Vom Haruki Murakami lesen …

oder Das Ich unterm Schreibtisch

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Bei der Lektüre fremder, eigener, ungeschriebener, geplanter Texte überliest man gerne das sehr häufig verwandte, wenn nicht am meisten geschriebene, getippte, angedachte kleine Wörtlein mit den drei Buchstaben. Und nimmt es als gottgegeben. Aus therapeutischen Gründen nun ersetze ich das Wörtlein im Folgenden mal. Frei nach Murakamis neuen Erzählband. Noch nicht gelesen, aber zumindest bestellt. Beim lokalen Buchdealer! Gelle!

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Natürlich kann Erste Person Singular letztlich nur von dem berichten, was Erste Person Singular als mein Leben bezeichne. Auch wenn Erste Person Singular versuche aus dem Fenster zu blicken und Erste Person Singular versuche zu beschreiben, was Erste Person Singular dort sehe, schon beim Niedertippen dieser wenigen Worte sage Erste Person Singular mir, weshalb Erste Person Singular solche Sätze ertrage, in denen sich das Wörtlein Erste Person Singular dermaßen stapelt, nur weil dort die drei Buchstaben Erste Person Singular zu lesen sind und nicht der aus Neunzehn Buchstaben bestehende auf drei Worte aufgeteilte Begriff Erste Person Singular“ steht. Da ist doch seltsam, stelle Erste Person Singular fest. Da müssen Erste Person Plural reden von gewaltigem, eventuell vorhandenem Einsparpotential.

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Jetzt gehe Erste Person Singular raus in den Schnee und sage Reflexivpronomen Dativ, daß der Schnee weder für Reflexivpronomen Akkusativ noch gegen Reflexivpronomen Akkusativ vom Himmel fiel. Sondern weil es Gott so gefällt. Heute zumindest.

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Ich blicke, bevor Erste Person Singular aufstehe, unter meinen Schreibtisch und da liegen sie rum die eben aus dem Text Verbannten … Psst, Ihr kleinen vorlauten Säcke! … Singen wir lieber ein Lied und blasen den Kopp frei vom ERSTE PERSON SINGULAR! Bereit?

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Der Wahrheit nachsinnen / – viel Schmerz (Georg Trakl)

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„Wer sich seiner Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ George Santayana

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Das was man früher „der Westen“ nannte, befindet sich seit einiger Zeit in einem Zustand virulenter Amnesie und / oder Geschichtsvergessenheit. Egal was geschieht, Capitol, verschärfter „Schließrunter“, Scheitern in Afghanistan, Moria, Waldbrände, Schnee in Madrid, Trainerentlassungen und eigene Krankheit, es wird oft nur aus dem Moment heraus bewertet, kommentiert und eingeordnet, meist garniert mit Entrüstung und auf alle Fälle kategorisch oder wie man es gerne nennt: meinungsstark. Man blickt auf die Geschehnisse als sei man selbst nicht Teil der Welt, sondern lediglich Beobachter. Wie und auf welchen Wegen eine Gesellschaft und so man selbst an diesen Punkt geraten ist, wird selten ins Kalkül gezogen. Keine Zeit oder man könnte ja unangenehm verstrickt gewesen sein.

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Ich lese viel, zur Zeit noch mehr. Mir fiel auf, daß in den letzten Wochen hauptsächlich Werke ostdeutsch sozialisierter Schriftsteller auf meinen Nachttisch lagen. Wolfgang Hilbig vor allem, Christoph Hein, Günter Bruyn, Brigitte Reimann, Peter Richter, Durs Grünbein, Thilo Krause. Was ich – generalisierend – an deren Werken schätze, daß sie nicht das Hohelied der Selbstverwirklichung singen oder vom Mythos des freien Individuums, sondern ihre Figuren und sich selbst stets in einem Geflecht von Abhängigkeiten, Ambivalenzen, historisch verebter Schuld, den Versuchen dieser zu entfliehen oder sich ihr zu stellen, ansiedeln. Ein Menschenleben erzählt sich mir eher in Reibung mit den Zeitläuften und nicht nur aus familiären Zusammenhängen heraus. Familie ist kein ahistorischer Raum. Diese Herangehensweise erfordert Wühlarbeit und eine gewisse Schonungslosigkeit sich selbst gegenüber.

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Wie der Maulwurf / der sich gräbt wühlt ackert / unermüdlich unerschrocken unerbittlich / durch das Bergwerk / die Stollengänge seines Lebens / dessen getrübtes Auge nicht sieht den Stiefel / einmal nur die Sonne auf seinem Fell, einmal nur / Tereisias ach Tereisias / der Stiefel des Bauern / fährt nieder / einmal nur die Sonne auf seinem Fell wollte er / der Schädel bricht / die Sonne auf seinem Fell / als er schob seinen Schädel hinaus ins Licht

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Obiges schrieb ich, als ich im Sommer 2014 mit dem Fahrrad nach Märkisch – Buchholz „pilgerte“, um das Grab von Franz Fühmann zu besuchen. Fühmann – Jesuitenschüler, dann glühender Nazi, glücklicherweise – für ihn – von den Sowjets nur gefangen genommen, Umerziehungslager, später Jubelstalinist, Staatsschriftsteller, langsam wachsender Zweifel, alkoholkrank, schließlich Dämmerung, Wandlung, die Trakl – Erfahrung, Sturz des Engels, Biermann, Alkohol wieder, noch ein Entzug, radikale Askese, schließlich bis zum Tode sich aufreibend in der Auseinandersetzung mit dem einst verehrten Staat – ist der gnadenloseste literarische „In – sich – und – der – Welt – Wühler“, der mir je begegnete, übertroffen nur von seinem Ziehsohn Wolfgang Hilbig. („Das Provisorium“) Die letzten Jahre seines Lebens saß Fühmann meist in seiner Garage in Märkisch – Buchholz und arbeitet dort an einem nie vollendeten Werk, fuhr täglich ein in sein Bergwerk.

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„Ich grüße alle jungen Kollegen, die sich als obersten Wert ihres Schreibens, die Wahrheit erwählt haben.“ (Grabinschrift Franz Fühmann)

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Was immer das sei: die Wahrheit. Wesentlich scheint mir die Bereitschaft, sich auf die Suche zu begeben. Ausdauernd.

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PS: Ich hatte im Jahre 2014 schon – unterstützt vom neugierigen Denkbär Archibald Mahler – von der kleinen „Pilgerreise“ berichtet. Da und dann hier und schließlich dort!“

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bagatelle zehn

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Wovon sprechen vom ich

Dem einen oder

Umlackiert zu einem Er

Der wer bin ich

Sagt jener dann

Und tun was soll ich

Behaupten kriechen zu

Können in fremde Häute

Fliegen mit fremder Feder

Schreiben

Als sei das eigene Leben

Bagatelle genug

Darüber zu schweigen

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Verlängerung:

Wie selbstbesoffene

Schauspieler taumeln sie entlang

Der Rampe glotzen ins

Publikum erheischend Beifall statt

Zu erzählen die Geschichte des

ungeschriebenen

Stücks dieser Worte

dessen Er vielleicht wäre ich

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Entgiftung

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Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen

von allen Dingen, die mich umstellt haben

und ihren Schatten werfen: die vielen besitzanzeigenden

Fürwörter. Abschied vom Inventar, dieser Liste

diverser Fundsachen. Abschied

von den ermüdenden Düften,

den Gerüchen, mich wachzuhalten, von der Süße,

der Bitternis, vom Sauren an sich

und von der hitzigen Schärfe des Pfefferkorns.

Abschied vom Ticken und Tacken der Zeit, vom Ärger am Montag,

dem schäbigen Mittwochsgewinn, vom Sonntag

und dessen Tücke, sobald Langeweile Platz nimmt.

Abschied von allen Terminen: was zukünftig

fällig sein soll.

Mir träumte, ich müßte von jeder Idee, ob tot

oder lebend geboren, vom Sinn, der den Sinn

hinterm Sinn sucht,

und von der Dauerläuferin Hoffnung auch

mich verabschieden. Abschied vom Zinseszins

der gespaltenen Wut, vom Erlös gespeicherter Träume,

von allem, was auf Papier steht, erinnert zum Gleichnis,

als Roß und Reiter Denkmal wurden. Abschied

von allen Bildern, die sich der Mensch gemacht hat.

Abschied vom Lied, dem gereimten Jammer, Abschied

von den geflochtenen Stimmen, vom Jubel sechschörig,

dem Eifer der Instrumente,

von Gott und Bach.

Mir träumte, ich müßte Abschied nehmen vom kahlen Geäst,

von den Wörtern Knospe, Blüte und Frucht,

von den Zeiten des Jahres, die ihre Stimmungen

satthaben und auf Abschied bestehen.

Frühnebel. Spätsommer. Wintermantel. April April rufen,

noch einmal Herbstzeitlose und Märzenbecher sagen,

Dürre Frost Schmelze.

Den Spuren im Schnee davonlaufen. Vielleicht

sind zum Abschied die Kirschen reif. Vielleicht

spielt der Kuckuck verrückt und ruft. Noch einmal

Erbsen aus Schoten grün springen lassen. Oder

die Pusteblume: jetzt erst begreife ich, was sie will.

Ich träumte, ich müßte von Tisch, Tür und Bett

Abschied nehmen und den Tisch, die Tür und das Bett

belasten, weit öffnen, zum Abschied erproben.

Mein letzter Schultag: ich buchstabiere die Namen

der Freunde und sage ihre Telefonnummern auf: Schulden

sind zu begleichen; ich schreibe zum Schluß meinen Feinden

ein Wort: Schwamm drüber – oder:

Es lohnte den Streit nicht.

Auf einmal habe ich Zeit.

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Ich schrieb obigen Text im Frühjahr 2015. In jener Zeit hielt mich die Arbeit am Musentempel schwer auf Trab und mein Hang zum Perfektionismus noch mehr. Seltsam wie das Virusviech den alten Traum zu einer Realität werden ließ. Und, dieser Tage jedenfalls, ich genieße die Zeit, die ich nun habe, so wie sie ist. Halten Sie mich gerne für pervers. Ich laß das mal so stehen. Also den Text oben. Später mal bearbeiten.

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PS: I’d like to thank my beloved wife for the kind permission to use the photograph above, she took in Bath (Somerset) in august 2017.

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Gemeinsame Trauer, Vorsicht, Furcht?

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Vielen Dank. Mir aus dem Herzen und dem Hirn gesprochen aka geschrieben, der Essay von Mark Siemons aus der FAS vom 27. Dezember 2020. Teile ich sehr gerne:

Das Jahr der Verdrängung

„Es war ein widersprüchliches Jahr in Deutschland. Auf der einen Seite sah es eine so große kollektive Bedrohung wie seit Generationen nicht mehr, mit so vielen Toten, so vielen Existenzängsten, so vielen außergewöhnlichen Eingriffen des Staates, auch so vielen staatlichen Schulden. Und auf der anderen Seite eine Öffentlichkeit, die von einem gemeinschaftlichen Erleben dieser Bedrohung, von einer gemeinsamen Trauer, Furcht, Vorsicht und Nachsicht nichts wissen zu wollen schien. Je länger das Jahr unter dem Eindruck der Pandemie andauerte, desto zersplitterter wurde dessen Wahrnehmung, aufgelöst in viele, oft gegeneinanderstehende Einzeldispute, die sich von dem Ausgangspunkt, der unerwarteten Erfahrung der eigenen Verletzlichkeit, zunehmend entfernten.

Im März war die Anteilnahme über die vielen in Italien am Virus Verstorbenen noch groß; heute, da im eigenen Land schon höhere tägliche Todeszahlen erreicht sind, stößt das auf kaum Resonanz. Der schon vor Monaten geäußerte Vorschlag des Bundespräsidenten, in einem nationalen Akt der Opfer der Pandemie zu gedenken, wie dies so unterschiedliche Staaten wie China und Spanien getan haben, verhallte. Im Frühjahr wurde noch viel Empathie für das Krankenhauspersonal bekundet, dem die Seuche besonders viel abverlangt. Später verlor sich auch dieses Interesse. Andere Fragen wurden wichtiger: Wer darf sich wo mit wie vielen Menschen treffen, sind die Eindämmungsmaßnahmen überhaupt verhältnismäßig, welche Geschäfte dürfen sich systemrelevant nennen, sind Masken womöglich gesundheitsschädlich? Nicht, dass eine dieser Fragen unbedeutend wäre, aber in der Summe addieren sie sich zu einer im Rückblick fast monströs wirkenden Verdrängungsleistung – vor allem, da ihnen fast vollständig das Gegenüber fehlt, die Verständigung über die allen gemeinsame Verwundbarkeit.

Es ist, als klammere sich die Öffentlichkeit an ihre Debattenroutinen, an vertrautes Kommunikationsterrain, um sich mit dieser Verwundbarkeit und Ungewißheit nicht konfrontieren zu müssen. Jeder rhetorische Winkelzug schien dazu recht. Man stritt sich darüber, ob die Opfer „an“ oder doch nur „mit“ Corona gestorben seien, ob überhaupt von einer „Übersterblichkeit“ die Rede sein könne oder ob man die Diskussion nicht besser auf die „vulnerablen“ Gruppen konzentrieren solle, um die Mehrheit damit nicht weiter zu behelligen.

Selbst vorsichtige Formulierungen wie die der „neuen Normalität“, die Politiker wie Olaf Scholz am Ende des ersten Lockdowns wagten, um das fortdauernd Außergewöhnliche der Situation anzudeuten, wurden brüsk zurückgewiesen. „Wir wollen unsere alte Normalität zurück!“, hieß es trotzig in einem Kommentar. Diese Art Panzerung gegen die Realität hatte auch Folgen für die Wirksamkeit der Eindämmung des Virus. Da keine gemeinsame Sprache für die Bedrohung gefunden wurde, hatten es alle vorrauschauenden Maßnahmen, geschweige denn langfristige Strategien schwer, sich unter den Ministerpräsidenten durchzusetzen. Und selbst das Verhalten derer, die das Virus nicht für eine Erfindung halten, richtete sich weniger an der Gefährdungslage als an Verordnungen aus – die vielbeschworene Eigenverantwortung setzt offenbar erst dann ein, wenn die Wirklichkeit durch Gesetze oder andere Prinzipien beglaubigt ist.

Wahrscheinlich hat die Pandemie auf einer individuellen Ebene bei vielen das Bewußtsein dafür befördert, wie viel mehr das Leben wert ist als die Gewohnheiten, die es in ruhigen Zeiten ausfüllen und die jetzt so schmerzlich unterbrochen wurden. „Daß das Leben nicht gehortet, sondern gelebt sein will“, hielt der britische „Economist“, sonst nicht als Fachmagazin für solche Ergebnisse bekannt, als Lektion dieses Jahres fest. Die große Frage bleibt, warum sich dagegen das kollektive bewußtsein die Lebenserfahrung dieses Jahres so ausdauernd vom Leibe hält. Und was getan werden kann, damit sich das ändert.“

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Und: es sterben vor allem Mitglieder jener Generation, die dieses Land nach dem Krieg aufgebaut haben und auf dem Rücken derer Lebensleistung die Nachgeborenen ihren Wohlstand gefestigt haben. Nachdenkenswert, bevor man wieder das nächste Schlupfloch sucht. Dankbarkeit und so.

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bagatelle acht oder ein lob der naivität und ein lob des endes der naivität auch

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Sie nannten sich die Sahne und sangen

Vom Sonnenschein der Liebe bis alle Samen

Vertrocknet sind

Sie nannten sich der Bleierne Zeppelin und sangen

Von der Wiesovielliebe und davon alle Zitronen

Auszuquetschen

Sie nannten sich Tiefes Lila und sangen

Vom blinden Mann der schießt auf

Die Welt

Sie nannten sich Schwarzer Samstag Kirchenglocken und

Regen ließen sie singen

Und fragten wer ist der schwarze Mann der vor mir steht

Sie nannten sich zu Ehren der alten schwarzen Männer die

Ernteten ab die Baumwollfelder und sangen also

Von der Traurigkeit und den Steinen

Den rollenden

So nannten sie sich und sangen von der Thekenkönigin

Die ein Stockwerk höher erfüllte den Sänger mit Rock’n‘Roll

Und der Gott der Gitarren sang ein Lied für Josef

Ihm mitzuteilen daß er

Seine Frau niedergemäht habe

Nicht mit der Gitarre

Mit einer billigen Knarre nur

Geklaut damals als er diente dem Maschinengewehr

Und wir nahmen das ernst

Die Sänger der Lieder

Aber

hatten Spaß

An den Bagatellen

Als die Zeiten sich vermeintlich

Änderten

Der Zimmermann baute das Dach

Und dichtete es ab mit Worten

Wie fühlt sich das alles an

Heute da wir weniger lachen

denn einst

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nachtwanderungen revisited

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Manchmal ist man auf der Flucht. Vor sich. Vor dem Anderen. Vor einer Liebe. Man ist bereit eine ganze Welt auf den Müll zu werfen. Um zu fliegen ohne mit den Wimpern zu zucken. Dann, der Tank leert sich so langsam, muß man wieder landen. Warnblinker zuckten. In der Not halt eine nötige Notlandung. Man nennt sie dann freiwillig. Davon ein altes Lied.

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nachtwanderungen

der schlaf hat mich plötzlich und schwer umarmt und sich genauso plötzlich und schwer davongemacht. morgens um vier besuchen sie mich: deine, meine, unsere gespenster. nicht laut schreiend und wehklagend wie die tage zuvor, nein leise, ihre forderungen nur sachte an die wände malend. du hast ihnen einlass gewährt, hast ihnen nicht die begrenzte haltbarkeit deiner gastfreundschaft klargemacht. sie klagen und kratzen an den fenstern, sie huschen durchs dachgeschoß, daß ich betrete und fühle, dort oben wohne nicht ich, nicht wir, dort oben ist noch terra incognita, heimstatt eines schmerzlichen betruges. ich höre das ferne röcheln anderer wartender. gespenster haben eine fürchterliche eigenschaft. in jedes loch fehlender klarheit nisten sie sich ein und reiben ihrer stinkenden schwänze. und aus jedem qualvoll verspritzten tropfen erwacht ein neues noch größeres gespenst, eines dessen hohnlachen noch lauter und schneidender den schlaf erwürgt. oh du fata morgana, lichtspiegelung in der wasserwüste der liebe. draußen taumeln die seemänner und wollen an land, doch die nächtlichen schweren ketten rasseln vor einer hafeneinfahrt, welche gar nicht existiert. leuchttürme, in denen alte wächter mit rum gurgeln, versinken in der flut. heute nacht ist meine haut hart und glänzend, über meinen innereien liegt der panzer der erschöpfung und ich breche auf. was bist du, eine leinwand auf der aufgeregte leichtmatrosen ihre farbreste verkleckern, eine kneipe, in der vaterlose gesellen unter die tische pinkeln, die dornenhecke, in der liebeskranke troubadoure ihren rausch ausschlafen, um morgens das blut ihrer wunden in ihre weinkaraffen zu ergießen? oder bist du einer dieser spiegel, in die man hineingreift und plötzlich sein blutendes herz in den händen hält? ich erinnere mich nicht daran, daß von den zinnen deiner burg proviantpakete auf die singenden ritter hinabfielen, ich erinnere mich nur an das rasseln der skelette, über die ich stolperte und zu deren rhythmus ich neue lieder bastelte. in deinen gemächern stapeln sich nicht abgesandte worte, seidentücher, um die sich ganze bataillone duellieren würden. und dann schickst du dein kleines kind hinaus und weinend zucken die eben noch festen knie in den sand. das morgenlicht liebkost die wahnsinnigen und die eine rose, die du gabst, zerstreut sich in alle himmelsrichtungen, eine jede faust umklammert schwitzend ein blütenblatt. zuhause, in ihren jämmerlichen hütten sitzen die wallfahrer, alte kompendien wälzend, in der irren hoffnung ihre tränen und die leblosen säfte ihrer lenden erweckten das tote souvenir zu neuem leben. ich besteige mein armes altes pferd und rauchend machen wir es uns auf einer wegkreuzung bequem. die sonne leckt meine müdigkeit und traurig erwarte ich dein lächeln. der rosarote wind trägt mir entgegen, was ich verlor, den geruch deiner ewigkeit.

(notiert im januar 2001 für x)

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PS: Für obiges Bild danke ich „Professor“ Andreas M., einst Dresden, nun Berlin.

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Ab ins Grab mit Stinkefinger

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Es rutscht ein Jahr vom Teller

Und tut das immer schneller

So scheint es mit den Jahren

Buttermilch statt Bier und Wein

Zu allen Menschen freundlich sein

Den Vorsatz kannst Du sparen

Dir und allen anderen auch

Den dieser alte Vornehmbrauch

Trägt schneller Bärte als man denkt

So hat man sich umsonst verrenkt

Und bald zu viel versprochen

Was schneller noch gebrochen

Das neue Jahr in ganzer Leere

Gibt unbeschriftet sich die Ehre

So sollt man es bewahren

Und sich den Vorsatz sparen

Bis lediglich auf einen

Edel, hilfreich und auch gut

Vor dem Jammern auf der Hut

Wenig falsche Töne singen

Der Frau ans Bett den Kaffee bringen

Huch schon sind es mehr geworden

Sich selbst verliehen dieser Orden

Rasch spül ich noch den Teller

Auf daß das leere, neue Jahr

Darauf lieget wunderbar

TOI TOI TOI rufen die Geister

Das letzte Jahr war Scheibenkleister

Wie immer

Diesmal aber schlimmer

Was soll man da auch machen

Um die Wette lachen

Denn gar nichts ist umsonst

Von Teller rutschte es ins Grab

Winkend schauten wir hinab

Mit einem Stinkefinger

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