreise – sehr stark. Jedoch benötigte ich Hilfe. Hilfe in der Not. Der Riss, durch den kein Licht eindrang, sondern nur schwarze Suppe und mich zu spalten drohte, nahm mir gelegentlich den Atem.
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Also saß ich unterm Dach des Instituts in Gießen – Jahre davor hatte ich ein Theaterstück über den Namensgeber zusammengestückelt – nun auf der anderen Seite. Nicht wissend, eher irrend. In einem Nebensatz in einer der knapp zehn Sitzungen sagte die Frau, die mich „betreute“ – sie kam aus der Ukraine – „Wissen Sie, die allererste Heimat, die Heimat der Eltern, Großeltern, selbst wenn man dort nicht mehr aufgewachsen ist, hat viel Kraft in einem!“
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Las ich heute im gestern erwähnten Buch von Ines Geipel, die den Exil-Philosophen und Prager Juden zitiert: „Das geheimnisvolle Heimatgefühl fesselt an Menschen und Dinge. Beide sind in dieses Geheimnis gebadet. Geheimnisvolle Codes, in denen man lebt wie in ausgelatschten Schuhen. Die aber, die gehen, können qua Status nicht anders als den Finger in die Heimatwunde zu legen. Ihr Weggehen sagt: Nichts ist einfach so!“
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Natürlich rührt mich der Blick auf den Bodensee an. Natürlich gibt es dort Menschen, wichtige Menschen. Meine Familie wohnt dort. Aber, schon öfters schrieb ich hier darüber, stehe ich zum Beispiel in Hoyerswerda und fühle ich mehr Heimat als in Dingelsdorf mit Blick auf Überlingen. Das macht die Beheimateten natürlich wütend. Auf mich. Nicht auf ihr Bleiben.
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Wahlen in Baden-Württemberg nehme ich nur peripher wahr. Kretschmanns Wahl ist für mich kein Brustlöser. Da wo die dicke Kohle tanzt, auch wenn sie grün, fluche in gerne in der Sprache der Eingeborenen. Dies wiederum erbost meine liebste Frau, die den See vorbehaltlos lieben kann. Als Hessin.
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Die letzten Wochen ließen mich also nach- und vordenken und zweifeln und verzweifeln und trotzdem hegte ich eine seltsame, schwer zu begründende Nachsicht ob der schmerzlichen Entscheidungen der Menschen dort. Und ihren mehr verzweifelt als peinlichen Liedern. Bescheuert natürlich. Am Bodensee wußte man stets besser Bescheid.
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Halt! Auf Zynismen fortan verzichten.
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Meine Mutter, aufgewachsen und ausgebildet in der DDR, mit mir im Bauch und meinem schon lange toten Vater damals an den See gezogen, hatte sich im Laufe ihres Lebens, gut verankert in der sogenannten Konzilstadt, versucht den dortigen Dialekt zuzulegen. Zumindest Bruchstücke. Es klang in meinen Ohren fürchterlich und peinsam. Ich hatte wenigstens die Chance in der Schule hörend zu lernen, wie mr halt als e Konschtanzer Frichtle schwätze tut. Ich war nie ein solches Tierchen. Habe mich gut angepasst. So wird man aber schneller zum Verräter, als man einen eigenen Dialekt erlernen kann, wenn man später auf dem Bahnsteig steht.
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Bevor ich jetzt aber auch noch anfange über meinen Wohnort Gießen nachzusinnen, gehe ich besser mal in die Küche, spüle, kaufe dann ein und haue ein fettes Fleischstück in die Pfanne. Dazu Mais und Kartoffeln aus Eigenanbau. Eben noch die öffentlich- selbstgerechtliche Kurve gekriegt.
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Es wird nicht so einfach bleiben, wie es eh nie war. Außer man stellt das Nachdenken ein. Ruft’s Großmaul in mir. Master Cohen! Bitte übernehmen!
Versuch angesichts vergangener Weltuntergänge lose Enden miteinander zu verknüpfen
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„Als Dylan die Bühne betrat, streckte Hilbig seinen Arm mit der zur Faust geballten Hand wie ein Boxer nach vorn. Es sah aus, als würde er bereit sein für die letzte Runde.“ (Michael Opitz / Wolfgang Hilbig – eine Biographie)
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Gelegentlich, in letzter Zeit häufiger, stoße ich beim ziellosen Herumlesen auf mannigfaltig herumbaumelnde lose Enden. Eben jetzt bei und über Wolfgang Hilbig, der gefördert wurde, Heizer noch, schreibendes Prekariat, von Franz Fühmann, jenem Großmeister der Mythenerzählung, da beide verband die Liebe zur Romantik, Counterpart zu jenen scheinbar weltwissenden Aufklärern, ETA Hofmann und vor allem der nun von mir zu entdeckende noch, Novalis, eigentlich Georg Philipp Friedrich von Hardenberg, tätig im Bergbau, der erschloss die Braunkohlelagerstätten in der Gegend um den heutigen Tagebau Profen, unweit Hilbigs Geburtsort Meuselwitz, der heiratete und wirkte auch in Freiberg, wohin ich mit der Gattin die erste Reise nach dem ersten Lockdown und dem Verlust aller Tätigkeit antrat, ins Erzgebirge, welches durchlöchert, durchgegraben, ausgehöhlt, entleert, befreit vom Silber, den Erzen und ließ hunderte, tausende Männer zurück in den Stollen, Wiedergänger, Gespenster, unterirdisch rumorende Geschichten.
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Wolfgang Hilbig, der aufwuchs, malochte, boxte, zu schreiben begann in jenen Meuselwitz, halb Sachsen, eigentlich aber Thüringen, mitten in den Abbaugebieten, Profen in der Nähe, wo ich im Sommer 2000 spazieren ging mit einer Liebe, in Leipzig probte ich den Teufel in einen Faust-Projekt, und wir in die gigantischen ausgebaggerten Abgründe blickten, nicht ahnend, zumindest ich, dass dies nur der Beginn war eines unendlich tiefen Falls in schwarze Gruben, ein Einbrechen, was mich 5 lange Jahre begleiten sollte und führte in diese gesichtslose Stadt, in der ich lebe immer noch.
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Jener Franz Fühmann, einer der vielseitigsten Schriftsteller und Kinderbuchautoren der DDR, der beschloss 1974 im Mansfelder Land über Bergbau zu recherchieren, er selbst unter Tage fuhr, arbeitete wie jeder andere Bergmann, für ihn der Schacht war ein Ort der Wahrheit, ein Urerlebnis, ein Tummelplatz von Geistern, die etwas zu erzählen hatten, der dann starb, gebeugt in einer kargen Schreibgarage in Märkisch-Buchholz, wohin ich radelte in brütender Hitze 2014 durch den schlingernden märkischen Sand, über sein Spätwerk „Im Berg“, Fragment, unvollendet, der Bericht eines Scheiterns und dessen Traktat über Georg Trakl, der „Sturz des Engels“, oder wie es ursprünglich betitelt war „Vor den Feuerschlünden“, ich 1991 erst in Tübingen, dann in Thüringen las und spielte als ein schwergewichtiges Solo, den Engel ich dann vergaß, bis ich ihm 2019 wiederbegegnete in Hoyerswerda, im Tagebau Welzow, da ich Texte und Bilder sammelte für meine Arbeit „Die Tankstelle der Verdammten“ über den Sänger, Baggerfahrer und Poet Gerhard Gundermann, meine letzte Inszenierung hier vor Ort unter der Fuchtel der gerne kunstfrei Machtbesessenen.
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Und immer wieder singen in all den Jahren von den Weltuntergängen, wie auch Hilbig oft umkreiste das Ende aller Enden, als stünden die endgültig letzten Erschütterungen nicht vor der Türe, sondern haben lange schon lange stattgefunden oder ereignen sich tagtäglich, unbemerkt oder Trommelfelle platzen lassend und ein Finger weist hinüber zu Jura Soyfer der, Jude, hundert Jahre ist es her und war schon damals keine Neuheit, aus Charkiw fliehen musste mit den Eltern nach Wien, landete in dieser Stadt des fröhlichen Sterbens, den Heldenplatz vor Augen und schrieb ein monströs komisches Theaterstück: Weltuntergang oder »Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang«
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Und wie sie weiter eiert durch das Universum, die Welt, welche lediglich der Planet Erde ist, krumm, schief, hechelnd, grausam, ignorant, besetzt und gefoltert von einer Spezies, die versucht ihre eigenen Geister, Gespenster, Götter, Ahnen und Erfahrungen zu ignorieren, totzuschweigen, zu übertünchen und ordinär zu schminken, aber dort wo Mondkrater aus der Landschaft gebaggert werden, wurden, atmet es weiter und die Wiedergängerin Brigitte Reimann ruft in die Nacht des Jahres 1957: „Hoyerswerda ist überwältigend, das Kombinat von einer Großartigkeit, daß ich den ganzen Tag besoffen herumlief.“, so hoffnungsbesoffen, wie ein jeder einmal sein sollte.
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Wolfgang Hilbig, vom nahenden Tode markiert, war überglücklich, als er am 3. Mai 2007 von Freunden im Rollstuhl in die Max-Schmeling-Halle geschoben wurde, der alte Boxer, den eine gute Freundin und Begleiterin seiner letzten Tage, Christiane Rusch, als wandelndes Bob-Dylan-Lexikon bezeichnete und mit ihm zusammen ein allerletztes Gedicht verfasste:
–
als sie noch jung waren die winde
war ich verworren
und blind und taub
für ihren gesang
jetzt wenn ich das land durchstreife
und nicht mehr weiß
wo ich bin
und nichts mehr wissen will
in meinem herzen
denk ich an die winde
die alt geworden sind
–
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PS: Eines nur bemängelte der begeisterte Dichter, dass Dylan nicht sein Lieblingslied auf die Setlist geschrieben hatte, welches ich nachreiche den Gespenstern zu Ehren.