bagatelle vierundvierzig

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vor dem nächtlichen balkon

unserer ersten reise

lagen schafe dösend in dürrem gras

ich sprach sie an

sie gaben antwort

schliefen weiter dann

wie du

die du mich geweckt hattest

auf dem nächtlichen balkon

zweimal

jan ullrich fuhr ins gelbe trikot

am nächsten tag

und mir gehörte die welt

sekunden

*

(Thassos / 1997)

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bagatelle zweiundvierzig / zwiebacken

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nun da die zukunft nur noch ein zwieback

vielleicht uns ist

vor dem zerkauen einzuweichen in lauwarme milch

nun da die zukunft keine schwarzwälder

kirschtorte mehr üppig getränkt mit schnäpsen

die wir weit ausholend unseren ahnen ins gesicht

schleuderten unsere tische zukunft reich gedeckt noch

waren damals

packt uns die angst vor einer zukunft

die uns nur mehr scheint zwiebacken

die wütende sahne im gesicht aber dem eigenen

sie empört uns indigniert

sollten wir aber gelernt haben

dass jede bagatelle

dass die zukunft der nachwachsenden

sich von der vergangenheit der

altvorderen

nur in der form unterscheiden wird

nicht der inhalt sich wandelt

verlust schmerz euphorie leid schmerzende glieder

einatmen

ausatmen

die hoffnung blind umklammert

eingeweichten zwieback schlürfend

durch einen strohhalm

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PS: Sie werden in den nächsten Tagen in London die neue Variante des kleinen Tierchens wohl weiterzüchten und uns – sincerely yours – über den Kanal schicken. Wir werden es nicht zu verhindern wissen, auch nicht mit Klagen und Barmen. Hoffe trotzdem, daß einer der sympathischsten Kicker ever, Mister (bald Sir?) Harry Kane noch zwei bis drei Tore schießt. Das Foto getätigt 2017 in GB. Einer der wunderbarsten Urlaube, in der Sprache der Nachwachsenden, ever!

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bagatelle einundvierzig / pere lachaise

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Bevor ich in den großen Schlaf sinken werde

Möchte ich daß Du den Schrei eines

Schmetterlings hörst

Sagte ich zu ihr

Die mich begleitete

Jene angebetete Schaustellerin der Liebe

Die stand irritiert vom Leben jenseits der Bühnen

Mit mir am Grab des Sängers

Der zu schön war für den Rock’n’Roll

Und in einer Badewanne landete

Als er den Blues entdeckte

Um einzuschlafen für immer

In der Stadt der Liebe

Die ich suchte festzuhalten dort

Vergebens und hörte wie

Alle Schmetterlinge entflohen meiner Brust als ich sah

Ihr gelangweiltes Gesicht

Ob meiner kindischen Freude

Und ihre Gewißheit den Sänger im eigenen Bett

Empfangen zu dürfen

Hätte sie nur wollen dürfen

Zwischen ihren überschminkten Augen glaubte ich

Dies zu lesen

Vor dem Friedhof in einem Bistro

Trank ich drei Pernod

Sie schwieg eisern

Wie mein schmerzendes Herz

*

(Paris / Frühjahr 1998)

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PS: Zum fünfzigsten Todestag. Weiß immer noch nicht, was ich von ihm halten soll. Dieses Lied mochte ich immer sehr.

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PS2: Das Photo oben hat mir Mick Jagger zur Verfügung gestellt.

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bagatelle vierzig / vom gemüse singen

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Knete rote Beete

Fenchel streicheln jäte

Kartoffelkäfer klauben

Weißkohl zerstört entlauben

Salate vor dem Sprießen

Nicht zu heftig gießen

Harke durch den Boden ziehen

Der Rucola ist gut gediehen

Am Zaun ein Kürbis lauert

Die Gurke noch was dauert

Die Bohnen kräftig ranken

Und mit dem Unkraut zanken

Doch eines wäre noch zu raten

Achte stets auf die Tomaten

Und binde sie an Stecken

Sonst werden sie …

Ach ja und der Spinat

Hält aufrecht sich und grad

Und diesen einen Rettich

Geerntet ihn fast hätt` ich

Da fiel mir ein

Da muß noch etwas Jauche rein

Ins Beet und der Kohlrabi

Braucht keine Matura

Es lebe die Natura

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PS: Dank an die Gattin für das Foto. Im Hintergrund rauchen die letzten Reste der Arbeiterklasse vor sich hin.

bagatelle neununddreissig

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also stehen sie weiter im türrahmen

ihre koffer schon vorausgeschickt

den fuß in der türe noch

salbadernd

den finger im bauchnabel

und streuen mehltau

auf ihre alten taten

und die neuen werke

ersticken unter ihrer agonie

keiner kommt rein

keiner mehr raus

totes haus

maden feiern feste

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Für Joachim Löw und all die anderen, die nicht erkennen können, wann ihre Zeit abgelaufen ist.

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bagatelle achtunddreissig

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als durch die alten folianten

noch worte die wir kannten

vom hirn ins herzelein rannten

und wir den bogen spannten

vom gestern bis ins abgestand‘ne bier

das heute trinken wir

und so wir schnell verbannten

gespenster absturzkanten

und blieben querulanten

vor uns’rem eig’nen bangen

der angst vor dem verlangen

wir nannten das unendlichkeit

und ruhten in fremden worten

an unbekannten orten

und auch in den folianten

die wir niemals erkannten

auf dieser reise ohne ziel

um zu begreifen ein leben

auf abgefahrenen pneus

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PS: Noch ein schönes Photo, welches die Liebste schoß. In Münster / Westfalen. Dort wird, erfuhr ich eben, eine Krimiserie gedreht. Wieder mal was gelernt.

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bagatelle siebenunddreissig

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zuviel himmel über dem kopf

immer zu wenig himmel über dem kopf

im kopf aber mittelalterliche gassen

der himmel lediglich ein lichtstrich

über dem kopf der nach hinten kippt

muskeln härten sich der nacken blockt bockig

der herzmuskel hechelt braucht nur

himmel über dem kopf

und wenige worte

der himmel über dem kopf schweigt

lieber brüllend

wie beckett

not me wurm!

watt?

wurm!

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PS: Waren vorletzte Woche ein paar Tage an der See. Die Rückkehr in die Enge der (auch mental) fußgängigen Konsumentenzonen erschüttert mich als Innenstadtbewohner jedes Mal aufs Neue. Vor allem hier vor Ort.

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PS2: Noch ein Dylan. Über den Himmeln. Ohne Worte. Einer seiner besten Texte.

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