Schwarzer Hund schweigt im Regen 15

…..

Walltorstraße / Gießen / 14. September 2022

…..

Gestern war ein guter Tag. Es regnete ohne Unterlaß. Ausnahmen bestätigen die Regel. Siehe unten. Der Volksmund, welcher meist ein Medienmaul oder ein Instagrammschnütchen ist dieser Tage, spricht dann von Wetter, welches depressiv mache. Ich denke diese leicht am Rande der Hysterie hin und her taumelden Sonnenanbeter sind dem Schwarzen Hund noch nie begegnet. Sie haben vielleicht ihre im Rahmen des unermüdlichen Strebens nach Erfolgen und allumfassender Heiterkeit abgebrannte Kerze ins Schaufenster gestellt. Der Schwarze Hund aber schweigt gerne im Regen. Zumindest meiner.

*

Seit ein, zwei Wochen verkauft ein Berliner hier auf dem Wochenmarkt Suppen, also richtige Suppen. Aus seiner Gulaschkanone schöpft er Linsen- und Bohnensuppe mit Einlage (Bockwurst selbstredend!) sowie Gulaschsuppe und – Fanfarenstoß! – Nierengulasch. Ein Mensch! Wie ich mir im Nieselregen dieses vorzüglich inkorrekte und köstliche Gericht schmecken ließ, belauschte ich am Stand gegenüber das Gespräch zweier älterer Damen. „Iss ja schön, dass es mal regnet, aber so ein Wetter braucht doch kein Mensch!“ „Also da haben Sie vollkommen recht!“ Ich wünschte den beiden auf der Stelle die Gnade der Wiedergeburt, aber bitte als Baum.

*

Im Stadtpark wurden unlängst zwei Bäume zu „Memory Trees“ ernannt. Man kann dort gedenken der Menschen „die ihr Leben durch Suizid beendet haben“. Ich fragte mich, ob das Wort Selbstmord inzwischen auch indiziert ist. Ist der Selbstmörder demnach so eine Art Indianer? Im Gegensatz zu diesem aber kannte er den Schmerz. Ich stellte einen kleinen Blumentopf neben einen der Bäume, in Gedenken an meinen Vater, der vor bald fünfzig Jahren nicht mehr in der Lage gewesen war gegen seinen mir immer noch unbekannten Schmerz anzugehen.

*

In den letzten Wochen hörte / las / vernahm ich immer wieder von Männern, die nun Rente und damit einhergehenden Bedeutungsverlust sprich stützendes Feedback durch Arbeit und das Außen durchleben müssen und so naturgemäß ihren lange verdrängten Schwarzen Hund häufiger auf dem müd gewordenen Schoß sitzen haben, dass der Vater, hätte er sie geliebt / umarmt / gefördert / verstanden / gestillt (Sorry! Der musste sein!), das ALLES GANZ ANDERS geworden wäre. Na ja! Erinnere mich an einen meiner Schauspiellehrer. Ein großer, wuchtiger, stets gut gelaunter Schwarzer. Ich solchen Fällen, wir machten damals viel Psychodrama (hieß wirklich so das Fach!), pflegte er mit einem breiten Grinsen zu sagen: „Oh you and your German fathers. Don’t complain. Commit and try to do it better.“

*

Als ich den Blumentopf abstellte gestern, hörte es kurz auf zu regnen und ich sah ein Stückerl vom Himmel.

*

(Gießen, 15. September 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

…..

Wieseckaue / Gießen / 14. September 2022

…..

Wo ist die Zeit? / Auch noch die Queen!

…..

…..

Nun, dies war für unser Land keine Glückspost, diese Neue Post. Sie ist von der Welt gegangen, die Frau mit Herz, die Frau im Spiegel, sie die verkörperte wie keine andere, so singen sie dieser Tage und auch nachts, das Echo der Frau, eine Frau aktuell schon immer. Nun werden wir aufschlagen Das Neue Blatt und blicken in eine Neue Welt. Unser Land hat zwar keine Königin, aber die Zeitschriften dazu. Immerhin. Und kein Land zieht sich professioneller den Mantel „Der Anderen Trauer“ über, wie das uns’rige.

*

Der neue König war mir immer sympathisch. Vielleicht wegen gemeinsamer Ohrengröße, aber vor allem als die ganze Welt unter der Führung der BRD die Prinzessin der öffentlichen Schmerzen bejammerte. Und ob ich der Sohn dieser Mutter sein mochte, in diesem System, in dieser „Firma“? Dann lieber mit den Pflanzen sprechen. Das tue ich im Übrigen auch. Tomaten & co freuen sich darüber. Gott bewahre den König. Vielleicht fängt er mal an zu sparen. Bei Burgerking gibt es preiswerte Pappkronen. Und from Buckingham Palace to Windsor Castle sind es keine 45 minutes with the Royal Pedelecs. And Fish & Chips twice a week? Hold on, Charles!

…..

…..

Der Schwarze Hund geht in Rente 14

…..

…..

Ist selbstredend Schwachsinn die Überschrift. Müsste eher heißen „Wenn der Schwarze Hund mit seinem Rentner!“ oder treffen sich zwei Schwarze Hunde. Sagt der eine: „Na endlich in Rente?“ Antwortet der andere: „Jetzt fängt die Arbeit erst richtig an!“

*

Der Übergang zum Nichtstun ist voller Stolperdrähte, Fallgruben und Tretminen. Horror vacui. Es liegt, dass wusste schon Aristoteles, in der Natur des Menschen, der letztlich och nix anderes als ein kleines Stückchen Natur ist, in seiner schlotternden Angst vor der Leere jeden leeren Raum mit irgendetwas füllen zu müssen und ist das Füllmaterial noch so sinnbefreit und / oder extrem gesundheitsschädigend, körperlich wie seelisch. Für sich und gerne auch für das Gegenüber. Horror ruhestandis.

*

In Konstanz am Bodensee, wo ich aufwuchs, gab und gibt es die Seestraße. Wie der Name schon sagt eine sehr schöne Promenade entlang des sogenannten Konstanzer Trichters, Blick rüber zum Säntis und eine Wohngegend schon immer der – wie man einstens sagte – Gutsituierten. Die ein oder andere extrem großzügige Wohnung durfte ich über Klassenkameraden auch mal von innen betrachten, inklusive Balkon mit See – und Alpenblick bis Österreich.

*

Bevor der sogenannte „shared space“ erfunden wurde, prominierten dort Fußgänger und radelten, dies rücksichtsvoll, obwohl meist Schüler (Wer fuhr in den Sechzigern bis Siebzigern schon Fahrrad als Erwachsener und verkleidete sich auch noch dafür?) Weiße Linien gab es nicht. Man umkurvte einander. Doch manchem Rentner, den inneren Zeigefinger noch am Abzug seines WKII – Sturmgewehrs, passte dies nicht und so landete der schwungvoll ausgetreckte Spazierstock in den Speichen eines Jungradler und der dann in den Rabatten, die die Seestraße schmückten. Nun gut, der Wahrheit die Ehre, mancher Jungspund hatte die Augen im Strassenverkehr nicht wirklich offen, galt es doch die letzte Folge von EWG auszuwerten („Scheiße, ich musste schon um halb neun ins Bett!“ „Echt? Da wurde es doch erst interessant!“) und auch die letzte, erst samstägliche, dann auf Sonntag verlegte, Ausgabe von Bonanza bedurfte genauer Analyse. Und natürlich die Neue in der Parallelklasse. Weshalb ich das hier niedertippe? Letzte Woche als ich meinen Rentenausweis aus dem Briefkasten holte und nachsann, was das jetzt bedeutet RENTNER – Liest sich vorwärts und rückwarts gleich, fiel mir plötzlich auf! – dachte ich an die Seestrasse und gelobte niemals ein solchiger Rentner zu werden. Jedoch man ist nicht davor gefeit. Einige Mitglieder meiner Generation, die einst in den Rabatten lagen, schwingen schon Spazierstöcke durch die Luft. Gerne in Begleitung ihres Schwarzen Hundes. Man muss stets aufpassen sich selbst nicht rechts zu überholen. Und ich legte das Gelübde ab, nur einmal am Tag das kleine böse Wörtchen FRÜHER zu gebrauchen. Besser noch nur einmal pro Woche.

*

Seit Tagen habe ich das Gefühl der Schwarze Hund ist bei mir ausgezogen. Aber auch dies ist völliger Blödsinn. Mit dem Schwarzen Hund ist’s wie mit dem Krieg: Er schläft nur. Tut aber trotzdem gut die Pause.

*

(Gießen, 8. September 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

…..

Zehn Finger ergeben noch keine Hände

…..

…..

Packe den zeigefinger ein

Verpacke den zeigefinger

Unter die obhut deines daumens

Morgen vielleicht deine faust

Toitoitoi

Drücke ihn dich mich wen auch

Immer aber

Ohne zeigefinger verpassen wir zwar manche abzweigung

Verfahren uns

Eben noch dachte ich

An jene tage

Des trippelns und trappelns

Etlicher finger

Und daß man auch mit gitarren trommeln

Kann man das

Wenn man es will

Mann kann

Auch ohne zeigefinger

Jedoch seltener

Der seele ein opfer

Opfern wir

Drei tage nur

Drei stunden

Drei minuten

Drei sekunden

Lang

Ein leben

Lang

So kurz

Soul Sacrifice

Viele Finger

Tausend hände

Ein dein mein rhythmus

Echo

Erinnerung

*

(Gießen / 28. August 2022 / Für M.)

……

Wo ist die Zeit? / Von den braven Bürgerkindern und ihrer sentimental ungebrochenen Liebe zur Arbeiterklasse

…..

Irgendwo in Leipzig / 21. August 2010

…..

Wir lieben es aus wohlbeheizten räumen

Das gute alte proletariat

Wir sehen uns in uns’ren kühnsten träumen

Als helden auf dem ho chi minh du pfad

Das erbe das uns einstens angeboten

Wir schlagen es auch heute noch nicht aus

Und ziehen mit nur leichten schuldgefühlen

Ins frisch verwaiste bett des elternhaus

Wir sangen schrill die ganze internationale

Und kippten berge totgelebter thesen

Als wären wir dabei gewesen

Ins überhitzte meer

Ach putins heer

Es ist halt immer noch’s gerechte

In uns’ren alten töpfen

Und in den müden alten köpfen

Aus dem pferdekopf da kriechen aale

Mit sichel und dem hammer zirkeln weiter wir

Wohltönend über fremden bier

Das inzwischen nicht nur schal

Sondern einfach nur

Die eig’ne dumme qual

*

Man ist ja in manchem Verteiler. Wie man da reinkommt? Keine Ahnung oder selber schuld. Manchmal hast du Nachrichten in der Mehlbüchse, da „schlackert“ man mit den Ohren. Schlackern? Gibt es dieses Wort noch? Gestern lud mich der immer noch existierende DDR – Verehrungsklub Gießen ein mit ihnen am 1.9. gegen alle Kriege auf dieser Welt zu demonstrieren. Echt? Vor dreiundachtzig Jahren hat Hitler Polen überfallen. Putin führt selbstredend dieser Tage nur einen Verteidigungskrieg. Mein Gott! So schnell kann ich mich gar nicht mehr schämen, daß ich nicht rot werde, denke ich an die gute alte und vor sich hin modernde Linke, die tot.

*

(Gießen / 21.08.2022 / es regnet immer noch nicht)

…..

Jeder Körper ist schneller als das Hirn

…..

…..

Wortlose Dramen lesen

Als sprängen totgesagte Fische

Aus den Teichen

Stinkend und

Zuwinkend dem Fragesteller

Ohne Antwort

Zurückgesehnt wie ich bin

Klopft mir der Beat den Blues

Aus dem Herz und wieder ins Organ zurück

Darf es ein bißchen mehr sein

Fragten einst die Wurstwarenverkäuferinnen die Mutter

Und reichten eine Scheibe Lyoner

Über den blankgeputzten Tresen

Der Junge hinterließ seine Fettfinger

Schweigend

Genießend

Auf den eben noch strahlenden Glasscheiben

Fingerspitzen betrommelten sie ungeduldig

Was kann man lesen danach auf den Scheiben

Rätsel vielleicht

Wer den Worten aus dem Weg geht

Vermeidet eine Lüge

*

(Gießen / 20. August 2022 / für M.)

……

Ohne weitere Worte lange laut reden

…..

…..

Der Wal wutschwanger

Man umwickelt die Trommelstöcke

Mit Bast Klebebändern Leim

Sie kennen keine Worte

Sie singen nicht

Ohne Umweg aus dem Arm

Ins schwingende Fell geschlagen

Moby Dick aus dem Ozean alter Verwerfungen und Schmerzen

Taucht auf

Auf spielst Du zum Tanz

Ahab wird verlieren müssen

Das Unterbewußte narrst Du nicht

Nutze Dein Holzbein

Dein Takt

Dein klackender Tanz

Alter Mann

Schwitzende Rachestirn

*

(Gießen / 19. August 2022 / immer noch kein rechter Regen!)

…..

Der Schwarze Hund ist ohne Ruh‘ 13

…..

…..

In den letzten Tagen sprachen wir wenig miteinander, der Schwarze Hund und ich. Mir war sein Zerren und Zuppeln irgendwann eins zu viel geworden. Ich dachte darüber nach ihn Oliver oder Kahni oder gar Titani zu nennen. „Weiter! Immer weiter!“ Nee. Eben nicht. Die ständige Ruhelosigkeit, die Suche nach einem nächsten Kick, der eh nur – meine Güte, ich werde bald 66 – eine laues Lüftlein ist, eine Art von Erinnerungskaraoke. Kann man nicht einfach wie ein in Würde gealterter Grieche sein inneres Komboloi kreisen lassen und aufs Meer schauen? Oder so fürchterlich das auch gelegentlich ist: auf die Lahn gucken und ab und zu reinspucken? Auch Zwangsheimat ist eine Art von Heimat, die zu ertragen und zu akzeptieren dem Seelenfrieden zuträglich ist. Frage nach bei den Flüchtlingen aller Couleur und Herkunft.

*

Dachte heute darüber nach, warum Schlagzeuger gerne mal vor den übrigen Bandmitgliedern sterben. Vielleicht hat es damit zu tun, daß sie ihr ganzes Leben lang einen riesigen Sack voll Wut in ihr Instrument geklopft haben, ganzkörperlich. Das mag müde machen. Aber vielleicht befreit es auch und man sagt sich: ok, war gut so. Und Tschüß.

*

Also heute nochmal etwas vom bleiernen Zeppelin – Sollte ich den Schwarzen Hund nicht so nennen? – und bei den nächsten Malen oben Schlagzeugsoli. Und die nicht unter 5 Minuten. So trommelt er auf mich ein. Gelegentlich. Der Schwarze und ruhelose Hund. Am steten Schmerz und dem Regen – der leider auszusterben scheint – mag ich dieser Tage nicht mehr riechen. Und so muss ich zu Hause bleiben. Nixe ramble on. Gelle!

*

(Gießen, 18. August 2022 / Von der Depression / Eine Art Tagebuch)

…..