Tja so war’n die oiden Rittersleit, sans heit a noch und net so viel g‘scheiter / Fangen wir wieder an zu rauchen 11

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Zell (Allgäu) / Blick von Ruine Eisenberg zur Ruine Hohenfreyberg / 15. Juni 2022

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Die Burgruine Eisenberg gehörte dem Vater. Die Burgruine Hohenfreyberg errichtete der Sohn. Der war wiederum – Es lebe die Binse again! – auf der damals noch nicht Ruine Eisenberg aufgewachsen. Dann wollte der Sohnemann dem herrschsüchtigen Herrn Papa mal zeigen, wo der architektonische Burgenhammer hängt, und lässt auf dem Hügel gegenüber eine neue Burg errichten. Nach dem Vorbild der Staufer. Höher, stärker, standhafter, g’scheiter eh. Was man als Sohnemann so ist. Vermeintlich. Nach dem Vorbild der Staufer? Was daran im 16. Jahrhundert besonders fortschrittlich gewesen sein soll? Nun, manche Menschen glauben heutzutage ja auch immernoch an den guten Kern der Sowjetunion.

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Auch diese zwei Burgen wurden abgefackelt im Rahmen des dreißigjährigen Krieges. Siehe Burg Falkenstein bei Pfronten. Geschliffen wurden sie nicht. Schade denke ich manchmal. Jetzt stehen sie halt blöd oder scheinattraktiv in der Gegend rum und erzählen müde und seltsam sehnsüchtige Geschichten. Mahnmalismen nennt man das wohl. Wären sie geschliffen, müßten sich die Nachkommen zum Disput in den Tälern treffen. Oder gar in den Ebenen, wo die Mühen wohnen. Ohne die alten Scheingewißheiten.

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Gescheiter wie die Rittersleit sammer net g’worn. Aber entschieden unlustiger und unentspannter. Dachten wir so, als wir zwischen den Ruinen hin und her pendelten und versuchten Verse dieses sinnfreien Liedes zusammenzukramen. Wie sprach der berühmteste Ritter der deutschen Dramatik ? „Er möge mich im Arsche lecken!“ Dies heute als ein kleiner Gruß in die Welt. War der Berlichinger ein Vorfahr von Johnny Rotten?

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RAUCHPAUSE / Teil 11

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Gut, ja. Ich hatte öfters auch mal ein Scheißgefühl. Vielleicht sollten wir das Ganze einfach seinlassen. Aber da steckst du nicht drin. Es gibt nun mal Menschen, die neigen zum Extrem. Mittelmaß ist denen ein Fremdwort. Ich fand Rothhändle irgendwann schon – sagen wir mal – heftig. Nicht so Hansi. Schwarzer Krauser. Und Grappa. Konsequenz war sein Stichwort. Du konntest die Uhr stellen. Punkt 12: erstes Bier. „Der Abend bricht jetzt an.“ Punkt 6 Uhr abends: erster Grappa. „Es naht die Nacht.“ Punkt 10 Uhr abends: die Frikadelle. „Der Mensch muß essen.“ Punkt 2 Uhr nachts: „Laß mich in Ruhe. Hatatitla kennt den Weg nach Hause.“ Rausschwanken. Autofahren war ja nicht mehr. Hansi hatte jetzt so ein Fahrrad mit noch oben gebogenem Rennlenker. Er nannte es „Hatatitla“. “Die Gesinnungspolizei hat mir die Strassen weggenommen, aber Hatatila, mein Stahlroß, bleibt treu an meiner Seite.“ Ich hatte immer Schiß, der tritt in jeder Beziehung das Erbe von Charlie an.

Manchmal frage ich mich, friert man eigentlich auch noch, wenn man tot ist? Man hat ja nicht so viel an im Sarg. Nur dieses Hemdchen. Als Junge dachte ich immer, bloß kein Unfall oder so etwas im Winter. Schmerzen und Frieren ist einfach einer zu viel. Im Sommer kann man schon mal mit dem Fahrrad stürzen. Das geht. Aber im Winter. Ne. Allein die Vorstellung, wie das Blut auf der Straße festfriert.

Hansi und die Frauen. War schon immer so. Wir waren mal länger in den USA. Ein bißchen so die Buben auf Jack Kerouacs Spuren. Wir hatten uns gerade einen alten Straßenkreuzer gekauft. Hellblauer Stationwaggon. Verchromte Zierleisten. Haifischflossen. Zwei Zigarettenanzünder. Einer vorne, einer hinten. Vier Aschenbecher. Wir wollten runter nach Mexico. Da liegt plötzlich ein Brief aus der deutschen Heimat im Kasten. „Ankomme in zwei Wochen in N.Y. Flug pipapo. Ich liebe Dich. Deine … Billy, Bulli, Schnulli.“ Der Sack. Verliebt sich kurz vor dem Abflug. Ich hatte damals schon getobt: „Du Hirni, wir sind jetzt 9-10 Monate „on the road“, Pfoten weg, gibt nur Ärger.“ Und jetzt hat der Papi der Kleinen Sommerferien über dem Atlantik spendiert. Langer Rede, kurzer Sinn: 10 Tage nach der unglückseligen Postzustellung sehe ich nur noch das Auspuffrohr von „Easy does it“ – so hieß unser hellblaues Schlachtroß – in der Ferne verschwinden. Ich bin dann 3 Monate lang alleine in der Gegend rumgetrampt. Klasse. Oder ein andermal. Hansi, ich und Gonzo – noch so ein Chaot – hatten eine Jungmännerverabredung getroffen: in 4 Wochen um 12h mittags auf dem Djem nal Fa in Marrakesch bei den Zahndoktoren. Darauf eine Riesentüte und heiliger Schwur. Hansi ist schon vor, ich hatte noch einen Job. Kurz bevor ich loswill, wird meine damalige – recht neue – Freundin „krank“ – also hat gewisse Rauschmittelprobleme nicht mehr ganz so im Griff und mußte in die Klinik. Aber ich: Ein Mann, ein Wort und los. Die Frau, eigentlich schon so eine Art sehr wichtige Frau. Eigentlich total wunderbare großartige wunderschöne extrem wichtige Frau. Gut. Was ist man manchmal für ein dummes Arschloch. Diese Frau jedenfalls schickt herzzerreißende Briefe hinter mir her. Beziehungsweise voraus. Posta restante. Nach Avignon, Malaga, Tanger. Aber Gonzo und ich: der postpubertäre Ponyexpress reitet weiter. Wir hatten uns inzwischen beide in Tanger eine Art Amöbenruhr eingehandelt und standen trotzdem pünktlich um 12 in Marrakesch bei den Zahnklempnern und bewunderten mit schmerzverzerrtem Gesicht die Klempnerwerkzeuge und die zahnlosen Gestalten, die da auf Kundschaft aus der Wüste warteten. Wer nicht da war: Hansi. Beim Postamt hatte er eine Nachricht hinterlassen: „Bin schon mal weiter. Hab jemand kennengelernt. Der Wind ruft mich. Sorry. Hansi“ Ich hätte es damals schon wissen müssen.

Hier. (holt eine Postkarte aus der Tasche) „ich möchte daß meine Liebe stürbe / daß es regnet auf den friedhof / und in die gassen wo ich gehe / jenen beweinend der mich zu lieben glaubte“ Beckett. Diese Karte lag in Malaga. (Hustenanfall, ein paar Tränen) COPD. Was so alles stirbt im Laufe eines Lebens.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Zell (Allgäu) / Blick von Ruine Hohenfreyberg zur Ruine Eisenberg / 15. Juni 2022

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Von der Geduld der Biberburgen und unserer hektischen Erbsendrückerei / Fangen wir wieder an zu rauchen 10

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Das Moor bei Pfronten / Biberdamm / 13. Juni 2022

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Biber sind nicht blöd. Gut, sie müssen mit einem Gebiß leben, welches ihnen bei Heidi Klum wenig Chancen auf ein sogenanntes Foto einräumt. Aber sie sind gescheit. Sie bauen erst ihr Häuschen – man nennt es eine Burg – und dann schichten sie – da kann mal auch mal scheiße aussehen, wenn die Beißerchen ihre ganze Arbeit leisten – einige Meter flußabwärts einen Damm auf. Und warten. Warten deshalb, weil bis das Gewässer seinen Pegel steigen lässt, der Haupteingang der Biberburg so unter Wasser liegen soll. Dann erst ziehen sie ein. Im Biberleben gibt es keine Rabatte, keine Sonderangebote, keine Pfennigfuchserei. Regnet es mehr, zieht man schneller ein. Ansonsten wird gewartet und ein neuer Baum angenagt.

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Meine Frau bekam unlängst eine therapeutische Erbse geschenkt. Aus Plastik. Um die eigene Ungeduld und Unruhe zu bändigen und zu besänftigen, soll man drei Erbsen aus der Hülle drücken. Alles Plastik selbstredend. Das ist gar nicht so einfach. Und soll beruhigen. Man schaut in den Spiegel und denkt: Was soll die Hektik? Drück. Drück mich. Drück dich. Druck. Währenddessen wartet der Biber und nagt vor sich hin. Zeit hat Zeit.

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RAUCHPAUSE / Teil 10

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Ewiges Leben? Narzißmus. Grenzenlose Überschätzung der eigenen Wichtigkeit. Narziß wollte sein eigenes Spiegelbild küssen, ist dann voller Verzückung in den Teich gefallen, der ihn spiegelte und ersoffen. Andere wiederum sagen, ein Blatt sei in den Teich gefallen, hätte das Spiegelbild getrübt. Narziß meinte daraufhin, er sei potthäßlich und entleibte sich. Da kann ich es auch weitertreiben.

Wenn man bedenkt, das ist eigentlich meine Kneipe. Ok. Unsere. Hansis und meine. Unser „Aquarium“. Die einstmals letzte Insel im Meer der Hektik und der Geschwätzigkeit. Der Ruhepol. Das Reservat.

Hansi und ich hatten ein Ritual. Wer inhaliert, der schweigt. Und da mußten andere, auch Frauen, die eventuell neben einem saßen, einfach warten, bis Du wieder sprechen kannst. Und du, du mußtest die Nerven haben, das auszuhalten. Das Schweigen. Gerade eben habe ich zu Hansi noch gesagt: „Weißt Du was? Ich vermisse das Schweigen.“ Die Augen nach oben gedreht hat er daraufhin und den Kopf geschüttelt. Depp.

Du bist echt ein Depp. Ich stehe jetzt hier draußen und rede mit mir selbst. Und rede mich nicht wirklich warm. Und warte. Auf was? Auf was eigentlich? Auf noch so einen traurigen Ritter, der dieselbe Klage singt? Ich würde gern mal mit Helmut Schmidt eine quarzen. Oder mit Loki. (zündet sich mal wieder eine an)

Unser altes „Aquarium“. Gut, das war im Prinzip Hansis Geld. Seine Lieblingstante hatte ihm damals ordentlich was vermacht. Vor etwa 6 Jahren. Ich war gerade frisch geschieden und Hansi hatte ein paar Probleme in seinem Job. Nun gut, wenn Du als Taxifahrer (mit 27 Semestern Erziehungswissenschaften und Linguistik) zweimal innerhalb eines Jahres den Lappen für zwei Monate abgeben mußt – Getränke und so – wird dein Chef irgendwann sauer. Und meine Scheidung wiederum war für mich eine finanzielle Bauchlandung. Ärger gab es also ausreichend in Hansis und meinem Leben. Unser Refugium wurde das „Aquarium“. Wir sind da quasi untergetaucht. Haben geschwiegen. Inhaliert. Uns innerlich feucht gehalten.

Es ist etwas Seltsames mit der Zeit und den Geschlechtern. Wird eine Frau 40, bleibt sie das bis an ihr Lebensende. Ein Mann in derselben Situation mutiert geistig schlagartig zum 20-Jährigen. Er halbiert quasi die Zeit und verfällt in eine Art postpubertäre Starre. Er etabliert ein Paralleluniversum. Dieses ist bestimmt von Ritualen, die gerne auch zur Zwangshandlung mutieren. Zum Beispiel: Aufsagen des gesamten Textes von „Supper`s ready von Genesis. Oder der Aufstellung der Meistermannschaft des HSV von 1982 inclusive Ersatzbank. Exakte Länge der einzelnen Tracks auf „High Voltage“ von AC/DC. Und. Und. Eine permanente Reise zurück in eine glorreiche Zeit, als die Welt noch beseelt war von einem heiligen Ernst. Falls das so war. War schon so.

Eigentlich bescheuert. Hansi und ich, zusammen nun wieder zarte vierzig Jahre jung, im Kokon unserer Vergangenheit klebend. In der Kneipe „Zeitlosigkeit“ und über unseren Köpfen baumelten die an die Decke geworfenen Teebeutel der letzten Jahrzehnte. Sie klebten dort wie unsere abgehangene Trauer und unsere müde Wut.

Eines Tages kippte Charly, der legendäre Gründungsvater des „Aquariums“ und der erste und beste Kunde seiner selbst hinter seinem Tresen um. Und wir haben den Laden übernommen und einen heiligen Schwur geleistet: „Charly, der Kampf geht weiter.“ Charly hatte immer gesagt: „Drei Dinge braucht der Mann: Feuer, Feuchtigkeit und Haltegriffe am Tresen.“ Das war der definitive Minimalismus. War auch das Prinzip der „Karte“. Es gab nämlich keine Karte. Man kann ja fragen. Bier. Ein paar Spirituosen. Sonst nur Wasser und Apfelsaft. Keine braune Imperialistenbrause und kein Zuckerwasser. Sekt gab es nur, wenn eine mit einem Stammgast verbandelte Frau Geburtstag hatte und unbedingt darauf bestand. Einziges Nahrungsmittel: zwischen halb 11 abends und 2 Uhr morgens gab es Frikadellen. Das Brötchen war mit drin. Unsere Cocktailkarte: drei Basics. Der „Keith Richards“: Wodka Orange. Der „Queen Mum“ (für die Mädels): Gin-Fizz. Und die sogenannte „Traditionsperlung“: Asbach mit Apfelsaft. Das hat funktioniert. Die ersten drei Jahre waren ein Traum. Das „Aquarium“ schäumte.  Von Montag bis Samstag. Am Sonntag Ruhetag. Körperlich war das jetzt nicht durchgängig gesund. Aber seelisch durchaus. Reduce to the maximun.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Pfronten / Dorfwirt / Die Therapieerbse / 11. Juni 2022

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All den Quittungen die Stirn bieten / Fangen wir wieder an zu rauchen 09

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Ammoudia / Epiros / Hellas / 16. August 2013

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Ich vergesse immer dieses Fremdwort, welches die Tatsache, daß man Unangenehmes wie eine Bugwelle vor sich herschiebt, kurz und knapp beschreibt. Es klingt jedenfalls ein bisserl wie Prostata. Da wird ja auch festgehalten und nicht losgelassen. Jedenfalls saß ich heute – endlich – an der Steuer. Für einen Selbstständigen, der nicht nur solo, sondern auch verheiratet und die Gunst bescheidener Coronahilfen genießen durfte, eine rechte Freud. Was dieses Foto da oben damit zu tun hat? Nun, ich sortierte die Quittungen (mache ich schon seit Neujahr) der letzten Monate des letzten Jahres. Hamburg. Alkohol. Überdrehte Herzen. Und da mußte ich an Frank Schulz denken und seine Hagener Trilogie. Man muß zu seinen Dämlichkeiten stehen. Leugnen ist da nicht förderlich. Dafür sind manche Dämlichkeiten zu wertvoll. Gewesen. Das Fluchtfahrrad sollte man jedoch nicht zu lange in der Gegend rumstehen lassen. Es wächst sonst zu.

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RAUCHPAUSE / Teil 09

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Ich stehe zurzeit auch unter so einer Art von Trauma. In Sachen Wortwahl. Bin da verunsichert. Unlängst hat mir mein Bewährungshelfer zur Auflage gemacht – er hat da einen eher gesamtheitlichen Ansatz – also: ich darf diese Wörter nicht mehr in den Mund nehmen wie z.B.: (stumm aussprechen: Zigarette, Rauchen, Feuerzeug etc).  Weil schon diese Worte im Rachen- und Gaumenraum, da materialisiert sich irgendwo negative teerhaltige Energie und das sei nicht gut. Ein Jahr auf Bewährung. Ein ganzes Jahr. Das I- Tüpfelchen auf dem Ende einer langen Freundschaft.

Ein ganzes Jahr. Und selber einsperren muß ich mich auch noch täglich. In diese kleinen gelben Quadrate auf den Bahnsteigen. Gelb. Die deutsche Farbe der Kennzeichnung. Hoffe nicht, der Haus- und Hofmaler der Bahn hat sich dabei was gedacht. Das kleine gelbe Quadrat. Da streckt man den Arm raus, schon steht man im Freien. Frei. Freier. Freiheit. Hier. Der kleine private Freiheitscheck bei Google. (noch ein Zettel) Eingegeben habe ich erstmal: „Frei Deutschland“. Trefferquote: 2.270.000 Einträge.  Dann „Freiheit Deutschland“: 2.210.000. Als nächstes – einengen gell – „persönliche Freiheit Deutschland“: sind es noch 1.380.000 Einträge. Es folgt die Spezifizierung auf höherem Level: „individuelle Freiheit Deutschland“ Da haben wir dann weltweit 940.000 Einträge. Unter „nur deutsche Seiten“ bleiben 759.000. Das heißt also vom Ausgangs- und Theoriewert „frei“ bis zur „Freiheit des Einzelnen“ bleibt gerade ein Drittel über. Schon seltsam.

Und hier draußen stehen jetzt die frierend Freien. Und mein bester Freund – Gitti sagte immer: „Warum heiratet ihr eigentlich nicht endlich mal?“ – steht drinnen. Ich frei unter Bewährung. Er drinnen eingesperrt. Aber warm. Schon absurd.

Andererseits, wir vom NRSG Verfolgten haben noch die Möglichkeit existentiell wesentliche Freiheits- und Anarchieerfahrungen zu machen. Einfach und genußvoll über diese gelbe Linie eine Qualmwolke rauspusten. Oder den Stick in die „Gute Zone“ raushalten. Oder den linken Fuß über die Linie stellen. Oder auf die gelbe Linie aschen. Stellt sich dann wie beim Tennis die Frage: „Ist Linie noch drin oder schon draußen?“ Kannste durchdrehen wie Mastermind of Emotion John Mc Enroe früher: „He you fucking, cuntlicking son of a bitch, you stupid asshole. Fucking train man. The ash was fucking in. Can you dig it? Bring me the lineman to take a second look at it, you bastard.” Das hat gutgetan. Gelle. Diesen Anarchiekick haben die anderen ja nur beim Bescheißen bei der Steuer oder beim Rechtsüberholen auf der Autobahn. Und wie die Anderen immer auf den Bahnsteigen um diese Quadrate rumschleichen. Wo es doch so ungesund ist. Entweder machen die jetzt alle eine Blockwartgrundausbildung und wollen so erste Fahndungserfolge melden. Oder es ist die berühmte Annäherungs – bzw Vermeidungstrategie. Schon auf dem Schulhof waren wir doch ständig neidvoll umringt von den „Gesunden“. Wir hatten das Gift. Alle Sorten. Und die hübschen Mädels und die Gitarren und die Schlagzeuge. Eric Clapton, den Stick oben am Hals in den Saiten gesteckt. „In a white room with black curtains near the station.“ Manchmal denke ich die gesunden Danebensteher die rächen sich jetzt an uns. Jetzt, Jahre später, ist die Stunde der Abrechnung gekommen. Während wir uns nach Leibes- und Lungenkräften dem kreativen Ruin hingegeben haben, haben die viel Zeit und Geld gespart, haben Karriere gemacht, sind fit und ausgeschlafen, können sich inzwischen die Band, in der sie nie mitspielen durften, mieten und lassen sie auf ihrem Fünfzigsten rocken. Und uns sperren sie zur Strafe in kleine gelbe Vierecke.

Und im Frühjahr, wenn der Schnee wegtaut, stehen in diesen kleinen gelben Vierecken lauter erfrorene eingetrocknete Statuen. Mir hängt dann ein Schild um den Hals: „Gestiftet von Gitti und Hansi.“ Ich übertreibe jetzt. Ja. Aber ein bißchen Selbstmitleid braucht der Mensch. (neuer Hustenanfall)

COPD. Macht einsam auf Dauer. Meine letzte Freundin, die ist gegangen. Nicht etwa, weil ich und meine Klamotten und meine Wohnung nach Gift stinken, sondern weil ich nach jedem Akt COPD – Anfälle habe. Sie nahm das persönlich. Verstehe ich ja. Aber: Gestorben werden muß. Nicht rumlamentieren wie Hölderlin: „Weh mir, wo nehm‘ ich, wenn/ es Winter ist, die Blumen, und wo / den Sonnenschein, / und Schatten der Erde?“  Was soll das? Ich fang noch mal ganz neu an, im Herbst. Da kannst Du gleich die ganzen Blätter aufsammeln und versuchen sie wieder an die Bäume zu kleben. Vergiß es. Herbst ist Herbst.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Reutte / Tirol / Österreich / 13. Juni 2022

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Erfolgreiche Ernte und Übertrittszeiten / Von Charon und so dem Acheron / Fangen wir wieder an zu rauchen 08

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Vilstal / noch Österreich / Gott sei Dank tagsüber / 14. Juni 2022

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Vor ein paar Tagen las ich von einer Frau, die folgendes nach dem Tod des Sohnes zu ihrem Mann sprach:

„Wir werden immer immer immer traurig sein, IMMER!

Aber bitte: Laß uns nicht immer immer immer unglücklich sein.

Das dürfen wir nicht!“

Besser, dachte ich, kommst Du kaum aus einer Begegnung mit vermeintlich endgültigen Verlusten oder tatsächlich endgültigen Verlusten nicht raus.

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Dann dachte ich an Charon und an den Acheron, den wir vor bald zehn Jahren hochwateten. Eiskaltes Gewässer. Viel Überwindung. Aber eine Schlucht von grandioser Schönheit, welche jedoch geradewegs in Richtung Pforte Unterwelt führte. So einen Kilometer vor der Höllenpforte stand mir das eiskalte Wasser bis zum Hals. Wir kehren um und hatten den Rest des Tages gut durchblutete Leiber. In Ammoudia setzten wir uns an das Ufer des ins ionische Meer mündenden Flußes und tranken ein Üzelchen. Einen vor dem Speisen. Einen danach. Geburt und Ernte. Yamas! Zu seinen Ehren.

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Man muß die Ernte einbringen gewiß! Irgendwann! Wie reichhaltig diese dann sein wird? Es entscheiden andere! Nicht ich!

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RAUCHPAUSE / Teil 08

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Wie gesagt. Daumen und Zeigefinger. Den letzten Krümel reinziehen. Not und Genuß in einer Haltung vereint. Joints zieht man sich komischerweise immer noch so rein. Obersuperaffig waren schon immer diese Mittelfinger – Ringfingerkonsumenten. „Es war schon immer etwas teurer einen besonderen Geschmack zu haben: Attica.“: Attica. Ernte 23. Kurmark. Chesterfield. HB. Astor. Eckstein. Juno. Overstolz. Reval. Players Special. Lux. Kent. Peter Stuyvesant. Krone. Meine Sorte. Peer Export. Rothhändle. Salem Nr.6. Club. Karo. Ducados. Gitanes. Austria. Memphis. Muratti Ambassador. Parisienne. Karelia. MS. Neapel sehen und sterben. Neapel. In Neapel ist seit kurzem auch der Abusus von Stäbchen unter freiem Himmel verboten. In Parks mußt du das Stäbchen ausdrücken, wenn Neugeborene, Kinder unter 12 und Schwangere in der Nähe sind. Sonst kostet das bis zu 500€ Strafe. Also ich sehe ja auf zwei Kilometer sofort, ob eine Frau im zweiten Monat schwanger ist oder nicht. Und ich sehe auch, ob sie vielleicht noch abtreiben will. Vielleicht. Darf man dann das Ding brennen lassen? Oder muß man fragen? „Entschuldigung, Sie sehen so glücklich aus. Junge oder Mädchen?“  (zieht einen neuen Zettel aus der Tasche) Hier!

 „Eltern rauchen häufiger als Leute, die keine Eltern sind. Besonders häufig rauchen junge Eltern. Junge Mütter (25 bis 29 Jahre alt) mit Kindern unter sechs Jahren rauchen zu 50%. Was das Rauchen im Haushalt betrifft, müssen die Väter mit einbezogen werden. So gerechnet sind 60 Prozent aller Haushalte mit Kindern unter sechs Jahren nicht rauchfrei. In der unteren sozialen Schicht wird sogar in drei von vier Haushalten mit Kindern unter sechs Jahren geraucht.“

Was schlußfolgern wir daraus? Kinder sind gefährlich. Kinder gefährden nicht nur den Seelenfrieden, sondern ganz massiv und direkt ihre, unser aller Gesundheit. Ich merke das überall. Die Bahn hat ja kürzlich alle Giftabteile geschlossen. Schade: Diese Abteile waren selbst für Nichtgiftler so eine Art Rückzugsgebiet. Man fand dort Schutz vor den aufgedrehten Gören alleinreisender und wahrscheinlich auch alleinerziehender Mütter. Jetzt sind sie überall: Quäkend, frühreif, altklug, hyperaktiv. 4 Jahre alt und schon den I-pod in den Ohren. Lesen? Arbeiten? Aus dem Fenster gucken? Kannst Du alles vergessen. Und das Beste: die gestreßten Mamis rennen wahrscheinlich ständig aufs Klo, um sich dort eine reinzuziehen. Laut Statistik. Aber der Schaffner hat Dich als Täter im Verdacht. Schaut Dich ständig schief an, weil Du seit 150 Kilometer aussiehst, als stündest Du kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Also: Kinder machen krank. Aber wie bringen wir jetzt Neapel und diese Sache mit den jungen Müttern unter einen Hut. Man schützt, wo man geht und steht das werdende Leben und dann 9 bis 12 Monate später, spätestens nach dem Abstillen, steht Mami mit der Fluppe in der Hand am Kinderwagen: „Gutschigutschi – goo, wo ist denn mein kleiner Hosenscheißer?“ Gut, Frauen und Konsequenz, heikles Thema, ich weiß. Und die Frau ist da auch komplett unschuldig. Es ist wahrscheinlich wieder ein Mann. Z.B. Keith Richards. Ich könnte mir vorstellen, diese Frauen haben in der Schwangerschaft zu viel „Rolling Stones“ gehört. Unterschätzen sie das nicht. Der Keith haut sich seit 45 Jahren zwei Päckchen Gift am Tag rein, verdünnt das mit einer Flasche Wodka und der ein oder anderen Spritze.  Und das ist in der Musik drin. Das hört man, das spürt man und das hat seine Auswirkungen. Wie bei Hypnose. „I can`t get no satisfaction.“ Aah, noch eine. „And i try and i try.“ Tief einatmen. Also: sich von allem fernhalten, was das Gift oder die Materialisation giftiger Gedanken enthält. Da kommt schon was zusammen. Hier: (zieht eine Liste aus der Tasche) Albert Einstein, Marylin Monroe, Willy Brandt, Miles Davis, Bette Davis, Tom Waits, Marcello Mastroianni,  Romy Schneider, Andy Warhol, Groucho Marx, Fidel Castro, Che Guevara, Bob Dylan, Jean Paul Belmondo, Alain Delon, Truman Capote, Paul Auster, T.C.Boyle, Winston Churchill, John Lennon, Sean Connery, Jean Genet, Jean Gabin, Jean Cocteau, Jack Kerouac, Paul Bowles, Yves Saint Laurent, Coco Chanel, Jack Nicholson, J.F. Kennedy, Orson Welles, Pablo Picasso, Sophia Loren, James Dean, Helmut und Loki Schmidt, Helmut Kohl, Yves Montand, Clint Eastwood, Humphrey Bogart,  Oscar Wilde, Roland Topor, David Bowie, Ian Fleming, Marlene Dietrich, Jean Luc Godard, Madonna, Dean Martin, Sammy Davis jr. , Frank Sinatra, Alfred Hitchcock, John Wayne, John Travolta, Sigmund Freud, Virginia Woolf, Woody Allen, Brad Pitt, Robbie Williams, Hape Kerkeling und.. an alle werdenden Mütter noch mal: Keith Richards. Beschäftigen wir uns um Gottes Willen mit den Werken gesundlebender Menschen: Mogli, Das Urmel aus dem Eis, Wolfgang Schäuble, Bully Herbig, Tom Cruise, Nina Ruge, Uschi Glas, Eva Herman, Rudolf Heß, General Franco, Erich Honecker, George W. Bush, Adolf Hitler. (lange Pause) Aua, aua, aua. Entschuldigung. Nein, das wollte ich nicht. Scheiße, jetzt ist es mir auch passiert. Der unselige Vergleich.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Vilstal / nicht mehr Österreich / hinten die Zugspitze / 14. Juni 2022

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Hoch und runter bleiben wir munter und scherzen so mit den Schmerzen / Fangen wir wieder an zu rauchen 07

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Zirbe auf dem Zirmgrat / 14. Juni 2022

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Einst fuhr ich gerne mit der Bergbahn nach oben und rannte dem Hügel den Rücken hinab. Als gäbe es kein Unten. Jetzt schiebe ich mich keuchend die Berge hinauf, belohne mich – Es lebe die Binse! – mit einem Höhenerlebnis und quäle mich schlackernden Knies ins Tal. Hilf ja nix. Runter muß man immer. Wenn es auch nur von den Illusionen ist. Die Wenigstens werden auf den Gipfeln bestattet. Die Särge werden in den Tälern verkauft. Aber runter schaun von der Höh‘: Schee isses immer noch und wieder. Und drunten reißt Du Dir die Klamotten von Leib und haust Dich in den kalten Bergbach. Nachert kannst Du wieder auffi. Vielleicht. Einmal noch.

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RAUCHPAUSE / Teil 07

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Schritt eins: Kennzeichnungspflicht. Ich bin bereit mir von der Bundesgesundheitsbehörde ein großes „R“ auf den Ärmel nähen zu lassen. Ich will jedem „NR“ die Möglichkeit geben, wenn er mich sieht, die Straßenseite zu wechseln. Aber dann andere auch. Zum Beispiel: GT: Gelegenheitstrinker. Oder auch WT: Wochenendtrinker. WKT: Wochenendkomatrinker.  WKTMHZR:  Wochenendkomatrinker mit Hang zu Randale. IJ:  Internetjunkie. W(BU): Workoholic (beziehungsunfähig). MM – manischer Masturbateur. SS – Shopping und Spiele. IBN – Ich bremse nicht. RMS – Radfahrer mit Sendungsbewußtsein.

Überhaupt: Radfahrer. Auch eine sehr interessante Entwicklung. Wer ist vor zwanzig Jahren Rad gefahren? Holländer. Chinesen. Eddy Merckx. Kinder zur Schule. Fertig. Und dann so Anfang der Achtziger? Aus allen Ecken rollte er hervor: Der Radfahrer. Aber jetzt nicht, um eine Entfernung Geld sparend und die Gesundheit fördernd zu überwinden. Nein: Radfahren als Botschaft, Radfahren als Geste, als Ausdruck und Manifestation von moralischer Überlegenheit. „Ich arbeite hart an mir und der Verbesserung der ganzen Welt. Jeder meiner Tage ist Kampf und Beweis.“ Und es gab plötzlich ein klar definiertes Feindbild: den Autofahrer. 4 Räder: Böse. Böse. Böse. 2 Räder: Gut. Gut. Gut. Die moralische Überlegenheit. Dadurch genießt man gewisse Vorrechte. Rechtsverkehr, Linksverkehr, egal. Du darfst überall fahren. Fahrbahn. Radweg. Gehweg. Fußgängerzone. Ein Botschafter muß die Möglichkeit haben, überall all zu missionieren und Präsenz zu zeigen. Ampeln? Leuchttürme des Bösen. Lobbysäulen der Autoindustrie. Klingel? Nicht notwendig. Nur der verhärmte, spießige, unsensible Mensch spürt nicht, daß sich auf dem Wanderweg von hinten ein Missionar mit 25-45 km/h nähert. Bei Dunkelheit Licht anmachen? Die Strahlkraft des guten Willens per se erleuchtet den Pfad des Gerechten. Hieß ja früher auch immer der Pedalritter. Vielleicht kann man ja jetzt den Rittern eine zusätzliche Aufgabe anbieten. Die dürfen jetzt überall herumfahren, Fußgängerzone, Gehweg, Rasenflächen, in Kneipen. Und immer, wenn die jemand sehen, der es noch macht, so von hinten vorbeifahren und – zack – kurz mal in die Rippen treten – nur als kleine Erinnerung, kleines moralisches Fingerzeichen. „Hallo! Du bist ein Sünder!“

Schritt zwei: Der Pranger. Der gute alte Schandpfahl: „Ja, ich habe gesündigt, habe meine Arterien verstopft, erektile Dysfunktion provoziert, Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure in die frische Luft gepustet, ungeborenes Leben bedroht. Ja. Gebt mir Tiernamen. Werft Steine nach mir. Spuckt mich an. Laßt mich Eure Voodoopuppe sein. Ich bin ein schlechter Mensch. Spuck mich an.“ (auf die Knie) Spucken Sie mich an. Jetzt hier. Stellvertretend für alle, die es tun. Noch immer tun.  (aufstehen) Traut sich wieder keiner von den Moralisten. Aber mich in die Kälte stellen und mich dazu zwingen lange Unterhosen anzuziehen. Wissen Sie überhaupt, was für eine fatale tiefenpsychologische Komponente da mit ins Spiel kommt? Lange Unterhosen? Kindheitstraumata. Übermächtige Mütter zwingen dich in eine wollene lange Unterhose. Schleifen Dich raus zum Sonntagsspaziergang und Du verpaßt die neueste Folge von Bonanza. Fragt sich jetzt noch einer, warum ich suchtkrank geworden bin? Und jetzt bin ich quasi in einem Akt der Regression gezwungen mir die langen Unterhosen selbst anzuziehen. Ich bin meine eigene Mutter. Das ist schlimmer als jede Sucht. Und während ich die lange Unterhose anziehe, ruft sie mir mit Bert Brecht zu: „Darum sag ich: laß es / Sieh den grauen Rauch/ der in immer kältre Kälten geht: so/ gehst du auch.“ Aber was weiß meine lange Unterhose vom nucleus accumbens? Der Kernstruktur im basalen Vorderhirn. Dopamin ist das Stichwort. Ich habe mich mit meiner Sucht auseinandergesetzt. (wedelt mit seinen Zeitungsartikeln, Ausdrucken von Internetseiten, Statistiken und ähnlichen Krempel) Zum Mitschreiben für meine lange Unterhose: In diesem sogenannten nucleus accumbens wohnt praktisch das interne Selbstbelohnungssystem. Das braucht man, weil jeder Mensch wohl schon früh begreift, daß man sich nur auf sich selber verlassen kann und Undank der Welten Lohn ist. Selbstgratifikation sagt der Fachmann dazu. Beispiel: „Stairway to heaven“läuft: „and she`s buying…oh ich komme…a stairway… ich auch… to heaven.“ Und dann? Schön eine drehen. Van nelle halfsware. Die Rache des Niederländers an der deutschen Lunge. Und dann vielleicht sogar: Der Moment des höchsten Glückes. Sie sagt: “Du, darf ich mal ziehen?” Seufzer. Großer Seufzer. Riesenseufzer. Oder am Tresen: „Hast Du mal Feuer?“ Du drehst dich in Richtung der fragenden Stimme um und am anderen Ende des Stäbchens Lippen, welche in ein Gesicht übergehen, von dem Du weißt: „Dies wird meine Zukunft sein“. Das Stäbchen glimmt. Deine Stimme versagt. Der nucleus accumbens ruft: „Junge, zünde Dir eine an.“ Die Hand zur Stimme reicht Dir – Du wolltest dein Stäbchen gerade an der Tropfkerze auf der Chiantibastflasche anzünden – reicht Dir ihr Stäbchen mit den Worten: „Nicht. Sonst stirbt ein Seemann.“ Die zwei Stäbchen berühren sich, entzünden sich aneinander. Augen zu, Inhalation, Augen auf. Sie ist weg. Aber vor Dir liegt das Streichholzheftchen mit ihrer Telefonnummer. Lilafarben hingekritzelt, fünfstellig. Höchstens. Festnetz! Oh ja. Dieser Abend braucht das zweite Päckchen. Ich könnte heulen. Wo ist das Leben im Jetzt?

Immer dieses Früher, früher, früher! Wo bist Du Hansi? Jetzt? Hier? Wahrscheinlich ist das so ein Fluch. Wir, die es noch tun, leben in der Vergangenheit. Und es gibt keine Tür mehr in die Gegenwart. Außer den Verzicht. Vielleicht muß man das, was uns quält ausrotten. Gnadenlos. (drückt die letzte Kippe aus, zündet sich eine neue an) Ich weiß es nicht. Was wollte ich?  Bekämpfen aller Abhängigkeiten. Weiter im Katalog.

Schritt drei: Lückenlose Überwachung und Erfassung. Man könnte alle Monitore von Laptops und PCs mit Webcams die mit heimlich integrierten Rauchmeldern versehen sind ausstatten. Oder man baut Feuerzeuge mit elektronischen Zündern, welche bei jedem Zündvorgang sofort ein Erkennungssignal an die Krankenkassen senden. Zack, wird der Beitrag erhöht. Und reden Sie sich nicht blöd raus. Von wegen ich hab nur eine Kerze angezündet oder so. Nichts. Da herrscht Beweispflicht. Das müssen Sie halt mit einem Handyfoto dokumentieren. Oder noch besser: in die Filter von den Dingern kleine Einmal-Videocams einbauen, die das Gesicht des Sünders erfassen und sofort weiterleiten. Und in jedem 10ten Stäbchen ist keine Kamera, sondern ein selbstauslösendes Blasrohr mit einem Betäubungspfeil eingespeist. Treffer. So kann man den Betäubten direkt zum Zwangsentzug oder zum Sozialdienst abtransportieren. Z.B. Kippen aufsammeln, Decken streichen in Restaurants, Giftpackungen mit Horrorbildchen von amputierten Gliedmaßen bekleben, alle amerikanischen Filme der letzten 50 Jahre anschauen und dann notieren, in welchen Menschen zu sehen sind, die es tun. Und aus diesen Filmen werden dann die Sticks rausretuschiert. Man fragt sich dann zwar, warum sich die Schauspieler ständig ins Gesicht langen. Oder man schneidet alle Szenen raus, in denen es dampft. „Casablanca“ dauert dann wahrscheinlich nur noch 3 Minuten.

Und natürlich: Schritt 4: Von den USA lernen, heißt siegen lernen. In den USA herrscht Inhalierverbot sogar in den Gefängnissen. Da laufen die Todeskandidaten und Lebenslänglichen rum und dürfen nicht mal mehr quarzen. Ist das jetzt gut gemeint oder eine ganz perfide neue Art von Folter? Kriegt Amnesty International so was mit? Und was ist mit dem letzten Wunsch vor dem elektrischen Stuhl? „Ich hätte gern noch ein Tofuschnitzel und einen Brennesseltee.“ Und warum das Ganze? Die Amis haben einfach nur ein schlechtes Gewissen. Wie immer. Setzen was in die Welt und dann verlieren sie die Kontrolle. „Das machen wir schon, ein Kinderspiel. Haben wir im Griff.“ Ja: Vietnam, Kabul, Bagdad, und und und. Was das mit den Stäbchen zu tun hat? Ja, wo kommt der ganze Scheiß denn her? Aus Amerika. Kolumbus. Der hat das Zeugs mitgebracht. Kartoffeln, Mais und den Stoff. Früher da sind ein paar Inkas oder Apachen oder Irokesen einmal im Monat bei Vollmond im Kreis gehockt, haben das Zeugs angezündet, paar Zehnägel und Bisonhaare reingeschnippelt und den großen Quetzalcoatl oder den Manitu angerufen. Heilig, heilig. Das war praktisch wie Weihrauch schwenken bei den Katholiken. Ritual. Religion. „Schnitt schnitt. Misch misch. Paff paff. So jetzt sind wir Blutsbrüder.“ Selbst mein Opa, der hat noch Pfeife gepafft und unser Nachbar, der alte Kühn saß immer auf seiner Gartenbank mit einem fetten Stumpem im Gesicht. Das hat zwar gestunken wie Sau, war aber im Prinzip indianische Meditation. Und wer hat jetzt dann diese hektische Reinzieherei erfunden? Marlboro, Camel, Winston, Lucky Strike? Amis! „Hello schone Fraulein, you beautiful, want my marlboro und so.“ Ich weiß nicht, ob sich jemand erinnert. Fingerhaltung wäre jetzt das Thema. Klassische Zeigefinger – Mittelfinger – Haltung. Nein, das ist nicht das Original. Diese Haltung wurde mit Einführung des Filterstäbchens auf die Welt gebracht. Sollte wahrscheinlich cool aussehen. Das Original sieht so aus. Daumen – Zeigefinger. Die Sparhaltung. Das Ding bis zum letzten Krümel reinziehen. Unten im Schacht. Draußen auf dem Acker. Im Schützengraben.

„Es steht ein Soldat am Wolgastrand. Hält Wache für sein Vaterland.“ Muß oft an meinen Vater denken. Wenn der draußen auf dem Balkon stand, um sich eine reinzuziehen, hatte ich immer das Gefühl, der hält Wache. Im Januar. Im Unterhemd. Feinripp. Und wartet auf einen Feind, den nur er kennt.

Da fällt mir ein: Die sollen mal den Soldaten, die in Bagdad, Basra und Kabul unsere Heizkostenabrechnung verteidigen, die Fluppen – welche die übrigens umsonst kriegen – wegnehmen. Sollen Sie mal versuchen. Das würde mich interessieren, was dann passiert.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Vilstal / noch in Österreich / rechterhand die Vils / kalt /14. Juni 2022

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Von der Notwendigkeit gelegentlich das Haupt gegen den Boden zu senken / Fangen wir wieder an zu rauchen 06

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Pfronten / Mariengrotte / Falkenstein / 14. Juni 2022

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Also wanderten wir hinauf zur Mariengrotte unlängst. Sehr steiler Pfad. Treppen. Wurzeln. Viele Pausen. Es tat weh. Kann die Metapher mir nicht verkneifen: ein Spiegelbild der letzten Monate. Die Mariengrotte liegt unterhalb des Falkensteins bei Pfronten. Eine wie ich erst auf dem Rückweg durch das Vilstal mit Blick nach oben auf den stundenlang begangenen Grat bemerkte, gigantische Felsvulva, aus der wohl, so dachte ich da, die Erdmütter einst das Leben in die Berglandschaften des Allgäu geworfen hatten. Oberhalb der Grotte die Ruine Falkenstein, die von ihren Besitzern, Tiroler damals, im 30 – jährigen Krieg abgefackelt wurde. Man befürchtete, die sich am Bodensee und in Bayern rumtreibenden Schweden, würden die Burg einnehmen und als „Räubernest“ nutzen. Knapp zweihundert Jahre später kam „Kini“ Ludwig, der Vorgänger aller Lichtgestalten in Bayern, auf die Idee dort ein zweites und noch höheres, weiteres und fetteres Neuschwanstein zu errichten. Doch noch vor Vollendung des ersten Prunkbaus, Sehnsuchtsziel aller Japaner und des gesamtdeutschen Mittelstandes, trieb den Kini seine innere Finsternis in den See. Wohl das Schicksal vieler Lichtgestalten. Hinteregger hat ja noch die Kurve gekriegt.

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Die Mariengrotte wurde im 19. Jahrhundert entdeckt. Eine Frau habe von ihr geträumt, sagt man. Mann suchte und fand sie. Der damalige Pfarrer von Pfronten beauftragte einen Bildhauer in diese Spalte eine Statue zu Ehren der wundertätigen Jungfrau Maria zu Lourdes zu errichten. Am Tag, als der Künstler die Grotte erreichte, eine und auch das Maß nahm und erste Entwürfe überdachte, stürzte am gegenüberliegenden Breitenstein der auftraggebende Pfarrer Anton Stach bei einer Bergtour tödlich ab. Besagter Künstler, der Pfrontener Bildhauer Theodor Haf, führte den Auftrag aber zu Ende. Wenn Gott zu laut spricht! Eine Geschichte, die ich nicht erfunden habe. So steht es in ganz alten Lettern auf einer Gedenktafel an diesem verwunschenen und auch strahlenden Ort, der mich – die weißen Steine, die Blumen, die Schroffheit – sehr an ein griechisches Kloster erinnerte. Die hängen ja auch gerne oben im weißen Felsen rum. Und beim Erreichen des Heiligtums pocht das Herz und zwickt das Knie und man schwitzt. Gut so.

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Es tut gut an solchen Orten das Haupt zu neigen oder die Hände zu falten. Und wenn man sich nur bedankt dafür, daß einem jemand das Futter für seine Esel gereicht hat. Siehe gestern.

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Wir blieben länger da oben sitzen. Es gab einiges zu bedenken. Ein Ehepaar, welches mit uns unten losgelaufen war, beide über 80, erreichte eine halbe Stunde nach uns den Ort, keuchend und gut gelaunt fluchend über die „Schinderei“. Früher sei das ihre Tour gewesen. Zwar schrumpfe das Pensum Jahr für Jahr zusammen, aber wie der Mann sagte: „Wann Du die Muskeln net bewegn tuast, nachert sann die gleich weg!“ Ich glaube, er meinte Oberschenkel und Hirn. Es war einer der guten Tage.

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RAUCHPAUSE / Teil 06

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Was wollen die eigentlich: im Durchschnitt mache ich 8 – 10 Jahre früher die Biege. Ich erspare der Gesellschaft Kosten. Mir müssen keine armen Zivildienstleistenden den Arsch abputzen oder rumänische Hilfskräfte mich im Rollstuhl den Flur hoch und runterschieben. Da liege ich schon längst unterm Holzkreuz. Na ja, muß ja nicht gleich morgen sein. Wäre schade. Ich habe ja noch gewisse Verpflichtungen. Steuern ist das Stichwort. Mal ein paar Zahlen. Fakten. Fakten. Fakten. Kostet etwa 0,22€ der einzelne Stab. Davon Steueranteil: 0,18€. Hochrechnung: 20 Stück am Tag. Mal 365 ist gleich 7300. Sind wir ehrlich, inklusive Parties und Beziehungskrisen oder frisch verliebt sein: 8000 im Jahr. Das Ganze mache ich jetzt seit 30, eher 33 Jahren. Macht alles in allem 264000 Teilchen, die mich durch mein Leben begleitet haben. Mal 0,18€ Staatsanteil ist das gleich 47.520€. Sind wir ehrlich und sagen wir aufgerundet: 50.000€. Sprich 100.000 ehemalige DM. Einhunderttausend. Sechsstellig.

Einfach so. Ist doch großzügig. (holt Zeitungsabschnitt raus) Hier: „Studie: Großzügigkeit genetisch bedingt.“ Die Großzügigen haben so ein Gen AVPR1 in sich, die anderen eben nicht. Vielleicht ist das ja dasselbe Gen, das macht, daß die einen es tun, die anderen nicht. Wahrscheinlich. Eins ist sicher. 95% Prozent aller Biere, die mir jemals ausgeben wurden, habe ich von? Na? Brauch jetzt nicht weiterzureden. Ist so.

Ich kenne jetzt die Steuersätze für Kamillentee, Tofu, Kanne Brottrunk oder so nicht wirklich. Jedenfalls baust du damit keinen Kindergarten. Und ich bin ja nicht allein. Auch wenn es jetzt grade mal so aussieht. Ich und alle meine Genossen: 14,4 Milliarden € im Jahr. Damit bauen wir die Straßen, auf denen wir dann von Red Bull saufenden, kaugummikauenden, adrenalinsüchtigen BMW – Piloten über den Haufen gefahren werden. Gell ihr Hansis. Ihr könnt Euch bestenfalls noch einen Papierkorb in der Fußgängerzone leisten. Aber ohne Aschenbecher. Das wäre nämlich zu teuer. Gefährdet zudem die „Frische Luft“ in der Fußgängerzone, der Konsumerlebniszone, der „Find-was-Dich-glücklich-macht-Eventmeile“. Das ist total gesund. Shoppen von Montag bis Samstag, jeden zweiten Sonntag und am Freitag bis Mitternacht. Moonlightshopping. In frischer Luft. Scheint auch schon zu wirken. Jugendliche tun es immer weniger. Gut, die laden sich Pornos und Foltervideos aufs Handy, verprügeln ihre Lehrer. Machen Wahlkampf für Koch. Aber schädlich einatmen, das tun sie weniger als früher. Ich weiß auch warum. Flatrate-Abkippen! Nur ein komatöses Wochenende ist ein gutes Wochenende! Die sind zu blau. Die kriegen die gar nicht mehr angemacht. Ich habe da ja auch im Prinzip nix dagegen. Jedem seine Sucht. Ich bin durchaus für radikale Bekämpfung von Abhängigkeiten auf allen Ebenen. Aber bitte konsequent. Ich habe da so einen kleinen Katalog entwickelt.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Mariengrotte / siehe oben / vielleicht auch Kalymnos / Agia Maria / aber siehe die Gedenktafel

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Von der R(a)echenschaft oder füttere Deine Esel regelmäßig und gelassen / Fangen wir wieder an zu rauchen 05

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Pfronten / Fallmühle / 14. Juni 2022

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Alle haben es immer kommen gesehen. Außer die Väter, die keine Alimente zahlen wollen. Entschuldigung. Fortgeschrittenes Alter senkt das Niveau des Humors. Man muß sich nicht mehr ganz soviel beweisen. Schon gar nicht den Nachfolgenden. Natürlich bestätigen da Ausnahmen die Regel. Um was geht es? In meinen letzten Jahren an den Theatern wurde öfters über die sogenannte Einführung einer Fehlerkultur disputiert. Ich gebe zu: Ich war dabei. Eigentlich müßig. Man macht Fehler. Frauen nicht minder. Vielleicht sogar das dritte Geschlecht. Und ganz gewiß das fünfte Element. Warum man sich bei seinen Selbstbeschimpfungen nach einer erhöhten Fehlerquote gerne mal als Esel bezeichnet, war mir schon immer ein Rätsel. Die Anderen fordern gerne Rechenschaft, was meist nur verleugnete Rache schafft und ist. Man selbst hadert und ringt. Ja, ich mag diese altvorderen Bilder, man ringt mit sich und der übergeordneten Instanz. Auch Klage ist Gebet. Damit dies Früchte trägt, füttere man seinen Esel aka ehre seine Fehler. Als jemand, der sein langes Berufs – und Privatleben vom Perfektionsstreben durch die Tage gekickt wurde, ein nicht unwesentlicher Erkenntnisschritt. Besonders wenn ein Gegenüber dir einen besonders dämlichen Fehler verzeiht und dir sogar das Futter für deine Esel aus der Wiese zupft. Es ist nie einer, der es allein verkackt hat. Ich war immer dabei.

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RAUCHPAUSE / Teil 05

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Kälte ist ein Verbrechen. Katastrophale Auswirkungen auf den Körper. Man steht da, in sich gekrümmt, Schultern hochgezogen bis an die Ohren. Wenn das nicht die Seele und das Denken verkrümmt. Ob sich Hansi da schon mal drüber Gedanken gemacht hat?

Egal. Funktionsunterwäsche rules ok. Also sitze ich im Cafe mit meiner Zeitung und da fängt diese Masseurin tatsächlich an jemanden zu massieren. Eine junge hübsche Frau. Studentin. Die hat davor 2 bis 3 Bionade getrunken. Ich weiß jetzt nicht, ob das irgendwie verspannt. Nach kurzer Zeit fängt sie an zu stöhnen und die Masseurin, die sagte dann immer „Ja ja ja, er muß raus.“ Wahrscheinlich meinte die den Schmerz. Aber irgendwie habe ich das auch auf mich bezogen. Und wieder stand ich vor einer Türe. Verschreckt. Mit schlechtem Gewissen. Paranoid. Verfolgungswahn. (Pause, er nestelt rum, holt einen der vielen Zettel und Zeitungsausschnitte, mit denen seine Taschen gefüllt sind raus und liest vor, sehr laut und erregt)

„Die unternehmerische Freiheit, das Hausrecht und die Eigenverantwortlichkeit der Gastwirte, die mit der Zurverfügungstellung ihrer Geschäftsräume und dabei mit vollem unternehmerischem Risiko Ihren Lebensunterhalt verdienen, muß gewahrt bleiben. In der Demokratie ist die Selbstbestimmung des eigenen Lebensstils und die eigene Handlungsfreiheit das höchste Gut.“

(ein übler Hustenanfall schüttelt ihn) Schon wieder. COPD. Die „chronisch obstruktive Lungenkrankheit.“ Raucherhusten. Diese Pharisäer. Sie sorgen sich um mein Heil und schicken mich hier raus. In die Kälte. Und ich stehe hier wie ein Schaf, in Hinterhöfen, neben Mülltonnen, auf zugigen Bürgersteigen. Werde blöd angegafft. Stumm. Unter Wolken. Es war schon immer ein Merkmal der Bigotterie, daß sie keine Sekunde an Nächstenliebe verschwendet. Bigotterie, das ist die wahre Himmelsverschmutzung.

Gott sei Dank ist ja bald wieder Sommer oder wenigstens Frühling. Obwohl, ist mir eigentlich lieber der Winter. Habe ich wenigstens meine Ruhe hier. Im Sommer kommen die dann wieder alle angeschissen. Aber denen werde ich was erzählen. Hier draußen das ist mein Bereich. Ihr könnt ja wieder rein. Ist ja alles sauber jetzt, und frisch. Hier draußen ist Giftland. Die Wüste Nevada. Seveso. Tschernobyl. Wasteland. Weil, wenn die dann rauskommen, da sitz ich hier bald mit einem Aquarium auf dem Kopf. Die sollen schön da drinbleiben. Komm mir jetzt schon vor wie Richard Kimble. Immer auf der Flucht. Hansi. Im Sommer kommt er dann wieder raus mit dieser Tante, die den jetzt am Gängelband hat. Die können mich mal. Denen nagele ich die Tür zu. (fängt an zu lachen) Das mit dem Aquarium übern Kopf ist gar nicht schlecht. Verdichtung quasi. Erhöhte Konzentration. Früher: zu siebt oder zu acht im VW-Käfer. Alles zu, Türen, Fenster. Dann so ein langes Ding mit indischen Heilkräutern gebaut. Und: keiner verläßt den Raum. „Nobody gets out of here alive. I light another … learn to forget, learn to forget, let me sleep allnight in your soul kitchen, warm my mind in your gentle stove …” Das waren noch Gruppenerlebnisse. Solidarität. Gemeinsames Erfahren der Endlichkeit. Hunde wollt ihr ewig leben. Es fährt ein Zug nach Nirgendwo. „This is the End, my only friend, the End.“ Gestorben werden muß.

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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Eine Möglichkeit sich dem schlimmsten Feind zu nähern kann mal existieren / Fangen wir wieder an zu rauchen 04

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Pfronten / 14. Juni 2022 / Blick vom Balkon

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Ich war jetzt in erfreulicher Begleitung meiner Vergangenheit und Zukunft im Allgäu. Berge hoch und runter. Von oben nach unten blicken. Von unten noch oben schauen. Aber auch in Bergseen schwimmen. (Mein Gott! Mitte / Ende Juni! Bergsee! Dig it!) Hatte mich ja in letzter Zeit eher in die See verguckt. Sogar ernsthaft überlegt da hoch zu ziehen. Vögel zählen. Oder Bier verkaufen. Und nun in der Gegend, in der wir in Kinder – und frühen Jugendzeiten oft Familienurlaub machten. Eine freundliche Landschaft. Freundliche Menschen. Griaß Di hat soviel Charme wie ein nordfriesisches Moin. Versöhnliche Tage. Hoffe, es bleibt so. Weiter im alten Text.

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RAUCHPAUSE / Teil 04

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Gut, ich sitze da und meine Hände drehen durch. Um runterzukommen mach ich so Handübungen. Funktioniert nicht wirklich. Also mach ich so eine entstressende ayurvedische Kurzmeditation, reibe meine Stirn mit Baldrianessenz ein – das Zeugs habe ich jetzt immer dabei, um in Krisensituationen nicht komplett nackt dazustehen – schau wieder hoch und da sehe ich, dort wo sonst der Drogenautomat stand, steht jetzt ein Massagestuhl. Wirklich! Und so eine seltsame hagere weißgesichtige Frau mit rotgefärbten Haaren.  Wieso sehen „Gesunde“ immer so krank aus?

Vor ein paar Wochen, da wollt ich mal Gesundleben – vom Salto mortale zum Salto vitale quasi – und geh zum Reformhaus. Wollte mir da was kaufen. Eine Kanne Brottrunk zum drin baden wegen Entgiftung der Leber. Hat man ja manchmal, solche Schübe. Ich stehe da und übe so vor mich hin, damit ich das so natürlich und schwungvoll sagen kann wie: „Machst Du mir noch mal ein Kleines, bitte!“  Oder: „Zwei Packungen. Die Roten. Die normalen.“ Hat man ja drauf. Aber: „Ich hätte gerne eine Kanne Brottrunk! Und wo bitte steht der extrastarke Leberentgiftungstee?“ Das ist doch wie der Hausärztin laut und vernehmlich ins Gesicht zu sagen: „Frau Doktor, meine Hämorrhoiden bluten wieder.“ Gut, da stehe ich also vor dem Laden und sehe im Ladeninneren hinter dem Tresen den Verkäufer. Wahnsinn. Ich denk, ich spinn. Also erstmal ist der total dürre. Keine Backen im Gesicht, eher so Löcher hier. Eine Haut, als hätte er Hepatitis, aber die harte B-Form. Ich dachte, das ist Pete Doherty mit Langhaar-Perücke. Im Schaufenster sah eigentlich alles nach Gesundheit aus. So ein großes Plakat: Rotbäckchen. Dieser Saft. Meine Augen wie ein Pendel immer zwischen dem Plakat und dem Besitzer hin und her: Rotbäckchen. Pete Doherty. Rotbäckchen. Pete Doherty. Rotbäckchen. Pete Doherty. Irgendjemand lügt hier, dachte ich mir und habe angefangen zu zweifeln, ob das alles richtig ist mit Kanne und Leber oder ob ich mir jetzt nicht einfach irgendwo ein Brot kaufe und Leberwurst draufschmiere. Blieb also erst mal da draußen stehen, um in mich zu gehen. Aber auch die Kunden, oder Käufer, die da aus dem Laden kamen, sahen alle irgendwie traurig aus oder müde oder waren einfach nur total verausgabt. Meistens Frauen. Also die sind da rein, konnte ich beobachten und haben eine halbe bis eine Stunde mit diesem „Öko – RiffRaff“ geredet. Gut, denke mir das so etwas erschöpft. Und am Ende haben sie nur so eine kleine Packung Tee oder Pillen gekauft. Wahrscheinlich hat das einen Wochenlohn des werten Gemahls gekostet. Gut, das wiederum macht traurig. Denke ich mir. Da sieht man nicht mehr so frisch aus. Ich bin dann letztlich nach nebenan. Zwei Häuser weiter ist so eine Kneipe, die schon morgens um sechs aufmacht. Ich habe gedacht, vielleicht gebe ich meiner Leber jetzt das, wo sie sich schon dran gewöhnt hat. Aber die, die dort drinnen saßen, die sahen auch so traurig aus und machten auch seltsame Handbewegungen. Und es roch nach Baldrian. „It’s a sad and beautiful world!“

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(Gießen / Spätherbst 2009 / to be fortgesetzt)

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