„Ich glaube sowieso, dass es im Leben immer möglich sein muss, wegzugehen.“ (Sandra Hüller)

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Graffiti am Rande eines Wanderweges bei Tambach-Dietharz / Thüringen / Mitte Oktober 2021

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Brief des erschlagenen Abel an seinen Mörder Kain

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Wie Dein Kartoffelfeuer gen Himmel fingerte

Das hastig zusammengeklaubte Kraut brannte in der Hoffnung,

Auf das Podest im Herzen des Schöpfers Deiner Eltern

– Papa Rippe wie wir ihn in leichteren Tagen nannten –

Zu klettern, bekränzt, vorbeigezogen am lästigen Fleiß

Des Bruders

Dessen Hände noch blutig vom stundenlangen Schächten,

Vom Ausweiden, Häuten,

Vor Stunden Du noch neben der Blutwanne gestanden

Gebeten hast um ein gutes Stück des besten Opferkalbes

Zu braten es und zu verzehren neben den Kartoffeln

Die lagerten vor Deiner Hütte eben geerntet

Obwohl der Bauch schon bedenklich

Schliffen Deine Rachephantasien schon die Axt

Da nebenan der hager Getriebene das Holz sammelte

Es zerteilte, Reisig stapelte und Dir

Dem freudig Schlingenden

Opferholz vor Deine Feuerstelle trug

Brüderlich teilend wie stets von Dir gefordert

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Als ich auf dem Acker

Papa Rippe hatte mir kurz freundlich zugezwinkert

Dir, was ich bedauerte, lediglich signalisiert hatte

Dass er wichtigeres zu tun habe

Als unser beider Eitelkeit zu befriedigen

Da der Menschen Zeit doch eben erst begonnen

Da unsere Opferfeuer brannten verwirrt fordernd

Ich, mein Gesicht zerschmettert vom Stein Deiner Zuneigung

Hinauf blickte und der Vater nichts mehr war

Denn ein Nebel, der sich senkte auf das blutgetränkte Feld,

Kühlte ich und ab und schwor allen meinen möglichen Schulden ab und sie also lud

Auf meine Schultern

Da glomm noch mein Schaf lichterloh

Es stanken zum Himmel seine Reste

Papa Rippe schwieg

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Es waren gewiss nicht die Engel

Welche mit hart gegen die Steine stechender Klinge

Ausgruben meine Grabstätte

Doch da ich lag tiefer nun

Und die Erdkrumen der Erinnerung

Rieselten hinab, Blutungen stillend,

Auf meine blinden Augen

Schlief ich ein als Einzelkind

Und dankte ab den Götzen der Verbundenheit

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(gießen / erster weihnachtsfeiertag 2023)

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(wo ist kate? / und jetzt auch noch camilla krank / man sucht nach revolte-rentnern in alten bauwagen-elendesquartieren / findet sie nicht / hat jemand deren hunde gesehen rund um das ostkreuz? / schreiberlinge suchen in friedrichshain nach spuren von sandra hüller / oder war es doch friedrichsroda? / allenthalben geifereifer / check your age at the door, um quincy jones zu zitieren / und: höhepunkt eines weiteren müde freudigen tages: bob dylan ist ein mensch: so schreibt das feuilleton der SZ / putin hast du das gehört? ab oder an?)

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„In jedem Menschen wohnen zwei Wölfe. Ein guter und ein schlechter. Es kommt darauf an, welchen man füttert.“ (Jonathan Glazer)

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Ein alter Reim heute zur Wiedervorlage in den Zeiten der entschwindenden Zwischentöne. Kein direkter aktueller Anlass im privaten, eher ein generelles Unwohlsein. Und dass ich manchmal unseren „ach so drögen und langweiligen“ Kanzler durchaus zu schätzen weiß. Da ist man aber im Diskurs ganz schnell mal ante portas. Mehr zweifeln. Weniger verzweifeln. Vielleicht. Gebt uns die einfache Welt zurück? Kann mich nicht an eine solche Welt erinnern. Was für ein Kraftakt, ein Leben lang so vieles zu ignorieren zu müssen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Solange einfach nur lalalala.

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mein arschlochteil besuchte mich heut‘ nacht

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gestern nacht traf ich es mein arschlochteil gestern nacht sprach ich mit ihnen meinen dämonen streng doch stets gütig erscheinen wollend verwies ich sie an ihre angestammten plätze ich wußte gar nicht wo die sind redete ihnen ins gewissen da ich hoffte sie hätten eines doch sie grinsten mich an feist bohrten mir ihre stinkefinger in die nase und ließen mich wissen wer ich denn wäre der sich erlaube gefühlen vorschriften zu machen ich schickte sie in die verbannung sie lachten auf einem bein stünde ich nur noch dann und fiele um ohne sie wie dumm und so in ihrer begleitung könne ich wenigstens noch vorwärts humpeln

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als ich in den anbrechenden tag schritt merke ich wie ich das eine bein etwas hinter mir herzog nach dem zweiten kaffee begannen wir mit den friedensverhandlungen

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(januar 2022)

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„Angst nix gut, Angst essen Seele auf“ (Rainer Werner Fassbinder)

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Schaufenster / Beeskow / Brandenburg / Juni 2014

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Das Meerschweinchen

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Sein Blick ist vom Vorüberhuschen der hölzernen Stäbe

So verwirrt geworden, dass es nichts mehr fressen mag

Ihm ist, als ob die Welt ein einziger Laufstall

Und nur im Laufstall wohnet Welt so Tag und Tag

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Das freundlich‘ Tapsen, elegant ein kurzer Sprung

Der Tanz ums schnell verbrennend‘ güld’ne Ich verwirrt

Besinget jedoch Kraft und Wille am Rande jeden Abgrunds

In dem tief unten sich ein Rest von Sehnsucht leis‘ verliert

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Doch manchmal schiebt der Vorhang vor den Ängsten

Sich leise knarzend auf und eine Ahnung fast

Durch alle Glieder rast und schweiget nicht

Bis das Herz beruhigt sich und bleibt so gern im Knast

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(verzeihung herr rilke / aber zuviele meerschweinchen machen dieser tage einen auf panther / und nicht nur thomas tuchel / the show muß not go on sinnbefreit)

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„Dorschangeln vom Boot und an den Küsten“ (Horst Hrubesch)

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Irgendwo auf Kefalonia / Juni 2023

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Weniger Zutaten

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Manni Banane

Ich Kopf

Tor

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Ein Stück Brot

Olivenöl

Salz

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Gelegentlich die alten Schinken abstauben

Gelesen oder ungelesen

Und die Elefantensammlung

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Wenn sie lacht

Und ich kein Schlaumeier bin

Krokusse

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(gießen heute / keiner spricht das eigentlich sanktionierte wort mädels freundlicher aus denn horst hrubesch, den ich mir seit spätestens 2016 anstelle des ewig trist und eitel blickenden jogi wünschte / vielleicht hätte er das ein oder andere mädel bei den jungs zum coming out bewegen können / siehe krokusse)

„Hope I die before I get old“ (The Who)

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Links ging es zur Unteren Sonne / Konstanz / März 2022

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Who’s next?

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Mit gesunder Bandscheibe kokett

Im durchgeschwitzten Bett

Auf Schlaf verzichten einstens gerne

Heute leuchten noch die Sterne

Der Insomnia

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Hänge runter kugeln

Lachen wie ein Pferd

Das Wissen statt zu googeln

Du warst mir so viel wert

Jetzt bist Du nicht mehr da

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Ponto Schleyer hätte hätte

Man kriegt sie alle

In diesem Falle

Hängt nur noch eine Klette

Im leeren Empörungsschrank

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Alle reden vom Wetter

It’s getting better and better

Verlorene Generationen

Die in Bücherkisten wohnen

Lange Reise leerer Tank

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Shinigami nimmt sich Zeit

Sei allzeit bereit

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(gießen heute / putin hat wieder mal eine rede gehalten / der panzerkreuzer hessen schlägt zurück / macron sucht sein sturmgewehr / immer noch sucht das umland nach parkplätzen / man findet eine granate in kreuzberg / muß man die RAF reaktivieren? / banken auszurauben sei kein verbrechen / sagte brecht)

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„Den Tod muss man nicht rufen, der kommt von ganz alleine.“ (Sepp Maier)

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Schienen / Konstanzer Rheinbrücke / März 2022

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Der Chancentod

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Gar selten lebt ein Leben sich auf rechter schneller Spur

Links rauscht so manches schrill vorbei warum dann fragt man nur

Sitz ich nicht in dem Panamera

Leb‘ gefühlt wie so an Strassenkehra

Meine letzte Idee springt zurück vom Pfosten

Ins Feld und meine Lippen kosten

Den Chancentod

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Den Standard sagt man kann trainieren jeder willig

Doch diese trübe Wiederholung billig

Schmeckt heute nur nach Linsen

Ohne Wurst

Tritt ein oh Durst

Und Chancentod

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Doch heute habe ich nicht getrippelt

Mein Schuss ist trotzdem abgenippelt

Und kurvte über Latten

Ins Aus die Schatten

Unter meinen Augenlidern

Glimmet leise Chancentod

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Manch Schicksal ist ein Auswärtsspiel mit trunk’nen Linienrichtern

Die Weisheit wächst im Tageswerk und fällt dir nicht mit Trichtern

In die Synapsen

Daran darf man dann knapsen

Die Murmeln rollten einst in fremde Löcher

Das Hadern noch und nöcher

Wenn die Katze zum Sprung ansetzt und lacht

Jetzt jetzt jetzt

Schieß doch

Ja nichts ist ok

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(gießen / heute / gewidmet den sackgassen die gelegentlich notwendig)

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„Der Mensch ist für das 21. Jahrhundert nicht geschaffen!“ (Rene Pollesch)

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Konstanzer Hinterhof / März 2022

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Die Schauspielerin

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Vielleicht hatte es geregnet.

Vielleicht lediglich der zähe Nebel draußen, den der See im Winter ausatmet, wenn er seine Ruhe braucht.

Die Tür mit aufgeregtem Knall in den Morgen geschmettert blieb offen.

Stand in ihren Angeln ratlos rum. Da sie den Bus verpasst hatte.

Auf der Suche nach dem Theaterschlüssel in den Seitengängen ihrer Taschen fröstelte es ihr.

Umkehren sei keine Option. Wer immer es ihr gesagt hatte.

Ameisen krabbelten ihr Schienbein hinauf.

Bevor das neue Stück gelernt ist das alte Stück nicht vergessen.

Ich darf mich nicht jucken.

Jedenfalls nicht vor der Premiere.

Ihr Smartphone summte. Heute keine Probe.

Da sie sich abwandte fährt der verspätete Bus um die Ecke.

Bald ein neues Stück das kein Stück werden wird.

Die Haustür noch offen. Der Schlüssel nicht auffindbar.

Ein Müllmann rempelt sie an.

Warum hat Sie ihre Gelbe Tonne nicht rechtzeitig rausgestellt?

Die Bühne wird gewischt. Jeden Morgen.

Vor den Proben. Keine fremden Worte mehr lernen.

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(gießen / heute)

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Mit rechts immer wieder ins linke Eck‘

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Danach im Mittelkreis

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Mit rechts ins linke eck‘ versenkt

Standen wir oft im mittelkreis herum danach

Versunken an fernen gräbern im ICH

Ein mängelexemplar in der linken hand umsonst

Zerfleddert

Aus den öffentlichen buchschränken gezogen

Suchten wir

Den eigenen tod glorioser einatmend denn

Das leben des taugenichts

Gutbezahlt aber

Probleme wälzend

Irgendwann auch mal ein weltmeister

Gewesen zu sein

In der kohorte derer

Die wir nie kennengelernt hatten

Beruhigend angesichts der etlichen

Todesanzeigen dieser tage

Hier statt übermorgen

Zerknüllen wir die Zeitungen

Morgen papiermüll

Tonne rausstellen

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(im moment in gießen)

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