Nachbarskindern lauschen oder von der pfeilschnellen Überwindung des Turbokapitalismus und der Hoffnung

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Ich hatte schon mal Anfang Juni von den lieben Tobenden auf dem Nachbarsgrundstück geschrieben. Vor ein paar Tagen saß ich wieder unten im Hinterhof im milden Septembersommer, trank billigen Wein, wie stets ein bisserl zu viel davon. Also und nicht nur aber deshalb lauschte ich grinsend dem Getöse jenseits des Zaunes und war ordentlich erfreut.

„Die Bayern sind Scheiße!“

„Das stimmt überhaupt nicht!“

„Die Bayern sind Scheiße. Die sind so was von Kacke!“

„Die haben 5:0 gewonnen!“

„Das ist es doch!“

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Die Kinder, die da drüben kicken, sind so plus minus 7 oder 10, die meisten Migranten und auch noch Mädels. Das volle Programm also. Sie geben sich gegenseitig Namen. Aishe ist Thomas Müller, Samra ist Lewandowski, Alia ist Marco Reus und Bassam ist ein Schiedsrichterwesen namens Steinhaus.

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Wir kickten einst auf dem Acker, auf einer Lichtung im Wald neben dem Friedhof, wo der Vater liegt, selten auf einem gepflegten Rasen. Ich war Emma. Der, der mich umsenste, nannte sich Horst Höttges und natürlich war da noch ein Franz, der uns alle nass machte. Der hieß Gernot. In echt.

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Die Lütten da drüben tun es immer noch. Den rollenden Ball in Rollen rollen lassen. Sind sie lauter als wir damals? Hoffentlich. Es wächst also was nach an Hoffnung. Frühkindliche Erkenntnisse arbeiten an der Überwindung des Turbokapitalismus. Ätsch! Oder vielleicht doch nicht ganz so unbedingt?

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Gestern kam meine liebste Gattin vom Wäscheaufhängen hoch und berichtete von folgendem Kurzdialog. Wieder zwei der wilden Mädels.

„Du willst immer nur Geld. An Weihnachten. Zum Geburtstag. Immer!“

„Ja und?“

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Die meine, glückliche und verwöhnte Generation fordert von den Nachfolgenden den Verzicht. Nach intensiver Lebensnutzung. Schon strange. Ich weiß immer noch nicht was ich wählen werde. Ich werde versuchen eine Entscheidung jenseits meines Bauchnabels zu finden. Aber die sind schwer in Ordnung da drüben. Die Mädels jenseits des Zaunes.

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Die geheimen Sehnsuchten der Giraffen teilen gelegentlich sogar die Affen

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Es wären die Giraffen

Mal gerne einfach Affen

Statt mit den langen Hälsen

Die gern Probleme wälzen

Und glauben zu verstehen

Was sie von oben sehen

Der Affe aber tobend

Und stets sich selber lobend

Jagend durch die Wipfel

Das ist doch der Gipfel

Giraffe sich empört

Was sie letztlich stört

Sie muß will sie was trinken

Zwischen ihre Schenkel sinken

Mit dem Kopf

Armer Tropf

Doch auch ein Affe

Wäre gern Giraffe

Man glaubt es kaum

Wär‘ er doch so sein eig’ner Baum

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bagatelle 8und50 / the potheadpixies

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den kühlen kopf bewahre

es klare auf die sicht

und überm see am ufer drüben

kannst‘ gedanken fremd dir

fröhlich üben

statt zu hasten durch die tasten

du ohne ruh‘

die wenigen hellen stellen

in deinem hirn

vernebelen die bagatellen

bleib‘ wurm im sturm

schwimm‘ mit dem strom

dagegen an

werd‘ nicht zu gescheit

an dieser dummen zeit

und koche ein dein leid

zum tun

dann ruh’n

kannst du

eventuell

wir tanzen auf der stell‘

mit hornhaut im gehirn

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Sheep shiting hitting neighbors plate

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Der Magen eines Schafes

Könnt nicht länger tragen

Was verzehrt ward voller Gier

Drum öffnet er die Tür

Und alle Schleusen auch

Entleert froh rülpsend sich

Am Nebentisch ein Nachbartier

Getrieben von derselben Gier

Auf seinem Teller Kötelmassen

Doch man frisst weiter

Kann’s nicht lassen

Es wetzt der Schäfer gar nicht nett

Am Stein das Messer

Lammkotlett

Auch dies das Schaf

Man glaubt es nicht

Anficht in keiner Weis‘

Wird schon werden blöken alle

Leise vor sich hin so brav

Was ich nicht weiß

Erhitzet nicht ’s Gemüt

So weit, oh meine Güt‘

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Esel im Schatten / Reim zur Zukunft

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Unter jenem Baum voller Äpfel und ohne Pflaum‘

Stand ein Esel man sah ihn kaum

Im Schatten und wir hatten

Kaum noch Zeit um hin zu sehen

Wir mussten ja nach Hause geh’n

Wohin war uns nicht klar

Jedoch im nächsten Jahr

Da werden wir es wissen

Wenn wir in uns’re Kissen

Weinen

Und scheinen

Zu schreiten

Beizeiten

Voran und stets zurück

Der Esel fraß ein Stück

Der Nesseln nieder

Iaah Iaah er blöckte leise

Eine wunderschöne Weise

Und stand starr

Graues Haar

Ohne mich das Toben

Karger Tisch

Die Disteln zu loben

War sein einziges Brevier

Nach Hause fuhren wir

Gelassen dann

Und irgendwann

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bagatelle fünfzig

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und so saßen wir jahre in jenem

weißgetünchten raum die fenster verhangen

gegenüber der bahnhof das quietschen der

weichen gelegentlich hörten wir sahen

nicht die züge die kamen gingen und

entgleisten unsere gesichtszüge

sangen wir von der apokalypse die möge

komme und eile herbei

befreie die welt von den dummen den bösen

die wir nicht sind und

verschone uns und führe uns nicht in versuchung

so täuschten wir uns

großkotzig voller hoffnung

die bagatelle schrieb sich aber

mitgehangen mitgefangen

und wer sich da erhöhte sah bald wie

tief ist der brunnen

noch heute warte ich auf das geräusch wenn

wir werden aufprallen

der brunnen verliert an wasser des vergebens

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bagatelle siebenundvierzig

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an manchen tagen

wenn ich wie ein käse ohne rinde

liege auf dem teller leben

in mir nagen die maden

die löcher gefressen heute

werden geflutet mit wut

tröstet lediglich der sonnenuntergang

oder der stich eines insekts

ein anderes jucken

außenhaut

ablenkung

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PS: Oben der Blick von unserer Gemüseparzelle ins Umland. Das hilft.

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PS2: „Du Sohn eines Regenwurms und Enkel einer kreuzlahmen Spinne, möge ein Kaktus in Deinem Bauche wachsen und eine Rattenfamilie mitten in dem Käse wohnen, den du zu deiner Abendmahlzeit erkoren hast.“ Diesen Fluch des guten alten Hadschi Halef Omar undsoweiter sandte mir ein treuer Leser meiner hier veröffentlichen Gedanken zu. Werde ich auswendig lernen. Man weiß ja nie!

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PS3: Dann aber denn auch noch. Manchmal ist googeln schon lustig. „Schweig, Du Sohn einer Hündin! Deine Zunge hängt voll Lügen, wie die Nessel voll von Raupen. Du verbreitest Gestank und streust die Krätze umher, kein Mensch sollte mit Dir sprechen.“ Wird auch auswendig gelernt. Die Welt braucht mehr kreative Flüche statt ständiger und vorauseilend verängstigter Selbstzensur.

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PS4: Das muß dann aber auch. Unfassbare Köstüme. Unfassbare Choreographie. Aber diese Naivität und unbedenkliche Freude am Leben würde glaube ich dieser Tage sogar Frau Baerbock gegen ihre Gegenwart eintauschen wollen. Korrekt?

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Posttraumatische Verbitterungsstörung

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Nein, das habe ich nicht erfunden, sondern gefunden, also gelesen in einer der beiden Gießener Lokalgazetten. Man hilft den coronagebeutelten Lesermännern und Leserinnenfrauen ja gerne, wo man kann, über die analoge Lebensstraße. Es gibt also eine Verbitterungsstörung, die unser aller Leben in einem der ärmsten Länder Europas, ach der ganzen Welt, zu bedrohen scheint. Gut, Mister Southgate, der die Drei Löwen fast schon jogilöwig in den posttraumatischen Elfmeteruntergang coachte, also in der einhundertzwanzigsten Minute eine paar Jungsche einwechselte, nur für den einen Schuß, der ihn ein Leben lang verfolgt hat, da sehe ich eine echte Verbitterungsstörung anrauschen. (Natürlich habe ich das wieder verpennt auf dem gemütlichen Sofa!) Aber was ist mit den armen Menschen, die letztes Jahr bis zu zehnmal zum Dm rennen mußten, mit Masken im Gesicht, um ein paar Rollen Clopapier zu ergattern? Oder den Kreuzgeimpften, die eigentlich von Anfang an Biontech eingefordert hatten? Und wir alle, denen seit Monaten die bösen, bösen Politiker die Reisekataloge aus den Händen schlugen? Und die ganzen ausgefallenen Revolutionen, von denen wir Rentner in saumseliger Erinnerungsmanie vor uns hin summen? Und Putin ohne den Großen Väterländischen Sieg? (Das Foto oben zeigt ein Plakat mit dem die hiesige DKP – ja so was gibt es noch – im letzten Kommunalwahlkampf plakatiert hat! Ernsthaft! Und jetzt sind die auch noch rausgestrecktes Zünglein an der Waage! Der Verbitterung Ade sagen quasi!) Und die ganzen Mimen, die anders besetzt wurden, als erträumt und erwartet, wo sie doch eigentlich und so weiter? Und plötzlich regnet es im Juli statt vierzig Grad? Und dann hat auch noch Uli Hoeneß einfach nur recht? Hallo? Geht‘s noch? Und vor allem, was ist mit Robert Habeck, der armen Socke, der sich von einer hochtönenden Karrieredame über den Löffel balbieren ließ und jetzt zusehen muß, wie seine Partei auf Normalmaß zurückgestutzt wird? Und Eintracht Frankfurt ohne Championsleague? Ach wären wir nie aus den Schößen unserer Mütter, die für uns den Schmerz der Geburt durch das Wochenbett trugen, gekrochen. Da fing es doch schon an mit der ganzen Verbitterung. Wir sind die anderen, die halt niemals dazu kommen, selbige auch zu sein. In derselben Zeitung las ich dann, daß der Verzehr von Bitterschokolade in den Coronatagen stark zurückgegangen ist. Man macht es sich also lieber süß. Echt süß! Und was heißt eigentlich posttraumatisch? Ich träumte und dann kommt der Postbote und schmeißt mir die Rechnung in den Briefkasten? Am Himmel hängt schon wieder ein Gewitter! Bitter!

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