Nachricht aus dem Nachlösewagen 10

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Ich muß meine Ohren nicht spitzen. Die sind spitz, seitdem ich hören darf. Diese Hammerschläge könnten selbst die Tauben nicht überhören. Ich hasse Tauben. By the way. Giftig sogar. Ich bin nicht taub. Wäre es gerne. Die Hämmer schlagen auf die Kupplung ein. Die Kupplung, welche die zwei Schienenbusse verbindet. Bitte nicht einsteigen, bevor die Wagen vereinigt. Hört man auf dem Bahnsteig. Der eine der Wägen kommt aus dem Osten oder Westen, der andere aus dem Norden oder Süden. Vereinigt nach einer Pause, die bis zu knapp fünfzig Jahren dauern kann, werden sie dann losrollen, die zwei. Vereinte. Wie die Lichtgestalt im Jahre des Ankoppelns sprach: über Jahrzehnte hinaus. Unschlagbar vorwärts rollend stehen sie nun seit Jahrzehnten rum. Stehen sich die Räder in den Bauch. Giften sich an. Verkoppelt. Der Rhythmus der Hämmer ist keiner mehr. Wieviele Schlagwerkzeuge dengeln zur Zeit auf die (noch) standhaltende Kupplung ein? Ich kann es nicht erhören.

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Ich bin nun wach. Zumindest dieses. Ich welchem der zwei Wagen sitze ich denn nun? Immer noch im Nachlösewagen? Ich war ja draußen gewesen. Auf dem Bahnsteig. Draufschau. Warten. Draufschauendes Warten. Wartende Draufschau. Blind aber auch. Oder doch im Wagen, der nach vorne drängt. Hoch auf dem Gelben? Beim Fahrer vorn? Nichts aber rauscht vorbei. Trabt wenigstens. Gefroren und unfruchtbar vor sich hinjammernd die Felder. Die Wiesen. Die Auen. Wo ist ist eigentlich meine Rentnerkarte? Berechtigt sie mich nach irgendwo, wohin der Zug fahren sollte. Können wollte. Täten würde. Angelegentlich. Das Hammerdröhnen schwillt an. Ich kann es nicht mehr hören. Ich kann es wirklich (im Sinne von tatsächlich) nicht mehr hören. Bin ich nun eine Taube? Mache meinen Frieden? Gar mit den Kriegen. Und summe einige Worte. Melodisch unterm Hämmern.

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„Ich mache meinen Frieden mit all den Idioten, die die Welt

behüten wollen mit ihren linken Pfoten. Mit jedem Samurai, mit jedem

Kamikaze,

mit jedem grünen Landei und auch mit jeder Glatze, die die

Welt nicht bessern

können, aber möchten mit viel zu kurzen Messern in viel zu langen Nächten. If I

had a hammer. A Hammer in the evening. A hammer all

over the land. Working in the Kohl

mine.“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 09

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Ich rüttelte an der Türe. Vollkommen undramatisch. Weder verzweifelt noch ansatzweise panisch. Ich wollte lediglich kurz raus. Treten. Es regnete eben nicht. Der Bahnsteig schien nicht mehr rutschig. Auch beim Warten sollte man sich gelegentlich die Beine vergehen. Und vielleicht steht der Küchentisch inzwischen vor der Tür. Die verschlossen. An der ich rüttele. Wie ein Falke über dem abgeernteten Feld. Schön anzusehen. Nicht jede Maus lässt sich fangen. Während ich rüttele, frage ich mich dies und das. Bin ich nun verpeilt? Habe ich etwas vergessen? Verdrängt? Vorbeigeschaut? An Tatsachen? Ich rüttelte und rüttelte. Ohne rechte Wucht. Bin ich nun ein Fatalist?

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Ich hätte gerne geflucht. Gebrüllt. Nein. Nein. Nein. Nein. Verfickte Scheiße. Dreckstüre. Bin ich blöd. Eigentlich. Und dies zunehmend zunehmender. Die war eben noch sperrangelweit offen. Die Türe. Da haben sogar Küchentische durchgepasst. Stattdessen? Ich spüre eine klebrige, billig parfümierte Hand auf meinem Mund. Atmete notdürftig durch die Nase. Hauche ein nasales Okay. Okay. Okay. Okay. Die Scheibe vor meinen müden Augen beschlägt. Ich fahre meinen Zeigefinger aus. Male ein paar Buchstaben ins Kondenswasser. A. B. E. R. Soll ich noch ein Fragezeichen dazufügen? Draußen heftige Hammerschläge. Ich fange an zu singen. Vor mich. Hin.

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„Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleich

Du, lass dich nicht verbittern …“

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Die Hammerschläge werden lauter. Jetzt sind es zwei Hämmer. Mindestens. Die dengelnd auf dem Eisen tanzen. Man brüllt sich an. Da draußen.

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 08

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Ich sitze am Küchentisch. Ich sitze an einem Küchentisch. In einem Schienenbus. Hektischer Regen prasselt auf das Blech über mir. Ich hatte mich wieder in den Triebwagen gesetzt. Es war wärmer geworden. Die Scheiben durchsehbarer. Ich hatte mich mit der Warterei abgefunden. Spielte mit mir selber SchnickSchnackSchnuck, als man gegen die Scheiben klopfte. Nicht klopfte. Donnerte. Man würde nun einen Küchentisch zu Dir, man duzt sich, reinstellen und Er käme dann auch gleich. Ich könne es mir schon mal machen. Bequem. Jetzt sitze ich am Küchentisch. In einem Schienenbus. Der sich nicht bewegt. Auch der Tisch bleibt stehen. Gut so. Ich lege eine Patience.

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Da isser. Der Angekündigte. Er ist da. Hier also. Sitzt mit gegenüber. Eine Make-up-Artistin stürzt herein. Pudert ab. Lässt aber die Augenringe unangetastet. Der hart Arbeitende. Verwuschelt kunstvoll das Haar. Der Unorthodoxe. Aber mittig. Sein Kopf mal nach rechts, wieder nach links geneigt. Zugewandte Nachdenklichkeit. Ich beobachte mein Gegenüber – deformation professionnelle – und frage mich: Wo will er hin? Was will er ausdrücken? Wer hat ihn besetzt? Wem hat er vorgesprochen? Er outriert. Fehlt nur noch, daß er seine Denkerstirn nach Art der Rodin’schen Skulptur auf die geballte Faust stützt. Schwer atmend. Sagen tu ich nix. Ich muß noch schauen. Gegenüber wächst Ungeduld. Die Gestaltungsbeaufauftragte verwuschelt das denkende Haupthaar erneut. Vielleicht glaubt sie, ich, der seit zehn Tagen sein Haupthaar nicht gewaschen, gewänne so mehr Zutrauen. Dann werde ich angesprochen. Er.

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„Hast Du denn keine Fragen?“

„Sollte man den Älteren nicht siezen?“

„Aber selbstredend! Haben Sie denn keine Fragen? Probleme? Ziele?“

„Ich tät‘ mich freuen, wenn dieser Leichttriebwagen mal losrollt.“

„Wohin soll er denn fahren? Und wie betrieben?“

„Er soll einfach fahren! Irgendwohin. Aber losfahren.“

„Und hast Du / Sie / man / es denn keine Haltung? Reflektion?“

„Ich habe inzwischen eine Rentnerkarte. Ich fahre zum Bahnhof und schau wer oder was sich als Erster bewegt. Da steige ich ein.“

„Ich bin leider nicht der Lokführer. Und für die Schienen sind Andere. Verantwortung. Ein Wort.“

„Der Wort sind genug. Gewechselt?“

„Ja dann. Hallo! Hallo! Meine Herren da draußen. Der Tisch kann raus hier. Heute noch ja bitte. Neue Küche. Neues Glück.“

„Und was ist mit meiner Patience!“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 07

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Ich sitze. Ich sitze zur Probe. Aber ganz vorne. Der erste aller Sitze in diesem Schienenbus. Ich sitze und stelle mir vor ich probierte Lokführer. Ich probierte ein Lokführer zu sein. Falsch. Ich stelle mir vor als Lokführer zu fahren. Zu arbeiten. Zu lenken. Dies muß man wohl, wie alles, probieren. Aus. Probieren. Keine Rolle Lokführer. Ausgeschrieben. Mit Fremdtext. Lokführer tun. Machen. Will ich das. Überhaupt. Es bleibt kalt. Der Bahnsteig leer. Der weiße Griesel legt sich auf Dächer. Wege. Scheiben. Man muß vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Setzungen. Platz. Träumerle. Platz. Bleibe sitzen und probiere.

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Ich sehe nichts. Nichts. Aber ich sitze noch vorne. Ganz vorne. Darf ich mich umdrehen? Ist da noch wer? Hinter mir? Als ich die Lichter anschaltete in einem Hotelzimmer in New York, sah ich zuerst die Kakerlaken flüchten. Rasende Striche in der Duschzelle. Neunzehnhundertneunundsiebzig. Ich drehe mich um. Nur den Kopf. 120 Grad und steifer Nacken. Niemand. Da. Niemand. Oder doch? Die Scheiben gewähren keinen Durchblick. Heute. Ich spreche mich an. Und antworte mir. Eine Probe nur. Ohne gelernten Text.

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„Was tun?“

„Umarme den Irrsinn!“

„Lokführer werden?“

„Du kannst Dich auch vom Irrsinn umarmen lassen!“

„Doch nicht Lokführer?“

„Mußt Du wissen!“

„Geht eigentlich auch Lokführer und Fahrgast?“

„Gleichzeitig? Nee! Also wirklich nur nee!“

„Und jetzt?“

„Es wird wärmer werden und Du darfst dann die Fenster putzen!“

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Nachricht aus dem Nachlösewagen 06

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Ich könnte. Wenn ich wollte. Wenn ich wollte, könnte ich. Möglicherweise. Man wird gesucht. Verzweifelt gesucht. Wie ich lesen kann. Aber könnte ich das? Wollte ich? Wäre ich nicht zu alt? Jedoch alt wie die Kuh lernte man immer noch dazu. Andererseits: ist ein Plädoyer für den Stillstand nicht Fortschritt? Bewegung gar? Oder nur bitterer Mainstream. Sich am Rollator seiner gestrigen Überzeugungen durch die verachtete Fußgängerzone namens HEUTE schieben. Nun. Was soll man tun sonst, außer in den geschwätzigen Netzen nach Friedwäldern googeln. Könnte ich Lokführer?

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Ich reibe meine Nasenspitze. Heute ein Grad wärmer. Aber noch nicht im Bereich plus. Ich stehe auf dem Bahnsteig. Mal rum. Mal Cognac. Erzähle mir uralte Witze, um meine Füße zu erwärmen. Goetheglatze. Schillerlocke. Das Trippeln wieder. Ein kleiner, einst verachteter Tanz. Staying alive. Ich klebe mein Gesicht an die Scheiben des Leichttriebwagens und sehe niemanden. Da drinnen. Reste eines Toast Hawaii lediglich kleben auf einer der Sitzbänke. Ach, was waren das für Zeiten. Kann ich durch Beschwörung den Schienenbus? Aber wohin? Warum? Weiterhin trippeln. Tänzeln. Da! Da liegt es doch. Auf dem Bahnsteig. Das Telegramm. Ich bücke mich. Lese. Beginne eine Debatte. Ein Gespräch. Ein Symposium. Mit mir selbst.

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„Was steht drin?“

„Ich lese noch!“

„Gefällt es Dir?“

„Ich lese weiter!“

„Liest Du mit Gewinn?“

„Ich lese einfach!“

„Erkenntnisse ante Portas?“

„Ich lese und sammle Eindrücke!“

„Willst Du mit mir teilen? Also mit Dir?“

„Da ich mich stets selber drängele, hier unser beider eigene Meinung!“

„Drei, zwei, eins, null. It’s a liftstart.“

„Der eine betracht’s,

Der andere beacht’s,

Der dritte verlach’s-

Was macht’s?“

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