Eselsohren gelegentlich

…..

Wertheim / Goldener Ochse / 12. Oktober 2022

…..

Zwei Finger breit ja

Zwei Finger breit werde ich mir die Butter aufs Brot streichen

Am besten streichen lassen

Schrie er mir hinterher der Schmerbauch reicherer Jahre

Und Du Gemüsespacko kannst mich mal kreuzweise

Mein Auto bleibt hier stehen

Und wenn Du Tofukugeln kotzt

Im Strahl

*

Mein Rücken war schon immer nur ein Garderobenständer

Gescheitle

Auf den Sackgesichter ihre vererbten Nerze hängten

Während meine Bandscheiben dahinschmolzen

Und die Kniescheiben mit dem Asphalt der seit dreissig Jahren

Nicht mehr oder weniger

Ausgebesserten Strassen verschmolzen

Und Du labberst mir einen zweiten Pullover in die kalte Wohnung

Lass mich mit dem Scheißkrieg in Ruh

*

Hey, Boomer, sei froh, dass ich nur an Dein Haus piss

Und nicht in den verstopften Auspuff

Von Deim Elektrofahrrad

Du schnallst echt nur nix

Aber erst mal Deinen Gürtel enger

Vielleicht mal schnallen

Was soll ich aufheben

Hey, nochmal, was soll aufheben bitte

Ich?

Wenn Du nicht aufpassen tust kleb ich Dir

Deine Selbstgewissheit mit Sekundenkleber

Kannst Du Dir aussuchen wohin

*

Biiiittte! Biiiiitte! Speeeende!

Jeden Tag zweimal dreimal Strassenseite wechseln

Das ist nicht Armut das ist doch organisiert so

Sagt Schlaumeierchen und will seine Ruhe und weiß sofort Bescheid

Künftiger oder vergangener Armut ins glasige Auge zu blicken

Dazn aber ein ganz anderes Thema

*

Den fremden Lebensbüchern viele Eselsohren

Fügten wir zu

Das Bügeleisen glättete diese alten Hefte zu Poesiealben

Satt und Blatt und Mäh

Schrie die Ziege einst

Überfressen und im wüsten Grimm

Und wo ist mein Haus

Mein altes überheiztes

*

Darf ich Sie mal was fragen?

Gerne.

Wo ist denn Ihr Haus?

Ich hatte mal eins.

Und wo ist das jetzt?

Weg! Aber ich hätte da noch ein Salatblatt für Sie.

Was soll ich damit?

Basteln Sie sich daraus ein Eselsohr!

…..

Auf der Hardt / Gießen / Wintersalat / Anfang Oktober 2022

…..

Novemberstolpern eines Blauen Engels

…..

Kiel / November 2021

…..

Und wie man fiel über den eigenen Unrat

Den lange Müdigkeiten gestapelt hatten unter den welkeren Häuten

Herr Professor und Löwe mähnenlos

Und nicht blickte aufs prangende Kneipenschild

Und nicht dachte ob und wie denn

Wird jemals ein Engel so blau wie Du

Holper die Stolper ins Vergessen

Nicht gerutscht: sondern getanzt

Und tat man dann als sei die Fremde visavis

So eine Art vergangener Zukunft

Die Möwen flogen über die Förde

Die Trawler warteten

Vor dem Grauburgunder mit Hafermilch

Abgeschleppt zu werden

Die Schwebefrau die mit dem Tablett den ungleich besetzten

Nachmittagstisch wohlwollend umkreiste

Blickte

Sehnsüchtig und der Sorgen voll

Dann auftritt die Chefin

Hadesfalten unter den Augen eines langen Lebens

Dienend daran die Engel blau zu machen

Kassierte ab beim Zurückgebliebenen

Der es nicht mal ahnte

Jedoch wußte

Einer geht noch

Nicht nach Hause

Und bleibt ein Geist

*

(Kiel am 3. November 2021 / Gießen am 3. November 2022)

…..

Lindau / Oktober 2022

…..

Übers Wasser gehen und von der Rente

…..

Nonnenhorn / Freibad / 8. Oktober 2022

…..

Dem Dilemma

Die Hand geben

Sachte davon schweben

An der Geschichte weben

Die niemand erzählt

*

Bleib nicht an Gesten kleben

Versuche eine Feder zu heben

Brich deiner Leiter Streben

Klag nicht über Kleinhirnbeben

Was hatte Hiob schon gequält

*

In all den Wüsten

Als alle Tage noch düsten

Und uns nicht verdrießten

Oder vermiesten

Den Mangel an Glut

*

Doch letztendlich mussten

Wir röcheln und husten

Jene Tage der bewussten

Stunden und von den Verlusten

*

Heute geht es mir besser

Zwar lang noch nicht gut

Doch über Gewässer

Werde ich gehen

Wir werden es sehn

*

Und außerdem hat Bob Dylan ein Buch geschrieben

*

PS: Die meisten der letzten Photos von und an den Ufern des Bodensees habe nicht ich, aber die Lebensbegleitung gemacht. Danke dafür. Und mehr.

…..

…..

Schwarzer Hund / Allerheiligenblues 22

…..

Lindau / 9. Oktober 2022

…..

Uuuuuuh singend

Höre ich mir selber zu

Derweilen

Laub dekorativ geblasen wirbelt rum

Ist nun ein Oktober doch vorbei

Beim Blick hinaus

Immer noch offene Fenster möglich

Leeres Fensterbrett aber

Wie aus den vergessenen Kinderreimen einst

Mit weinbestäubten Beschwörungen verloren träumen

Über die vertanen

Tage die Bücher alle Ungeduld

Dumme erschöpfte Fingerzeigeleien

Oder

Halt`s Maul nur

So sollte ich mich schämen zu atmen neben

Meiner Zeit und diesem Rest

Kling Klang Kling Klang uuuuh

Singen Sie bitte den Bluuuues

Analog so wie den täglichen Aufstehschmerz

Nachgereicht wird ein naiver

Spatz der auf dem Fensterbrett

Dem metallischen

Seinen Schnabel kleiner hackt

Auf der Suche nach

Brotkrumen

Er kurz nur mich anblickt

Verweilt aber

Für lange Sekunden

…..

…..

(Gießen, 1. November 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

…..

Schwarzer Hund und vom Abschied 21

…..

Langenargen am Bodensee / 9. Oktober 2022

…..

Das Gehen zu lernen, es ist nicht leicht. Es sei denn, man stirbt. Und geht. Halt so. Endgültig. Spekuliert danach aber nicht über die Gründe. Oder Abgründe. Gescheit halt. Wissen tun wir eh nichts davon. Jeder Abschied ist entweder Flucht oder Notwendigkeit. Manchmal mal umgekehrt. Auch egal. Und wenn jemand wirklich ganz weg ist?

*

Sterbe ich, wenn jemand geht, mit dem, der ging? Die Liebe und der Tod. Vielleicht sind sie enge Verwandte. Oft meinen sie, sie seien Feinde. Die zwei Vögel.

*

Was wollte ich noch sagen? Das Gehen zu lernen, es ist nicht leicht. Bob Dylan fällt dazu immer mal wieder was Gescheites ein. Dafür liebe ich ihn.

…..

…..

(Gießen, 31. Oktober 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

…..

Nicht von Kartoffelbrei, der Kunscht, aber vom Huschen und Pfuschen und nicht vom Horizont, der Haare abrasiert

…..

Albertschwende / Bregenzerwald / 7. Oktober 2022

…..

Ist ja nix Neues (Gibt es wenigstens was Neues vom Nix?), dass die Welt und diese auch in ihrer bescheidenen mittelhessischen Ausprägung, dieser Tage wirr daherkommt. Vielleicht liegt es an den absurden Temperaturen, welche manche Gehirne erweichen in einer abstrusen Sommersimulation. Oder, so geht es mir, ist es dieser seltsame Widerspruch von einer – wirklich? – massiv finanziell bedrohten Gesellschaft, wie alle tagtäglich singen und den seit Tagen, Herbstferien hin oder her, voll und volleren Einkaufszonen und Cafes? Die Menschen jagen durch oder auch nur an den Geschäften vorbei, huschen, pfuschen sich durch einen oft sinngeleerten Alltag, so scheint es, und die Cafes erhöhen die Preise. „Das machen doch alle!“, antwortet die bedienende Studentin auf Nachfrage. Klar, wer soll auch ihr Studium und die fetten Benze des Gastronomenclans finanzieren? Nach dem Prinzip: ich parke um die Ecke und rolle dann den Wohlstandsbauch auf einem E-Roller hipsterroid in meine Lokale. Dort wo am lautesten über Wohlstandsverlust gesungen wird, ist er wohl noch gar nicht angekommen.

*

Es scheint, dass das öffentlich zelebrierte Verschlingen von Eiskugeln, die immer kleiner werden, deren Preise sich jedoch in die andere Richtung bewegen, nachhaltig und pfeilschnell selbstredend, so eine Art geheim verabredeter Widerstandshandlung der Angepassten darstellen soll. Und die Schlange, die einem wahrscheinlich berichtet, dass man „dazugehört“, wird lang und länger. Und, hey Bruda, inflationierst Du mich, inflationiere isch disch doppelt.

*

Dann sind da noch die Anderen. Die mit van Gogh und dem Kartoffelbrei und dem Sekundenkleber. Und der Aufschrei der plötzlich aus dem Boden schießenden Kulturnationenbürger? Frage nur: Wann waren Sie das letzte Mal im Museum und im Theater? Kaufen Sie Musik? Oder holen Sie die nur runter? Und warum Bücher so teuer sind? Und was, wenn man die Nachrichten des Tages sitzend und nicht in Designerklamotten „runterpradat“, sondern wieder „salamandert“? Wobei, wer hinter einem Tische hockt, könnte es auch barfuss tun, die eigene Hose oder den Rock in Sachen Besserwissen auf halber Höhe nur hängen lassen.

*

Lese zurzeit eine Biographie über Alexander von Humboldt. Er, Zeitgenosse von Goethe und Schiller, warnte schon damals davor dem Regenwald Leid zuzufügen. Und entdeckte auf seinen Reisen ein riesiges Russland gänzlich neu.

*

Bald wird ein Winter sein, ein kalendarischer. Schnee wird so selten sein wie menschliche Vernunft. Schön, dass das Ende des kleinen Schleppliftes, der mich mal nach oben beförderte und mir Buben, den milden Hügel in gemächlichem Schneepflügen gen Unten rutschend, das euphorisierende Gleiten über Schnee lehrte, noch in der Gegend rumsteht. So selbstverständlich und gelassen. Man hat ihn nicht vergessen. Im Gegenteil. Siehe oben.

*

Weiß aber wiederum nicht, ob mir die Namen der Urahnen der Möwen, die im Konschtanzer Hafen immer noch auf die ein- oder ausfahrenden Schiffe warten – „Einer wird schon ein paar Brotkrumen in die Luft werfen!“ – noch geläufig sind. Das Früher ist nur eine Variante des nächsten Morgens. Und hinterm Horizont, der meist der eigene, sehr eingeschränkte ist, lauert nichts, was dazu bewegen darf, sich öffentlich Haare zu entfernen. In falscher Buße, so selbstermächtigend. Im Gegenteil. Wachsen lassen.

…..

Konschtanz / Stadtgarten / 11. Oktober 2022

…..

Der Schwarze Hund oder das Leben bricht jedem von uns irgendwann das Herz und vielleicht die Reparatur: 20

…..

…..

Über was man so stolpert. Las ich eben im Cafè im SPIEGEL von einer Frau Roshani, die ein Buch darüber geschrieben hat, wie man den Schwarzen Hund mit LSD an die Leine legen könne. Eine Akt der Selbstbefreiung quasi. Schöner Ansatz, gibt er doch die Möglichkeit, mir zumindest, zurück zu schlüpfen in ganz alte Traumbilder. Oder Farbmuster?

*

Entsinne mich an die ein oder andere Beleuchtungsprobe, in der die Abteilung Licht zu mir sprach: „Also Lugerth, das ist jetzt schon arg bunt!“ Und ich antwortete: „Gesehen ist gesehen!“ Die „Reisegutsele“, wie sie einst am Bodensee unser Lotse und Meister Backes gerne nannte, waren unter all dem Krempel, den ich im Laufe der Jahre, unter der steten Prämisse der Weltengrauheit zu entfliehen, meinem Körper und Geist zugefügt hatte, meine liebsten Hirn– und Herzbeweger, weil ganz andere Türen als jene zur Verstärkung eigener Blödheit öffnend. Kaufe ich also erst mal das Buch und dann …

*

Ein alter Freund und Klassenkamerad, der Einzige neben mir, den es auch an den Musentempel trieb, war Beleuchtungschef und später technischer Direktor an durchaus brauchbaren Bühnen in Ost und West. In den frühen Tagen saßen wir ab und an am Lake of Constanze, der Föhn fiel über die Alpen oder dramatische Nebel krochen übers Wasser oder ein leicht übertriebener Sonnenauf– oder -untergang setzte den Säntis erhaben in Szene und mein Freund – beide waren wir „beflügelt“ selbstredend – sagte dann: „Etz, Lugi, wenn ich so was leuchten würd‘, na würden alle sagen, was isch des etz für ein kitschiger hirnkranker Scheiß! Oder?“ Ich antwortete vielleicht: „So isch es halt!“

*

Greife man ins eigene Auge, leihe es einem Fremden und versuche so zu sehen. Und wenn LSD tatsächlich zerbrochene Herz zwar nicht kitten, aber wieder beleben kann? Irgendwo muss ich doch noch die Nummer meines alten Dealers aufgeschrieben haben. Black Dog! Platz jetzt aber, Du Hund!  

…..

Am Strandbad Nonnenhorn / 9. Oktober 2022

…..

(Gießen, 25. Oktober 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

…..

Wo ist die Zeit? / Die Fallversuchungen

…..

…..

In zwei Monaten iss schon wieder Weihnachten. Man wird sich vollballern wollen. Also viele von Absturzvisionen Geplagte wollen sich vollballern werden. Oder so ähnlich. Es gab mal ein Vollballern, welches vor den Vollballereien anderer Art bewahren sollte. Das richtige teure todbringende Zeugs. Inklusive böser Rechnungen. Natürlich gibt es dieses Vollballern immer noch, es ist nur nicht mehr so romantisch wie anno längst vorbei bei W.S. Burroughs, Nick Cave, Lou Reed, John Lennon, dem nicht zu füllenden Gefäß Keith und don`t forget Tim Buckley. (Von dem später mal!) Hier nun eine romantische Frühfassung von „Öffne Deine Venen in Gelassenheit!“ zum Hören. Sind wir kurz mal Jesus‘ Sohn. Ok, i forgot Denis Johnson.

*

Nach dem zehnten Entzug kling der Beat anders. Kalter Truthahn oder den Affen schieben. Fehlbar bleiben zu möchten oder es nicht anders können wollen, mögen oder dann schon ganz gern es tun täten, ist, glaube ich, gar nicht so doof. Nur nicht immer so laut. Letztlich wäre wohl selbst Karl Valentin ein Junkie hätten werden können mögen. Wenn er es hätte mögen wollen können. Wie beginnt das Lied unten nochmal? „Ich weiß doch auch nicht, wohin ich gehe.“ Oder gehen werde? „Glaube, ich weiß es nicht!“

…..

…..